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Darum geht es beim Kampf um die Getränkesteuer

1. Mai 1998
Eines der langwierigsten und emotional heftigst umstrittenen Gerichtsverfahren beginnt. Die österreichische Getränkesteuer war ins Gerede gekommen – eine Anfrage an den Europäischen Gerichtshof führte zu Beratungen der EU-Kommission. Der Rechtsstreit sollte noch Jahre dauern. Damals brachten wir in einem ausführlichen Beitrag eine penibel recherchierte Darstellung, worum es bei dieser komplizierten Materie wirklich ging.

KOMMUNAL 5/1998, Dr. Anton Matzinger

Seit dem Beitritt Österreichs zur EU wird verschiedentlich die Ansicht vertreten, die Getränkesteuer wäre mit dem Gemeinschaftsrecht nicht verträglich. Derartige Unklarheiten werden bald ein Ende haben: Der VwG legte Anfang des Jahres dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit einem Ersuchen um Vorabentscheidung drei Fragen zur Getränkesteuer vor, deren Beantwortung Aufklärung bringen wird.

Das Vorabentscheidungsverfahren

Der EuGH in Luxemburg hat als Organ der europäischen Gemeinschaft die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrages zu sichern.
Eine der im EG-Vertrag vorgesehenen Verfahrensarten ist das Vorabentscheidungsverfahren: Ein nationales Gericht kann bei Zweifeln über die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts dem Gerichtshof diesbezügliche Fragen vorlegen, die der Gerichtshof beantwortet.
Ein oberstes Gericht - wie es der VwG ist - muß sogar bei solchen Zweifeln vorlegen. Durch diese Bestimmung wird sichergestellt, daß das Recht der Gemeinschaft einheitlich in ganz Europa ausgelegt wird und sich nicht durch verschiedene Interpretationen in den einzelnen Mitgliedstaaten auseinander entwickelt.
Die vorgelegten Fragen müssen in einem anhängigen Rechtsstreit wirklich zu lösen sein. Bloß theoretisch interessante Fragen dürfen nicht gestellt werden. Das Urteil des EuGH ist in dem unterbrochenen Verfahren beim nationalen Gericht bindend.

Die österreichische Stellungnahme

Die Fragen des VwG wurden dem Bundesministerium für Finanzen durch den EuGH mit dem Ersuchen um Stellungnahme Österreichs übermittelt.
Zur Ausarbeitung dieser Stellungnahme wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, in der neben anderen Teilnehmern insbesondere die Experten des Gemeindebundes und des Städtebundes ihre Argumente einbrachten,

Grundsätzliches:

Eingangs verweist Österreich auf den EG-Vertrag : Sowohl MWSt-RL als auch VerbrStSystemRL beruhen rechtlich auf Art. 99 EG-Vertrag. In diesem Artikel wird die EG ermächtigt, Bestimmungen über die Harmonisierung der Umsatzsteuern und der Verbrauchsteuern, also die genannten Richtlinien, zu erlassen. Ausdrücklich ist dort festgehalten, daß die Bestimmungen für das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sein müssen.
Österreich weist nun darauf hin, daß die Getränkesteuer den Binnenmarkt in keiner Weise stört. Legt man die VerbrSt-SystemRL oder die MWSt-RL so aus, daß die Getränkesteuer dagegen verstößt, würde daher die jeweilige Richtlinie selbst gegen den EG-Vertrag verstoßen.
Mehrwertsteuer-Richtlinie: Ob eine Steuer den Charakter einer Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) hat, wurde vom EuGH bereits mehrfach untersucht. Er arbeitete dabei Kriterien heraus, die überwiegend vorliegen müssen, damit eine Steuer unter das Verbot fällt.
Der Vergleich MwSt.-Getränkesteuer zeigt, daß von einem Überwiegen der Kriterien keine Rede sein kann. Die Getränkesteuer wird nur von Getränkeumsätzen erhoben, sie fällt nur auf einer Vertriebsstufe, nämlich bei der Abgabe an den Konsumenten, an, sie ist daher schon vom System nicht auf den Mehrwert der einzelnen Stufen im Unternehmerbereich bezogen, ein Vorsteuerabzug kommt nicht vor.
Die Rechtsprechung des EuGH zu diesem Thema ergibt somit eindeutig, daß die Getränkesteuer nicht gegen die MWSt-RL verstößt.

Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie

Die zweifachen Zweifel des VwG zu dieser Richtlinie werden in der österreichischen Stellungnahme folgendermaßen beantwortet:

Einerseits hat der VwG Bedenken, daß die Getränkesteuer keine besondere Zielsetzung habe und dadurch die Be­ steuerung alkoholischer Getränke nicht zulässig wäre. Diesen Bedenken wird entgegengehalten, daß sogar mehrere besondere Zielsetzungen mit der Getränkesteuer verfolgt werden.

Erstens hat sich Österreich in der „Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung" verpflichtet, daß ein Teil der für die Aufgaben der Gemeinden erforderlichen Mittel aus örtlichen Abgaben stammt. Auf dieses bedeutende föderale Anliegen der Stärkung und Sicherung der finanziellen Gemeindeautonomie wird mit der Getränkesteuer abgezielt. Die Getränkesteuer ist mit einem Aufkommen von 5,5 Mrd. die nach der Kommunalsteuer wichtigste und aufkommenstärkste Gemeindeabgabe.
Der VwG befürchtet in seinen Ausführungen zu den gestellten Fragen, daß es sich um ein lediglich fiskalisches Anliegen handle, was für eine besondere Zielsetzung nicht genug sei. In der Stellungnahme wird dem entgegengehalten, daß die Stärkung der Gemeindeautonomie in Erfüllung der Verpflichtungen der Europäischen Charta durchaus über fiskalische Zwecke hinausgeht.

Zweitens wird mit der Getränkesteuer auch die verursachernahe Finanzierung der besonderen finanziellen Erfordernisse der Fremdenverkehrsgemeinden und Ballungszentren verfolgt. Der Zusammenhang zwischen Getränkesteueraufkommen, Finanznotwendigkeiten aus dem Fremdenverkehr und dem Tourismus ist evident und wird in der Stellungnahme beispielhaft dargestellt. Eine manchmal verlangte Zweckbindung der Getränkesteuer ist dabei angesichts der unsichtbaren Hand des Marktes nicht erforderlich: Wer nicht investiert, kann am Markt auch als Fremdenverkehrsgemeinde nicht bestehen. In Gemeinden mit geringem oder ohne Fremdenverkehr bestehen diese spezifischen Erfordernisse nicht, es ist daher auch nicht notwendig, dort das hier diskutierte Ziel zu verfolgen. Insgesamt kann aber nicht an der Notwendigkeit der Getränkesteuer gerade für die Fremdenverkehrsgemeinden gezweifelt werden.

Drittens wird das Ziel der Volksgesundheit mit der Getränkesteuer angestrebt. Wie die Struktur der Steuersätze und Befreiungen zeigt, werden alkoholische Getränke höher besteuert, nichtalkoholische Getränke mit einem niedrigerem Steuersatz belegt und Milch gänzlich befreit. Dadurch wird auf den Verbraucher eingewirkt, um ihm die aus gesundheitspolitischen Erwägungen erwünschte Konsumentscheidung zu erleichtern.

Die weiteren Zweifel des VwG zur VerbrSt-SystemRL bezieh en sich auf die Besteuerung von Dienstleistungen, wo er sich insbesondere auf die Abgabe von alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken in Restaurants bezieht, Österreich verweist darauf, daß die VerbrauchSt-SystemRL ausdrücklich Steuern auf Dienstleistungen zuläßt, wenn es sich nicht um „umsatzbezogene" Steuern handelt. Der VwG weist in seiner Vorlage zu Recht darauf hin, daß es sich bei dem Ausdruck „umsatzbezogen" im deutschen Text der Richtlinie um eine verfehlte Übersetzung handeln dürfte. Richtig sollte es wohl lauten: „Charakter von Umsatzsteuern". Daß die Getränkesteuer nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat, wurde aber schon zuvor bei der Besprechung der MWSt-RL klargestellt. Die Getränkesteuer kann daher auch in diesem Punkt nicht gegen EG-Recht verstoßen.

