Freiheit ist im Wandel begriffen und muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Was ist die Freiheit, die wir meinen?

Was da alles schon hineininterpretiert wurde und wird, wer aller das Wort Freiheit für seine Zwecke benutzt hat, ist fast schon abenteuerlich. Die Antwort darauf kann zuerst nur eine persönliche sein. Das macht es auch so schwierig, für die Gesellschaft allgemeingültige Antworten auf die Frage zu geben, wie weit die persönliche Freiheit – in Zeiten einer Pandemie überhaupt – gehen darf und kann. Die Tatsache, dass gerade Bürgermeisterinnen und Bürgermeister immer wieder mit neuen Auslegungen des Begriffs Freiheit konfrontiert werden, haben wir zum Anlass genommen, uns mit dem Thema eingehender zu befassen und vielleicht die eine oder andere Antwort geben zu können. Oder veraltete Blickwinkel aufzuzeigen und neue anbieten zu können.

Vorweg: Es gibt eine fast unübersehbare Zahl von Definitionen und Auffassungen von allen möglichen Varianten von Freiheit. Unter Freiheit wird in der Regel die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können, sie beschreibt – so die Definition auf Wikipedia – „einen Zustand der Autonomie eines Subjekts. Dieser philosophische Freiheits­begriff befindet sich nicht nur ständig in Diskussion und damit in einem permanenten Wandel, sondern umfasst gleichzeitig psychologische, soziale, kulturelle, religiöse, politische und rechtliche Dimensionen und gehört damit zu den zentralen Begriffen der menschlichen Ideengeschichte.“

In unserer Rechtstradition kann das mit Handlungsfreiheit umschrieben werden. Aber: Diese Handlungsfreiheit kann von inneren wie psychischen Umständen oder äußeren wie Zwang durch andere beschränkt oder aufgehoben werden.

Positive und negative Freiheit

In mehrfacher Hinsicht wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit. Unterscheidungen dazu finden sich etwa bei Aristoteles, Thomas Hobbes und Immanuel Kant. Hauptanliegen ist die politische Selbstbestimmung sowie der Schutz des Individuums und die Freiheit des Wirtschaftshandelns. Negative Freiheit bezeichnet einen Zustand, in dem keine von der Regierung, der Gesellschaft oder anderen Menschen ausgehenden Zwänge ein Verhalten erschweren oder verhindern. Positive Freiheit meint im Weitesten Selbstverwirklichung, insbesondere der demokratischen Selbstregierung einer Gemeinschaft.

Im Zentrum der Hegelschen Philosophie wiederum steht ein philosophisches Narrativ der Freiheit. Der Freiheitsgedanke ist dabei nicht auf die Handlungsfreiheit des Subjekts oder dessen Möglichkeit des unbeschränkten Konsums zu reduzieren, „vielmehr besteht er darin, selbstbestimmt allgemein gültige Handlungen zu setzen und Teil eines umfassenden kreativen Prozesses zu werden, der (…) entsprechende politische und ökonomische Rahmenbedingungen erfordert. Hegel war der Auffassung, dass Freiheit mit einem individuellen und kollektiven Selbsterkenntnisprozess einhergeht, dabei aber nicht auf die menschliche Sphäre reduziert werden kann, sondern sich bereits in biologischen und physikalischen Abläufen manifestiert, was eine holistische Weltsicht erfordert.“ (medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/hegel-denker-der-freiheit). Aber schränken wir diese überwältigende Bandbreite zumindest etwas ein.

