© Franz Gaul, 1848

Die Revolution von 1848: „150 Jahre freie Gemeinde“

1. April 1998
Im März 1848 wurde trotz aller Irrungen und Spannung zwischen Polizeistaat und Revolution das Fundamten eines rechtsstaatlichen und demokratischen Staates gelegt. Wesentliches Resultat war das Entstehen der Ortsgemeinden und die Selbstverwaltung der freien Gemeinde. Manifestiert hat sich das im Satz „Die Grundfeste des freien Staates ist die freie Gemeinde“, niedergeschrieben als Paragraf 1 des provisorischen Gemeindegesetzes und unterzeichnet von Kaiser Franz Joseph I.. Dieser Satz bildet bis heute die Grundphilosophie unserer modernen, föderativen Kommunalpolitik.

KOMMUNAL 4/1998, Mag. Nicolaus Drimmel

Am 13. März 1848 kommt es zu einer folgenschweren Demonstration der Studenten vor dem Niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse, in dem die Stände tagen. Sie skandieren die Hauptforderungen nach einer Verfassung und Pressefreiheit. Als das Militär die Straßen zu räumen versucht, kommt es zu den ersten Kämpfen. Einige Tote sind zu beklagen, welche als „Märzgefallene" die Emotionen und Kampfeslust auch bei den Bürgern und Arbeitern anstachelt.
Der für seinen Polizeiapperat verhaßte Staatskanzler Metternich muß zurücktreten und flieht nach England.
Dieser Aufstand war wohl die Initialzündung für Überlegungen, das Staatswesen in Österreich grundsätzlich neu zu ordnen. Kaiser Ferdinand, vom Volk der „Gütige" genannt, gewährte die zentralen Forderungen. Die Aufständischen forderten aber in den Manifestationen im Mai, daß die Verfassung von einem gewählten Reichstage zu beschließen sei.
Die weitere Geschichte hat zwar gezeigt, daß spätestens mit dem Sylvesterpatent 1851 und dem folgenden Neoabsolutismus die Konstitutionalisten unterlegen waren, jedoch wurde im Jahr 1848 trotz aller revolutionären und reaktionären Exzesse ein bleibendes Fundament einer demokratischen  und rechtsstaatlichen Staatsordnung gelegt. Mit dem Jahr 1848 und der Abschaffung der Untertanenverbände mußte eine neue territoriale Ordnung geschaffen werden. Damit schlug die Geburtsstunde der freien Ortsgemeinde.
Die Umsetzung der Grundkonzeption der Gemeindefreiheit ist in Österreich einigen weitblickenden Personen, Vertretern aller Stände, zu verdanken, die über die Irrungen und Spannungen der Revolutionstage hinaus die Notwendigkeit eines auf der Verantwortung des Einzelnen basierenden Staatswesens erkannt haben.
Einer ihrer Vordenker war im Königreich Preußen wohl unter dem Eindruck der französischen Revolution Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein. Er war zwar der Auffassung, daß der Staat nach der Revolution 1789 erneuert werden müsse, die Ideen und Entwicklungen der Revolution lehnte er allerdings ab.
Vom Stein hatte interessanterweise schon damals im Sinne der Aufklärung versucht, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, Staat und Gesellschaft neu zu ordnen und die selbstverantwortliche Teilnahme des Staatsbürgers an Gemeinschaftsangelegenheiten zu sichern. Die Stein'sche Reform (1) stellt die freie Persönlichkeit gegen die Entartung bevormundender Staatsaufsicht und gegen die Fesselung wirtschaftlicher Kräfte durch die Monopole der Zunft. Sie hat da - mit einen nicht nur reformierenden, sondern wohl auch revolutionären Kern. Die Stein'sche Städteordnung vom 19. November 1808 blieb jedoch dem konservativen Gottesgnadentum verpflichtet, sie war ein Geschenk des Königs an seine Untertanen. Der Stein'schen Städteordnung und den auf deren Grundsätzen beruhenden gleichartigen Regelungen in anderen deutschen Ländern (Baden, Bayern, Braun­ schweig, Hessen und Württemberg), fehlte jedoch als charakteristisches Merkmal die Bindungslosigkeit der Gemeinde gegenüber dem Staat, also die kommunale Selbstverwaltung. Dies blieb ein Spezifikum, das später in ihrer weitestgehenden und fundamentalen Weise Österreich vorbehalten blieb, und in dem Leitsatz „Die Grundfeste des freien Staates ist die freie Gemeinde" gipfelte.

