Leonore Gewessler
„Unser Ziel ist es, dass jeder Ortskern – auch am Wochenende oder in den Abendstunden – öffentlich erreichbar sein soll.“ Ministerin Leonore Gewessler im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun.
© Kommunal/Thomas Max

„Auf Gemeinden und ihre Erfahrungen zugehen“

Klimaschutz-Ministerin Leonore Gewessler sieht die Gemeinden als wichtige Partner auf dem Weg zur Umsetzung der Klimaziele. Im Gespräch (noch vor Ausbruch der Corona-Krise) sicherte sie den Gemeindevertretern intensive Einbindung und Zusammenarbeit bei Grundsatzfragen in den jeweiligen Themenbereichen zu.

Die Überraschung war groß bei der Regierungsbildung, als die ehemalige GLOBAL-2000-Geschäftsführerin Leonore Gewessler ein Ministeramt erhielt. Noch dazu wurde sie Chefin eines „Super-Ministeriums“ mit den Agenden Klimaschutz, Umwelt, Technologie, Mobilität und Innovation. Alles zusammen Bereiche mit jeder Menge Schnittstellen zu Gemeinden.

Das war auch mit ein Grund dafür, dass bereits Ende Februar der Gemeindebund bei der Ministerin vorstellig wurden und gemeinsame Handlungsfelder besprach. Daraus resultierten fruchtbare Gespräche über Klima- und Umweltschutz, öffentlichen Verkehr und die Eisenbahnkreuzungsverordnung, Baumhaftung, Bodenverbrauch, den Breitbandausbau und vieles mehr. Und natürlich bat auch KOMMUNAL die Ministerin um Stellungnahmen. Anfang März war es so weit und Leonore Gewessler nahm sich Zeit für ein Gespräch.

Frau Ministerin, im Regierungsprogramm stehen im Kapitel „Klimaschutz und Energie“ sehr, sehr viele Punkte, von denen Gemeinden oft direkt betroffen sind. Gleich zu Beginn findet sich beispielsweise der Punkt „Neue, ebenen-übergreifende Governance für den Klimaschutz“, wo es heißt: „Auf bestehenden Bundeskompetenzen basierend wird die Zusammenarbeit mit den Bundesländern und Gemeinden forciert, um die Zielerreichung zu steuern.“ Wie soll das genau vor sich gehen? Sitzen die Gemeinden – oder besser der Gemeindebund – da mit am Tisch?

Unser Ziel ist ambitioniert: Österreich soll bis 2040 klimaneutral sein. Wir möchten die Chancen, die wir durch die Bewältigung der Klimakrise bekommen, möglichst umfangreich nutzen. Wir fördern daher Initiativen wie die e5 Gemeinden, Klima- und Energie-Modellregionen und die Klimaanpassungsregionen. Auch das Klimabündnis ist ein wichtiger Partner.

Viele Gemeinden haben einen langen Erfahrungsschatz und viele innovative Ideen. Diese wollen wir einbinden und nutzen, um am Ende zu guten Ergebnissen zu kommen. Denn nur gemeinsam können ambitionierte Ziele umgesetzt werden.

Angesprochen ist auch ein „Verantwortlichkeitsmechanismus“ bei einer Zielverfehlung. Woran ist bei so einem Mechanismus gedacht? Und soll es auch Sanktionen geben?

Wenn wir so weitermachen wie bisher, drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe, ganz abgesehen von den vielen Chancen, die uns dadurch entgehen: saubere Luft, saubere Umwelt und regionale Wertschöpfung, vor Ort, in den Gemeinden.

Bereits im bisherigen Klimaschutzgesetz, das bis 2020 gilt, gibt es eine Aufteilung von möglichen Strafzahlungen zwischen Bund und Ländern. Auch in Zukunft wollen wir wirksame Ziel für den Klimaschutz festlegen, mit denen wir sicherstellen, dass alle an einem Strang ziehen und wir uns Strafzahlungen ersparen.

Am wichtigsten ist daher, dass wir rasch durch konkrete Maßnahmen, beispielsweise durch eine ökosoziale Steuerreform und Investitionen in die erneuerbaren Energien und eine echte Öffi-Wende mit mehr Angebot und besserer Anbindung dafür sorgen, dass wir die Weichen in Richtung Klimaneutralität stellen.