Die vier Arten von Freiheit

Gerd Habermann, Vorsitzender der deutschen Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft, beschreibt vier Arten von Freiheit (www.ludwig-erhard.de/orientierungen/ueber-vier-typen-von-freiheit/):

  • Mit der individuellen Freiheit (Typ 1) soll im Sinne von klassisch-liberalen Autoren von John Locke bis zu Friedrich August von Hayek die Freiheit als individuelle Handlungsfreiheit verstanden werden, als Freisein vom willkürlichen Herumkommandiert werden durch andere Menschen, wie es das Schicksal eines Sklaven, eines Angebundenen oder Eingesperrten ist. Der freie Mensch dient seinen eigenen Zwecken, ist nicht nur Mittel für die Ziele anderer, auch wenn er sich für andere – seine Familie, Freunde, Landsleute – einsetzen, ja aufopfern mag. Dies ist der Königsbegriff der Freiheit, jener, auf den es einem Liberalen vor allem ankommt.

     
  • Ein weiterer Freiheitstyp (Typ 2) ist die politische Freiheit, also der kollektive Freiheitsbegriff im Sinne politischer Teilhabe an den gemeinsamen Angelegenheiten, den „öffentlichen Gütern“: die Freiheit der Demokratie. Diese Freiheit drückt sich in Volksinitiativen, in Wahlen und Abstimmungen aus. Das Volk hat hier das letzte Wort.

     
  • Als ein dritter Freiheitstyp gilt die politische Freiheit eines Gemeinwesens nach außen. Das Gegenteil ist hier die Fremdherrschaft, die sich tyrannisch auch nach innen auswirken kann. Habermann führt hier die Herrschaft Napoleons, die der Sowjetunion über die DDR oder auch die mildere Herrschaft der Westalliierten über Westdeutschland an. 

    Heute ist sie durch freiwillige, übernationale Bindungen (vor allem Europäische Union, NATO) eingeschränkt. Dieser Typ 3 kann sich mit Unfreiheit nach innen (Typ 1 wie Typ 2) verbinden, wenn private Rechte eingeschränkt und demokratische Teilhaberechte beseitigt sind.

     
  • Der vierte und letzte Freiheitsbegriff ist der in einem Wohlfahrtsstaat populärste, denn die obschon stark reduzierte Freiheit vom Typ 1 oder 2 hält man für selbstverständlich. „Freiheit“ sollte hier in Anführungszeichen stehen: Es ist die „Freiheit von Not“, die positive Freiheit nach Isaiah Berlin – nicht als Ergebnis persönlicher Anstrengungen, denn das wäre unbedenklich –, sondern durch Rechtsanspruch auf Staatsleistungen. Hier werden Staatsmacht und Staatsorganisation maximiert, um die Bürger vor allen Arten von persönlicher materieller Not zu bewahren, Leiden und persönliche Anstrengung zu minimieren und solchergestalt das Glück an die Kandare zu nehmen und die für den weniger Glücklichen oder Erfolgreichen immer peinliche Ungleichheit der Lebenslagen zu nivellieren. Man spricht auch von „materialer Freiheit“ im Unterschied zu der „bloß formalen“ der Liberalen.

Spätestens jetzt werden die Ersten aufschreien. Eine „Unfreiheit nach innen“, wo private Rechte eingeschränkt sind, könnte durchaus für die Zeiten einer Pandemie angeführt werden. Auch die Formulierung beim vierten Typ, wonach „Staatsmacht und Staatsorganisation maximiert (werden), um die Bürger vor allen Arten von persönlicher materieller Not zu bewahren“, geht in diese Richtung. Es bringt uns aber – abgesehen davon, dass es noch weitere Begriffe zu diskutieren gäbe – schon näher zur eigentlichen Fragestellung.

Persönliche Freiheit

Wie weit geht die persönliche Freiheit in Zeiten einer Pandemie? Oder: Was bedeutet persönliche Freiheit?

Ursula Kastner hat darüber für die „Salzburger Nachrichten“ (www.sn.at/panorama/wissen/was-bedeutet-persoenliche-freiheit-91995202) ein aufschlussreiches Interview mit dem Soziologen und Altersforscher Franz Kolland geführt.