Der Kremsierer Entwurf:

§ 131 sah vor:

„Das Gemeindegesetz muß jeder Gemeinde als unerläßliche Rechte gewährleisten:

die freie Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband;

die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten und die Handhabung der Ortspolizei; die Veröffentlichung ihres Haushaltes und in der Regel Öffentlichkeit der Verhandlungen. Die Beschränkung des Rechtes, die Aufnahme in den Gemeindeverband zu verweigern, und des Rechtes, das Gemeindegut oder das Stammvermögen der Gemeinde zu veräußern oder zu belasten, enthält das Gemeindegesetz."

Vorerst war es jedoch die Verfassung des neu geschaffenen belgischen Staates aus dem Jahr 1831, welche ein Grundrecht der Gemeinde (pouvoir municipal) insbesondere für die Wahl der Gemeindeorgane und die selbständige Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten vorsah. Im Herrschaftsbereich des damaligen absolutistischen Kaisertums Österreich zeigte sich bald, daß sich diesem Gedankengut zu einer grundlegenden Reform in Abkehr von der bisher eingehaltenen obrigkeitlichen Ordnung eine breite Schicht von Intellektuellen aller Stände angeschlossen hatte. Neben den bekannten Figuren der österreichischen Revolution zeigen dies etwa die Versuche des Franz Seraph Graf Stadion, welcher als Statthalter des Küstenlandes (2) bereits im Jahr 1845 ohne kaiserliche Sanktion eine Gemeindeverfassung eingerichtet hatte. Im Bereich der ungarischen Krone fanden die fortschrittlichen Ideen Eingang bis in die vornehmsten Magnatenhäuser. Grundherrliche Willkür und Abhängigkeit in den Gespanschaften wurden von dem weniger rigoros an die Kandare genommenen Pester Pressewesen (3) und vor allem von dem berühmten Politiker und Literaten Joseph Baron Eötvös (4) vor einem breiten Publikum angeprangert.
Der bekannteste Vertreter der Revolution in Österreich ist wohl der schlesische Bauernsohn und Student der Wiener juridischen Fakultät , Hans Kudlich, welcher im März 1848 an vorderster Front der Intellektuellen Wiens stand, und die damals zentralen Forderungen nach einer konstitutionellen Regierung mit Ministerverantwortlichkeit, Agrarreform sowie Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz mittrug. Er stieg nach einer schweren Verletzung in den Märzkämpfen gleichsam zu einer Symbolfigur auf und wurde als jüngstes Mitglied in den konstituierenden Reichstag gewählt (5), wo er am 26. Juli 1848 die Aufhebung des bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisses forderte (6). Die institutionelle Voraussetzung für die Umsetzung dieser Forderung war aber die Begründung eines flächendeckenden Netzes von Ortsgemeinden und die damit notwendige Anordnung, daß jede Liegenschaft dem Verband einer Ortsgemeinde angehören muß. Der Verfassungsausschuß des Reichsrates hatte sich also beim Entwurf einer neuen  Konstitution mit diesen wesentlichen institutionellen Fragen auseinanderzusetzen.
Nachdem der Reichstag nach den Oktoberunruhen am 22. Oktober 1848 nach Kremsier in Mähren (7) verlegt wurde, konnte der Verfassungsausschuß Anfang März 1849 einen Konstitutionsentwurf vorstellen, in dem die Landgemeinde grundsätzlich den schon bisher bereits in einem entsprechenden Grad selbständigen Städten und Märkten rechtlich gleichgestellt war. Der „befreite Untertan und das Prinzip der Autonomie wurden damit zum Lebensprinzip der Gemeinde und eines neuen demokratischen Staatswesens, welches allerdings zur damaligen Zeit erst zu keimen begann. Diese Grundprinzipien fanden daher Niederschlag in den §§ 130 f. des sogenannten „Kremsierer Entwurfes einer Verfassung.

Der Kremsierer Entwurf konnte keinem Beschlußverfahren mehr zugeführt werden. Die Oktoberwirren und die Auseinandersetzungen, welche durch Provokation und Reaktion exzessiv und blutig geführt wurden, machten dem Konstitutionalismus vorübergehend ein Ende.