Die Besteuerung von Dienstleistungen durch die Getränkesteuer wäre also in jedem Fall zulässig. In der österreichischen Stellungnahme wird aber zusätzlich herausgearbeitet, daß nicht einmal Dienstleistungen vorliegen.
Auch wenn der EuGH umsatzsteuerrechtlich Restaurantumsätze als Dienstleistungen qualifiziert hat, muß man sich klarmachen, daß bei der Getränkesteuer eine andere Abgabe und auch ein anderer Besteuerungsgegenstand vorliegt:
Viele Leistungen die für Restaurantumsätze erforderlich sind können nicht in die Betrachtung der Getränkesteuer einbezogen werden. So ist etwa der gesamte Küchenbetrieb mit den daraus resultierenden Leistungen für die Getränkesteuer nicht relevant.
Von wesentlicher Bedeutung ist aber, daß der Gesetzgeber denjenigen Teil einer Leistung bei der Abgabe von Getränken in Restaurants, der einer Dienstleistung zugeordnet werden könnte, ausdrücklich aus der Bemessungsgrundlage herausnimmt: Das Bedienungsgeld ist nicht Gegenstand der Getränkesteuer.
Für Zwecke der Getränkesteuer wird daher die Veräußerung von Getränken in Restaurants als Lieferung anzusehen sein.
Da auch keine Grenzformalitäten mit der Getränkesteuer verbunden sind, bestehen nach Ansicht Österreichs auch hier keine Bedenken gegen die Getränkesteuer.

Ab-Hof-Befreiung

Der EG-Vertrag verbietet staatliche Subventionen an Unternehmen oder Produktionszweige, wenn sie den Wettbewerb verfälschen und soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Österreich weist in der Stellungnahme zuerst darauf hin, daß die Fragestellung an den EuGH unzulässig ist. Das Instrument der Vorabentscheidung ist dazu da, um Fragen zu klären, die in einem wirklichen Verfahren für die Entscheidung relevant sind. In den vom VwG vorgelegten Fällen kommt der Ab-Hof-Befreiung eine solche Bedeutung aber nicht zu: Ein Weinhandel hat die Getränkesteuer zu entrichten, unabhängig davon ob die Weinbauern EG­ rechtlich korrekt oder EG-widrig von der Getränkesteuer befreit sind.
Bloß theoretisch interessante Fälle werden vom EuGH aber nicht beantwortet. Dazu kommt, daß ja die Kommission die Ab-Hof-Befreiung untersucht und hier eine Entscheidung zu fällen hat, die ihr der EuGH nach der Zuständigkeitsverteilung in der EG nicht entziehen soll.
Aus diesen Gründen wird beantragt, die Frage nach der Ab-Hof-Befreiung als unzulässig zurückzuweisen. Sollte der EuGH aber dennoch die Frage klären wollen, wird darauf hingewiesen, daß eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten bei dieser Befreiung wohl nur konstruiert werden könnte.
Der Tatbestand des Art. 92 EG-Vertrag ist somit nicht erfüllt, die Getränkesteuer verstößt auch hier nicht gegen den EG-Vertrag.

Weitere Vorgangsweise

Gleichzeitig mit Österreich wurden die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission um Stellungnahme ersucht. Alle solchen Stellungnahmen werden nach Übersetzung an Osterreich übermittelt.

Hier wird sich die beim Bundesministerium für Finanzen bestehende Arbeitsgruppe damit beschäftigen und eine Expertise dazu erarbeiten, die wiederum dem EuGH übermittelt wird. In einem Zug damit wird Österreich eine mündliche Verhandlung beantragen und die österreichischen Vertreter bei dieser Verhandlung nominieren: Es werden dies der Leiter des Verfassungsdienstes und ein Vertreter des Bundesministeriums für Finanzen sein. Die beiden Vertreter werden bei der mündlichen Verhandlung durch eine Delegation unterstützt, in der nach den Absprachen in der Arbeitsgruppe jedenfalls Experten des Gemeindebundes, des Städtebundes , der Länder, des Bundesministeriums für Landwirtschaft und des Bundesministerium für Finanzen vertreten sein werden.
Die Koordination der innerösterreichischen Vorbereitung wird weiter von der bestehenden Arbeitsgruppe durchgeführt.
Etwa drei Wochen vor der mündlichen Verhandlung übermittelt der EuGH einen Sitzungsbericht, in dem sämtliche bisher vorgebrachten Argumente und Gegenargumente zusammengefaßt sind.
In der mündlichen Verhandlung bietet sich dann noch einmal Gelegenheit darauf einzugehen und die eigenen Positionen zu unterstreichen. In der Regel bei einem weiteren Termin werden die Entscheidungsvorschläge des Generalanwalts beim EuGH verlesen. Es handelt sich dabei um ein Rechtsgutachten, an das die Richter aber nicht gebunden sind. Nach der Beratung erfolgt in einer weiteren öffentlichen Verhandlung die Urteilsverkündung.
Damit hat dann die Diskussion um die Übereinstimmung der Getränkesteuer mit dem Gemeinschaftsrecht ein Ende.