Foto vom globalen Parlament 2016
Das von Benjamin Barber initiierte Globale Parlament der Bürgermeister tagte erstmals im September 2016 in Den Haag.

Die Souveränität der Kommunen

Weder die Nationalstaaten noch die UNO haben sich als fähig erwiesen, Herausforderungen wie Migration, Klimawandel, die Erhaltung des sozialen Friedens und die Sicherung des Wohlstandes zu bewältigen. Der US-amerikanische Politologe Benjamin R. Barber ist der Ansicht, dass Kommunen Probleme wesentlich besser lösen können. In seinem Buch „If Mayors Ruled the World“ hat er 2014 die Idee eines globalen Parlaments der Bürgermeister entworfen. Mittlerweile wurde sie in die Tat umgesetzt. In einem Beitrag in der Festschrift, die anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Niederösterreichischen Gemeindebundes herausgegeben wurde, erläutert Barber die Hintergründe.

Unsere von Globalisierung geprägte Welt befindet sich in einer Phase des Übergangs – mit gewaltigen Auswirkungen auf Regierungsführung und Demokratie. Wir haben offenbar das Ende der Ära der Nationalstaaten und ihrer Herrschaft erreicht. Die nationalen Grenzen und die isolationistische Souveränität der traditionellen Staaten prägten mehr als vier Jahrhunderte lang die politischen Zuständigkeitsbereiche und die Demokratie. Diese alten Kennzeichen nationaler Unabhängigkeit lassen sich jedoch nicht länger mit der grenzenlosen Vernetzung der Welt im 21. Jahrhundert in Einklang bringen.



Während der Einfluss der Staaten abnimmt und es ihnen zunehmend an Souveränität fehlt, erleben Städte und Gemeinden einen Aufstieg – wie ich schon als Hauptargument in meinem Buch „If Mayors Ruled The World: Dysfunctional Nations, Rising Cities“ („Wenn Bürgermeister die Welt regierten: dysfunktionale Nationen, aufstrebende Städte“) ausgeführt habe. Der pragmatische Ansatz der Kommunen zur Problemlösung und ihre Neigung zu umsetzungs- orientierter Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg machen Städte und Gemeinden politisch erfolgreicher als alle anderen bestehenden politischen Organisationen, seien es die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder andere Staatenverbände. Städte entwickeln sich zu den De-facto-Souveränen des 21. Jahrhunderts.

Identität entsteht in Städten und Gemeinden



Die ungebrochene und nun vollständig wiederhergestellte Dynamik der Metropolen kommt wenig überraschend. Schließlich sind Städte und Gemeinden oftmals bedeutend älter als die Nationalstaaten, denen sie angehören. Darüber hinaus sind sie viel offener, multikultureller und somit toleranter und mehr an gesellschaftlichem Austausch interessiert als monokulturelle Staaten.



Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten (in der entwickelten Welt sind es 75 Prozent), wo auch 80 Prozent des weltweiten BIP erwirtschaftet werden. Kunst und Kultur, Hochschulausbildung und wissenschaftliche Patente sind ihre ureigenste Domäne. Zudem wird die Stadt von den Bürgern als ihre eigentliche Heimat betrachtet. Die Begriffe „Burg“ und „Bürger“ im Deutschen beziehungsweise „cité“ und „citoyen“ im Französischen zeigen die starke etymologische Verbindung zwischen Städten und Staatsbürgerschaft sowie bürgerlicher Identität.



Tatsächlich entsteht Identität zuallererst in der Gemeinde, da unsere Bindungen im unmittelbaren Lebensbereich verankert sind. „Nachbar“ ist eine viel emotionalere Bezeichnung als „Landsmann“. Wie dies der Schriftsteller Tony Curtis in seinem Buch „Wales: The Imagined Nation: Essays in Cultural and National Identity“ formuliert hat, ist der Ursprung von Staaten abstrakt und konstruiert – sie existieren mehr in der Vorstellung als tatsächlich.



