Bürgermeisterin Lagger-Pöllinger
Marika Lagger-Pöllinger: „Ich habe anonyme Post mit rechtsradikalem Inhalt an meine Privatadresse bekommen, just an dem Tag als ich zum ersten Mal eine Gemeinderatssitzung führen musste.“

Hausfrau, Mutter, Bürgermeisterin

Marika Lagger-Pöllinger wurde die erste Bürgermeisterin Oberkärntens. Der starke Rückhalt in der Bevölkerung gibt ihr die Kraft gegen Anfeindungen zu bestehen, und Herausforderungen, sowie private Schicksalsschläge zu meistern.

Frau Bürgermeisterin, wie sind sie in die Politik gekommen?



Ich bin als komplette Quereinsteigerin durch meinen Onkel in die Politik gekommen, der mich gefragt hat, ob ich etwas in der Gemeinde mitarbeiten möchte. Ausschlaggebend für mich war dann die Nachwuchsakademie des Renner-Instituts, bei der ich meine Liebe zur Politik entdeckt habe.



Was haben sie vorher gemacht?



Ich war vorher 22 Jahre lang bei der s Bausparkasse im Vertrieb tätig, habe anschließend eine Raika-Filiale geleitet und war Landessekretärin in einer Fachgewerkschaft.



Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus? 



Ich bin nicht wirklich ein Morgenmensch. In der Früh mache ich in aller Ruhe den Haushalt, dann gehe ich ins Amt. Ich bin hauptberuflich Bürgermeisterin und habe meinen Job für diese Funktion gekündigt. Vormittags bin ich immer im Amt und nachmittags bei Bedarf. Mittags gehe ich nach Hause, je nachdem wann mein Sohn nach Hause kommt. Mir ist es auch wichtig, dass ich für den Haushalt und die Familie Zeit finde, weil ich auch gerne Frau bin.



Die Bürgermeisterinnen-Studie des Gemeindebundes zeigte eben erst die Hürden auf, mit denen Frauen in diesem Amt konfrontiert sind. Wie stehen Sie zu den Erkenntnissen?



Vorbehalte gegenüber einer Frau in diesem Amt sind auf alle Fälle noch sehr stark vorhanden. Ich glaube je ländlicher das Gebiet, desto mehr sieht man die Frau noch am Herd und den Mann als typischen Geldbringer für die Familie. Ich habe das auch in meiner Gemeinde gemerkt. Bei den Wahlbesuchen hat eine Dame zu mir gesagt: "Ein Bürgermeister muss ein Mann sein! Das war immer ein Mann und das muss immer ein Mann sein." Das ist noch sehr landläufig bei uns.



Ich war die erste Zeit auch die einzige Bürgermeisterin in ganz Oberkärnten. Seit einiger Zeit habe ich gottseidank eine Kollegin in Obervellach, die die Stichwahl in einer Nachwahl gewonnen hat. Darüber freue ich mich. Es sind sicherlich auch die Vorurteile, die viele Frauen abschrecken und man braucht schon eine dicke Haut. Ich sehe allerdings überhaupt kein Problem dieses Amt auch als Frau auszuüben. Es gehören noch viel mehr Frauen noch dorthin, aber ich stehe auch dazu: Ich bin gerne Frau, auch gerne Hausfrau und für meine Familie zuständig.



Sie bezeichnen sich selbst als Idealistin. Wird man gerade im Amt des Bürgermeisters nicht ständig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt? 



Ja, das wird man, aber das weiß man auch, wenn man sich auf dieses Amt einlässt. Das gehört einfach dazu. Ich war vorher sechs Jahre Vizebürgermeisterin und ganz unvermittelt geht man dieses Amt nicht an.



Woran denken Sie bei dem Begriff Gemeinde als erstes?



An Zusammenhalt ohne Parteipolitik. Das ist für mich Gemeinde.



Sie hatten eines der ersten Asylheime in Kärnten, welche Einstellung hatten Sie dazu?



Wir haben uns bis zu dem Zeitpunkt, zu dem uns vom damaligen Herrn Bürgermeister mitgeteilt wurde, dass der Landeshauptmann angerufen hat und sagte, dass Lendorf ein Asylheim bekommen würde, noch niemand mit dem Thema Asyl beschäftigt. Es war irrsinnig schwierig für uns und wir waren meiner Meinung nach total überfordert. Auch ich.



Wir wussten nichts zu dem Thema und hatten auf die vielen Fragen aus der Bevölkerung keine Antworten. Ich hatte damals den Ausschuss für Soziales über und habe mich zuständig gefühlt. Wir haben uns bemüht Antworten auf die vielen Fragen zu bekommen, und diese Zeit nutzten jene, die dazu eine sehr negative Einstellung haben. Da wurde ein Feuer geschürt, das - bis wir Antworten hatten - lichterloh gebrannt hat, und wir waren immer nur am Löschen.



