TTIP EU Flagge und USA Flagge

Das grundsätzliche Problem sind die Geheimverhandlungen

Grundsätzliche Befürchtungen im Vorfeld von TTIP hegt Heidi Maier-De Kruijff, Geschäftsführerin des VÖWG, des Verbands der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs. Vor allem die offenen Fragen rund um die Schiedsgerichte geben Grund zur Sorge, wie sie im Gespräch ausführt.

KOMMUNAL: Woher kommen die massiven Bedenken gegen TTIP? Oder worin gründet sich diese Angst?

 

Heidi Maier De-Kruijff





Heidi Maier De-Kruijff: Das grundsätzliche Problem sind die Geheimverhandlungen. Niemand weiß, wann welches Kapitel aufgeschlagen wird und worüber gerade diskutiert wird. Zum Beispiel war sogar das Verhandlungsmandat lange Zeit geheim und wurde erst nach massivem öffentlichem Druck bekannt. Transparenz wird durch so eine Herangehensweise nicht befördert –hier liegt vielleicht das größte Problem an diesen transatlantischen Abkommen.



In weiterer Folge kann es deshalb nämlich keine ernsthafte Debatte mit den europäischen Bürgerinnen und Bürgern geben. Aber gerade das wäre so wichtig, weil es bei den Abkommen um weit mehr geht, als bloß darum Zollschranken abzubauen.



Es wird verhandelt, dann gibt es ein Dokument, dann dauert es wieder ein Jahr, bis das „legal scrubbing“ umgesetzt wurde („legal scrubbing“ bezeichnet in dem Fall das Übersetzen eines so komplexen Textes in die verschiedenen Amtssprachen und das Einfließen der Bestimmungen in Gesetze, Anm.). Das Ergebnis sind dann 1500 und mehr Seiten Text, wo niemand genau weiß, was drinnen steht.



Zahlreiche Vertragsbestimmungen könnten massive Auswirkungen darauf haben, wie wir in dem Europa von morgen zusammenleben. Ob wir das wollen, gehört offen und ehrlich diskutiert und nicht geheim verhandelt. Ich habe übrigens das Gefühl, dass sich auch das Europäische Parlament diese Vorgangsweise nicht mehr gefallen lassen wird.



 



Wie ist eigentlich die öffentliche amerikanische Sicht auf diese Abkommen?



Es gibt auf Seiten der Amerikaner auch Widerstand. Nicht überraschend, wenn man die Erfahrungen mit dem NAFTA-Freihandelsabkommen anschaut.



Gerade NAFTA zeigte ja deutlich, dass Prognosen über die Auswirkungen von umfassenden Handelsabkommen sehr schwierig sind: Entgegen den versprochenem Jobwunder kam es im Sozialbereich zu einer Nivellierung nach unten. Die Idee, dass sich für die Menschen Dinge zum Besseren wenden, ist mit NAFTA jedenfalls nicht wirklich bestätigt worden. Und genau aufgrund dieser Erfahrungen glauben beispielsweise die US-amerikanischen Gewerkschaften auch nicht daran, dass sich durch TTIP etwas zum Besseren wenden wird.



 



Wer hat dann einen Vorteil von solchen Freihandelsabkommen?



Diejenigen, die groß genug sind, um sich aus beiden Systemen das Beste zu holen. Am stärksten zeigt sich das bei den geplanten Investitionsschutz-Bestimmungen: Multinationale Unternehmen haben die Möglichkeit durch ihre weltweite Präsenz das System für ihre Zwecke einzuspannen und zu ihrem Vorteil auszunutzen.



Man muss auch verstehen, dass diese geplanten Abkommen weit über klassischen Zollabbau und ähnliches hinausgehen. Wir agitieren ja nicht gegen freien Handel. Ganz im Gegenteil - unsere Wirtschaft ist ja ausgesprochen exportorientiert, unsere Firmen sehr erfolgreich und faire Bedingungen sehr wichtig. Wir sind gerne und jederzeit für einen vernünftigen Abbau der Zölle.



Was wir kritisieren betrifft vor allem den übermäßigen Fokus auf sogenannter „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“. Da fallen sehr sensible Dinge wie die Daseinsvorsorge, Umweltstandards oder auch gesundheits- und sozialpolitische Tarife hinein. Und natürlich das erwähnte Riesenproblem mit den Investitionsschutzabkommen.