Ferdinand ging - Franz Josef kam

Die damit transportierten inhaltlichen Reformideen wurden aber auch nach der Festigung des Kaisertums durch den jungen Kaiser Franz Joseph nicht nur geduldet, sondern weitergeführt. Demgemäß entschied sich der erst am 2. Dezember 1848 im böhmischen Olmütz inthronisierte junge Kaiser gegen die Volkssouveränität und eine parlamentarische Mitbestimmung und löste kurz vor der terminisierten Beschlußfassung den Reichstag mittel Manifest vom 4. März 1 849 auf. Einen kleinen demokratischen Ansatz brachte jedoch die vom Kaiser oktroyierte Reichsverfassung, die er am selben Tag erließ (8). Diese Verfassung übernahm in deren § 33 fast wort-ident die Regelung des Paragraphen 131 des Kremsierer Entwurfes. Auf dieser Grundlage beruhte schließlich das provisorische Reichsgemeindegesetz (9) vom 1 7. März 1849, welches in dessen Artikel 1 die vielzitierte Programmatik der freien Gemeinde enthielt.
Vielsagend ist der Bericht des Ministerpräsidenten Felix Fürst Schwarzenberg, welcher an den jungen Regenten zur Genehmigung dieses Provisoriums gerichtet war. Darin wurde die Organisation des Gemeindewesens als dringendste Aufgabe an der Neuordnung der staatlichen Verhältnisse bezeichnet, Schwarzenberg verkannte aber auch nicht, daß in dem großen Kaiserreich sehr unterschiedliche Bedingungen und Eigentümlichkeiten vorherrschten, die ebenfalls zu berücksichtigen seien: ,,Der naturwüchsige Gemeindeverband müsse daher, so wie er sich entwickelt hat, gesetzlich anerkannt und in seiner Existenz gewährleistet werden."
Der jungen Verfassung war zwar kurzfristig kein großer Erfolg beschieden, sie wurde sukzessive in ihren wichtigsten Teilen außer Kraft gesetzt.

Das Februar­ Patent war die Neuregelung

Mit der Neuregelung des Gemeinderechtes im Jahre 1861 und der kaiserlichen Willenserklärung zum Februarpatent (10) wurde die Forderung nach einer umfassenden Gemeindeautonomie jedoch wieder ins Leben (11) gerufen. Das im Jahr 1862 in Kraft gesetzte Reichsgemeindegesetz war der Vorläufer des modernen Gemeinderechtes und Wegbereiter der Gemeindeverfassungsnovelle 1962 (12).
Heute ist es unbestritten, daß der politische Auftrag einer freien Gemeinde nicht nur der Stabilität und Kontinuität des Staatswesens dient, sondern auch Garant für einen demokratisch legitimierten Staatsverband ist. Die Gemeinde ist die dem Bürger am nächsten stehende Einheit, in der sich globale Politiken verwirklichen. In einer Zeit der rasch fortschreitenden fast revolutionären Integration Europas werden auch die Entscheidungen in der Europäischen Union mit eben jenem Weitblick zu erfolgen haben, wie uns dies schon von einigen Vordenkern vor 150 Jahren bewiesen wurde.

Quellen & Literatur:

Nassauer Denkschrift 1807, Edikt zur Bauernbefreiung vom 9. Oktober 1807

 Görz-Gradisca, Triest, Istrien, heute Italien, Slowenien, Kroatien Budapesti Szemle, Pesti Hirlap mit deren Hauptvertretern Eötvös, Kossuth, Szalay und Trefort

A falu jegyzöje (Der Dorfnotär), Budapest 1847

Der Reichstag trat am 22. Juli 1848 erstmals zusammen, passiv wahlberechtigt waren Männer nach vollendetem 24. Lebensjahr, Kudlich wurde am 23. 10. 1823 in Lobenstein in Schlesien geboren Bauernbefreiungs-Gesetz vom 7.9.1848, PGS 112

heute Kromeriz BGBL Nr.150/ 1849 BGBL Nr.170/1850

BGBL Nr. 20 / 26. Februar 1861

BGBL 18 / 1 86 2

BGBL 205/ 1962