Automatisierung
Bäume mittels KI erfassen
Es verursachte doch einiges an medialem Echo, als die Stadt Leoben Anfang Juli verkündete, als erste österreichische Stadt ihren Baumbestand mittels einer KI-gestützten Software zu erfassen. In einem bundesweit einzigartigen Referenzprojekt setzt Leoben ab sofort auf digitale „Zwillinge“ aller 3.000 Bäume in der Innenstadt, die es ermöglichen, den städtischen Baumbestand online zu verwalten und ökologische Entwicklungen mittels Computersimulationen vorherzusehen.
Die Technologie dazu kommt von der Firma Greehill, die 2017 eigentlich als Forschungs- und Entwicklungsprojekt für den Vorstand der Nationalparks von Singapur entstanden ist, um dort das städtische Forstmanagement mittels Digitalisierung neu aufzustellen.
Baumdatenbank mittels Drohnen erstellen
Seitdem sind fünf Jahre vergangen und die Firma ist mittlerweile an zahlreichen weiteren Standorten weltweit vertreten. Neben Singapur nutzen auch die Stadtverwaltungen von Berlin, Leipzig, Budapest, Barcelona oder Lyon die Software – und jetzt auch Leoben.
Mithilfe von Drohnen, mobilen Laserscannern und hochsensiblen Kameras erstellt das Programm, aufbauend auf dem bereits vorhandenen Baumkataster, eine umfassende Datenbank, mit der sich jeder Baum und seine unmittelbare Umgebung direkt vom Schreibtisch aus analysieren lassen. Auf Knopfdruck können mit dem computergesteuerten 3D-Modell Gesundheits- und Sicherheitschecks sowie benutzerdefinierte Messungen durchgeführt oder Bäume nach wichtigen Kriterien gefiltert werden.
Kein Wunder, dass diese Technologie auch die Aufmerksamkeit anderer Gemeinden geweckt hat. Grund genug, um bei der Leobener Stadtverwaltung nachzufragen, wie sich die neue Software bewährt.
Alois Kieninger ist der Referatsleiter für den Bereich Friedhöfe und Grünflächen und somit auch für die Freiflächen wie Parkanlagen, Bäume, Kinderspielplätze, Rasenflächen, Blumenbeete usw. zuständig. Er ist es auch, der den Anstoß zum Einsatz der innovativen Erfassungsmethode gab. Ein Kollege aus dem Fach machte ihn auf eine Firma aufmerksam, die ein derartiges Erfassungssystem in Singapur entwickelt habe und es weltweit anwende.
„Daraufhin haben wir Kontakt mit der Firma Greehill aufgenommen. Es folgten mehrere Videogespräche, in denen uns das System vorgestellt wurde. Schließlich wurde es den Entscheidungsträgern vorgelegt, dann gab es die notwendigen Beschlüsse und jetzt sind wir am Arbeiten“, berichtet der Referatsleiter.
Baumbestand mittels Spezialfahrzeug gescannt
Auf die Frage, wie sich die Greehill-Software bewährt, kann Kieninger noch keine Antwort geben. So weit sei man nämlich noch gar nicht. Bislang hat der Auftragnehmer die Stadt hinsichtlich des Baumbestandes mit Spezialfahrzeugen gescannt. Das war entweder ein Raupenfahrzeug, das den lieblichen Namen „Ziesel“ trägt, oder ein Pkw, beide mit einer erhöhten Kamera auf dem Dach, ganz ähnlich jenen Fahrzeugen, die für Google Street View die Aufnahmen anfertigen.
„Zu diesem Zweck sind die Greehill-Mitarbeiter bei uns ungefähr 120 Kilometer Straße abgefahren und haben alle Anlagen, bei denen die Stadtgemeinde Eigentümer eines Grundstücks ist, sowie natürlich den öffentlichen Raum gescannt.“
Die Aufnahmen sind bereits abgeschlossen. Nun werden die Daten ausgewertet, miteinander vernetzt und auf diese Weise die „digitalen Zwillinge“ der Bäume erschaffen. Dieses Prozedere dauert circa zwei bis drei Monate.
Neue Software als Ergänzung zum Baumkataster-Programm
Kieninger rechnet im September mit den ersten Ergebnissen. Bislang arbeitet man bei der Stadtverwaltung in Leoben mit dem Baumkataster-Programm ProOffice und hat vor, das auch in Zukunft zu tun. Die Software von Greehill soll es nicht ersetzen, sondern ergänzen.
„Wir haben vor, beide Systeme miteinander zu verknüpfen. Das ist das Ziel. Ob das auch zu hundert Prozent so wird, wie wir uns das vorstellen, kann ich jetzt allerdings noch nicht sagen“, meint der zuständige Beamte.
