
Neue Ordnung im Ort an der Moorstraße
Als eine der letzten Ortschaften Österreichs hat die Gemeinde Rohr im Burgenland noch keine Straßenbezeichnungen, die einzelnen Häuser scheinen willkürlich nummeriert zu sein - Konskriptionsnummern eben.
Konskriptionsnummern
Konskriptionsnummern sind eine Methode der Nummerierung von Häusern, die in der Habsburger-Monarchie eingeführt wurde.
Sie sind Zahlenreihen, mit denen im 18. und 19. Jahrhundert begonnen wurde, Häuser und Grundstücke in Hinblick auf Verwaltungsaufgaben zu nummerieren. Diese Nummern dienten vorrangig der Ergänzung des Heeres, der Steuereinhebung und statistischen Aufgaben (Bevölkerungsstatistik, Gebäudestatistik etc.). Sie boten aber auch eine gewisse Unterstützung bei der Bezeichnung von Örtlichkeiten.
Wenn Nummernsysteme, die vorrangig der Orientierung dienen sollen (nach Straßen usw. geordnet), nicht zur Verfügung stehen, werden Konskriptionsnummern auch heute noch zur Orientierung verwendet. In amtlichen Unterlagen kann Orientierungsnummer der Oberbegriff für Hausnummer und Konskriptionsnummer sein.
Wenn Bürgermeister Gernot Kremsner (er wurde 2016 bei der Bürgermeisterdirektwahl mit 83,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt) von einer „gewissen Ordnung“ im Straßennetz spricht, dann kann er wohl von sich sagen, ein „Rohrer“ zu sein. Ursprünglich aus einer Nachbarortschaft, hat er sich gut mit der Gemeinde und ihren Eigenheiten verwurzelt. Für nicht Ortskundige ist es mit der Orientierung nicht so einfach.
„Es kommt schon mal vor, dass Liefer- oder Zustelldienste sich schwertun, eine Adresse zu finden“, gibt er zu. Auch die Briefträger benötigen gute Dorfkenntnis, um ihrer Arbeit nachzugehen. Das liegt daran, dass die Hausnummern „seit jeher irgendwie vergeben wurden“.
Zum besseren Verständnis beschreibt er seine nähere Umgebung: „Ich wohne auf Nummer 173, mein Nachbar hat Nummer 148 und auf der anderen Seite sind die Nummern 22, 175, 14 und 95.“ Das schafft leicht Verwirrung. Deshalb gab es im Sommer dieses Jahres eine Volksbefragung, ob die Rohrer eine neue Straßenordnung mit Namen bekommen wollen. Dies wurde von der Bevölkerung mit einem klaren „Ja“ befürwortet und im Gemeinderat einstimmig beschlossen.
Kreative Straßennamen gesucht
Konkret werden nun Namen für 20 bis 25 Straßen und Wege gesucht. Geht es nach dem Bürgermeister, sollen aber nicht nur bekannte Bezeichnungen übernommen werden, „ich will gerne was ganz anderes, was Kreatives“, verrät er.
Übliche Straßennamen wie „Friedhofsweg“ brauche er da gar nicht. Bevor es aber zu den Details der Benennung geht, was voraussichtlich erst im kommenden Sommer sein wird, erstellt die Gemeinde einen neuen Flächenwidmungsplan und ein Entwicklungskonzept.
Die Neubenennung soll dann nicht nur vom Gemeinderat bestimmt werden, sondern die Einwohner sind auch angehalten, ihre Vorschläge einzubringen. Ein paar Varianten gibt es schon, über Straßenbezeichnungen wie „Am Berg“ oder „Am Ring“ wurde bereits diskutiert, Kremsner hofft auf Namensideen und freut sich auf die neue Ordnung. Es ist ja nicht alltäglich, so eine Aufgabe für eine Gemeinde zu übernehmen.
Politik durch Engagement
Nicht alltäglich war auch Kremsners Weg in die Politik. Im Jahr 2013 ergriff er die Initiative für ein Glasfaserkabel, da er die Zukunft der kleinen Gemeinde „so weit abseits von den Städten“ in Gefahr sah.