Abgesehen davon, dass Kolland meint, über den Begriff Freiheit müsse wieder mehr diskutiert werden, kommt er in dem Gespräch zu dem Schluss, dass auch „wenn uns so manche Einschränkung wehtut, wir nicht vergessen sollten, dass es auch vor dem 13. März 2020 keine Willkürfreiheit gegeben hat. Bei der Klage über Freiheitsbeschränkungen sollten wir zudem an die Geschichte zwischen Leibeigenschaft und dem freien Heute denken. Wir haben jene Freiheit, die wir uns im Laufe von Jahrhunderten ausgehandelt haben. Der Standard heute ist so hoch wie noch nie in der Geschichte. Es haben sich nur Dinge in Gang gesetzt, die ungewohnt sind und mit denen wir umgehen lernen müssen.“

Er meint, dass „Freiheit ein immerwährender Aushandlungsprozess ist. Und immer leben wir in vergesellschafteter Form. Persönliche Freiheit ist immer limitiert. Sobald ich in den sozialen Raum gehe, ist die Freiheit ein Wechselspiel mit der Freiheit des anderen.“

Franz Kolland
Franz Kolland, Soziologe und Altersforscher: „Wenn wir täglich nur noch darüber reden, ob wir die Maske auf- oder absetzen sollen und wann wir testen lassen müssen, werden wir uns verzetteln.“

Persönliche Freiheit ist also limitiert. Und in der Tat empfinden viele Menschen die Einschränkungen nach fast einem Jahr gelinde gesagt als anstrengend. Auch wird über nichts anderes mehr gesprochen als Corona – und dass es keine fixen Termine gibt, wann es wieder besser wird oder die Einschränkungen aufhören, macht müde und überdrüssig. Und es führt dazu, dass sich die Leute Ventile suchen oder gesetzte Maßnahmen schlussendlich einfach ignorieren. Dennoch, so Kolland, ergäben Studien, „dass es eine hohe Akzeptanz und Zustimmung zu allen Maßnahmen gibt“. Er sieht auch sehr viel Vernunft und Solidarität. Es ist ein Lernprozess, der dauert. Im Fokus sollte stehen, dass Einschränkungen am Ende zum Wohl aller sind. „Medizinisch, sozial und wirtschaftlich“, so Kolland.

Unser Freiheitsbegriff ist im Wandel begriffen

Ein Ansatz, der im Grunde auf der Hand liegt. Was für unsere Väter und Mütter Freiheit war, hat sich für uns verändert und ändert sich gerade für unsere Kinder. Kolland bringt das in einem Beispiel auf den Punkt. „Es hat eine Zeit gegeben, in der es selbstverständlich war, im Bus einem älteren Menschen den Sitzplatz anzubieten. Heute ist das nicht mehr so eindeutig, denn ein Mensch will vielleicht gar kein solches Angebot, nur weil er graue Haare hat. Man wird es also jeweils in einer bestimmten Situation persönlich aushandeln müssen. Wenn die Pandemie länger dauert, werden wir wahrscheinlich einige Normen anpassen.“

Dazu ist unsere schnelllebige Welt stark ichbezogen, wo das Individuum alles ist und die Gemeinschaft (die Gesellschaft) in den Hintergrund rückt. Auch deswegen werden die Einschränkungen als so besonders heftig erlebt – auch wenn es eine hohe Bereitschaft gibt, die Veränderungen zu akzeptieren. Kolland: „Das ändert sich vielleicht, je länger die Pandemie dauert und weil es Kurvenverläufe gibt. Niemand kann zudem vorhersagen, wann es ein Ende gibt. Wir werden also so etwas wie eine Karotte vor unserer Nase brauchen, um durchzuhalten. Eine solche Karotte könnte der Solidaritätsaspekt sein, der Zusammenhalt der Gesellschaft. Ich halte nichts davon, spezielle Gruppen herauszugreifen, um sie zu schützen. Wir könnten sehen, dass eine Gesellschaft besser lebt, wenn sich die Bereitschaft zur Fürsorge und Sorge um andere etabliert. Solidarität im Alltag zu leben ist allerdings nicht so einfach, das gebe ich zu. Regeln um der gesamten Gesellschaft willen einzuhalten, auch wenn es für den Einzelnen nicht unmittelbar etwas bringt, das ist eine Herausforderung.“

Was ist unser Gesellschaftsvertrag?

