Nahaufnahme
Mit langem Atem an die Spitze
Nur allzu oft erzählen die Bürgermeister-Porträts an dieser Stelle von Personen, die einmal gefragt wurden, ob sie sich in der Partei engagieren wollen, und die dann erstaunlich schnell in den Gemeinderat und bald darauf auch ins Bürgermeisteramt gewählt wurden. Bei Michael Ritsch war das definitiv anders.
Mann mit Steherqualitäten
Wäre er ein Boxer, würde man ihm Steherqualitäten attestieren. Er hat viele Rückschläge eingesteckt, hing zwischenzeitlich in den Seilen und ging über die volle Rundendistanz, bis er letztendlich doch noch siegreich war und Bürgermeister von Bregenz wurde.
Rund eineinhalb Jahre ist es her, dass der ehemalige SPÖ-Chef Vorarlbergs die Wahl in der Landeshauptstadt für sich entscheiden konnte. Dabei wäre es fast schon 2005 so weit gewesen. Nur 400 Stimmen fehlten ihm damals, bei seinem ersten Antreten, in der Stichwahl auf den Amtsinhaber. „Ich war 36 Jahre alt und wäre erschrocken, wenn ich es geworden wäre“, erinnert er sich an sein überraschend starkes Abschneiden zurück.
In der Landespolitik verankert
Nach seinem Achtungserfolg wurde Ritsch 2007 Landesparteichef der SPÖ in Vorarlberg und Klubobmann.
„Doch es kam keine leichte Zeit. Es war klar, dass ich bei der Landtagswahl 2009 antreten muss – im Wissen, dass es aussichtslos ist. Ich hab dann auch ziemlich eine draufbekommen. 2010 bei der Bürgermeisterwahl wieder, 2014 bei der Landtagswahl und 2015 bei der Bürgermeisterwahl ebenso. Nach zehn Jahren habe ich den Parteivorsitz und den Klubobmann wieder abgegeben und 2020 bei der Gemeinderatswahl eigentlich gesagt, dass es das letzte Mal ist, dass ich antrete“, fasst Ritsch seinen politischen Werdegang zusammen.
Seit er 1995 zum jüngsten Stadtrat Vorarlbergs gewählt wurde, hat er viel Erfahrung gesammelt und wurde daher auch kommunalpolitischer Sprecher im Landtag.
„Weil ich 15 Jahre lang Wohnbaustadtrat war, war es mein Steckenpferd, einheitliche Wohnungsvergaberichtlinien in Vorarlberg einzuführen. Es muss ja nicht jede der 96 Gemeinden das Rad neu erfinden. Wir haben in Bregenz ein Punktesystem eingeführt, das nach Verhandlungen mit dem Gemeindeverband heute als Modell für alle Kommunen im Land dient.“
Erfolg beim Gemeinnützigem Wohnbau
Ritsch freut sich aber auch über einen anderen großen Erfolg in Sachen Wohnbau: „Wir hatten die Situation, dass von den Wohnbauförderungsgeldern des Landes knapp 80 Prozent für Eigentum und Häuserbauer ausbezahlt worden sind und nur 20 Prozent für leistbaren gemeinnützigen Wohnbau. Gegen dieses Missverhältnis habe ich angekämpft. Der ÖVP-Wohnbausprecher hat immer gesagt: ,So viel Eigentum wie möglich und so viel Gemeinnütziges wie nötig‘, während ich immer der Meinung war: ,So viel Gemeinnütziges wie möglich und so viel Eigentum wie nötig.‘ Als ich aus dem Landtag ausgeschieden bin, lag das Verhältnis immerhin bei 50:50. Die Hälfte der Wohnbauförderungsgelder fließt mittlerweile in den gemeinnützigen Wohnbau“, berichtet Ritsch stolz und möchte mit diesem Beispiel eines belegen: „Wir sind eine kleine Fraktion im Vorarlberger Landtag und immer in Opposition gewesen. Aber man kann dennoch Dinge anstoßen und auch ein Umdenken in den Köpfen vieler Abgeordneter herbeiführen. Ein Großteil der Landtagsabgeordneten war oder ist irgendwo auch kommunalpolitisch tätig. Die kennen die Probleme auch, nur der Zugang ist manchmal ein anderer.“
Auch als Bürgermeister kümmert sich Ritsch intensiv um den Wohnbau. Mit der VOGEWOSI, Vorarlbergs größtem gemeinnützigem Bauträger, der zu hundert Prozent in öffentlicher Hand ist, werden Wohnbauprojekte vorangetrieben, aber auch viele Sanierungen des Altbestands vorgenommen, wie etwa in der Achsiedlung, die rund 3.000 Menschen beherbergt. „Das klingt für einen Wiener vielleicht nicht viel, aber alleine diese Siedlung hat mehr Einwohner als zwei Drittel der anderen Vorarlberger Gemeinden“, gibt Ritsch zu bedenken.
Familien- und Bildungshaus
Doch auch abseits des Wohnbaus tut sich in Bregenz einiges. „Wir haben mit einem Familien- und Bildungshaus begonnen. Das war das erste Projekt, das ich fertigstellen durfte. Ein Haus, wo – neben Kinderbetreuung, elementarpädagogischer Musikerziehung, einer Elternberatungsstelle und der Lernhilfe – die Familien eine Anlaufstelle für Probleme und Betreuung finden. Also eine Mehrzwecknutzung in einem alten Schulgebäude, das wir saniert haben, die extrem gut angenommen wird“, erklärt Ritsch.