 



Die Investitionsschutzabkommen sind der Punkt, an dem Kommunen in Spiel kommen. Was ist da genau zu befürchten? Gibt es Beispiele aus anderen Abkommen? Gibt es eigentlich schon Klagen?



Es gibt bereits ganz viele Klagen von Konzernen. Es sind einige auch schon „berühmt“. So der Fall Philip Morris Asia – genau die Niederlassung in Hong Kong – gegen Australien. Die Australier haben aus gesundheitspolitischen Überlegungen ein striktes Tabakwerbeverbot mit weißen Packungen und Schock-Bildern erlassen. Da Philip Morris Australien gegen diese gesundheitspolitische Entscheidung nichts machen kann, hat die Niederlassung in Hong Kong aufgrund des Investitionsschutzabkommens ISDS auf Investitionsschmälerung geklagt.. Der Staat Australien hat nun die Wahl, entweder die Entscheidung rückgängig zu machen oder es auf ein langes und kostspieliges ISDS-Verfahren mit ungewissem Ausgang gegen einen multinationalen Konzern ankommen zu lassen.



Unser Problem ist, dass durch diese Abkommen auch die Politik nicht mehr frei entscheiden kann. Und wenn es keinen politischen Handlungsspielraum mehr gibt, dass also gewählte Vertreter der Bevölkerungen nicht das entscheiden was sie für richtig erachten, weil sie eine Klage befürchten müssen, dann haben wir ein ernstes demokratiepolitisches Problem.



Jedenfalls ist das unsere Befürchtung, denn es gibt ja noch keinen Text. Alles, was es derzeit gibt, ist das CETA-Abkommen mit Kanada, aber wir vermuten, dass dieses Abkommen eine Art Blaupause für das TTIP sein könnte. Im CETA-Abkommen gibt es ein paar Sachen, die uns „sehr weh tun“.



So führt die „Investitionsschutzklausel“ (ISDS) eigentlich zu einer Art „Inländerdiskriminierung“. Ein europäisches Unternehmen, das in Europa investiert, müsste eine künftige Erhöhung eines Sozialstandards wie dem Mutterschutz hinnehmen und könnte rein rechtlich nichts dagegen unternehmen. Aber beispielsweise ein US-amerikanisches Unternehmen kann sagen, mit so einem erhöhten Standard wird meine Investition „geschmälert“ und kann auf Schadenersatz klagen.



 



Welches Beispiel könnte denn für Österreich gelten?



Zum Beispiel die Wasserversorgung: Sollte ein US-Investor in die Wasserversorgung einer Region oder eines Bundeslandes investieren und es tritt ein, zwei Jahre später aus irgendwelchen Gründen eine Belastung des Grundwassers auf. Angenommen, der Gesetzgeber reagiert darauf mit der Verpflichtung zu erhöhten Schutzmaßnahmen oder mehr Kontrollen oder zusätzlichen Filtern, dann kann der Investor auf „Schmälerung der Investition“ klagen. Er hat ja in Erwartung einer Rendite investiert, durch die Maßnahmen im Umweltbereich, die er setzen muss, erreicht er diese Rendite aber nicht mehr und diese Differenz kann er einklagen.



 



Hier taucht ja noch eine Frage auf: Wie gehen Politiker denn damit um, wenn sie von vornherein wissen, dass sie bei Zustandekommen eines Gesetzes geklagt werden und es zu massiven Entschädigungszahlen kommen kann, die ja der Steuerzahler tragen müsste? Lässt sich der Politiker abschrecken? Was hat das für eine Auswirkung auf unser Verständnis von Demokratie? Wie wirkt sich das aus auf die Frage, wie man Gesetze macht?



 



Gibt es schon viele Klagen?



Die Zahl der Klagen auf Basis von ISDS (nach dem NAFTA-Abkommen) steigt exponentiell an – insgesamt sind bisher rund 600 eingebrachte Verfahren öffentlich bekannt. Wahrscheinlich liegen die Zahlen aber deutlich höher, da zahlreiche Schiedsgerichte kein offen zugängliches Register führen. Multinationale Unternehmen haben jedenfalls gemerkt, wie „das Spielchen“ funktioniert. Über internationale Niederlassungen kann man ISDS optimal nutzen: Singapur vs. Australien, USA vs. Kanada und so weiter – der Großteil der Klagen wurden in den vergangenen paar Jahren erhoben.