Städte und Gemeinden sind Orte, in denen wir geboren werden, aufwachsen, in die Schule gehen, heiraten, spielen, beten, gestalten und arbeiten, wo wir uns zur Ruhe setzen, unsere Enkelkinder aufwachsen sehen, alt werden und schließlich sterben. In den Worten von Edward Glaeser, Stadtforscher an der Universität Harvard, sind wir eine „urbane Spezies“, womit er sich an Aristoteles anlehnt, der den Menschen als „Zoon Politikon“, als politisches Wesen, bezeichnete.

Kommunen arbeiten zusammen



Angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs der Städte und Gemeinden in eine politische Vormachtstellung verwundert es kaum, dass eine neue Form der Regierungsführung, eine Governance-Revolution im Gange ist. Diese Revolution ist die Folge zweier Trends:



Erstens die Revolution der Dezentralisierung, bei der, wie der britische Schatzkanzler George Osborne Anfang 2016 erklärte, England seinen bedeutenden Städten radikal mehr Macht übertragen und ihnen dadurch die Möglichkeit zur Entwicklung ihrer eigenen lokalen Volkswirtschaft geben würde.



Der zweite sich abzeichnende radikale Trend gründet sich auf dem ersten: eine Stärkung der Städte als Folge ihrer erwiesenen Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei gemeinsamen globalen Problemen wie Klimawandel, Flüchtlingen und Kriminalität. So meinte New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio: „Wenn nationale Regierungen bei zentralen Themen wie Klimaschutz nicht handeln, müssen dies die Städte übernehmen.“



Die Zusammenarbeit von Städten reicht schon Jahrtausende zurück, von antiken mediterranen Städtebünden bis hin zu der mittelalterlichen Hanse (heute als „Neue Hanse“ wieder zum Leben erweckt). Der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels geben Städten besonderen Grund zur Sorge, da 90 Prozent von ihnen an Gewässern liegen – an Flüssen, Seen, Meeren und Ozeanen. Obwohl bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 (COP 21) letztlich ein bescheidenes allgemeines Übereinkommen erzielt wurde, in dem die Nationen aufgefordert werden, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad über den vorindustriellen Durchschnittswert zu verhindern, scheint die reale Umsetzung selbst dieses vorsichtigen Ziels von den großen Städten abzuhängen. Hier werden 80 Prozent der Treibhausgasemissionen erzeugt, und hier ist der politische Wille vorhanden, konsequenter zu handeln, als dies von den Nationen zu erwarten ist.



Die Anzeichen dafür sind schon erkennbar, z. B. an der Arbeit von Städtenetzwerken wie ICLEI (Local Governments for Sustainability) und der C40 Cities Climate Leadership Group. Tatsächlich wird es von den Städten und Gemeinden abhängen, ob das Übereinkommen von Paris erfolgreich sein, oder scheitern wird. Wenn die wenig ambitionierten Ziele des Übereinkommens nicht durch die gemeinsame harte Arbeit der Kommunen übertroffen werden, dann wird die Menschheit bis zum Ende des Jahrhunderts einen verheerenden Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sechs Meter erleben. Dies würde die Überflutung vieler großartiger Küstenstädte auf der ganzen Welt bedeuten, darunter New York, Miami, New Orleans, London, Venedig, Shanghai, Hongkong, Sydney und viele andere. Wie immer werden die Wohlhabenden wegziehen, während Frauen und Kinder und die Armen im Allgemeinen zum Bleiben und Tragen der Konsequenzen gezwungen sein werden.

Bürger vertrauen kommunaler Verwaltung mehr



Sowohl Dezentralisierung als auch die globale Stärkung der Städte und Gemeinden sind nicht bloß Theorie, sondern bereits Faktum, auch wenn sich das Tempo der Veränderung beschleunigen muss. Die Führungsqualitäten der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beim Aufgreifen der realen Probleme der Bürgerinnen und Bürger – von Klimawandel, Bildung, Ungleichheit bis hin zu Verkehr, Pandemien und Sicherheit – haben dazu geführt, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr als doppelt so viel Vertrauen in die kommunalen Verwaltungen als in nationale Politiker haben (Im Durchschnitt meinen nur 35 Prozent der Bürger weltweit, dass sie ihren nationalen Regierungen vertrauen, während bis zu 70 Prozent Vertrauen in Bürgermeister und andere Kommunalverantwortliche haben.).



