Schneepflug räumt die Straßen in der Stadt
An den Winterdienst im Ortsgebiet oder auf stark frequentierten Straßen werden höhere Anforderungen gestellt als auf einem kaum befahrenen Zufahrtsweg zu einer abgelegenen Siedlung.
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Haftung

Versicherungspflichten der Gemeinden im Winterdienst

In der kalten Jahreszeit stehen Gemeinden alljährlich vor der Herausforderung, eine optimale Sicherung der Straßen und Wege mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen in Einklang zu bringen. Der vorliegende Beitrag soll Gemeinden und deren Entscheidungsträgern als Leitfaden zur Vermeidung von Haftungsfällen dienen. Aber Achtung: Welche Anforderungen an die Gemeinde als Wegehalterin ganz konkret gestellt werden können, ist stets anhand des Einzelfalls zu beurteilen.

Ganz allgemein gibt es zunächst den Grundsatz der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht des ABGB: Wer eine Gefahrenlage schafft, hat Sicherungsmaßnahmen zum Schutz aller Personen, deren Rechtsgüter verletzt werden können, zu treffen {RIS-Justiz RS0023801}.Es gibt aber in vielen Gesetzen spezielle Haftungs- oder Sorgfaltsnormen, ein paar seien hier exemplarisch hervorgehoben:

  • § 1319a ABGB: Spezielle Verkehrssicherungspflicht des Wegehalters.
  • § 20 StVO: Pflicht des Lenkers, die Fahrtgeschwindigkeit den Straßenverhältnissen anzupassen.
  • § 93 StVO: Streu- und Räumpflicht von Liegenschaftseigentümern im Ortsgebiet.

Haftung der Gemeinde als Straßenerhalterin

Gemäß § 1319a ABGB haftet der Wegehalter für den ordnungsgemäßen Zustand der ihm zurechenbaren Wege. Er hat daher jene Schäden zu ersetzen, die aus einem mangelhaften Zustand dieser Wege resultieren. Diese Haftung wird jedoch dadurch begrenzt, dass nur für grobes Verschulden des Wegehalters und dessen Leute einzustehen ist.

Was ist aber nun alles ein „Weg“?

Mit diesem Begriff werden Verkehrsflächen aller Art und somit neben Straßen und Gehsteigen etwa auch Wanderwege umfasst.

Als „Wegehalter“ ist zu bezeichnen, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und über den Weg verfügen kann, wobei es nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Weg ankommt (eine Gemeinde kann daher auch auf „öffentlichen Privatstraßen“ oder Wanderwegen im Privateigentum Wegehalterin sein). „Leute des Wegehalters“ {Pogacar/Haberl, Rechtshandbuch für Gemeinden Kap 10.1.1.1 (Stand Mai 2022)}, WEKA in erster Linie dessen Mitarbeiter {Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB4, Band 6 zu § 1319a Rz 17 (2016)}.

Die Mangelhaftigkeit eines Weges wird – stets bezogen auf den Einzelfall – anhand des Verkehrsbedürfnisses und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen beurteilt {OGH 25.03.2021, 8 Ob 102/20p; RIS-Justiz RS0087605}. Welche Maßnahmen zu ergreifen sind, hängt im Wesentlichen von

  • der Art des Weges,
  • dessen Widmung (etwa als öffentliche Straße oder Interessenten­straße),
  • der geografischen Lage und
  • der Natur seiner Benützung ab {OGH 31.01.2006, 1 Ob 260/05z; RIS-Justiz RS0087605 (T2)}.

So werden an den Winterdienst im Ortsgebiet oder auf stark frequentierten Straßen höhere Anforderungen gestellt als auf einem kaum befahrenen Zufahrtsweg zu einer abgelegenen Siedlung der Gemeinde.

Auch bei Straßen im (Hoch-)Gebirge erkennt die Rechtsprechung an, dass diese nicht ständig in völlig gefahrlosem Zustand gehalten werden können {OGH 09.11.1978, 7 Ob 707/78; RIS-Justiz RS0023748}.