Nun argumentieren Befürworter natürlich, dass durch diese Klagen die Notwendigkeit von ISDS unterstrichen würde. Aber: Hinter den Klagen stecken eine Hand voll großer Anwaltskanzleien und es ist zu befürchten, dass sich da eine „Klage-Industrie“ entwickelt (hat).



Ein Schiedsgericht ist ja per se nichts Schlechtes und wird wären auch gar nicht dagegen, aber im Falle von ISDS gibt es keine Nachprüfbarkeit, ein Verfahren ist bei einem ordentlichen Gericht nicht nachvollziehbar. Das ist zudem ein echtes Legitimationsproblem für den Europäischen Gerichtshof.



 



Widerspricht das nicht unserer Auffassung von Rechtsstaatlichkeit?



Meines Erachtens ja. Interessant ist auch, dass ISDS im internationalen Recht ja nur entwickelt wurde um im Wirtschaftsverkehr mit Ländern ohne Rechtstaatlichkeit – zum Beispiel aus der dritten Welt – ein Mindestmaß an Schutz zu bekommen. Das ISDS-Verfahren ist dementsprechend völlig losgelöst von der eigentlichen Gerichtsbarkeit. Deshalb frage ich mich schon, was das in einem Abkommen zwischen Europa und Kanada bzw. den USA überhaupt verloren hat. Ohne Not liefern wir uns da einem undurchsichtigen Prozedere aus, bei dem Entscheidungen nicht von unabhängigen Richtern getroffen werden und auch Berufungen nicht möglich sind.



 



Wenn das Abkommen also quasi der österreichischen Verfassung widerspricht, was kann Österreich da machen?



Der öffentliche Druck hat da schon was bewirkt: Das Abkommen wird zunehmend als sogenanntes „gemischtes Abkommen“ eingestuft. Damit müssen dann auch die nationalen Parlamente zustimmen. Ich glaube ganz ehrlich nicht, dass sich die nationalen Parlamente unter diesen Voraussetzungen zu einer Zustimmung hinreißen lassen.



Das wichtigste ist, dass der öffentliche Druck aufrecht bleibt.



 



Solche Abkommen haben üblicherweise ja nicht nur Auswirkungen in eine Richtung. Gibt es auch positive Auswirkungen?



Wenn sich Handelsabkommen auf den Abbau von Zöllen reduzieren, ist das ja eine durchaus sinnvolle Sache, vor allem für eine kleine Volkswirtschaft, wie es die österreichische ist. Das Problem bei TTIP ist, dass so viele kleine Bestimmungen und Details subsummiert – wenn nicht versteckt – werden, die auf den Abbau der „nichttarifären Handelshemmnisse“, sprich Umwelt und Soziales, abzielen. Aus unserer Sicht sind das keine „nichttarifäre Handelshemmnisse“, sondern die Basis des europäischen Sozialmodells.



 



Wann rechnet man denn damit, dass die einzelnen Bestimmungen des Abkommens öffentlich gemacht werden, so es denn passiert?



Öffentlich gemacht werden muss es. Es gibt ja schon den Text von CETA – es dauert nur rund ein Jahr, bis das alles übersetzt ist. Wir würden ja sehr gerne zum Text auch die einzelnen Verhandlungsdossiers transparent abhalten. Wir würden gerne wissen, wer jetzt gerade was verhandelt. Wir wollen schon den Prozess begleiten, nicht zum Schluss einen 2000-Seiter durchackern müssen. Zurzeit sieht es allerdings so aus, als ob das genau so geplant ist.



 



Von Seiten Europas verhandelt die Europäische Kommission …



Richtig. Unsere Befürchtung ist, dass die US-Amerikaner der Kommission aber mit ihrer Erfahrung so weit überlegen sind, dass sich das für uns negativ auswirkt. Vom Kanada-Abkommen kennen wir zudem die sogenannten „Negativ-Listen“. Das bedeutet, dass nur jene Bereiche nicht unter das Abkommen fallen, die explizit ausgenommen sind. Aber um die richtigen Ausnahmen einzufügen, braucht es vor allem Erfahrungswerte. Die Gefahr ist hier sehr groß, dass Dinge zu ungenau gelistet oder in ihren Folgen nicht richtig erkannt werden. Beispielsweise hat Österreich bei CETA die Abwasserentsorgung nicht gelistet – unsere deutschen Nachbarn haben das hingegen schon getan, trotz ähnlicher Ausgangslage. Durchaus möglich, dass das auf unterschiedlichen Interpretationen der Materie beruht – oder auch vergessen wurde. Klar ist allerdings, dass die tatsächliche Auslegung dann nicht mehr in unserer Hand liegt.