„Ich bin damals von Haus zu Haus gegangen, um die Unterstützung der Bewohner zu bekommen“, erzählt er. Und so war es auch, 99 Prozent der Rohrer haben für das Glasfaserkabel unterschrieben und so wurde es im Jahr 2015 tatsächlich in Betrieb genommen. Mit der Idee war Kremsner dem Puls der Zeit sogar voraus! Heute profitieren alle von diesem Engagement, gerade in Zeiten von Corona.
Er rutschte mit seinem Engagement quasi von selbst in den Gemeinderat und wurde aufgrund eines Rücktritts schon wenig später zum Bürgermeister ernannt. 2017 wurde Gernot Kremsner mit breiter Zustimmung auch gewählt. Er fasste den Mut und nahm das Amt gerne an. Selbstverständlich ging das nur mit der Unterstützung seiner Frau und seines Arbeitgebers, denn mit einem zusätzlichen Vollzeitjob als Bauleiter ist der Aufwand auch für eine kleine Gemeinde enorm. „Ich kann jetzt meist nicht mehr am Abend vorm Fernseher sitzen, es gibt viel vorzubereiten, wie Sitzungen oder das Gemeindeblatt“, so der Ortschef.
Einwohner konnten gehalten werden
Doch Gernot Kremsner schätzt sich glücklich in seinem Ort und mit seiner Arbeit. Auf dem neuesten Stand der Technik befindet sich die Gemeinde – dank Glasfaserkabel – ja bereits. „Homeoffice ist bei uns für niemanden ein Problem“, ist er froh.
Auch die Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen 30 Jahren immer zwischen 380 und 400 Personen gehalten. Das ist für eine kleine Gemeinde im Südburgenland gar nicht so selbstverständlich. Aber vielleicht liegt es an der „großen Hilfsbereitschaft oder der Geselligkeit“, wie Kremsner die Rohrer beschreibt. Das Dorfleben ist vielfältig und die drei Gasthäuser sind gut besucht.
Rohr hat ein Heilmoor
Was Rohr aber noch auf eine andere Art besonders macht, ist die einzigartige Natur der Umgebung. Ein 12.000 Jahre altes Niedermoor gehört zum Gemeindegebiet und steht seit 1991 unter Naturschutz.
Die Landwirte haben daraus bereits einen Nutzen gezogen und begannen, Moorochsen zu züchten. Das Fleisch – eigentlich sind es Angusrinder – ist sehr beliebt und wird an zahlreiche Lokale verkauft. Die 120 Moorochsen aus Rohr sind weit über die Ortsgrenzen bekannt. Rund drei Jahre grasen sie auf den Moorwiesen, die nicht gedüngt werden, und bekommen so ihr besonders zartes Fleisch. Es wäre Bedarf für mehr Fleischproduktion, aber „unsere Landwirte wollen das nicht, denn für ihre Verhältnisse geht sich in diesem Rahmen alles gut aus“, erklärt er. Da das Fleisch und auch zahlreiche andere Produkte der Bauern aber nicht im Supermarkt angeboten werden, will der Bürgermeister einen Verkaufsraum im Ort schaffen, coronabedingt konnte das Projekt bislang leider noch nicht umgesetzt werden.
Auch einen Moorwanderweg gibt es im Naturschutzgebiet, der breite Zustimmung erfährt und vor Kurzem auch barrierefrei zugänglich gemacht wurde.
Gernot Kremsner hat aber noch eine andere Vision im Kopf, „auch wenn das noch nicht konkret ist“, verrät er. Der Moorboden in Rohr ist auch als Heilmittel zertifiziert und diese Tatsache will er nicht vergeuden.
Es gab dazu bereits mehrmals Versuche und Anläufe, aus dem Moor etwas zu schaffen, aber bisher kam immer etwas dazwischen oder es fehlten die notwendigen Investitionskosten. Wovon er da genau träumt, erklärt sich aus seinem heimlichen Berufscredo, das er schmunzelnd preisgibt: „Ich bleib Bürgermeister bis Bad Rohr.“
Zur Person
Gernot Kremsner
Alter: 47
Gemeinde: Rohr im Burgenland
Einwohnerzahl: 376
Bürgermeister seit: Oktober 2016
Partei: Liste Rohr