Hochspannungsleitungen
Ohne kapazitätsstarke Strominfrastruktur sind alle Investitionen in die anderen Bereiche des Energiesystems wirkungslos.
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Energieversorgung im Wandel

Grüner Strom hängt in den Netzen

Der Energiewandel hängt nicht zuletzt an und „in den Netzen“. Denn nachhaltige Energieerzeugung bedingt eine Transformation der Strominfrastruktur. Ohne entsprechende Leitungen kann „grüner“ Strom nicht dorthin transportiert werden, wo er gebraucht wird. Das wird nicht nur massive Kosten verursachen, sondern auch tiefgreifende Änderungen dessen, wie Erträge künftig verteilt werden. Und das hat nicht zuletzt eine soziale Dimension.

Eine Studie im Auftrag der Austrian Power Grid (APG) geht davon aus, dass die Modernisierung des Verteilernetzes Tausende Jobs schafft und Milliarden an Wertschöpfung generiert. Dass diese Transformation der Netze überfällig ist, liegt schon seit Jahren, spätestens aber seit der Forcierung der erneuerbaren Energien im Zuge des Kampfes gegen den Klimawandel auf der Hand.

Windkraftparks aufzustellen, Photovoltaik-Farmen anzulegen oder PV-Gemeinschaften zu fördern, ist das eine – die dort erzeugte Energie muss aber auch bei den Verbrauchern ankommen. Doch dafür ist das Strom-Verteilernetz in Österreich ursprünglich nicht ausgelegt.

Nach dem Krieg ging man davon aus, dass der Strom in Kraftwerken erzeugt und über mehrere Ebenen zu den Verbrauchern – den Menschen und der Wirtschaft – geleitet wird. Grob vereinfacht: Die Kraftwerke wurden dort gebaut, wo sie gebraucht wurden, und je weiter es die Ebenen zu den Verbrauchern hinunterging, desto „schwächer“ wurden die Netze. Die Erzeugung von Strom aus fossilen Kraftwerken folgte im Grunde dem Verbrauch.

Mittlerweile ist die europäische Stromversorgung, auch im Gefolge der EU-Energiepolitik, allerdings stark vernetzt. Ein Stromausfall an einer Stelle hat massive Auswirkungen auf das europäische Netz – und kann ein Kraftwerksausfall (aus irgendeinem Grund) nicht rasch ausgeglichen oder besser kompensiert werden, könnte es zu einem Blackout kommen.

Klimawandel stellt Konzepte auf den Kopf

Der Klimawandel hat nun dazu geführt, dass an für Windkraft günstigen Orten Windparks entstanden – etwa auf der Parndorfer Platte im Burgenland, im Weinviertel in Niederösterreich oder auch vor der englischen und deutschen Küste in der Nord- und Ostsee. Photovoltaik-Kraftwerke wiederum entstanden in den heißen und vor allem sonnigen Ländern im Süden Europas. Dieser Trend ist auch nicht aufzuhalten, selbst wenn sich manche Gesellschaften gegen die Änderungen wehren, die damit einhergehen.

In immer mehr Gemeinden entstehen nicht nur kommunale PV-Anlagen, sondern schließen sich auf Bürgerinnen und Bürger zu Energiegemeinschaften zusammen. An immer mehr geeigneten Orten entstehen Windkraftanlagen. Dazu kommen Hackschnitzelheizkraftwerke, Pelletserzeugung etc. – die Energieformen sind im Wandel.

Damit konnten aber die Netze nicht mit. Der „umgekehrte Weg des Stroms“ war mit den schwachen Leitungen und Transformatoren nicht zu schaffen. Um Überlastungen (und damit Ausfälle) zu vermeiden, musste diese Form der Stromerzeugung gegen Bezahlung gedrosselt werden. Und damit wurden die Anstrengungen Richtung erneuerbare Energien ad absurdum geführt.

Herkulesaufgabe Transformation der Netze

Gerhard Christiner, technischer Vorstand der APG, meinte in einem Gespräch, dass „wir den Menschen die Wahrheit sagen müssen, was das alles kosten wird“. Die Transformation in Richtung hundert Prozent erneuerbare Energie und die Dekarbonisierung unseres gesamten Energieverbrauchs und Energiesystems würden unterschätzt. Auch viele der Akteure hätten die Dimension dieses Projekts verkannt oder vielleicht auch nicht verstanden.

fehlende Netzkapazitäten
Fehlende Netzkapazität verhindert Austausch zwischen Pumpspeichern und Erneuerbaren

Ein solcher ­Transformationsprozess, bei dem ein Energiesystem von Grund auf erneuert und umgebaut wird, braucht einen gesamthaften Zugang. Man kann thermische Kraftwerke nicht so leicht aus dem System nehmen und durch erneuerbare Energie wie Wind oder Photovoltaik ersetzen. Erneuerbare Anlagen liefern Strom, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, und zudem nicht von den Plätzen aus wie früher. Die Netze müssen den Strom dann zu den Verbrauchern transportieren – worauf sie derzeit noch nicht ausgelegt sind.

Wenn Österreich also bis 2030 den gesamten Stromverbrauch und bis 2040 den Energieverbrauch dekarbonisieren will, müssen wir viele Prozesse, die heute mit fossilen Energieträgern gesteuert werden, auf nachhaltigen Strom umstellen. Das umfasst die Industrie, den Automobilverkehr, die Wirtschaft und die Gesellschaft.
Nur wenn uns das gelingt, so Christiner, können wir auch die CO₂-Emissionen drastisch reduzieren.