Zudem wäre es blauäugig zu meinen, dass die Amerikaner nach der NSA-Affäre nicht über die europäischen Verhandlungspositionen und die „roten Linien“ Bescheid wüssten.



Aus unserer Sicht wäre das Gegenteil – also „Positiv-Listen“ – weitaus zweckdienlicher. Auf diese Weise könnte viele Unklarheiten und Befürchtungen ausgeräumt werden.. Und da es im Abkommen Klauseln gibt, wonach künftige Liberalisierungsschritte mit einbezogen werden, sehen wir auch keinen Grund, warum später nicht auch andere Schritte hinein verhandelt werden könnten – um es mal so zu formulieren.



Denn es kann doch nicht sein, dass ohne entsprechende Legitimation wichtige gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten in Stein gemeißelt werden sollen. Man muss sich nur die Bemühungen zur Rückgewinnung öffentlichen Einflusses in ganz Europa anschauen um zu sehen, dass viele Privatisierungen und Liberalisierungen eben gerade nicht zu den erhofften Erfolgen geführt haben. Es gibt gute Gründe dafür, dass Paris seine Wasserversorgung re-kommunalisiert hat. Auch die Gründungswelle von Stadtwerken in Deutschland kommt nicht von ungefähr. Mit Stillstands- und Ratchet-Klauseln würde das verunmöglicht.



 



Und wenn die Bevölkerung das will? Immerhin ist das ja meist eine demokratische Entscheidung.



Dann wird’s teuer!



Es ist zwar für Kommunen nicht schlagend, aber nach der deutschen Energiewende hat Vattenfall Deutschland via ISDS auf 3,5 Milliarden Euro geklagt. Neben hohen Streitwerten hat man es in diesem Bereich dann auch noch schnell mit außerordentlich hohen Verfahrenskosten zu tun.



Die Re-Kommunalisierung der Berliner Wasserversorgung wäre ein echtes Problem, weil es sehr teuer werden würde. Hier würde Veolia geltend machen, dass es über die Jahre eine Menge an Investitionen getätigt hat.



 



Hat eigentlich NAFTA irgendeinen positiven Effekt für die betroffene Bevölkerung gebracht?



Auch wenn NAFTA mit CETA oder TTIP nur schwer vergleichbar sind: Es hat wohl positive Effekte für einzelne Industriezweige gebracht, aber meist nicht für die Menschen. Und die Mexikaner sagen nach Berichten der amerikanischen Gewerkschaften überhaupt, aus heutiger Sicht würden sie das nicht mehr machen.



Aber das alles ist sehr schwer zu prognostizieren, wenn man die Details der Verhandlungen nicht kennt. Und es geht hier nicht um ein einfaches Zollabkommen …



 



Welche Argumente gäbe es für TTIP?



Mir ist bisher nur eines bekannt: Der Autoblinker. Also im Grunde geht’s da darum, technische Standards anzugleichen, um die Produktion für die Industrie einfacher zu machen.



 



Gibt es einen Zeitplan für TTIP?



Die nächste Verhandlungsrunde ist für Februar in Brüssel angesetzt, der Vertragstext von TTIP soll bis Ende 2015 stehen. Von einer politischen Deadline kann derzeit noch nicht gesprochen werden. Aber was man aus den USA hört, hat für Präsident Obama jedenfalls das ebenfalls in Verhandlung stehende Transpazifische Abkommen (TPP) absolute Priorität (TPP ist das asiatisch-amerikanische Handelsabkommen mit einer Reihe von Pazifikanrainerstaaten).



Jedenfalls müssen sowohl CETA als auch TTIP noch durchs europäische Parlament, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch durch die nationalen Parlamente. Und im Europäischen Parlament ist jetzt schon klar, dass es ganz massive Diskussionen geben wird.