Städte kooperieren nicht nur innerhalb einer Nation durch Verbände wie die „National League of Cities“ (NLC) und die „United States Conference of Mayors“ in den Vereinigten Staaten, die „Mexican Association of Mayors“ oder auch den Österreichischen Gemeindebund bzw. Städtebund.



Sie arbeiten auch grenzüberschreitend in erfolgreichen globalen Städtenetzwerken zusammen, die weit über den Rahmen des attraktiven, aber bescheidenen Partnerstädte-Programms hinausgehen. Diese globalen Netzwerke umfassen nicht nur die oben erwähnten Klimaschutznetzwerke (das ökologisch ausgerichtete Netzwerk ICLEI und die von den Bürgermeistern von London und New York, Livingston und Bloomberg, gegründeten „C40 Climate Cities“), sondern auch Organisationen wie den weltweiten Städteverband UCLG („United Cities and Local Governments“), „Mayors for Peace“ mit Sitz in Hiroshima, das „Europäische Forum für urbane Sicherheit“ (EFUS), das Netzwerk „Strong Cities“, „EuroCities“, „Metropolis“, den „Compact of Mayors“ und „ICORN“, einen Städteverband, der Künstlern in Gefahr Schutz bietet. Mit anderen Worten: Kommunen können nicht nur zusammenarbeiten, sie tun es auch!

Demokratie auf kommunaler Ebene bleibt stabil



Ein weiterer Aspekt: Obwohl sich Bürger gegenüber nationalen Regierungen immer zynischer und ablehnender zeigen und die demokratische Partizipation nachlässt, bleibt die Demokratie auf kommunaler Ebene im Vergleich relativ stabil. Selbst Millionenstädte wie New York oder Paris haben Anleihe bei der in Lateinamerika entwickelten partizipativen Budgetplanung („Bürgerhaushalt“) und der partizipativen Flächennutzungsplanung genommen. Diese innovativen Bürgerbeteiligungsmodelle wurden in der Ära der globalisierungskritischen Treffen in Porto Alegre vor einigen Jahrzehnten erstmals versuchsweise entwickelt und erlauben es Bürgerinnen und Bürgern, an Budgetentscheidungen teilzuhaben und somit über die Verwendung von finanziellen Mitteln zu bestimmen und Bebauungsvorschriften zu erlassen. Mehr als 300 Städte weltweit ermöglichen mittlerweile ihren Bürgern ein Mitspracherecht bei der Budget- erstellung.

Das globale Parlament der Bürgermeister



Die Zusammenarbeit der Städte mit dem Ziel, das zunehmende Unvermögen der unabhängigen Nationalstaaten bei der Bewältigung miteinander verflochtener, grenzüberschreitender Krisen anzusprechen, bildet die Grundlage für einen Vorschlag, den ich bereits 2014 in meinem Buch „If Mayors Ruled the World“ vorbrachte: Es ist Zeit für eine Governance-Revolution, die Gründung einer neuen globalen, gesetzgebenden Körperschaft, welche die Städte der Welt umfasst – von mir „Global Parliament of Mayors“ (GPM), globales Parlament der Bürgermeister, genannt.



Es folgten begeisterte Reaktionen von Bürgermeistern sowie Planungstreffen in den folgenden Jahren in Seoul (Bürgermeister Won-soon), Amsterdam (Bürgermeister van der Laan) und New York (Bürgermeister Bloomberg). Die Theorie der Ermächtigung der Städte, mit einer gemeinsamen, globalen Stimme zu sprechen und eine Plattform für gemeinsame globale Aktivitäten zu entwickeln, wurde nun praktisch umgesetzt.



