Wolfgang Ainetter
Wolfgang Ainetter: „Es ist besser, einen Kanal mit vollem Herzblut zu machen als fünf Kanäle halbherzig.“

Dos und don'ts

„Wer Social Media ignoriert, existiert nicht“

Der Medienexperte Wolfgang Ainetter hat den deutschen Verkehrsminister und die Deutsche Bahn fit für die sozialen Medien gemacht. Im Gespräch verrät er, warum Gemeinden am Thema nicht vorbeikommen und wie sie auch mit einfachen Mitteln einen guten Auftritt hinlegen.

Warum müssen sich Behörden und Gemeinden Social Media „antun“?

Ein großer Teil der Österreicherinnen und Österreicher informiert sich ausschließlich über Social Media. In der jüngeren Zielgruppe hat fast niemand mehr Lust auf bedrucktes Papier oder lineares Fernsehen.

Die unter 40-Jährigen erreichen wir nicht mehr über die klassischen Medien, sondern nur noch über „X“ (ehemals Twitter), Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube.

Wenn Behörden erfolgreich mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren wollen, müssen sie den Medienwandel begreifen. Wer auf Social Media nicht präsent ist, ist für Millionen Menschen nicht existent. Ohne die digitalen Plattformen verlieren die Behörden den Kontakt zu ihren Bürgern.
 
Was unterscheidet Social Media für Behörden von normalen Accounts?

Im Unterschied zu Firmen-Accounts, wo es schlussendlich immer um das Verkaufen von Produkten geht, beschäftigt Social Media-Profis in Behörden zuallererst die Frage: Mit welchen Inhalten kann ich den Bürgern das Leben ein kleines bisschen besser machen? Vielleicht mit einem konkreten Tipp, dass man sein Kfz-Wunschkennzeichen nun endlich auch online reservieren kann. Oder sie empfehlen eine Behörden-App, mit der man Störungen unbürokratisch ans Ordnungsamt melden kann.

Bürgerinnen und Bürger schätzen es auch, wenn sie nicht stundenlang in Warteschleifen hängen, sondern Informationen ganz einfach per Direct Message einholen können. Konkrete Hilfs- und Service-Angebote sind für die Community am wertvollsten. Social Media-Accounts von Behörden sind im Idealfall bester Bürgerservice.

Darüber hinaus sind Ämter in Krisenzeiten die verlässlichste und glaubwürdigste Quelle für Informationen. Bei einem Terroranschlag, einem Zugunglück, einer Naturkatastrophe oder einer Pandemie informieren sich die Menschen in erster Linie über Social Media. Umso wichtiger ist es, dass Behörden in solchen Fällen in Echtzeit informieren.
 
Welche Kanäle sollen Behörden / Gemeinden bespielen?

Bevor Behörden auf Social Media loslegen, braucht es eine Social Media-Analyse: Auf welchen sozialen Netzwerken ist meine Zielgruppe zu finden? Wer bin ich – und wenn ja, wie viele Kanäle? Ich sehe oft, dass Behörden auf fünf sozialen Netzwerken vertreten sind, aber nirgendwo richtig glänzen. Ich sage dann: Es ist besser, einen Kanal mit vollem Herzblut zu machen als fünf Kanäle halbherzig.
 
Wie groß ist der Zeitaufwand, den mein Amt einplanen muss?

Social Media ist aufwendiger als viele denken. Häufig erzählen mir Behördenmitarbeiter: „Unsere Chefs möchten, dass wir Social Media machen – zusätzlich zu unseren anderen Aufgaben. Aber wir haben jetzt schon so viel zu tun, dass wir das nicht mehr schaffen.“
Fakt ist: Social Media ist echte und harte Kommunikationsarbeit – und keine Freizeitbeschäftigung nach dem Motto „Das bisschen Twittern und Posten …“ 

Der Job des Social Media-Managers ist vergleichbar mit dem des Pressesprechers – qualitativ und zeitlich. Aus diesem Grund empfehle ich: Eine Behörde braucht gleich viele Social Media-Manager wie Pressesprecher.
 
Ist Social Media ein Fulltime-Job oder nebenbei möglich?