Wichtige Klimaschutzprogramme sollen laut Programm weitergeführt werden. Läuft das einfach weiter oder ist auch an eine Ausweitung/Erhöhung der Mittel für Gemeinden gedacht?

Das heurige Budget kann das Regierungsprogramm natürlich noch nicht voll abbilden, es ist ein Übergangsbudget. Für die nächsten Schritte gehen wir nun gemeinsam mit unserem Koalitionspartner in die Vorbereitung und werden die im Regierungsprogramm verankerten Ziele in konkrete Projekte gießen.

Dazu gehört auch, dass wir dort weitermachen, wo es schon gute erste Schritte gibt – mit einer Sanierungsoffensive, mit dem Ende der Ölheizungen und einem umfassenden Umstieg auf erneuerbare Energien. In diesen Bereichen wird es rasch losgehen, denn viel Zeit bleibt uns allen nicht mehr.

Wenn man im Programm in die Tiefe geht, finden sich weitere Punkte, bei denen sich Fragen ergeben: so bei der dreiprozentigen Sanierungsquote und den Leitlinien für eine ökologische Sanierung für alle Institutionen des Bundes. Wie weit ist da an Gemeinden gedacht?

Es braucht aus meiner Sicht ein gut aufeinander abgestimmtes Bündel an Maßnahmen, das neben Bewusstseinsbildung auf soziale Gerechtigkeit und effektives Umsteuern setzt. Mit einem solchen Bündel an Maßnahmen wird es uns gelingen, auch den Gebäudebestand sozial verträglich auf ein innovatives und zukunftsfittes Niveau zu bringen. In den nächsten Monaten arbeiten wir die Details dazu aus.

Wir möchten als Bund mit gutem Beispiel vorangehen und zählen darauf, dass uns auf diesem Weg viele folgen. Wir können natürlich auch voneinander lernen und unsere Aktivitäten laufend gemeinsam verbessern. Gemeinden sind dabei wichtige Partner.

Der Fuhrpark ist auch so eine Sache: Wenn emissionsfreie Fahrzeuge für die öffentliche Hand Standard werden sollen, wie steht es mit Fahrzeugen des Winterdienstes? Ein Schneepflug-Lkw mit „alternativem Antrieb“ wird nicht so schnell verfügbar sein. Dasselbe gilt für die Fahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehren, an deren Anschaffung Gemeinden oft massiv beteiligt sind.

Wir wollen in der öffentlichen Verwaltung Vorbild sein. Wir stellen zum Beispiel die Fuhrparks um, beginnend mit emissionsfreien Fahrzeugen in den Ministerien und im öffentlichen Dienst. Hier sollen bereits 2022 emissionsfreie Antriebe zum Standard werden, bei großen Flotten-Taxis und Mietwägen ab 2025.

Bei gewöhnlichen PKW wird der Elektroantrieb rasch die beste Option sein, in anderen Bereichen wird es noch dauern, bis emissionsfreie Fahrzeuge breit verfügbar sind. Dazu gehören sicher auch die angesprochenen Nutzfahrzeuge. Aber ich bin zuversichtlich: Die Innovationskraft ist hier groß und wir haben in Österreich schon so manches geschafft.

Ein für Gemeinden heißes Thema ist die geplante „Weiterentwicklung der Wohnbauförderung“. Vor allem die Formulierung „raumordnungsrelevanter Aspekte wie z. B. die Bebauungsdichte“ zielt aus unserer Sicht darauf ab, Ortskerne zu stärken. Damit laufen Sie bei Gemeinden sicher offene Türen ein, aber es gibt eine Menge an Fragen zu klären.

Oft scheitern solche Konzepte an der fehlenden Bereitschaft von Besitzern von nicht genutzten Gebäuden, diese auch den Gemeinden zu verkaufen. Die Frage ist: Mit welchen (auch rechtlichen) Werkzeugen sollen die Gemeinden ausgestatten werden, um hier eingreifen zu können?

Das ist natürlich ein großes Projekt. Aber nur weil die Umsetzung bei manchen Dingen zu Beginn schwierig wirkt, heißt das noch lange nicht, dass wir sie nicht trotzdem angehen müssen. Bei der Umsetzung sind natürlich sowohl Städte und Gemeinden als auch die Länder gefragt. Das ist genau so ein Thema, wo Bund, Länder und Gemeinden eng zusammenarbeiten müssen, um es gemeinsam zu lösen.