Ist eine Straße (abschnittsweise) jedoch besonders gefahrenträchtig, ist darauf bei der Planung des Winterdienstes Bedacht zu nehmen und allenfalls eine intensivere Streuung durchzuführen. Auch die Kennzeichnung nicht erkennbarer Gefahrenstellen kann unter Umständen geboten sein. Im letzten Fall gilt jedoch, dass Gefahren wie bspw. Glatteis – falls möglich und zumutbar – in erster Linie zu beseitigen sind {OGH 29.09.1987, 4 Ob 536/87}.

Bei der Beurteilung, welche Maßnahmen erforderlich sind, ist stets zu beachten, dass die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten des Wegehalters und somit auch an den Winterdienst nicht überspannt werden dürfen.

In jüngeren Entscheidungen führte der Oberste Gerichtshof etwa aus, dass die stündliche Streuung einer Landstraße im Stadtgebiet in der Nacht dem Wegehalter nicht zumutbar ist {OGH 19.04.2017, 6 Ob 39/17d}. Räumungs- und Streumaßnahmen sind aber auch tagsüber nicht mehr zumutbar, wenn diese Maßnahmen aufgrund der ständigen Glatteisbildung oder des andauernden Schneefalls praktisch nutzlos bleiben {OGH 25.05.2016, 2 Ob 211/15s mit weiteren Nachweisen}.

Weiters spielt auch die Größe der Gemeinde bei der Beurteilung der Zumutbarkeit erforderlicher Maßnahmen eine wesentliche Rolle. Kleinen Gemeinden kann als Wegehaltern nämlich weniger zugemutet werden als großen Gemeinden {OGH 17.12.2008, 2 Ob 115/08p mit weiteren Nachweisen}.

Organisationsverschulden

Oftmals ist der mangelhafte Zustand eines Weges die Folge einer unzureichenden Organisation des Winterdienstes durch die zuständige Gemeinde. Ein solches Organisationsverschulden kann im Schadensfall haftungsbegründend sein. Daher ist stets darauf zu achten, dass die erforderliche technische Infrastruktur vorhanden ist und die Gemeinde über ausreichende, entsprechend instru­ierte Personalressourcen verfügt. 

Abhilfe kann hier auch über die Beauftragung geeigneter Dritter – etwa entsprechende Unternehmer oder auch tatsächlich geeignete Landwirte mit den erforderlichen Gerätschaften – geschaffen werden {RIS-Justiz RS0023138; Tschenett, Haftungsfragen im Winterdienst}.

Um ein Organisationsverschulden der Gemeinde zu vermeiden, sollte der Aufgabenbereich des Dritten vertraglich vereinbart und klar festgelegt werden. Es dürfen keine Zweifel darüber bestehen, welche Straßenzüge vom Dritten zu welcher Zeit und mit welchen Mitteln zu räumen bzw. zu streuen sind. Weiters muss die Gemeinde die Erledigung der Aufgaben durch den Dritten ausreichend überwachen. 

Um im Streitfall die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten nachweisen zu können, ist es überdies unverzichtbar, die im Rahmen des Winterdienstes getroffenen Maßnahmen genau zu dokumentieren. Dies gilt auch für die Überwachung beauftragter Dritter. Schriftlich festgehalten werden sollte daher jedenfalls

  • die Route und der Zeitraum von Räum-, Streu- und Kontrollfahrten und
  • die Art und Menge des ausgebrachten Streumaterials. 

Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen

Ein taugliches Instrument zur Planung des Winterdienstes durch Gemeinden stellen die Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS), herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr, dar. Diese werden als Beschreibung des „Standes der Technik“ im Straßenwesen auch in gerichtlichen Verfahren laufend zur Beurteilung der Verkehrssicherungspflichten von Straßenerhaltern herangezogen. 

Insbesondere die Kapitel RVS 12.04.12 – „Schneeräumung und Streuung“ – und RVS 14.02.16 – „Einweisunterlage für das Winterdienstpersonal“ – die gesondert käuflich erworben werden können, erweisen sich in diesem ­Sinne als hilfreich.