Das kommt auf die Größe der Behörde und die Themen an. Prinzipiell ist Social Media ein Fulltime-Job. Social Media kann man nicht kurz nebenbei erledigen. Ich kenne Social Media-Verantwortliche, bei denen das Thema in der Stellenbeschreibung allen Ernstes mit 10 oder 20 Prozent der Arbeitszeit veranschlagt ist – bei einer einzigen Person wohlgemerkt. Das kann nicht funktionieren.
 
Wer ist wichtiger, der Pressesprecher oder der Social Media-Verantwortliche?

Ich würde sagen: Beide sind gleich wichtig. Leider erlebe ich häufig, dass Pressesprecher in analog geführten Behörden ein höheres Ansehen genießen und Social Media-Manager als Zweite-Klasse-Kommunikatoren behandelt werden. Das ist total retro!
 
Katzenfotos oder Sachthemen? Was sind gute Inhalte?

Es braucht eine gute Mischung aus Sachthemen und Unterhaltung. Es ist eine kleine kommunikative Kunst, trockene Behördenthemen spannend zu erzählen.

Vor jedem Post sollte man sich die Frage stellen: Ist dieses Thema für meine Zielgruppe relevant beziehungsweise interessant? Erst wenn Sie rausgefunden haben, warum Sie eigentlich in den sozialen Medien sind und wen Sie dort ansprechen möchten, sollten Sie sich mit den Inhalten beschäftigen. Auf Social Media ist man nur dann erfolgreich, wenn man seine Zielgruppe genau kennt.
 
Inhaltsplanung oder dem Instinkt folgen?

Ich habe gesehen, wie einigen Behörden schnell die Themen ausgehen, wenn sie keinen Redaktionsplan haben. Darum finde ich einen Redaktionsplan wichtig. Aber jeder gute Social Media-Manager folgt auch seinem Instinkt oder seinem journalistischen Gespür.

Was ist das Neuigkeitenzimmer und wie funktioniert es? 

Das Neuigkeitenzimmer war der erste Newsroom in einem deutschen Bundesministerium. Ich habe das Neuigkeitenzimmer vor fünf Jahren gegründet. Im Neuigkeitenzimmer des Bundesverkehrsministeriums arbeiteten sechs Pressesprecher, zwei Newsroom-Manager, ein Foto- und Videoprofi, eine Grafikerin, drei Kanal-Manager und ein Website-Verantwortlicher. Das Team musste täglich bis zu 200 Presseanfragen beantworten und pro Woche auf mehr als 1.500 Kommentare in den sozialen Medien reagieren. Ohne das Newsroom-Prinzip wäre die Fülle der Aufgaben nicht zu bewältigen gewesen.

Neuigkeitenzimmer
Der damalige Regierungssprecher (und heutige Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel) Steffen Seibert zu Besuch im Neuigkeitenzimmer, dem ersten Newsroom in einem deutschen Bundesministerium.

 
Mein Chef betreut seine Social Media Accounts super. Brauch ich da als Amt einen eigenen Account?

Ich finde es großartig, wenn Chefs in sozialen Medien sichtbar sind. Ihr Glanz färbt oft auf das eigene Amt ab. Aber was ist, wenn sich die Chefs eines Tages verabschieden? Dann nehmen sie die gesamte Reichweite mit, und die Behörden stehen leer da. Darum ist es wichtig, dass Ämter zusätzlich eigene Accounts haben.
 
Muss ich alles selber machen, oder soll ich mir Hilfe holen?

Wenn eine Behörde mit Social Media startet, finde ich am Anfang Hilfe von außen (beispielsweise von einer Agentur) sinnvoll. Auf lange Sicht empfehle ich Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Meist ist es nämlich günstiger, wenn eine Behörde einen Videoprofi und einen Grafiker anstellt, anstatt teure Agenturen mit Videos und Grafiken zu beauftragen. 

Zur Person

Wolfgang Ainetter, ehemaliger Chefredakteur des Nachrichtenmagazins News und der Tageszeitung Heute war auch Leiter der Regionalausgaben der Bildzeitung beim Axel Springer Verlag. 

Nach einem Studienaufenthalt im Silicon Valley wechselte der Vollblut-Printjournalist die Seiten und baute die Medienabteilung des deutschen Verkehrsministeriums auf. Wolfgang Ainetter ist Social Media Experte der Deutschen Bahn und veröffentlichte mit seiner Lebensgefährtin Christiane Germann das Buch „Social Media für Behörden“.

Der Beitrag erschien in der NÖ Gemeinde 9/2023.