Vom 10. bis 12. September 2016 trat im niederländischen Den Haag erstmals das globale Parlament der Bürgermeister zusammen. Diese Gründungsveranstaltung fand somit in der Stadt des Friedens und des Rechts statt, in welcher der Ständige Internationale Gerichtshof des Völkerbundes ab 1922 seinen Sitz hatte. Seit 1945 befindet sich in Den Haag der Sitz des Internationalen Gerichtshofs und seit 2002 der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs. An der Gründungsversammlung nahmen Vertreterinnen und Vertreter von Städten aus der nördlichen und aus der südlichen Hemisphäre, von großen Metropolen und kleineren Kommunen, von Städten sowohl aus Industrie- als auch aus Entwicklungsländern teil. Hauptthemen des ersten Zusammentreffens waren die Erarbeitung einer gemeinsamen Handlungsbasis zu Themen wie Klimawandel, Flüchtlingen und Regierungsführung.



Es ist nur angemessen, dass in unseren unruhigen Zeiten globaler Anarchie und allgegenwärtiger Ungerechtigkeit die Stadt Den Haag und der visionäre Bürgermeister der Stadt und frühere niederländische Außenminister Jozias van Aartsen zusammen mit seinen Kollegen aus den anderen niederländischen G4-Städten (Amsterdam, Rotterdam und Utrecht) Gastgeber für diesen neuen Versuch einer globalen, demokratischen Regierungsführung waren. Denn so wie die aufeinanderfolgenden Weltgerichtshöfe in Den Haag danach strebten, ein Maß an Gerechtigkeit in internationale öffentliche Angelegenheiten zu bringen, möchte das GPM Städte und ihre Bürgermeister zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ermutigen, die gemeinsamen öffentlichen Güter und das Interesse ihrer Bürger an globaler Gerechtigkeit zu erkennen. Das wurde von den schwerfälligen nationalen Regierungen bisher allzu sehr verabsäumt.

Möglichkeit, aber keine Verpflichtung zur Zusammenarbeit



Die Gründung des globalen Parlaments der Bürgermeister war ein Grundpfeiler für Regierungsführung im Verband der oben beschriebenen, beeindruckenden Städtenetzwerke und wird deren umfassende Errungenschaften noch verstärken und darauf aufbauen. Das Parlament zielt darauf ab, die gemeinsame Stärke der Städte und Gemeinden unter einem Dach zusammenzuführen und zu nutzen, um den urbanen Netzwerken und kommunalen Kooperationen mehr Macht und Einfluss zu verleihen. Dadurch erhalten Städte die Möglichkeit, gemeinsame Richtlinien und Gesetze durch gemeinsame Rechtsvorschriften festzulegen, wobei es den einzelnen Städten freisteht, sich daran zu beteiligen. Dieser Opt-in-Ansatz betont den basis- orientierten, föderalen Charakter kommunaler Regierungsführung und die oberste Souveränität der Bürger selbst bei der Ermächtigung rechtmäßiger Regierungsautorität. Das GPM wird nach den Prinzipien von Partizipation, Kooperation und Konsens agieren und nicht durch Aufträge von oben, wie es in hierarchischen Entscheidungsprozessen der Fall ist.



Anfänglich nahmen am GPM Vertreterinnen und Vertreter von rund 125 motivierten Kommunen teil. Mehr als hundert Städte und Gemeinden beteiligten sich bereits am zwei Jahre zuvor laufenden Planungsprozess, zusammen mit zahlreichen urbanen Netzwerken, NGOs und Experten.

Plattform für virtuelle Zusammentreffen wird entwickelt



Die teilnehmenden Kommunen liegen auf allen Kontinenten, im Norden und im Süden, sind groß oder klein und haben sehr unterschiedliche ökonomische Voraussetzungen. Im Laufe der Zeit wird das GPM mittels innovativer repräsentativer Instrumente, einschließlich einer virtuellen Plattform, imstande sein, den Großteil der Bevölkerung der Weltmetropolen zu vertreten und einzubeziehen.