Sanierung des Festspiel- und Kongresshauses
Mit Hochdruck geht Ritsch auch Großprojekte an, die „die letzten Jahre liegen geblieben sind, etwa die Sanierung des Festspiel- und Kongresshauses, das für Bregenz eines der wichtigsten Häuser ist, wenn es um Tourismus und Kultur geht. In das Festspielhaus investieren wir in den nächsten drei Jahren rund 60 Millionen Euro“, erzählt der Bürgermeister. Der Spatenstich dafür war heuer. Ebenfalls saniert werden die Seebühne sowie die Zuschauertribüne. Es kommt ein Zubau, und auch die Technik und die Gastronomie werden modernisiert.
Ritsch rechnet vor: „5 Millionen zahlen die Festspiele selbst. 40 Prozent der 55,5 Millionen bezahlt der Bund, 35 Prozent das Land und 25 die Stadt Bregenz. Und von den 25 Prozent bekommen wir nochmals die Hälfte von den Vorarlberger Gemeinden, also vom Gemeindeverband, finanziert – aus Bedarfsmitteln, weil das Festspielhaus und die Festspiele regionsübergreifend für das ganze Rheintal eine extrem wichtige touristische Funktion haben.“
Fordernde Bauprojekte
Gleich daneben bauen die Bregenzer ein neues Hallenbad. Baubeginn soll im Mai oder Juni sein, die Fertigstellung dann Anfang 2025. Auch das ist ein Projekt, bei dem es um 50 Millionen Euro geht, und das komplette Freibad, das saniert wird, schlägt mit nochmals 12 Millionen zu Buche.
„Da haben wir in unmittelbarer Nähe für 120 Millionen Euro Bauprojekte, die ganz schön fordernd sind – auch fürs Budget“, bekennt Ritsch, „aber gleichzeitig haben wir auch die Situation, dass fast 40 Prozent der Kinder, die in der Bodenseeregion in die Schule gehen, nicht mehr schwimmen können. Durch das Hallenbad sollen unsere Kinder wieder schwimmen lernen können. Gerade wenn man einen Seezugang hat, der unverbaut ist, sollte man dieses einmalige Naherholungsgebiet auch bestmöglich nutzen können.“
Masterplan für das Bahnhofs-Areal
Ein besonderes Anliegen ist Ritsch auch das Projekt „Bregenz Mitte“.
„Als ich 1990 zum ersten Mal kandidiert habe, als ganz Junger irgendwo weit hinten auf der Liste, war dieses brachliegende Grundstück mit einem Parkplatz mitten im Herzen der Stadt das Hauptwahlkampfthema. In den 30 Jahren seitdem ist eigentlich nichts passiert. Es ist immer noch ein Parkplatz. Man hat ihn nur an private Investoren verkauft, was übrigens ein Fehler war. Jetzt ging es in diesem Wahlkampf wieder darum, was rund um den Bahnhof passieren soll, der ja wirklich der hässlichste Bahnhof einer Landeshauptstadt in ganz Österreich ist. Mir ist es nach der Wahl gelungen, alle Investoren an einen Tisch zu bringen, und jetzt gibt es einen Masterplan mit dem Ziel, dass wir 2025 einen neuen Bahnhof bauen. Dort wo der Parkplatz liegt, sollen neben Handelsflächen auch Wohnbauten entstehen – bis zum Endausbau könnten so knapp 6.000 Menschen Wohnraum finden. Das wäre eine Steigerung der Einwohnerzahlen um 20 Prozent, und zwar mitten im Zentrum und nicht an der Peripherie.“
Auch gibt es die Vision der Bahnunterflurlegung in der Stadt und eine der Straßenunterflurlegung. Eine Studie hat ergeben, dass es technisch machbar wäre – am Ende muss aber das Land entscheiden, ob es das will.
Kein fester Koalitionspartner
Die Ideen gehen Ritsch jedenfalls nicht aus. Der Stadtchef, der nebenbei noch ein berufsbegleitendes Masterstudium mit Schwerpunkt auf Marketing sowie Personal- und Organisationsentwicklung absolviert hat, setzt dabei auf wechselnde Mehrheiten. Mit 11 von 36 Mandataren in der Stadtvertretung und 3 von 9 im Stadtrat ist das eine mutige Entscheidung. Einen festen Koalitionspartner hat er nicht.
„Ich glaube bis heute, dass es auf kommunaler Ebene der richtige Weg ist, dass sich die beste Idee durchsetzen soll und nicht die Parteifarbe“, meint Ritsch dazu. „Das ist ein sehr intensiver Weg, denn du musst natürlich ständig mit allen Fraktionen Gespräche führen. Aber so haben wir etwa den Klimanotstand beschlossen und zurzeit versuchen wir, dass wir e5-zertifiziert werden – als erste Landeshauptstadt in Österreich überhaupt – und das sieht sehr gut aus.“
Hat ihn, den Politprofi, als Bürgermeister noch etwas überrascht? „Ja. Was mir nicht in dieser Dimension bewusst war: Du bist auch Chef von 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei vielen war nach 22 Jahren Regierung meines Vorgängers das Bedürfnis da, sich zu verändern, sich weiterzuqualifizieren und neue Herausforderungen zu bekommen. Das war einer der wenigen Vorteile von Corona: Ich konnte mir die Zeit für gut 200 Mitarbeitergespräche nehmen und die Verwaltung von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Der größte Teil besteht dabei aus Dienstleistungen für die Bürger. Das wird leider zu wenig wahrgenommen und geschätzt.“
Zur Person
Michael Ritsch
Alter: 53
Gemeinde: Bregenz
Einwohnerzahl: 29.534 (2021)
Bürgermeister seit: 27. September 2020
Partei: SPÖ