Und da wir mit unserer Pluralität und Diversität im Moment jedenfalls anstehen, müssen wir uns Fragen stellen, denen wir uns lange nicht gestellt haben. Was ist unser Gesellschaftsvertrag? Wie muss er jetzt aussehen? Das hat ja nicht nur mit der Pandemie zu tun. Es geht auch um andere Themen wie etwa den Klimawandel oder das Wirtschaften. Wenn wir täglich nur noch darüber reden, ob wir die Maske auf- oder absetzen sollen und wann wir testen lassen müssen, werden wir uns verzetteln, so Kolland. Es geht jetzt um wesentlich mehr.

Wie viel Freiraum kann jemand in einer Gesellschaft haben?

Der Biologe und Philosoph Andreas Weber, Teilnehmer des „Freiraum Festivals“ des Goethe-Instituts, schreibt in einem Beitrag mit dem Titel „Freiheit unter dem Regime von Corona“ über die Frage, wie viel Freiraum Einzelne in einer Gemeinschaft haben können (www.goethe.de/ins/be/de/kul/mag/22028811.html):

„Nicht wenige Progressive mögen die Pandemie als Störung ihrer politischen Agenda wahrnehmen. Wer sich für Gleichstellung engagierte oder für die Rettung des Klimas kämpfte, hat mit sich nun wieder verschärfenden sozialen Einschränkungen zu kämpfen. Die Aktualität der Corona-Folgen stellt alle anderen Missstände in den Schatten. Doch das Virus ist nur scheinbar eine Ablenkung von den wichtigen Themen unserer Zeit. Es ist im Gegenteil eine unvergleichliche Fokussierung unserer drängendsten Probleme. 

Corona bringt das zum Sprechen, was trotz zahlloser Mobilisierungen stets stumm geblieben ist. Das Virus ist das Freiheitsthema, mit dem sich unsere Gesellschaften abquälen, aber es ist es nicht als Theorie, sondern als Geschehen in der Welt. Corona stellt die Frage, wie viel Freiraum Einzelne in einer Gemeinschaft haben können und wie viel sie haben dürfen. Es stellt diese, als ein Agent des Lebens, nicht im Diskurs, sondern durch die Fakten, die es schafft. Am deutlichsten wird das, wenn wir uns vor Augen führen, dass ein schwer kranker Covid-Patient, der mit Sauerstoff am Leben gehalten werden muss, dasselbe ausdrückt wie George Floyd 2020 und Eric Garner 2014 und noch eine Reihe anderer von der US-Polizei im Würgegriff getöteter Afroamerikaner: ‚I can’t breathe.‘“

Andreas Weber
Andreas Weber, Biologe und Philosoph: „Das Virus ist das Freiheitsthema, mit dem sich unsere Gesellschaften abquälen.“

In weiterer Folge verknüpft Weber die Frage nach der Freiheit des Einzelnen mit anderen brennenden Themen der heutigen Zeit: der teils verheerenden ökologischen Situation der Weltmeere, des Drucks, dem die Urwälder ausgesetzt sind, und dem Klimawandel, der unleugbar immer mehr spürbar wird. Er kommt zu dem Schluss, dass „Corona kein Ereignis ist, das sich einer politischen Argumentationslinie zuschlagen lässt. Es ist ein Zivilisationsthema.“

Und was ist nun mit der „Freiheit, die ich meine?“

Hier schließt sich der Kreis zu dem eingangs Gesagten. Es gibt nicht die eine Freiheit – Freiheit ist im Wandel begriffen und muss immer wieder neu ausgehandelt werden.

