Treppen im Ortskern
Dem Ortszentrum von Neumarkt wurde seine Identität als Platz, als öffentlichem Begegnungsraum zurückgegeben. Foto: Kurt Hoerbst

"Unser Ort war im Zentrum nicht lebbar"

27. Juni 2016
Die Frage nach einer zeitgemäßen Gestaltung und Nutzung eines Ortszentrums und der Beseitigung von Leerständen raubt vermutlich so manchem Bürgermeister, so mancher Bürgermeisterin den Schlaf. KOMMUNAL hat sich ein paar Gemeinden angesehen, die diese Frage beispielhaft gelöst haben.

Neumarkt im Mühlkreis ist eine schmucke Gemeinde mit rund 3200 Einwohnern im Bezirk Freistadt in Oberösterreich, rund 20 Kilometer nordöstlich von Linz. Und im Grunde beginnt diese Geschichte, die sich um die Neugestaltung des Hauptplatzes – und damit auch gewissermaßen um eine Art Neustart der Gemeinde – dreht, mit der A7 beziehungsweise der S 10, die von Linz zur Bezirkshauptstadt Freistadt und darüber hinaus zum Grenzübergang Wullowitz nach Tschechien führt. Noch im vorigen Jahrtausend wurde in Linz beschlossen, die S 10, die bis dahin mitten durch Neumarkt geführt hatte, unter die Gemeinde zu verlegen, sie einzutunneln, wie der Fachmann sagt. Das aber eröffnete der Gemeinde eine einmalige Chance. „In Spitzenzeiten waren es mehr als 13.000 Autos und Lkws, die durch den Ort fuhren. Und im Grunde ist schon lange vor der Hälfte Schluss mit einem Ortszentrum und einem Dorfleben“, wie sich Bürgermeister Christian Denkmaier erinnert. „Unser Ort war im Zentrum nicht lebbar.“

Vorstellungen wurden erst allmählich präziser



Die Neugestaltung war ein langer Prozess, der irgendwie noch im Gange ist. Nachdem 2003 die S 10 (früher war das die B 310) eingetunnelt war, haben die Neumarkter mit der Planung zur Neugestaltung begonnen. Und sofort – also schon nach der Tunnelgenehmigung Ende der 90er- Jahre – gab es teils wirklich unrealistische Pläne wie „Wenn der Tunnel fertig ist, ist auch der neue Marktplatz schon fertig“. Was es natürlich nicht gespielt hat. Erst ab 2000/2001 ist das Interesse der Bevölkerung spürbar geworden.



Vorher war die Diskussion mehr abstrakt. „Je näher wir zur Tunneleröffnungsfeier 2003 gekommen sind, desto präziser waren die Vorstellungen, desto engagierter die Bürgerinnen und Bürger.“

Meinungsverschiedenheiten aber keine Streitereien



„Was sich bei uns als großer Vorteil herausgestellt hat“, so Denkmaier, „war, dass der Architekt (Erich Lengauer vom Architektenbüro Schneider-Lengauer, Anm.) ortsansässig ist und sehr dialogfähig ist.“ Er hat in Abstimmung mit der Bevölkerung Modelle präsentiert, was sehr gut angekommen ist. Eine echte Mediation war nicht wirklich notwendig, weil Meinungsverschiedenheiten nicht in Streitereien gemündet haben. „Es waren eher Grundsatzfragen. Anfangs wollten einige beispielsweise das Gemeindeamt samt dem damals leerstehenden Nachbarhaus, dem sogenannten  ‚Böhm-Haus‘ wegreißen, damit der Blick auf unsere schöne alte Kirche frei wird. Wir haben es dann aber doch anders gemacht, nachdem sich rasch ein Konsens in der Gemeinde herauskristallisiert hat, die Substanz der Gemeinde zu erhalten. Das Gemeindeamt wurde renoviert, die Kirche samt Vorplatz hergerichtet und einige leere alte Gebäude adaptiert. Im ‚Böhm-Haus‘ wollten wir ursprünglich Wohnungen machen, haben statt dessen acht Flüchtlinge, eine Familie und junge Männer aus Afghanistan, untergebracht.“



Denkmaier erzählt dann noch, dass es in der Gemeinde parteiübergreifenden Konsens gab, dass es vorerst wichtiger ist, diesen Menschen zu helfen. „Daher gab’s auch keine öffentliche Diskussion. Ich hab‘ persönlich die Nachbarn informiert.“ Ganz wichtiger Teil des Konsenses zwischen allen Parteien im Gemeinderat war, dass dieses Thema auch ein halbes Jahr vor der Gemeinderatswahl aus der politischen Debatte ausgeklammert wurde.