Da aufgrund der herausfordernden Aufgaben der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in ihren Gemeinden das Reisen zu internationalen Konferenzen mühselig und manchmal auch in politischer Hinsicht kostspielig ist, lässt das Parlament von den Socioneers in den Niederlanden eine digitale Plattform entwickeln, mit der die Bürgermeister regelmäßig mit tausenden Amtskollegen weltweit virtuell zusammentreffen können, ohne ihr Büro im Rathaus verlassen zu müssen. Stattdessen treffen sie andere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der ganzen Welt mittels Smart Screens im Rathaus, um Themen von gegenseitigem Interesse durchzudenken, zu diskutieren, diesbezügliche Ausschüsse zu bilden und darüber abzustimmen, möglicherweise sogar drei oder vier Mal zwischen jedem persönlichen Meeting.

Neue Metropolregionen werden einbezogen



Das neue kommunale Governance-System zielt nicht nur darauf ab, traditionelle Gemeinden zu vertreten, es will auch die neu entstehenden Metropolregionen zur Teilnahme einla- den. Diese umfassen alte Stadtkerne, neue Vororte, reine Wohngegenden und sogar die umgebenden landwirtschaftlichen Gebiete (ähnlich den mittelalterlichen Marktstädten). Die Umstrukturierung der Stadtlandschaften zu Metropolregionen findet bereits statt. So wird beispielsweise in Paris ein Plan für eine „Grand métropole Paris“ entwickelt, die sowohl die wohlhabenden Arrondisements der Innenstadt umfasst als auch die Banlieues (Vororte) außerhalb der Ringautobahn Périphérique, in denen viele nicht assimilierte Immigranten leben und in denen Entfremdung, Verzweiflung und Armut – und in der Folge auch Terrorismus – entstanden sind.



In Italien bewirkte der frühere Bürgermeister von Florenz und ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi eine Verfassungsänderung, bei der manche traditionellen Provinzen im Senat durch große Metropolregionen ersetzt wurden – hier sind die Metropolregionen also bereits Realität.

Kein Wettbewerb mit Staaten, sondern Zusammenarbeit



Das globale Parlament der Bürgermeister entstand aus dem radikalen Impuls, die Mittel für effektive Selbstverwaltung zu sichern und somit die Gemeinden und ihre Bürgerinnen und Bürger zu konsequentem, einvernehmlichem und gemeinsamem Handeln zu befähigen. Sein Ziel ist es jedoch nicht, mit souveränen Staaten in Wettbewerb zu treten oder in deren Zuständigkeiten einzugreifen. Im Gegenteil: Das GMP strebt eine Zusammenarbeit mit den Staaten und auch mit den Vereinten Nationen an, um allgemeine globale Fragen zu lösen, auf die traditionelle Verwaltungsorgane bisher keine ausreichenden Antworten gefunden haben. Gleichwohl besteht das GPM darauf, dass die Städte und Gemeinden nicht nur die Verpflichtung, sondern auch das RECHT haben, im Namen ihrer Bürger zu handeln, die eine wachsende Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren und mehr als 80 Prozent des Wohlstands erwirtschaften. Die Begründung ist in der DECLARATION OF THE RIGHTS OF CITIES AND CITIZENS (Erklärung der Städte- und Bürgerrechte) auf der Website www.globalparliamentofmayors.org nachzulesen.



Das GPM kann nicht vorgeben, alle Menschen zu repräsentieren. Es wird aber das Recht der in Städten lebenden Bevölkerungsmehrheiten auf der ganzen Welt zum gemeinsamen Handeln vertreten, über die Grenzen ihrer Staaten hinaus, und zwar vor allem in den Bereichen, in denen die globale Agenda zum Stillstand gekommen ist oder behindert wird. Das Parlament wird faktisch die souveräne Macht der Staaten in jenen Bereichen übernehmen, in denen sie versagt haben.



