Landärzte dringend gesucht

1. Februar 2012
Es sage keiner, wir hätten’s nicht rechtzeitig gesagt! Zu Beginn des Jahres 2012 warnte KOMMUNAL das erste Mal eindringlich vor einer „medizinischen Verödung“ des ländlichen Raums. Viele Gemeinden litten schon damals massiv unter dieser fehlenden Infrastruktur – unser Befund wies vor allem darauf hin, dass sich in den Tälern und generell am Land kaum noch Ärzte oder Ärztinnen fanden. Eine Entwicklung, die auch die Gemeinden in Ballungsräumen befürchteten.

KOMMUNAL 2/2012, von Hans Braun und Katharina Lehner

Im Fall der Salzburger Gemeinde konnte in einem zweiten Anlauf Entwarnung gegeben werden, schildert Gemeindebund- Präsident Helmut Mödlhammer in seinem Beitrag für das Buch „Arzt der Zukunft – Zukunft des Arztes“ über die „niedergelassene Medizin“ in Österreich.

„Sterben“ die Ärzte aus?

In der EU werden bis 2020 mehr als 230.000 Ärzte fehlen. Gleichzeitig plant die EU-Kommission das Medizinstudium von sechs auf fünf Jahre zu verkürzen, offiziell bei gleicher Stundenanzahl. Diese und andere Themen wurden auf dem internationalen Symposium „Arzt sein in Zukunft“ Ende Jänner in Wien diskutiert. „Man wird noch 70-jährige Ärzte auf Knien bitten, ihre Ordination weiterzuführen“, prophezeite da Österreichs Ärztekammerpräsident Walter Dorner.
Auf die KOMMUNAL-Nachfrage, ob es in Österreich überhaupt genügen Ärzte gibt, die vakant werdenden Stellen nachzubesetzen, legt er nach: „Unsere Medizin- Universitäten bilden genügend junge Menschen aus. Aber immer weniger Absolventen sind bereit, unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen in Österreich eine Praxis zu übernehmen oder zu eröffnen. Ich mag Hochrechnungen an sich nicht so gern, aber eine Zahl gibt mir jedenfalls zu denken: Selbst wenn jeder unter 55-jährige Allgemeinmediziner mit Wahlarztpraxis die Ordination eines in Pension gehenden Kassen- Allgemeinmediziners ersetzen würde, blieben 30 Prozent der derzeit noch vorhandenen Kassen-Praxen unbesetzt. Das bedeutet: Mit der bereits tätigen Ärzteschaft können wir diese Lücke nicht schließen. Das ist ein Alarmzeichen!“
Günter Wawrowsky, in der Ärztekammer zuständig für den niedergelassenen Bereich: „Wird der niedergelassene Bereich nicht ausgebaut und gestärkt, drohen eklatante Versorgungsmängel. Zusätzlich gibt es in der Augenheilkunde und der Psychiatrie zu wenige Planstellen. Besonders dramatisch ist es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.“
Naturgemäß etwas entspannter sehen Gesundheitsminister Alois Stöger und der Hauptverband der Sozialversicherungen die Ärzte-Situation. „Laut unseren Daten liegt Österreich international an der Spitze, was die Anzahl an Ärzte betrifft. Gesamt betrachtet zeichnet sich kein Mangel ab. Bei differenzierter Betrachtung kann es in einigen Regionen zu einem Hausarztmangel kommen. Dies liegt aber weniger am Beruf des Hausarztes als daran, dass ländliche Regionen für manche junge Berufstätige offenbar weniger attraktiv sind als städtische Ballungszentren“, so Minister Alois Stöger.
Auch der Hauptverband verneint, dass es einen Ärztemangel gibt. Pressesprecher Dieter Holzweber: „Ein Blick auf die Zahlenlage zeigt, dass von einem Ärztemangel generell keine Rede sein. Im Jahre 1970 hatten wir rund 7,5 Millionen Einwohner und insgesamt 12.438 berufsausübende Ärzte. 2010 gibt es bei rund 8,4 Millionen Einwohnern über 40.000 Ärzte. Die Zahlen gelten für Vertragsärzte und für Spitalsärzte. Im Verhältnis zur Bevölkerung gibt es somit heute mehr Ärzte als vor 40 Jahren. Von einem Ärztemangel zu sprechen, ist eine Mär. In einigen Bundesländern und in Ballungszentren gibt es lange Wartelisten. In ländlichen und peripheren Gebieten, beispielsweise in Salzburg oder der Steiermark, gibt es Besetzungsprobleme.“

Woran liegt es nun?