„Als Gemeinde mit 3000 Einwohnern darf es eigentlich kein Problem sein, acht Menschen unterzubringen. Nachdem das klar war, haben wir eine ‚Flüchtlingsplattform‘ gegründet, wo bei der ersten Bürgerversammlung mehr als 60 Bürgerinnen und Bürger ihre Hilfe bei Versorgung und Betreuung angeboten haben. Das hat mich als Bürgermeister sehr stolz gemacht.“



Als erster Schritt wurde dann das „Lindenberger Areal“, ein im Verfall begriffener Bauernhof und Fleischhauerei mit Wirtschaftsgebäude gleich neben dem Marktplatz, umgestaltet. „Hier ist jetzt ein Pub, das vor allem von der Jugend sehr gut aufgenommen wurde, eine öffentliche WC-Anlage und – für die Gemeinde sehr wichtig – unser Supermarkt, der hier endlich auch die Möglichkeit hat, seinen Kunden ausreichend Parkplätze im Ort zur Verfügung zu stellen.“



Denkmaier führt dann zu einem weiteren ehemaligen Wirtschaftsgebäude: „Und hier ist die Musikschule untergekommen“, strahlt er. Seine Freude ist verständlich, ist er doch im Zivilberuf Direktor der Musikschule. Gleich nebenan ist ein weiteres Gebäude – „das älteste im Ort, aus dem 17. Jahrhundert“ –, für das er seit kurzem auch einen Investor hat, der daraus Wohnungen und einen Raum für Vereine machen will. Aber das ist noch nicht ganz entschieden.

Der ganze Stolz von Bürgermeister Christian Denkmaier ist die Musikschule.





Auf dem Weg zurück zum Hauptplatz macht mich Christian Denkmaier auf ein weiteres Objekt aufmerksam: „Das ist das  Leitl-Haus (früher das ‚Kaufhaus Leitl‘, einer Verwandtschaft von Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl, Anm.), wo jetzt auch Wohnungen für junge Menschen oder Paare untergebracht sind.“



Im nächsten Schritt wurde dann der Marktkern, der zwischen dem Lindenberger-Areal und dem Hauptplatz liegt, zwischen 2003 und 2006 hergerichtet. Erst dann ging es an die Neugestaltung des Hauptplatzes. Architekt Erich Lengauer: „Ziel der von der Gemeindebevölkerung in einem beispielhaften Diskussionsprozess mitgetragenen Neugestaltung ist es, dem Ortszentrum von Neumarkt seine Identität als Platz, als öffentlichem Begegnungsraum zurückzugeben.“ Zunächst gilt es, wieder zusammenzufügen, was die viel befahrene B 310 bis vor wenigen Jahren trennte. Schneider und Lengauer integrieren die Straßenfläche durch einheitliche Bepflasterung in den Platz. Die an den Einfahrten positionierten Postbus-Wartehäuschen rücken die Gebäudereihen gleichsam näher zueinander, verkleinern die Lücken und verdichten so die Platz-Atmosphäre.



Dass Neumarkt eine sehr lebendige Gemeinde ist, beweist die Initiative der Bretterbühne unter der großen Marktlinde. Schneider und Lengauer greifen diese Idee auf und führen das Provisorium eines Bretterbodens in eine dauerhafte Lösung über. Unter dem majestätischen Baum schaffen sie ein gestuftes Bühnen- und Versammlungsambiente, das dem Neumarkter Vereinsleben Raum zur sichtbaren Entfaltung gibt.



An strukturierenden Elementen bieten die Architekten neben einem Brunnen Sitzquader und Sitzstufen auf, letztere als verbesserte Anbindung des Marktplatzes an den erhöhten Kirchenvorplatz. Zudem begrenzen drei Glasquader die Längsseiten sowie die Südseite, wo sich auch das umgestaltete Kriegerdenkmal befindet. Die Quader dienen als Displays für amtliche Verlautbarungen (ostseitig, vor dem Gemeindeamt), für Touristen- und Veranstaltungsinformationen (westlich, vor Gasthaus Reisinger) und als Präsentationsfläche für halbjährlich oder jährlich wechselnde künstlerische Statements.



Im abschließenden Gespräch im Gemeindeamt erzählt Christian Denkmaier, dass es früher Leerstände gab, diese aber seit der Neugestaltung „verschwunden“ seien. „Bedroht von Leerstand waren immer wieder das alte Haus auf der anderen Seite des Hauptplatzes, wo jetzt der Pensionistenverband und ein Jugendzentrum drinnen sind, das Böhm- und kurz auch das Leitl-Haus, das älteste Haus der Gemeinde und vor allem die Wirtschaftsgebäude des Lindenberger-Areals.“



Was auch ganz wichtig war, dass etliche Private mitgezogen haben. Beispielsweise auf der anderen Seite der Straße wurde auch erneuert, wo jetzt die Sparkasse ist (früher war dort die Post). Auch der Gastwirt hat die Gunst der Stunde genutzt: als der Junge übernommen hat, hat er alles renoviert und dem neuen Stil des Platzes angepasst.



Resümee von Bürgermeister Denkmaier: „Die Initiativen der Gemeinde wurden erfreulicherweise von einer Menge Eigeninitiative begleitet. Und wir sind immer noch dabei. Ein neues Altstoffsammelzentrum, ein neues Feuerwehrhaus. Und der Architekt spielt eine zentrale Rolle; wenn der seine Ideen plausibel vermitteln kann, dann ‚weicht der Widerstand‘.“

 

Einfache Lösung für ein nicht mehr gebrauchtes Telefonhäuschen: Darin versteckt sich ein Bürcherregal, aus dem sich die Menschen bedienen und es auch
befüllen können.