Fachkräftemangel gefährdet Versorgungssicherheit
Wer soll es denn machen? Die Frage stellt sich fast jedes Unternehmen, fast jede Branche, derzeit. Wenn man sich Pressemitteilungen ansieht, sieht man deutlich den „Kampf um die Köpfe“, der abläuft. Und Kommunen spüren den Fachkräftemangel deutlich. „Wir haben gerade in der Entsorgung dieses Problem, meistens sind es kommunale Anlagen mit tarifgebundenen Jobs. Man kann daher nicht zahlen, was man möchte“, so Lenz. Aus seiner Sicht gefährdet der Fachkräftemangel die Versorgungssicherheit.
Eine Umfrage des DVGW aus dem Bereich Wasserversorgung, zeigt auf, dass die Leute, die in Ruhestand gehen – „und das sind in einer Dekade jetzt fast 50 Prozent“ – uns fehlen werden.
Die Anlagen wurden alle so in den 70ern gebaut, und damals hat man natürlich auch das Personal eingestellt. Das sind die Leute, die jetzt an die Altersgrenze kommen. „Das heißt, wir haben hier in dem Bereich eine verschärfte Situation im Vergleich zu den anderen Bereichen.“
Es geht nicht mehr um die Abwasserreinigung, es geht auch um die Klimaanpassung. Er erinnerte an die Sturzfluten-, Hochwasserszenarien, die in der EU-Richtlinie auf die Branche zukommen. „Was in der Richtlinie aber fehlt, ist der Fokus aufs Personal.“
Gebraucht werden, so Lenz, kluge Köpfe, Leute, die qualifiziert sind, das ganze Spektrum von der akademischen Seite bis zur Betriebsseite zu bewältigen. Es geht um das Rechtliche, das Gefahrgut, die Arbeitssicherheit, den Gesundheitsschutz, die Betriebs- und Umwelthaftpflicht, den Umgang mit Gefahrstoffen, die ganze Abfallproblematik, Emissionsbegrenzungen, Störfallmanagement, die da hineinspielt. „Eigentlich ist das ein Spektrum, wo man sich fragen muss, wann verletzt der Betreiber seine Pflichten nicht? Nicht ob, sondern wann.“
Wir brauchen die klugen Köpfe – und nicht erst seit heute
Lenz: „Die meisten von ihnen werden Professor Max vom Pettenkofer* kennen als denjenigen, der in München die Trinkwasserversorgung auf sichere Beine gestellt hat. Aber er hat auch eines gesagt: ‚Man darf Trinkwasser und Abwasser nicht getrennt betrachten‘“. Wie Pettenkofer den Fokus aufs Abwasser gelegt hat, am Anfang seiner Karriere, wurde er wurde in Bayern als „Scheißhausapostel“, was die wenigsten wissen.
- Max Josef von Pettenkofer (1818 - 1901), war ein deutscher Mediziner, Physiologe, Chemiker und Apotheker sowie Hygieniker und Epidemiologe. Er gründete in München das posthum nach ihm benannte Hygieneinstitut und gilt, zumal ihm 1865 das erste Ordinariat für Hygiene weltweit eingerichtet wurde, als erster Hygieniker Deutschlands und Begründer der modernen Hygiene.
Wir haben heute eine ähnliche Situation, so Lenz, die Anpassung beim Klima auf der anderen Seite und seit der Corona-Krise die Beachtung des Abwassers als kritische Infrastruktur. Wenn man sich die Situation derzeit ansehe, müssen man die Frage stellen, welche Jugendlichen sich für diesen Bereich bewerben.
Ziel müsse sein, das Abwasser und nicht nur die Abwasserreinigung, sondern die Abwasserbewirtschaftung, aus “der Schmuddelecke“ rausheben. Als Vorreiter nannte Lenz an dieser Stellen Ulrich Kubinger, der bei den Game-Changern den Abwasserbereich und das, was da eigentlich geleistet wird, was toll ist, in die Öffentlichkeit brachte.
