Bürgerbeteiligung
Wichtig ist, dass durch die SK-Methode jede Rivalität oder Spaltung in Bevorzugte und Benachteiligte vermieden wird.
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Wie Betroffene mitentscheiden

27. September 2019
Solange sich alle einig sind, ist es einfach, Entscheidungen zu treffen. Wenn die Themen konfliktreicher, die Beteiligten zahlreicher sind, beziehungsweise die Anzahl der Wahlmöglichkeiten wächst, dann wird es zunehmend schwieriger, zu einer Lösung zu finden.

Klassische Mehrheitsentscheidungen erzeugen zudem häufig „Gewinner“ und „Verlierer“. Das führt manchmal dazu, dass sich die Überstimmten von der Gruppe abwenden und für die weitere Arbeit nicht mehr zur Verfügung stehen.

Um diese Personen und ihr Know-how nicht zu verlieren, braucht es neue Modelle zur Entscheidungsfindung. Doch wie kann eine Gemeinde, gemeinsam mit ihren Bürger/innen, auf andere Weise zu tragfähigen Entscheidungen finden? Welche Möglichkeiten gibt es, zukunftsweisende (Projekt- Entscheidungen gemeinsam mit den Bürger/innen zu fällen?

Munderfing setzt auf Systemisches Kosensieren

Die oberösterreichische Gemeinde Munderfing hat ihre Bürgerinnen und Bürger eingeladen, dem Gemeinderat einen Vorschlag zu unterbreiten, wie künftig in Munderfing die innovative Entscheidungsmethode „Systemisches Kosensieren“ (SK-Prinzip) in der Bürgerbeteiligung eingesetzt werden kann. Munderfing ist nun weltweit die erste Gemeinde, die „Systemisches Konsensieren“ als Werkzeug für Bürgerbeteiligung in die Leitlinien ihrer Gemeindepolitik aufgenommen hat.

Diese Methode soll in Munderfing aber nicht nur in der Gemeindepolitik eingesetzt werden, sondern soll auch für Entscheidungen in Schulen, Gruppen und Gemeinschaften Verwendung finden. Zusammen wird eine Entscheidungskultur geschaffen, die in privaten Lebensbereichen ebenso Platz hat wie in politischen Gremien, Unternehmen und Organisationen, Bildungseinrichtungen oder Vereinen. 

Bürgerentscheid zur Schließung eines Bahnübergangs

Systemisches Kosensieren wurde in Munderfing zum Beispiel bei der schwierigen Entscheidung betreffend Schließung einer Eisenbahnkreuzung eingesetzt, wo es sich bestens bewährt hat.

Der Gemeinderat könnte natürlich alleine beschließen, welche Eisenbahnkreuzungen zu schließen sind, ohne dies mit den Betroffenen abzuklären. Doch bei einer Entscheidung des Gemeinderates ohne Einbeziehung von Betroffenen wird deren Konfliktpotenzial nicht erhoben. Daher weiß man vor der Entscheidung nicht, mit welchen Schwierigkeiten nachher gerechnet werden muss. Es entsteht eine Spaltung, in der sich ein Teil der Bürger und Bürgerinnen benachteiligt fühlen könnte.

Diese Polarisierung und der Verdacht der Begünstigung eines bestimmten Personenkreises kann vermieden werden, indem die Betroffenen selbst nach der Lösung suchen, die sie gemeinsam am besten akzeptieren.

Munderfing
Lageplan der aufzulassenden Eisenbahnkreuzung. Die Bewohner am Waldrand müssen künftig auf einer neu zu errichtenden Straße bis zur nächsten Kreuzung (siehe gelbe Markierung) fahren.

In der Bürgerversammlung wurden die möglichen Optionen von Schließungen mit Vor- und Nachteilen durch Bürger und Verkehrsplanungsexperten erörtert. Mit dabei auch die Option, den Gemeinderat alleine entscheiden zu lassen, was von den Anwesenden mit 96 Prozent abgelehnt wurde.

Im Anschluss wurden alle Optionen mit Widerstand anonym von 42 betroffenen Menschen bewertet. Der Vorschlag, die Eisenbahnkreuzung Waldstraße aufzulassen und die betroffenen Bewohner der Waldstraße künftig über die Eisenbahnkreuzung im Katztal und der zu errichtenden Verbindungsstraße zu erschließen, fand mit 40 Prozent den geringsten Gruppenwiderstand!  

Systemisches Konsensieren

Blaupause für andere Gemeinden

Wie sieht nun eine aus dem Projektverlauf abgeleitete Blaupause als mögliche Vorgehensweise für andere Gemeinden (aus dem Agenda 21-Netzwerk) aus:

  • Die Gemeinde definiert ein Projekt (idealerweise mit externer SK-Moderator-Begleitung oder bildet ein Begleitungsteam in SK-Moderation aus).
  • Die Gemeinde bildet eine Arbeitsgruppe Entscheidungsfindung aus Freiwilligen (beispielsweise freiwillig Engagierte aus Agenda 21-Prozessen/ Aktivitäten).
  • Die Arbeitsgruppe baut Know-how zum Thema Entscheidungsfindung in Gruppen und Partizipation auf, um selbst entscheidungsfähig zu sein. 
  • Die Arbeitsgruppe stellt sich einem realen Lehrbeispiel, um unter anderem die Methodik des systemischen Konsensierens zunächst auf einer Inhaltsebene zu erleben.
  • Die Arbeitsgruppe erarbeitet für ein reales Beispiel einen Prozess und eine Vorgehensweise entlang der 25 Fragen einer Entscheidung.
  • Die Arbeitsgruppe setzt den Plan um (wenn nötig, mit Unterstützung externer SK-Moderatoren, die die Bürgerversammlung moderieren). 
  • Die Arbeitsgruppe reflektiert den Prozess und das Ergebnis. Sie beschreibt das daraus für die Gemeinde entstehende Modell, welches für weitere reale Entscheidungssituationen Anwendung findet. 
  • Bei jeder weiteren Anwendung wird auch das Modell bestätigt, erweitert oder angepasst.
  • Danach wird situativ und anlassbezogen die Arbeitsgruppe Entscheidungsfindung einberufen und für weitere Interessierte geöffnet.

Prinzipien und Werte des SK-Prinzips 

  • Freiwilligkeit
  • Gleichwertigkeit
  • Achtung vor den Wünschen und dem Nein von Bürgern und Bürgerinnen
  • Berücksichtigung der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Gemeindeordnung
  • Gemeinsames Entscheiden der betroffenen Bürger und Bürgerinnen
  • Iteratives Vorgehen. Wünschen und Träumen, Planen, Handeln, Reflektieren und Lernen als Zyklus anwenden
  • Trennung zwischen Prozess- und Inhaltsebene
  • Einbeziehung von Bürgern und Bürgerinnen auch auf der Prozess- und Vorgehensebene
  • Praxis und Theorie verknüpfen, Partizipation an Realfällen erlernen
  • Gemeinsames Lernen auf beiden Ebenen, Prozess- und Inhaltsebene; Bürgerbeteiligung als kollektiven Lernprozess verstehen
Weitere Informationen zum SK-Prinzip auf www.businesskonsens.eu.

Kontakt

Gemeinde Munderfing

erwin.moser@munderfing.ooe.gv.at