Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...
© Bruno Haberzettl

Nachbars Bäume sind ab sofort Gemeindesache

1. Juni 2004
Mit 1. Juli 2004 war ein neues Nachbarrecht in Kraft getreten. Wie der Gesetzgeber vorgesehen hatte, „sollte es dadurch nicht zu einer Flut von Klagen“ kommen. Damit das auch so bleibt, hatte der Gesetzgeber vorgeschrieben, dass es vor einer Klage „mit oder ohne Schlichtungsstelle zu einem Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegung“ kommen müsse. Wer das machen soll? Richtig: Die Bürgermeisterin, der Bürgermeister als Respektsperson vor Ort. Die Freude der Gemeinden war überschaubar, die Beschwerden über die neue Aufgabe massiv.

KOMMUNAL 6/2004, von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner

Das ab 1. Juli geltende neue Nachbarrecht betrifft in seinen wesentlichsten Neuerungen vor allem:

  • Beschattungsfälle durch Bäume und andere Pflanzen am Nachbargrund: Der betroffene Eigentümer (aber auch Mieter) kann bei unzumutbarer Beeinträchtigung durch die Beschattung beim Gericht auf Abhilfe klagen. Die maßgebliche Bestimmung des § 364 Abs 3 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch lautet: „Ebenso kann der Grundstückseigentümer einem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft insoweit untersagen, als diese das Maß des Absatz 2 überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen. Bundes- und landesgesetzliche Regelungen über den Schutz von oder vor Bäumen und anderen Pflanzen, insbesondere über den Wald-, Flur-, Feld-, Ortsbild-, Natur- und Baumschutz, bleiben unberührt.“

Vor der Klage muss aber eine außergerichtliche Streitbeilegung versucht werden.

  • Herüberwachsende Äste bzw Wurzeln darf der beeinträchtigte Nachbar (grundsätzlich aber auf eigene Kosten) weiterhin selbst entfernen, hat dabei aber fachgerecht und möglichst schonend vorzugehen. Ist durch die Wurzeln bzw Äste bereits ein Schaden entstanden oder droht ein solcher offenbar, muss der störende Nachbar die Hälfte der Kosten (aber auch nicht mehr) ersetzen (§ 422 ABGB).
  • Das (neue) allgemeine nachbarliche Rücksichtnahmegebot: „Im Besonderen haben die Eigentümer benachbarter Grundstücke bei der Ausübung ihrer Rechte aufeinander Rücksicht zu nehmen.“

Bedeutung des neuen Rechts für Gemeinden

Vom neuen Nachbarrecht kann eine Gemeinde in gleich mehrfacher Hinsicht betroffen sein:

  • Ist die Gemeinde Eigentümer von Liegenschaften (Grundstücken), kann sie selbst durch fremde Bäume (oder andere Pflanzen) beeinträchtigt sein oder als Eigentümer der Bäume (bzw anderer Pflanzen) selbst Störer sein. Praktisch wird es sich meist um gemeindeeigene Wohnanlagen, Parks oder auch Gemeindestraßen handeln. Das private Nachbarrecht gilt nämlich auch im Verhältnis zu öffentlichen Straßen, soweit es um Straßenverwaltung geht.
  • Die Gemeinde bzw der Bürgermeister werden gerade bei Nachbarschaftskonflikten oft als Vermittler angegangen. Soweit noch Gemeindevermittlungsämter bestehen, kämen diese auch als mögliche Schlichtungsstellen in Beschattungsfällen in Betracht.
  • Je nach Landesrecht kann die Gemeinde sogar unmittelbar als einschlägiger Verordnungsgeber in Betracht kommen. Keine gerichtliche Abwehr ist nämlich gegeben, wenn und soweit ein öffentlich-rechtlicher Baumschutz vorliegt. So können etwa Gemeinden in Niederösterreich gem. § 15 Naturschutzgesetz 2000 Baumschutzverordnungen erlassen (Ziele des Gesetzes sind heimische Arbeitsvielfalt, das örtliche Kleinklima und ein Druck auf die Gemeinde ist natürlich von mehreren Seiten denkbar.