„Wir haben großartige Fachverbände, tolle Fachleute, aber wir haben viel zu wenig Beachtung in der ‚nicht fachlichen‘ Öffentlichkeit“, so Lenz. Abwasserreinigung und Abwasserwiederverwendung hängt zusammen, man könne es nicht getrennt betrachten. Man habe aber auch andere Problematiken: Cyberkriminalität – und stellt eine rhetorische Frage: „Wer gibt denn im Endeffekt seinen Schlüssel von der Kläranlage irgendjemandem und sagt ‚Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber du wirst ihn mir irgendwann wiedergeben‘.“
Bei den vielen Aufgaben der Branche stelle er sich auch die Frage: Was hilft uns die Digitalisierung? Was hilft uns KI? Hilft es uns wirklich? Verändert es die Aufgaben oder werden die Aufgaben weniger? Und wenn er sich die ganze Entwicklung in der Digitalisierung ansehe – Personaleinsparungen, wie man es erwartet habe, hätten sich seltenst bestätigt.
Ein genauer Blick auf den Fachkräftemangel
Lenz meint, dass man sich in einer ganz neuen Situation befinde. Früher gab es drei verschiedene Arbeitsmärkte, einen für den öffentlichen Bereich, einen fürs Handwerk, einen für Industrie - - das sei gestern.
Heute sei es so, dass der Wettbewerb um die klügsten Köpfe und überhaupt um das Fachpersonal im technischen Bereich inzwischen ein Markt ist. Können da die Tarifverträge im öffentlichen Dienst mithalten? Stichwort Wärmepumpe. Das Handwerk hat gesagt, in Deutschland fehlen 60.000 Monteure. Wo sollen die herkommen? Wir merken das bei unseren Ausbildern. Früher war es so Wenn wir einen Ausbilder eingetragen haben für vom Betrieb, dann war der bis zum Eintritt in den Ruhestand da.
Das sei Vergangenheit. Jetzt würden viele in die Industrie wechseln. Da werde mehr verdient, da werde mehr geboten. Zudem habe die Branche einen sehr geringen Anteil an Frauen, wobei er aus seiner Praxis anmerkte, dass Frauen in der Abwassertechnik super abschneiden würden. Es seien zwar weniger, die dafür aber unter den Prüfungsbesten überproportional viele.
Jahrzehntelange Vernachlässigung der Ausbildung
Ein großes Problem sei die Vernachlässigung der Ausbildung in den letzten Jahrzehnten. Das sei ein Problem, das nicht nur Deutschland habe. In Deutschland gäbe es die Ausbildung seit 1984, einen dreijährigen Ausbildungsberuf ähnlich wie in Österreich, aber es sei zu wenig ausgebildet worden.
Österreich habe das Problem, so Lenz, dass Abwasser-Facharbeiter kein Ausbildungsberuf ist. So bekomme man keine hoch qualifizierten Jugendliche, wenn man nicht einmal einen Abschluss bieten könne. Und in anderen technischen Berufen schaut es auch nicht viel besser aus.
Lenz meint, dass die Tendenz woanders hingeht. Wenn man die besten Köpfe wolle, müsse man den Fokus schon in der Schule auf die MINT-Fächer (MINT ist eine zusammenfassende Bezeichnung von Unterrichts- und Studienfächern beziehungsweise Berufen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) legen, um die Abschlüsse und Qualität derer, die in die Ausbildung reinsollen, auch zu bekomme.
Wie sieht die Risikoeinschätzung aus?
Und wenn man Risikoeinschätzung machen will, wie man dem Arbeitsschutz kennt oder wie es in neu auch in der Trinkwasserverordnung drinsteht, so Lenz, dann müsse man Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit gegeneinander abwägen.
Die Schadensschwere. Was ist, wenn man jemanden habe, der die Anlagen wirklich so betreiben kann, wie es sein müsse und die Anforderungen steigen, dann ist die Schadensschwere, selbst wenn es nur die Ökosysteme betrifft, sehr groß, wo man schwere Folgen habe.