Eines darf auch nicht vergessen werden: Freiheit bringt auch Pflichten mit sich! Anders gesagt und provokanter formuliert: Ich muss mir meine Freiheit verdienen. Nicht, indem ich jetzt gehorsam Regeln befolge, sondern indem ich mich selbst zurücknehme, wenn sich andere von meiner Freiheit bedroht fühlen. Wie das im täglichen Leben funktionieren kann, wird immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden müssen. Ein paar Grundsätze werden gelten müssen:

  • Die persönliche Freiheit (auch ohne Pandemie) muss dort enden, wo sie andere Menschen gefährdet oder einschränkt – das ist ein Punkt, der die „Königsdisziplin der Freiheitsbegriffe“, die „Freiheit Nummer 1“, betrifft. Die Freiheit, in Zeiten einer Pandemie auf ein Fest zu gehen oder ohne Schutzmaßnahmen in die Straßenbahn zu steigen oder sich am Lift anzustellen, sollte damit eingeschränkt werden – am besten, indem man weitgehend auf diese Dinge verzichtet.

    Diejenigen aber, die sich entscheiden, das nicht zu tun, werden mit den Konsequenzen ihres Handelns leben müssen. Sei es nun, dass sie, wenn sie gegen geltende Regeln verstoßen, eine Art Strafe akzeptieren müssen oder – und vermutlich schlimmer – damit leben müssen, dass ihr Handeln vielleicht jemand anderen das Leben kosten kann.

     
  • In unserer liberalen Gesellschaft haben wir dem Staat die Aufgabe übertragen, mit geeigneten Mitteln für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zu sorgen. Das kann durchaus mit Einschränkungen einhergehen. Überdies sollten wir in herausfordernden Zeiten das große Ganze im Auge haben. Wohlgemerkt „in herausfordernden Zeiten“. Sind diese vorbei, hat sich der Staat zurückzunehmen – und tut er das nicht, muss die Gesellschaft dagegen aufbegehren.

     
  • Die Freiheit der Gedanken und die Möglichkeit, diese auch auszudrücken, sollten immer gegeben sein. Also müssen auch Demonstrationen und Diskussionen möglich sein, unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen wie – im Fall der Corona-Pandemie – Abstand zu halten, Desinfektionsmöglichkeiten bereitzustellen und die Maske zu tragen. Auch wenn das keiner mehr hören kann. 

    Und will das jemand in den sozialen Medien machen, ist diese Möglichkeit auch gegeben. Aber: Keinesfalls bedeutet die Freiheit der Gedanken, jemanden verbal bedrohen zu dürfen oder zu versuchen ihn oder sie einzuschüchtern. Körperlich sowieso nicht.

     
  • Die Freiheit Nummer 4, die „Freiheit von Not“, bleibt immer unangetastet, der Staat hat sein Möglichstes dazu beizutragen, diese Freiheit umzusetzen oder zu schützen. Dass der Staat – hier vereinfacht die Summe der Steuerzahler – nicht jeden Betrieb am Leben erhalten wird können, muss aber auch klar sein. Wie jeder und jede Einzelne einen Teil zur Lösung beitragen muss, so wird das auch für die Wirtschaft gelten. Ein so engmaschiges Sicherheitsnetz, dass nichts und niemand wird durchfallen können, wird es nur schwer geben können, auch wenn wir es versuchen müssen. Die Gesellschaft – und damit auch der Staat – sollte zusehen, dass dieses Netz so weit wie möglich gespannt ist.

     
  • Bewegungsfreiheit ist ebenfalls ein hohes Gut. Trägt diese Bewegungsfreiheit aber dazu bei, dass Gefährdungen wie ein Virus mit allen seinen Mutationen (und ein Virus mutiert immer!) verbreitet werden, muss sie – im besten Fall aus eigenem Antrieb – eingeschränkt werden oder zumindest Regeln unterliegen. In Zeiten einer Pandemie auf Happenings oder in ein Restaurant zu gehen, müsste demnach nicht verboten sein, würde sich jeder und jede an gewisse Regeln (und die sind sattsam bekannt) halten.

