Am Podium: SeneCura-Chef Anton Kellner, Ulrike Famira-Mühlberger (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung), Thomas Plötzeneder (DDWS Corporate Advisors) und Gemeindebund-Chef Alfred Riedl.
© Christian Dusek

Wie können Gemeinden die Herausforderungen der Pflege bewältigen?

28. Februar 2020
Auf Einladung des Österreichischen Gemeindebundes und des größten privaten heimischen Pflegeheimbetreibers SeneCura diskutierten rund 50 Gemeindevertreterinnen und -vertreter die aktuelle Situation der Pflege auf der kommunalen Ebene.

Eine Ende 2019 durchgeführte Online-Umfrage des Gemeindeportals Kommunalnet, an der mehr als ein Viertel aller Gemeinden teilgenommen hat, belegte nicht nur die große Bedeutung des Themas Pflege für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Sie zeigte auch, dass die Hälfte der österreichischen Gemeinden die Organisation der Pflege in ihrer Gemeinde derzeit als herausfordernd empfindet.

67 Prozent der Gemeinden gaben im Rahmen der Umfrage an, dass aus ihrer Sicht beim Thema Pflege-Organisation und -Finanzierung bisher nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der kommunalen Ebene Rücksicht genommen wurde.

„Die Organisation der Pflege ist für die Gemeinden nicht nur eine organisatorische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Als Bürgermeister sind wir auch beim Thema Pflege und Betreuung für unsere Bürgerinnen und Bürger die wichtigsten und oft ersten Ansprechpartner“, kommentiert Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl die Stimmungslage in den Kommunen.

Reform-Dialog des Sozialministers involviert auch die Gemeinden

Auf die damals formulierte Forderung, dass die Gemeinden in die Verhandlungen über die dringend notwendige Pflege-Reform einzubinden sind, hat der nun zuständige Bundesminister Rudolf Anschober mit dem Start eines breiten Reformdialogs reagiert.

Für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Situation und den Bedürfnissen der kommunalen Ebene wurde das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) mit einer Studie beauftragt, die derzeit in Arbeit ist. Dessen stellvertretende Leiterin, die Pflege-Expertin Ulrike Famira-Mühlberger, bekräftigte im Rahmen des Bürgermeister Round Tables: „Es besteht dringender Reformbedarf, denn die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen steigt zum einen aufgrund der Demografie, aber auch weil die informelle Pflege innerhalb der Familien noch weiter zurückgehen wird. Hier verschieben sich die Generationen auch langsam durch die immer spätere Familiengründung – die Kinder der heute pflegebedürftigen Menschen stehen zumeist noch voll im Erwerbsleben und haben oft selbst noch Kinder zu versorgen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist auch zu erwarten, dass die stationäre Pflege noch weiter an Bedeutung gewinnt, auch wenn die Politik ihre Hoffnungen sehr stark auf mobile Modelle setzt. Die Pflege zu Hause ist aber oft nicht die beste Lösung für die Betroffenen und deren Familien.“

Stationäre Pflegeeinrichtungen wichtigste Auskunftsstellen zu Pflegefragen

Dass Pflegeheime schon heute eine ganz wesentliche Experten-Funktion in den Gemeinden haben, bestätigte die Bürgermeister-Umfrage eindrucksvoll:

Für 42 Prozent jener Gemeinden, in denen es stationäre Pflegeeinrichtungen gibt, sind diese die zentralen Ansprechpartner in Pflege-Fragen. Deutlich dahinter folgen das Gemeinde- und Sozialamt (24 %), Hilfsorganisationen (13 %) und Bezirkshauptmannschaft bzw. Landesregierung (12 %) sowie der Gemeindearzt (9 %). 

Falsches Bild von der Lebensführung im Pflegeheim 

Mit dem Wohnen im Alter und den damit verbundenen Wünschen und Vorstellungen der Österreicherinnen und Österreicher hat sich Prof. Franz Kolland, Soziologe und Gerontologe der Universität Wien, intensiv auseinandergesetzt.

Im Rahmen des Bürgermeister Round Table gab er den Gemeindevertretern spannende Einblicke in seine Forschungsergebnisse mit auf den Weg: „Unsere Erhebungen zeigen, dass die älteren Menschen oft zu lange an ihrer gewohnten Umgebung festhalten und erst sehr spät, wenn sie schon starke Einschränkungen ihrer Lebensqualität spüren, bereit sind, sich mit einer Umstellung ihrer Wohnsituation zu befassen. Dabei herrscht ein überholtes Bild von stationären Pflegeeinrichtungen vor, insbesondere was die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung der Lebensführung dort betrifft. Ganz im Gegensatz zu den geäußerten Vorstellungen ist die Autonomie für ältere Menschen in einem Pflegeheim größer als in ihrer herkömmlichen Wohnsituation – weil die nicht auf ihren Bedarf angepasst, also zum Beispiel nicht barrierefrei, ist.“