Wenn wir jetzt die Eintrittswahrscheinlichkeit uns anschauen und damit vergleichen, was passiert, wenn wir nichts tun (in der Ausbildung und in der Qualifizierung vom Personal), dann zeigen die Zahlen für die Zukunft, dann sei man bei einer „fast gewisser“ Eintrittswahrscheinlichkeit. Und dann stelle sich die Frage:0 „Wenn wir ein hohes oder sehr hohes, extrem hohes Risiko habe, ist das dann zu vertreten?“
Die Ausgangssituation: Lenz:„Wir haben fast keine Fachkräfte auf dem Markt verfügbar. Das heißt, der Markt ist schlichtweg abgedeckt. Und der einheitliche Arbeitsmarkt, der Wechsel in andere technische Berufe, der Wettbewerb um die besten Kräfte, die Gehaltsunterschiede – kann da im Endeffekt ein öffentlicher Betreiber noch mithalten? Die Defizite in der Vergangenheit, im Bereich der Ausbildung, aber auch der Fortbildung und Stichwort das, was auf uns zukommt, Stichwort der gestiegene Personalbedarf, all das muss gemanagt werden.
Energieneutralität als nächste Herausforderung
Bei Kläranlagen kommt, auch für kleinere Anlagen, die Energiegewinnung mit dazu. Damit kommen auch rechtliche Themen wie die Genehmigungsproblematik bei PV-Anlagen bei Klärbetrieben etwa auf Strömungsteichen (ein Betreiber in Deutschland war mit dieser Idee gescheitert).
Unter dem Strich müsse man neue Lehrlinge gewinnen, man müsse neue Fachkräfte gewinnen, der Frauenanteil müsse erhöht werden, die Attraktivität müsse gesteigert werden. Man brauche auch eine Stärkung und Unterstützung bei den Lehrbeauftragten Auch dort brauche es Leute, die sich für die Ausbildung engagieren, was auch immer schwieriger werden. Die Wettbewerbsposition müsse auch gestärkt werden. Wie kann man das Ganze jetzt gestalten?
Da ist man wieder bei der Digitalisierung, so Lenz. Sie kann helfen, Abwesenheit zu zeigen, Fahrzeiten einzuschränken, Lernplattformen wie Moodle einsetzen. „Auch der Einsatz von digitalen Zwillingen“, so Lenz, „wie es manche Betreiber machen, wo sich die Leute gleichsam in einem Simulator versuchen können, und wenn sie es dann können, lasse ich sie an die reale Leitwarte ran.“ Man könne auch Sachen üben, die man vorher nicht üben konnte, wie sie zu gefährlich waren. Aber nach wie vor man brauche man die Leute.
- In Moodle (Modular Object-Oriented Dynamic Learning Environment) werden Lehrveranstaltungen als virtuelle Kurse angelegt, in denen die Lehrenden unter anderem Lehrmaterialien hochladen, mit den Studierenden kommunizieren, Tests durchführen oder gestreamte Aufzeichnungen bereitstellen können.
Nachwuchsförderung, ein bisschen anders gedacht
„Wer sorgt denn in erster Linie dafür, dass jemand den Beruf ergreift? Das sind die jungen Leute selbst. Wenn ich abends mit meinen Freunden weggehe und ich sage dann, ‚na ja, ich wird‘ jetzt Fachkraft für Abwasser Technik‘. Ob das dann so sexy rüberkommt?“ stellt Lenz in den Raum. Wenn aber die Tätigkeit bekannt ist, dann kann man mit den Vorurteilen aufhören. Das heißt, es liegt an uns allen, das zu transportieren. Beispielsweise mit Berufswettkämpfen.
Bei jedem Wettbewerb, wenn er interessant sei, bekommt man das Fernsehen – und wenn dann Jugendliche zeigen können, was sie draufhaben und was das für Anforderungen sind, die man hier im hat, sehe man, es steckt mehr dahinter. Es gebe schon deutsche und internationale Meisterschaften, bis hin zur Berufe-Olympiade, wo die moderne Technologie dabei. 2019 bei den „World Skills“ in Kasan war die „water technology“ dabei.
Lenz Schlussworte waren etwas für das Stammbuch: „Ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sie uns die Zukunft gemeinsam gestalten. Lassen Sie uns alle und ich sage jetzt bewusst Abwasserbewirtschaftung aus dem Schattendasein rausholen, um zu zeigen, was das für ein wichtiges Thema ist. Wie vielfältig es ist für den akademischen Bereich genau wie für die berufliche Bildung. Es ist eine großartige Tätigkeit, die es verdient hat, dass sich alle dafür einsetzen.“