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen – und ist auch gar nicht möglich –, alle Aspekte aufzuzählen oder zu behandeln. Aber eine Antwort auf die Frage, was die Freiheit ist, die wir meinen, kann ich geben. Wir müssen sie immer wieder neu diskutieren und immer neu aushandeln. Und wie Hannah Arendt (politische Theoretikerin und Publizistin, geboren 1906 in Hannover, gestorben 1975 in New York City) in ihrem Werk „Vita activa“ sagt: „Jeder, der neu in diese Welt geboren wird, besitzt die Potenz, wiederum einen Anfang zu machen.“ 

„Freiheit, die ich meine“

Selten spiegelt ein Titel die Zerrissenheit der Gesellschaft zum Thema „Freiheit“ oder erweitert „persönliche Freiheit“ wider wie diese fünf Wörter. 

„Freiheit, die ich meine“ ist der Titel eines politischen Gedichts von Max von Schenkendorf. Er lebte von 1783 bis 1817 und war einer der bedeutendsten Dichter der Befreiungskriege Europas gegen Napoleon. In diesem Kontext sind sowohl der Titel als auch das Gedicht zu sehen. 

Max von Schenkendorf
Max von Schenkendorf schrieb das Gedicht „Freiheit, die ich meine“.

Während das Lied in der Restaurationsära des Biedermeier vor allem idealistisch-innerlich verstanden wurde – „gehalten und innig“ lautet die Vortragsangabe zum Erstdruck der Melodie 1825 –, stand es im späteren 19. und im 20. Jahrhundert unter nationalen Vorzeichen und wurde den „Vaterlands-, Helden-, Kriegs- und Siegesliedern“ zugeordnet, wie im Internet (Wikipedia) einfach zu recherchieren und nachzulesen ist.

Im Zentralblatt der preußischen Regierung von 1912 zum Beispiel wurde das Lied für den Schulunterricht in Preußen für die siebte und achte Klasse empfohlen. Eine christliche Kontrafaktur des ursprünglichen Gedichttexts stammt von dem Pädagogen Christian Heinrich Zeller (1779–1860). Sie wurde ab 1892 in der Liedersammlung „Reichs-Lieder“ der evangelischen Gemeinschaftsbewegung millionenfach verbreitet. 

Max Kegel (1850–1902, ein deutscher Sozialdemokrat und Dichter) veröffentlichte 1891 in seinem „Sozialdemokratischen Liederbuch“ eine veränderte Fassung des Lieds, ohne die vierte und sechste Strophe. Religiöse Formulierungen in den verbliebenen Strophen ersetzte er.

Kurz vor und während der Zeit des Nationalsozialismus wurde „Freiheit, die ich meine“ als sogenanntes „deutsches Liedgut“ auch in Publikationen der NSDAP aufgenommen, so 1932 in das „Nationalsozialistische Volksliederbuch“ und 1933 in das „SA-Liederbuch“. 

Der Beginn des Gedichts wurde in jüngerer Zeit auch in Werbung, Publizistik und Musikschlagern aufgegriffen, etwa 1977 als Liedtitel der Schlagersängerin Juliane Werding und 1996 erneut von Peter Maffay. Die Musikgruppe Münchener Freiheit veröffentlichte 2000 ein gleichnamiges Album. Mit der Titelzeile warb 1986 der Autohersteller Renault. Als Buchtitel diente „Freiheit, die ich meine“ unter anderem 1993 dem österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider sowie 2007 – zum Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus – für ein Buch des Landtags Rheinland-Pfalz. 2017 wurde die Melodie auf Wunsch des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck im großen Zapfenstreich zu seiner Verabschiedung gespielt. 

Schon dieser kurze Abriss zeigt die Zerrissenheit unserer freiheitsliebenden Gesellschaft in Bezug auf den Begriff „Freiheit“. Wie schwierig eine Definition ist, zeigen die vielen Bücher, Textbeiträge, Artikel und Aufsätze, die dazu von Philosophen, Politikwissenschaftlern und Denkern geschrieben wurden.