
Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des ersten Vizebürgermeisters. Foto: Shutterstock/Pressmaster
Das Dirimierungsrecht im Gemeindevorstand
Mit der Einführung des „Dirimierungsrechtes" hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Patt-Situation im Gemeindevorstand entschärft.
Der Gemeinderat, der Gemeindevorstand (Stadtrat) und die Gemeinderatsausschüsse fassen ihre Beschlüsse in Sitzungen (§ 44 Abs.1 NÖ Gemeindeordnung 1973).
Allgemein gilt, dass zu einem gültigen Beschluss die Zustimmung von mehr als der Hälfte der in beschlussfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder des jeweiligen Gremiums erforderlich ist. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt (§ 51 Abs.1 und 4 NÖ Gemeindeordnung 1973).
Neue Spezialregelung für Gemeindevorstand
Gemäß Art. 117 Abs. 5 B-VG haben die im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien nach Maßgabe ihrer Stärke Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand.
Nach der ursprünglichen Regelung in der NÖ Gemeindeordnung 1973 galt ein Antrag auch im Gemeindevorstand bei Stimmengleichheit als abgelehnt. In der Praxis konnte damit in bestimmten Fällen keine Entscheidung getroffen werden, weil sich bei wiederholten Abstimmungen keine Änderungen im Stimmverhalten ergab.
Weiters konnte - ungeachtet der Möglichkeit, die Anzahl der Mitglieder mit Beschluss des Gemeinderats festzulegen - die Aufteilung der Stellen auf die im Gemeinderat vertretenen Wahlparteien nach dem Verhältnis der Parteisummen dazu führen, dass die im Gemeinderat bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Gemeindevorstand bzw. Stadtrat keine Entsprechung fanden.
Dirimierungsrecht für 1. Vizebürgermeister
Diese „Patt-Situation“ hat der Gesetzgeber mit der Einführung des „Dirimierungsrechtes“ (NÖ Landtag, Ltg.-690/A-1/48-2015) entschärft.
- 56 Abs. 2 NÖ Gemeindeordnung 1973 wurde dahingehend geändert, dass zwar zu einem gültigen Beschluss - wie bisher - die einfache Mehrheit der in beschlussfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder des Gemeindevorstandes (Stadtrates) erforderlich ist, bei Stimmengleichheit aber jene Anschauung als zum Beschluss erhoben gilt, der der erste Vizebürgermeister beitritt.
Dadurch wurde im Sinne einer rascheren Entscheidungsfindung eine im Wahlrecht (vgl. § 16 Abs.4 NÖ Gemeinderatswahlordnung) bereits etablierte Regelung für den Gemeindevorstand bzw. Stadtrat in adaptierter Form eingeführt.
Dieses Dirimierungsrecht des ersten Vizebürgermeisters für den Fall des Stimmengleichstandes dient der Entschärfung der eingangs ausgeführten Problematik. Es kommt ausschließlich dem vom Gemeinderat (ohne Bindung an eine bestimmte Wahlpartei) gewählten ersten Vizebürgermeister zu, ein Übergang auf den zweiten (bzw. allenfalls dritten) Vizebürgermeister im Fall der Abwesenheit des ersten Vizebürgermeisters kommt nicht in Betracht.
Auswirkungen
Betroffen von dieser Regelung können alle vom Gemeindevorstand (bzw. Stadtrat) zu treffenden Entscheidungen im Rahmen seiner Kompetenzen sein, das sind insbesondere
- die Vorberatung und Antragstellung der zum Wirkungskreis des Gemeinderates gehörenden Angelegenheiten, ausgenommen jene, für die in der Sitzung des Gemeinderates ein Antrag gemäß § 22 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung gestellt wurde;
- der Erwerb und die Veräußerung beweglicher Sachen sowie die Vergabe von Leistungen (Herstellungen, Anschaffungen, Lieferungen und Arbeiten), wenn der Wert in der Gesamtabrechnung oder bei regelmäßig wiederkehrenden Vergaben und bei Dauerschuldverhältnissen der Jahresbetrag
- bei Vorhaben des ordentlichen Haushaltes 0,5 Prozent der Einnahmen des ordentlichen Haushaltes, höchstens jedoch 47.082 Euro (LGBl. Nr. 39/2015) und
- bei Vorhaben des außerordentlichen Haushaltes 10 Prozent des hiefür vorgesehenen Vorhabensbetrages laut Voranschlag nicht übersteigt; - die Gewährung von Zahlungserleichterungen für privatrechtliche Forderungen und für Abgabenschuldigkeiten; die Löschung fälliger, uneinbringlicher Abgabenschuldigkeiten, die Nachsicht fälliger Abgabenschuldigkeiten wegen Unbilligkeit und die gänzliche oder teilweise Abschreibung zweifelhafter oder uneinbringlicher Forderungen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur bis zu einem Wert von 0,5 Prozent der Einnahmen des ordentlichen Haushaltes, ausgenommen bei Konkurs- und Ausgleichsverfahren;
- die Grundsatzentscheidung sowie die Vergabe von Aufträgen zur Durchführung von Bauvorhaben bis zu dem Gesamtwert von 47.082 Euro (LGBl. Nr. 39/2015);
- die Aufnahme nicht ständig Bediensteter für länger als sechs Monate, deren Entlassung sowie die einverständliche Lösung solcher Dienstverhältnisse;
- Anträge, ausgenommen jene nach § 110 Abs. 3 NÖ Gemeindeordnung 1973 (Mandatsverlust eines Gemeinderatsmitgliedes), Beschwerden und Klagen an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof;
- die Ausübung eines der Gemeinde zustehenden Patronats- oder Präsentationsrechtes sowie das ihr zustehende Verleihungsrecht von Stiftungen und die Angelegenheiten der Errichtung von gemeindlichen Stiftungen und Fonds;
- die Gewährung von Gehaltsvorschüssen an Gemeindebedienstete, wenn der Gehaltsvorschuss im einzelnen drei Monatsbezüge übersteigt.
Dem Gemeindevorstand (Stadtrat) obliegen darüber hinaus alle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, soweit diese nicht ausdrücklich einem anderen Organ zugewiesen sind (§ 36 Abs.1 NÖ Gemeindeordnung 1973).
Auch in den behördlichen Verfahren des eigenen Wirkungsbereiches (z.B. Bauverfahren, Abgabenverfahren) kann diese Regelung zur Anwendung kommen, da der Gemeindevorstand bzw. Stadtrat über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters zu entscheiden hat (§ 60 Abs.1 Z.1 NÖ Gemeindeordnung 1973).