Meilenstein für energiewirtschaftliche Gesamtsystemplanung

Der ÖNIP (Österreichischer integrierter Netzentwicklungsplan) ist ein wichtiger Puzzlestein für ein nachhaltiges und versorgungssicheres Energiesystem der Zukunft. Der ÖNIP zeigt klar den übergeordneten Koordinierungsbedarf für das Gelingen der Energiewende auf. Ziel des ÖNIP ist, ein klares, sektorübergreifendes Bild der Kapazitätserfordernisse an das zukünftige, bis 2040 dekarbonisierte österreichische Energiesystem zu liefern.

Die APG begrüßt ausdrücklich die Veröffentlichung des ÖNIP durch das BMK. Damit wird die gesetzliche Verpflichtung einer gesamtsystemischen, sektorübergreifenden Analyse der zu erwartenden Energieflüsse inklusive deren Kapazitätsbedarf umgesetzt. Im vorliegenden ÖNIP werden klare und Rahmen setzende Grundlagen bzw. Prämissen für die nachgelagerten Genehmigungsverfahren definiert.

Darüber hinaus bestätigt der ÖNIP die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der APG-Netzentwicklungsmaßnahmen bis 2034 und stellt diese damit in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren außer Streit. Damit einhergehend wird auch das öffentliche Interesse aller APG-Investitionsprojekte bestätigt.

Es wird jedoch auch wichtig sein, durch verbesserte Rahmenbedingungen bei der Projektumsetzung weitere Beschleunigungen sicherzustellen. Wobei hier auch irgendwie die Gemeinden ins Spiel kommen. Für den Ausbau der Energieübertragungsleitungen sollen, so ein 5-Punkte-Plan der APG, unter anderem sogenannte „Fast-Track-Genehmigungen“ erteilt und diese Planungs- und Bestandstrassen auch geschützt werden. Dafür sollen die Behörden auch „mit genügend Ressourcen ausgestattet werden“.

Gerhard Christiner
APG-Vorstand Gerhard Christiner: „Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe, die nur mit einer Gesamtsystemplanung österreichweit gelingen kann.“ Foto: Ricard Herrgott

Nur wenn es gelingt, die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Investitionen in die Netze grundlegend zu verbessern, kann die versorgungssichere Transformation und somit die Integration der Erneuerbaren erfolgen. Ohne kapazitätsstarke Strominfrastruktur sind alle Investitionen in die anderen Bereiche des Energiesystems wirkungslos.

„Die Energiewende ist eine Mammutaufgabe, die nur mit einer Gesamtsystemplanung österreichweit gelingen kann. Schon jetzt erleben wir jeden Tag, dass die bislang fehlende Koordinierung zur Umsetzung der Energiewende zu unerwünschten und kostenintensiven Fehlentwicklungen führt. Das spiegelt sich unter anderem in der verzögerten Integration der Erneuerbaren bzw. mangelnder Verfügbarkeit von preisgünstigem Strom für Österreich wider“, sagt Christiner und fordert, dass „dem Ausbau der Netzinfrastruktur oberste Priorität eingeräumt wird“.

Wertschöpfung bis 6,6 Milliarden Euro

Rund neun Milliarden Euro will die APG in den kommenden Jahren in die Stromnetze investieren und präsentierte dazu eine Studie, die allein für die Modernisierung des Übertragungsnetzes von Tausenden Jobs und Milliarden an Wertschöpfung ausgeht.

Eine der zentralen Zahlen der Studie: 6,6 Milliarden Euro. So groß ist laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut Economica die Bruttowertschöpfung, die das Investitionsprogramm der APG bis 2033 nach sich zieht. Ganz vereinfacht gesagt: Von jedem Euro, der für den Ausbau des Übertragungsnetzes in die Hand genommen wird, bleiben über 70 Cent tatsächlich in Österreich. Laut Economica-Leiter Christian Helmen­stein ist das im Vergleich zu vielen anderen Infrastrukturinvestitionen ein hoher Wert.

Noch vor dem Sommer soll der ÖNIP in Gesetzesform gegossen werden, so der Wunsch von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne).

Was zu klären ist

Aber da gibt es auch noch offene Fragen. Zum einen die Frage nach den Netzgebühren. Großabnehmer der Industrie zahlen vergleichsweise weniger Gebühren an das Netz als der private Sektor. Zudem steht im Raum, dass, wer eine große PV-Anlage auf dem Dach hat und den Überschuss einspeist, dafür auch eine stärkeres Netz braucht – und unter dem Strich dafür dann auch „verursachungsgerecht bepreist werden soll“, wie es Martin Steinmüller-Schwarz von ORF.at in einem Beitrag formuliert.

Ganz wesentliche Bausteine zur Verwirklichung dieser Ziele sind die derzeit vorbereiteten Gesetzesinitiativen zur Neu-Kodifikation des Elektrizitätsrechts durch das ElWG (Elektrizitätswirtschaftsgesetz) sowie die verfahrensrechtlichen Beschleunigungsinstrumente durch das EABG (Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz).

Die unverzügliche Verabschiedung dieser Gesetze ist Voraussetzung, damit der ÖNIP in den Projekten rasch umgesetzt werden kann. Gelingt das nicht, verzögern sich Infrastrukturprojekte weiter.

Dennoch: „Der Ausbau des Stromnetzes ist eine Generationenfrage“, sagt Thomas Karall, kaufmännischer Vorstand des Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG) – und als solcher mitverantwortlich für eines der größten Investitionsprojekte des Landes.