Die neuen Regeln im Einzelnen

Hier kann natürlich nur auf die wichtigsten Fragen und das auch nur ansatzweise hingewiesen werden (weiterführende Literatur zum neuen Nachbarrecht: Kerschner, Neues Nachbarrecht : „Recht auf Licht“, RFG 2003, 182 ff; Kathrein, Mehr Licht! ecolex 2003, 894; Kerschner, Neues Nachbarrecht: Abwehr negativer Immissionen / Selbsthilferecht, RZ 2004, 9; P. Bydlinski, Neuerungen im Nachbarrecht, JBl 2004, 86.

Zum allgemeinen nachbarlichen Rücksichtnahmegebot:
Sollte nur dann verletzt sein, wenn der Nachbar (auch Mieter / Pächter) fast schikanös, rechtsmissbräuchlich handelt; zB Verbauen der Aussicht durch schnell wachsende Bäume ohne eigenen Nutzen.

Zu den Beschattungsfällen:

  • Wegen beschattender Gebäude kann nicht geklagt werden.
  • Abhilfe ist nur bei unzumutbarer Beeinträchtigung durch die Nachbarbäume möglich. Der Gesetzgeber hat dabei an folgende Fälle gedacht:
  • Größere Teile des Grundstückes vermoosen, versumpfen oder werden sonst unbrauchbar.
  • Am helllichten Sommertag ist zu Mittag eine künstliche Beleuchtung notwendig.
  • Eine bereits bestehende Solaranlage wird völlig unbrauchbar. Es muss sich also jedenfalls um massive Fälle handeln. Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit solle es auf folgende Kriterien ankommen: Art der benachbarten Grundstücke, Widmung, Benützung, Lage, Größe; zB industrielle Nutzung, Garten bzw Fremdenverkehrsnutzung; Kleingartengebiet / waldreiche Gegend / neben Straße mit Allee / Umgebung, wo Baumbestockung üblich ist. Am 1. Juli wird vom „Störer“ bezüglich älterer Bäume grundsätzlich nicht Ortsüblichkeit eingewendet werden können, weil bis dahin der Nachbar ja keine Abwehrmöglichkeit gehabt hat.

Der zwingend vor der Klage vorgesehene Einigungsversuch ist möglich:

  • bei Schlichtungsstellen der Rechtsanwalts- oder Notariatskammer
  • Schlichtungsstellen sonstiger Körperschaften des öffentlichen Rechts als gerichtlicher Vergleich (hier ist Antrag auf Verfahrenshilfe möglich)
  • Beiziehung eines Mediators

Zum Entfernen herüberwachsender Äste und Wurzeln:

  • Da beim Abschneiden fachgerecht vorzugehen ist, wird unter Umständen auch ein Fachmann herangezogen werden müssen (zB Gärtner). Das Einschlagen von Kupfernägeln ist nunmehr eindeutig verboten.
  • Beim Abschneiden ist auch möglichst schonend vorzugehen, also ein Umstürzen des Nachbarbaumes möglichst zu verhindern.
  • Die Hälfte der Entfernungskosten (auch des Fachmannes, soweit erforderlich) muss der Nachbar nur bei bereits eingetretenem oder offenbar drohendem Schaden tragen.
  • Beispiele: Leitungen sind durch Wurzeln verstopft oder zerstört; Platten werden angehoben; Dächer oder Fassaden sind geschädigt.

Schlussbemerkung

Vernünftige Nachbarn sollten sich stets um eine vernünftige Lösung bemühen und werden auch in der Regel eine solche bei gutem Willen beider finden. Die allenfalls angerufene Gemeinde kann zu einer solchen Streitschlichtung bzw Streitvermeidung zwar beitragen, aber sicher auch nicht jeden Konflikt lösen.

Schlagwörter