Mit Bekanntwerden dieses Themas war auch der Wahlkampf eröffnet. Ich bin damals als einzige bereits als Kandidatin festgestanden und es war schon eine extreme Zeit, weil dieses Thema den Wahlkampf bis zum Schluss vollkommen beherrscht hat. Es waren sogar die Identitären in einer Nacht-und-Nebel-Aktion damals bei uns in der Gemeinde, was auch dem Verfassungsschutz gemeldet wurde. Ich habe auch anonyme Post mit rechtsradikalem Inhalt an meine Privatadresse bekommen, just an dem Tag als ich zum ersten Mal eine Gemeinderatssitzung führen musste.



Welche Erfahrung hat sie in ihrem Leben am meisten geprägt?



Das Prägendste für mich als Mensch war der Tod meines Sohnes. Mein Sohn hat sich mit 16 Jahren das Leben genommen. Das hat mich wie aus dem Nichts getroffen, und mein Leben grundlegend verändert.



Wie sind Sie damit umgegangen? Kann man sich zur Ablenkung in die Arbeit stürzen?



Es besteht die Gefahr, dass man sich in die Arbeit flüchtet. Das habe ich nicht gemacht. Ich habe mir anfangs wirklich ausreichend Auszeit genommen. Die habe ich einfach gebraucht. Zirka drei Monate nach dem Suizid war ich wirklich am absoluten Tiefpunkt, und merkte, wenn ich jetzt nicht die Kurve kratze, dann gehe ich selbst daran zugrunde. Von da an habe ich nach vorne gesehen.



Was mir Halt gegeben hat, war natürlich in erster Linie meine Familie, aber auch die Menschen in meiner Gemeinde. Für mich war das letztendlich die größte Motivation mich wirklich dafür zu entscheiden zur Bürgermeisterwahl anzutreten, weil ich den Menschen einfach ein bisschen was zurückgeben wollte von dem, was sie mir in dieser schwierigen Zeit gegeben haben. Ich habe einfach zu jeder Zeit gespürt, dass viele Menschen ehrlich mit mir trauern, mit mir fühlen, und hinter mir stehen. Es gab so viele positive Zurufe aus der Bevölkerung, ich solle doch weitermachen und sie bräuchten mich. Das war letztendlich das Kriterium, bei dem ich gesagt habe: "Ja ich trete an."



Speziell nach dem Suizid war das allerdings nicht einfach. Der erste Todestag am 30. Jänner ist mitten in das Wahlkampffinale gefallen und ich habe nicht gewusst, ob ich das durchstehen werde. Hinzu kam das Asylthema und der ganze Zorn, der Ärger und der Hass, der da geschürt wurde, hat sich auf mich ergossen, weil ich mich dem Thema gestellt habe. Man glaubt gar nicht, wie man aus solchen Situationen gestärkt hervor geht. Es hat mir damals gut getan, eine Aufgabe zu finden, und wie gesagt, die Motivation den Menschen in meiner Gemeinde etwas zurückzugeben war mir damals das wichtigste.



Auf Ihrer Facebook-Seite steht das Zitat: "Je älter man wird, desto mehr merkt man, dass es in Ordnung ist, ein Leben zu leben, das die anderen nicht verstehen können." Leben Sie ein Leben, das andere nicht verstehen?



Teilweise wahrscheinlich schon. Ich versuche Privatleben und öffentliches Leben sehr streng zu trennen. Das sind für mich zwei Paar Schuhe. Ich habe gelernt, mein Privatleben so zu leben, wie ich und meine Familie es als gut erachte. Der Suizid meines Sohnes ist aber ein Teil von mir und ein Teil meines Lebens. Dazu stehe ich, und deswegen gehe ich ganz bewusst offen damit um. Viele Menschen haben das nicht verstanden – auch nicht, dass ich mich auch in der Öffentlichkeit nicht gescheut habe dazu zu stehen, und dieser Spruch zielt genau auf das hin, denn es sind Aussagen getätigt worden, die mich sehr verletzt haben, und es sollte niemand, der nicht in dieser Situation ist sich anmaßen darüber ein Urteil zu fällen.



Was bedeutet denn ein erfülltes Leben für sie?



In Frieden leben zu können, mit seiner Umwelt und mit sich selbst. Mehr braucht es für mich eigentlich nicht zu einem erfüllten Leben.

Der Mensch hinter der Bürgermeisterin



Das will ich unbedingt noch erleben ...



Ich möchte ein Buch schreiben, über mein Leben als Mutter und Bürgermeisterin.



Mein Lebensmotto lautet:



Du kannst den Wind nicht ändern, aber du kannst die Segel anders setzen.



Wovor haben Sie Angst?



Mittlerweile habe ich vor nichts mehr Angst. Mir ist glaube ich das Schlimmste, das einer Frau und Mutter passieren kann schon passiert. Das hat mir die Angst genommen.



Der perfekte Mann trägt für mich …



…mit mir gemeinsam die Last des Lebens.



Was ist für sie zuhause?



Meine Heimat: Do kumm i her, do g'her i hin!



Beschreiben Sie sich mit einem Wort:



Multifunktionell