Umspannwerk
Unser Stromnetz ist seit rund sechs Jahren nicht mehr leistungsfähig genug und gehört dringendst ausgebaut.
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Wir haben ein Strom-Problem

12. Januar 2021
Die Energieversorgung in Österreich ist seit Jahren nur noch durch extrem teure Notmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Der technische Vorstandsdirektor der Austrian Power Grid, Gerhard Christiner, erklärt, wie es dazu kommen konnte und was dagegen getan werden muss.

Unser Energiesystem ist alles andere als zukunftsfit!“ Zu diesem dramatischen Schluss kommt einer, der es am besten wissen muss – der technische Vorstandsdirektor der Austrian Power Grid (kurz APG), Gerhard Christiner.

Welch absurden Praktiken in Österreichs Stromnetz angewandt werden müssen, erklärte er bei den Kommunalen Sommergesprächen 2020 in Bad Aussee. Eigentlich sprach Christiner über Versorgungssicherheit und über die prekäre Lage, in die die Corona-Krise das heimische Stromnetz gebracht hat. Doch schnell wurde allen Zuhörern klar, dass das Land ein viel größeres Problem hat, das schon lange vor Corona virulent wurde. 

Was ist unter Versorgungssicherheit in Bezug auf Strom zu verstehen? „In unserem Fall geben und nehmen“, sagt Christiner. „Geben, indem wir Strom in das System einspeisen, und nehmen, indem wir als Kunden, als Industrie oder als Gewerbe jederzeit in der Lage sind, den Strom auch zu beziehen.“

Das setzt allerdings einige Dinge voraus.

Erstens eine permanente  Balance zwischen Einspeisung und Entnahme, denn Strom kann im Netz nicht gespeichert werden. Dass der Strom ständig in Balance gehalten wird, und das mit der Qualität der 50 Hertz, ist essenziell für die Stromversorgung. „Das funktioniert in Österreich gut. Wir haben hier gute Systeme mit unseren Speicherkraftwerken. Hier sind wir auch in Europa ein Vorbild,“ konstatiert  Christiner. Damit hat es sich aber auch schon. 

Gerhard Christiner
Gerhard Christiner: „Wir sind in Österreich nicht in der Lage, Strom, der im Westen erzeugt wird, bedarfsgerecht in den Osten zu bringen."

Beim zweiten Aspekt sieht es schon ganz anders aus. „Die Transportfähigkeit des Stroms, sprich die ausreichenden Netzkapazitäten, um jederzeit den Strom, den wir produzieren, zu unseren Kunden zu bringen, gibt es in Österreich in der Form leider schon seit Jahren nicht mehr. Wir sind in Österreich nicht in der Lage, Strom, der im Westen erzeugt wird, bedarfsgerecht in den Osten zu bringen. Das hat sich vor fünf bis sechs Jahren aufgehört. Seitdem managen wir dieses System nur noch mit Notmaßnahmen, die sehr, sehr viel Geld kosten. Wir haben dafür in Summe bereits rund 500 Millionen Euro ausgegeben – nur für das Hochfahren und den Betrieb von Gaskraftwerken im Osten Österreichs, weil wir es nicht schaffen, die Netze zeitgerecht auszubauen. Wir schaffen es nicht, speziell den erneuerbaren Strom zu den Verbrauchern im Osten Österreichs zu bringen“, benennt Christiner die Misere klar und deutlich.

Sauberer Strom wäre genug vorhanden, kann aber nicht transportiert werden

Weil die Verbindungen zu schwach oder nicht vorhanden sind, werden kalorische Kraftwerke im Osten hochgefahren, obwohl genügend Strom aus sauberen, erneuerbaren Quellen produziert wird.

Wurde der heimische Strombedarf im Winter - also noch vor Corona - nur zu 46 Prozent mit eigenem Strom gedeckt, konnte im Juni erstmals der heimische Strombedarf zur Gänze aus heimischen, erneuerbaren Energieformen gedeckt werden - theoretisch! Praktisch nicht, denn der Strom war zwar da, aber die Netze waren und sind es nicht.

„Wir hatten den Strom, aber wir konnten ihn nicht verteilen. Die Wasserkraft wird im Westen produziert, aber wir bringen sie nicht in den Osten. Der Osten Österreichs ist chronisch unterversorgt, weil Städte wie Linz, Wien oder Graz in der Vergangenheit darauf ausgerichtet waren, primär mit thermischen Kraftwerken versorgt zu werden“, erklärt Christiner. „Allein bis Ende August beliefen sich die Kosten für die Gaskraftwerke auf knapp 100 Millionen Euro, obwohl wir genug erneuerbaren Strom gehabt hätten.“ 

Die VOEST braucht künftig mehr Strom

Künftig könnte die Lage noch grotesker werden. „Derzeit laufen Verhandlungen mit der VOEST Alpine – wegen der Dekarbonisierung des Standorts Linz. Die Hochöfen sollen durch Elektrostahlschmelzer ersetzt werden. Das bedeutet 200 MW mehr Leistung. Donawitz  und Infineon in Kärnten möchten auch wechseln. Alle brauchen mehr erneuerbaren Strom, denn sie wollen dekarbonisieren“, erklärt Christiner:

„Die VOEST ersucht uns dringendst sicherzustellen dass wir die Anspeisung von Linz auf neue Beine stellen. Bis spätestens 2026, denn dann brauchen sie den Strom, und das wollen sie von uns zugesichert haben, da sie im kommenden Jahr die Entscheidung treffen müssen“, so Christiner. „Aber wie kann ich etwas zusichern, wenn ich weiß, dass UVP-Verfahren bei uns vier, fünf oder gar sechs Jahre dauern, man bis zum Höchstgericht kommt und nie Sicherheit haben kann?“, beschreibt Christiner das Dilemma.  

APG Übertragungsnetz
Das Stromnetz in Österreich hat massive Schwächen, speziell in der Verteilungskapazität zwischen West und Ost. Das größte Problem ist die immer noch nicht fertiggestellte 380-kV-Leitung in Salzburg. 

Das Fehlen der Salzburg-Leitung ist ein Problem

„Das größte Problem ist, dass wir immer noch nicht die Salzburg-Leitung haben. Wir kommen bei der Energiewende in eine Sackgasse, wenn wir es nicht schaffen, das System ganzheitlich zu betrachten und zu entwickeln. Auch beim Import bleiben wir hier stecken, weil der Großteil des Imports über den Westen Österreichs, über Tirol und Vorarlberg kommt und erst dann Richtung Osten geht, da wir dort keine starken Verbindungen nach Deutschland haben. Wir müssen die Netze massiv verstärken, und dazu braucht es im gesamten System einen Architekturwandel“, warnt Christiner, „Es fehlt an vielen Stellen und zukunftsfit werden wir nur, wenn wir das gesamte Netz systemisch weiterentwickeln.“ Es wäre allerhöchste Zeit dafür.