Haftungsbegrenzung durch Verbotszeichen oder Abschrankungen

Die Haftung des Wegehalters ist gemäß § 1319a ABGB ausgeschlossen, wenn der jeweilige Weg widmungswidrig oder ohne Erlaubnis benutzt wird. Die Unerlaubtheit muss für den Benützer – etwa durch Verbotszeichen oder Abschrankungen – leicht erkennbar sein. An diese Erkennbarkeit stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen {Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB4, Band 6 zu § 1319a Rz 13 (2016)}

So ist ein bloßes Verbotszeichen nicht ausreichend, wenn die Möglichkeit besteht, dass etwa Kinder den Weg nutzen oder dieser zur Nachtzeit begangen wird. Die Beleuchtung des Verbotsschildes bzw. das Anbringen einer Abschrankung, die nicht „versehentlich“ überwunden werden kann, könnte hier angezeigt sein {RIS-Justiz RS0114361; OGH 25.10.2017, 3 Ob 91/17d; J. Ecker, Möglichkeiten und Grenzen der Haftungsprävention durch Warn- und Hinweisschilder, RFG 2019, 140 (143f)}.

Streu- und Räumpflicht von Liegenschaftseigentümern

Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten trifft gemäß § 93 StVO ebenso eine Streu- und Räumpflicht. Hievon sind nur Eigentümer von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften ausgenommen. Geräumt und gestreut werden müssen Gehsteige und Gehwege in ihrer gesamten Breite {OGH 26.04.2022, 2 Ob 35/22v}. Sollte kein Gehsteig oder Gehweg vorhanden sein oder sich der Weg in einer Fußgängerzone befinden, ist lediglich ein Streifen von einem Meter vom Liegenschaftseigentümer zu räumen und zu streuen. Diese Verpflichtung besteht in der Zeit von 6 bis 22 Uhr.

Sollten Gemeinden die Räumung und Streuung dieser Streifen über einen längeren Zeitraum hinweg durchführen, besteht die Gefahr, dass die Verpflichtung der Anrainer stillschweigend übernommen wird. Diesfalls haftet die Gemeinde für die Beschaffenheit der jeweiligen Abschnitte. 

Bei einer solchen Übernahme vom Liegenschaftseigentümer fällt jedoch die Beschränkung der Haftung auf grob fahrlässiges Handeln weg. Die Ge­meinde hat diesfalls auch für einen leichten Grad des Verschuldens einzustehen. Daher empfiehlt es sich, den jeweiligen Eigentümern mitzuteilen, dass etwa die Schneeräumung nur freiwillig und bei ausreichend verfügbaren (Personal-)Ressourcen durchgeführt und der Eigentümer von seiner Verpflichtung nach § 93 StVO nicht befreit wird {Tschenett, Haftungsfragen im Winterdienst, Tirol Kommunal 1/2019}.

Fazit

Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass eine Gemeinde bei der Besorgung des Winterdienstes ein ernst zu nehmender Sorgfaltsmaßstab trifft. Um diesem bestmöglich gerecht zu werden, sind bezogen auf sämtliche Wege und deren Abschnitte nachstehende Punkte zu beachten:

  • Wichtigkeit, Widmung und Nutzungsfrequenz des Weges;
  • Beschaffenheit des Weges;
  • geografische Lage des Weges;
  • besondere Gefährlichkeit des Weges.
  • Welche Gefahr liegt vor (Schnee, Glatteis)?
  • Wie leicht ist die Gefahr erkennbar?
  • Was ist zur Abwehr der Gefahr erforderlich, möglich und zumutbar?
  • Welche Maßnahmen sind nach dem „Stand der Technik“ geboten (Weiß- oder Schwarzräumung; Splitt- oder Salzstreuung; Umläufe)?

Ein Zusammenspiel dieser Faktoren bestimmt sodann das Ausmaß der Verkehrssicherungspflicht einer Gemeinde als Wegehalterin. Zur optimalen Planung des Winterdienstes empfiehlt es sich jedenfalls, 

  • als Entscheidungshilfe das Regelwerk der RVS zum Winterdienst heranzuziehen, 
  • erforderlichenfalls geeignete Dritte mit einem klar formulierten schriftlichen Vertrag zu beauftragen und 
  • sämtliche Maßnahmen schriftlich zu dokumentieren. 

Der Beitrag erschien in Tirol Kommunal, Februar 2023