Helmut Mödlhammer bringt es auf den Punkt. Die Ursachen des sich abzeichnenden Ärztemangels – der in bestimmten Bereichen im Übrigen auch die Ballungsräume erfassen wird – sind vielfältig und liegen nicht nur an der „Überalterung“ der Ärzteschaft, sondern auch an den wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen vor allem die niedergelassenen Praktiker und Praktikerinnen leiden. „Das Klischee des klassischen ,Landarztes‘, wie es in diversen Fernsehserien und Romanen gepflegt wird“, so Mödlhammer, „entspricht seit langem nicht mehr der Realität.“
Der Landarzt ist in vieler Hinsicht ein Einzelkämpfer. Er/sie muss Entscheidungen nicht nur allein treffen (statt im „kollegialen Rahmen einer Klinik“), für den Landarzt treffen noch zwei Punkte zu: Erstens hat er – ähnlich dem Bürgermeister – keinen echten Feierabend. Und, so die Ärztekammer, auch „junge Ärztinnen und Ärzte haben heute die gleichen Erwartungen wie alle anderen Berufseinsteiger auch, nämlich ein halbwegs ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und ein leistungsgerechtes Einkommen“. Und zweitens, was noch wichtiger ist, ist er auch wirtschaftlich ein Einzelkämpfer. Oft darf er beispielsweise – vor allem als Nachfolger – keine Hausapotheke mehr führen. Gerade bei kleinen Arztpraxen auf dem Lande ein wichtiges wirtschaftliches Argument.
Es liegt also offenbar viel daran, den Beruf „Hausarzt“ zu attraktivieren. Gesundheitsminister Alois Stöger auf die Frage, was man tun kann, um den Beruf „attraktiver“ zu machen: „Hier nochmals das Stichwort Gruppenpraxen. Der klassische Hausarzt ist männlich und hat eine Einzelpraxis. Hier wird sich viel ändern: Es gibt mehr Ärztinnen, und für junge Ärztinnen und Ärzte sind zunehmend andere Arbeitszeiten und Arbeitsformen attraktiv. Durch die Gruppenpraxen können sie flexibler mit anderen Medizinern aus anderen Fachgebieten zusammenarbeiten, und für Patientinnen und Patienten bedeutet das attraktivere Öffnungszeiten und weniger Wege.“
Aus vielen Gemeinden ist die Befürchtung zu hören, dass der Hausarztmangel zu einer „medizinischen Verödung“ der Gemeinden führen wird. Dieser Entwicklung wird gegenzusteuern sein, egal, welchen Zugang jemand hat.
Da wird es nicht reichen, einfach zu sagen, „Wir sehen keine medizinische Verödung. Das Problem der Nachbesetzung im ländlichen Raum ist eben auch ein strukturelles Problem, wie die Abwanderung oder das Greißlersterben. Nur: Man braucht nicht in jedem 100-Einwohner-Ort einen Doktor. Die Menschen werden schließlich immer mobiler“ (der Hauptverband).
Es gibt in vielen kleinen Gemeinden sehr mobile betagte Menschen. Deren Mobilität endet aber auch oft an der Gemeindegrenze. Sollen die Gemeinden „Krankentaxis“ organisieren oder Fahrtendienste? Soll der 70-jährige Kranke selbst ins Auto steigen und losfahren? Einmal zerstört, kann das Vertrauen in ein gut funktionierendes Gesundheitswesen kaum noch wieder hergestellt werden. „Mit der Stabilität der Gesundheitsversorgung und der Frage, ob eine angemessene Versorgungsqualität nur mehr bestimmten Eliten beziehungsweise bestimmten Regionen zugänglich ist, steht und fällt der Zusammenhalt einer ganzen Gesellschaft“, so Helmut Mödlhammers Warnung am Ende seines Buchbeitrags.
Wie praktikabel einzelne Zugänge zum Thema sind, dazu gibt es natürlich jede Menge Ansätze.