In der Tradition des Gesellschaftsvertrags und der Volkssouveränität verkörpert diese Souveränität einen Vertrag zwischen den Menschen und einer vom Volk ermächtigten Regierung, in dem die Menschen zustimmen, dem Souverän zu gehorchen – als Gegenleistung für die Garantie des Souveräns, das Leben, die Freiheit und das Eigentum dieser Menschen zu sichern.



Dies ist die Sprache von Bodin, Grotius, Hobbes, Locke, Rousseau und der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Sie verdeutlicht die Wechselseitigkeit von bürgerlichem Gehorsam und der Fähigkeit der Regierung zu effektivem Regieren. Wenn ein Souverän nicht länger den Zweck erfüllen kann, zu dem eine Regierung gebildet ist, wenn also – wie man heute sagen würde – die Nachhaltigkeit gefährdet ist und souveräne Staaten diese nicht länger gewährleisten können, kann man davon sprechen, dass der Souverän säumig ist. Die Bürger können dann ihre natürlichen Rechte wieder wahrnehmen und ihren Gehorsam an Verwaltungsorgane übertragen, die sowohl Nachhaltigkeit als auch Leben und Freiheit zusichern können. Auf diese Weise ging 1776 die Souveränität vom König von England auf die Kolonien über, und so sicherten sich Gebiete in jüngerer Vergangenheit das Recht, sich von Kolonialherren zu befreien. So geht nicht nur die Zuständigkeit, sondern auch die Macht und Souveränität von unrechtmäßigen Regierungen auf diejenigen über, die den Vertrag einhalten können.



Die derzeitige Stärkung der Kommunen und der Anspruch des GPM auf Legitimität beruhen letztendlich auf dieser Logik, obwohl es vermutlich nicht eines derartig radikalen Arguments bedürfen wird, um die gemeinsamen Aufgaben anzugehen, mit denen sowohl Staaten als auch Städte wahrscheinlich konfrontiert sein werden.



Wichtig ist es jedoch, Folgendes anzumerken: Wenn die Legitimität von Regierungen schwindet, weil diese unfähig sind, das Leben und die Freiheiten ihrer Bürger zu bewahren, und ihre Macht auf Organe übergeht, die dazu in der Lage sind Lebensunterhalt und Nachhaltigkeit zu stärken, dann gibt es für die Kommunen eine neue Legitimation zum Handeln. Durch ihre Fähigkeit zu regieren erlangen sie das Recht zu regieren, und zwar unabhängig davon, ob sie (idealerweise) in Übereinstimmung mit den Nationen und internationalen Organisationen wie der UNO oder trotz des Widerstands solcher Organisationen agieren.



Ihr Einsatz kollektiver Macht und ihr gemeinsames Vorgehen werden durch ihre Fähigkeit und somit ihr Recht legitimiert, gemeinsam das zu tun, was Nationalstaaten alleine oder im Verbund nicht geschafft haben.



Auf diese Weise kann das GPM einer nachhaltigen und gerechten Welt und allen, die darin leben, dienen. Seine gesetzgebende Gewalt wurzelt im Recht auf ein nachhaltiges und freies Leben aller Bürgerinnen und Bürger. In der Praxis sind Bürgermeister natürlich bescheiden und zurückhaltend und scheuen sich, zu handeln, wenn Nationen versagen. Sie haben jedoch das Recht und die Pflicht, dies zu tun. Die Wagemutigen unter ihnen könnten die Zurückhaltenden dazu anleiten, ihre Rolle als Garant für Leben und Freiheit zu behaupten.



Letztlich war die Gründung des GPM im September 2016 ein Versuch demokratischer, städtischer Regierungsführung, der von der Vision, der Umsicht und dem Mut seiner Gründungsbürgermeister und aller Teilnehmenden in Den Haag abhing. Diese innovative, grenzüberschreitende Übung in Demokratie und Verantwortlichkeit, die im Führungsverhalten visionärer Bürgermeister und der von ihnen vertretenen engagierten Bürger verwurzelt und auf dem Recht aller Bürger auf ein nachhaltiges und freies Leben gegründet ist, stellt einen historischen und schöpferischen Moment in unruhigen und destruktiven Zeiten dar.