Klar ist jedenfalls: „Mithilfe der neuen Software können wir faktisch vom Büroplatz aus durch die Stadt gehen und sehen unsere Bäume als Bilder“, erklärt Kieninger und streicht die Bedeutung der zahlreichen Parameter hervor, die das System erfassen bzw. berechnen kann. Nicht nur metrische Maße wie Größe, Dicke usw. werden dargestellt, sondern vor allem auch klimarelevante Aspekte. Z
um Beispiel, wie viel CO₂ ein Baum bindet, wo sich Hitzeinseln befinden oder um wie viel Grad ein Park mit Baumbestand das angrenzende Gebiet abkühlt. Der Temperatureinfluss wird ebenso ausgewertet wie der Luftfeuchtigkeitseinfluss, der Schattenwurf wird berechnet und noch einiges mehr.
Antworten auf finanzielle Fragen
Das virtuelle Modell ermöglicht auch eine monetäre Bewertung des Baumbestands und liefert Antworten auf finanzielle Fragen. Was ist ein Baum nach den Vorlagen der Ö-Normen wert? Wie viel Kosten und Maßnahmen für Kühlung spart man mit mehr Bäumen in der Stadt ein? Wo wäre es sinnvoll, mehr Bäume zu pflanzen? Mittels Simulationen, die mit diesem digitalen Bauminventarprogramm berechnet werden, können auch wertvolle Aussagen über eine umweltfreundliche und nachhaltige Stadtentwicklung getroffen werden.
„Wir können damit erkennen, wo Lücken sind oder wo man noch Bäume pflanzen könnte, um die Situation am effektivsten zu verbessern“, freut sich der Referatsleiter und stellt klar: „Unser Hauptaugenmerk liegt eindeutig darauf, diese klimarelevanten, monetären und stadtentwicklungsrelevanten Aspekte herausarbeiten zu können.“
Software ersetzt Mitarbeiter nicht
Einsparungen bei Arbeitszeit und -aufwand stehen nicht im Vordergrund und fallen in Leoben wohl auch nicht ins Gewicht, gibt Kieninger zu bedenken: „Wir sind eine Kleinstadt mit rund 26.000 Einwohnern. Unser Baumbestand ist in einer Größenordnung, bei der ich sage, ich kenne meine Schützlinge fast alle. Der ist nicht so groß wie in einer Großstadt, in der ich erst einmal eine Stunde Fahrzeit brauche, damit ich zu einem bestimmten Baum komme. Für Städte, die 80.000 oder 100.000 Bäume haben, ist das natürlich ein ganz anderer Ansatz. Für sie würden sich Einsparungen insofern ergeben, dass man die Stadt und den Baumbestand im Büro digital abfahren und von dort aus Entscheidungen treffen kann. Man müsste nicht mehr zu jedem Baum hinfahren.“
In Leoben wird man künftig aber auch mit Greehill-Software weiterhin zu den Bäumen hinausfahren. „Es wird auch danach nicht so sein, dass wir nur noch vor dem Bildschirm sitzen. Man wird immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die rausfahren und sich alles anschauen und eventuell noch einmal nachprüfen“, ist sich Kieninger sicher.
Handlungsbedarf leichter erkennen
„Ich erhoffe mir durch das neue System vielmehr einen Blick über die Stadt zu bekommen und schneller zu erkennen, wo Handlungsbedarf besteht, wo es sinnvoll wäre, Bäume zu setzen, zu ersetzen oder zu behandeln – ohne dass ich auch 120 Kilometer Straße abfahren und jeden Laufmeter gedanklich durchgehen muss.“
Kieninger wird in das System jederzeit Einsicht haben. Dank jährlicher Updates sollte der Stand immer aktuell sein. Bisher kam einmal im Jahr ein externer Gutachter, der die Bäume beurteilte und sagte, welche Maßnahmen notwendig seien. Daran möchte man auch weiterhin festhalten.
Zu den Kosten hält sich der Referatsleiter bedeckt: „Nachdem Leoben ein Referenzprojekt ist und wir die Ersten sind, kann ich nicht sagen, ob die Vorgehensweise eine übliche ist. Wir rechnen jedenfalls mit Greehill nach Pauschalen ab. Unser Vertrag läuft über die nächsten fünf Jahre. Der umfasst die webbasierten Anwendungen über die Cloud, die notwendigen Lizenzen, die Systemwartung sowie die Updates.“
Der derzeitige Fahrplan sieht vor, dass die Leobener, sofern keine Probleme auftreten, Ende September die Greehill-Software erstmalig benutzen können. Die Einschulung durch die Firma wird danach noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Daher lautet Kieningers Prognose: „Realistischerweise sollte am Ende des Jahres die Sache so funktionieren, wie wir uns das vorstellen.“