Das Thema „erneuerbare Energie“ ist ein anderer Punkt, wo Gemeinden bereits jetzt schon vorbildhaft agieren – Beispiel PV-Anlagen auf Dächern. Aber oft sind ihnen aus rechtlicher Sicht die Hände gebunden.

Eine Bürger-Photovoltaik-Anlage wird auf Dächern nicht klappen, dazu braucht es oft bis zu zehntausend Quadratmeter Fläche. Erstens steht diese in vielen Gemeinden nicht zur Verfügung und zweitens ist der Boden dann für andere Nutzungen auch verschlossen – z.B. Parkplätze. Oder ist daran gedacht, diese Flächen zu überdachen?

Bisher war die Planungssicherheit ein großes Problem. Jährlich wechselnde Bundesförderungen, kurzfristige Zusagen und andere Aktivitäten waren oftmals nicht hilfreich.

Wir wollen jetzt mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz stabile Rahmenbedingungen für die Menschen und die Wirtschaft schaffen. Das heißt: langfristig planbare Förderungen. Zweitens betrifft das natürlich rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen. Wir wollen in koordinierenden Gesprächen identifizieren, wo wir helfen können. Für all das braucht es immer eine laufende Abstimmung über mögliche Verbesserungspotenziale.

Ein wichtiges Element sind für uns die Energiegemeinschaften: So können verfügbare Flächen gemeinsam genutzt werden. Beim Thema Freiflächen liegt unsere erste Priorität bei der Doppelnutzung.

Noch ein Punkt, der uns unklar erscheint, ist die Frage nach den Schwankungen in den Netzen bei der Einbindung von Solar- oder Windkraftwerken. Eine Lösung wäre die Förderung großer Energiespeicher, wobei damit auch die immer wieder auftauchende Frage nach der Reaktion auf Blackouts geklärt wäre. Wie sieht hier Ihr Lösungsansatz aus?

Hier gibt es eine Menge an europäischen, aber auch nationalen Aktivitäten. Dahinter liegt ein wesentlich größeres Thema, nämlich, dass unser Stromsystem nicht nur lokal, sondern vor allem durch europaweite Ereignisse geprägt ist und historisch rund um fossile Kraftwerke herum gestaltet wurde.

Derzeit läuft der Umbau. Stromnetze, Speicher, aber auch Gesetze und Regularien müssen angepasst werden, um „fit“ für erneuerbare Energien zu werden. Und das ist möglich! Dieser Umbau ist ein langfristiger Prozess, aber wir sehen uns derzeit gut aufgestellt und bringen laufend neue Initiativen auf den Weg, um die notwendigen Änderungen durchzuführen. Insofern sollten wir uns nicht vor Blackouts oder ähnlichen Dingen fürchten, sondern die Maßnahmen treffen, um es gar nicht so weit kommen zu lassen.

Im Kapitel „Technologieoffensive“ findet sich der Unterpunkt „energieeffizientes Dorf“ als neues Projekt. Woran ist da genau gedacht?

Wir haben ein großes Ziel: Klimaneutralität in Österreich bis 2040. Um die Weichen dafür richtig zu stellen, haben wir – wie es uns die Wissenschaft sagt – zehn Jahre Zeit. Für eine Dekarbonisierung bis 2040 braucht es deutlich verstärkte Anstrengungen in allen Sektoren. Dazu gehören zukunftsfähige Raumordnung, Flächenrecycling, eine umfassende thermisch-energetische Sanierung bislang nicht sanierter Gebäude und der zügige und konsequente Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Brennstoffen.

Spannend in diesem Zusammenhang sind auch die ganzheitlichen und individuell zugeschnittenen Konzepte „energieeffiziente Stadt“ und „energieeffizientes Dorf“. Städtische und ländliche Regionen benötigen unterschiedliche Konzepte für die Energiewende: Während im städtischen Bereich mit einer hohen Bevölkerungsdichte beispielsweise eine leitungsgebundene Wärmeversorgung wirtschaftlich ist, können in ländlichen Regionen dezentral verfügbare erneuerbare Energieträger eingesetzt werden.

Verkehr und Mobilität ist der nächste Brocken. Der verstärkte Öffi-Ausbau in den ländlichen Gebieten ist längst überfällig, aber die Kostenfrage vor allem unter Berücksichtigung der Frage„Fahrgastanzahl zu Kilometerleistung““, sprich die Auslastung, ist ungeklärt. Mit welchem Investitionsbedarf rechnen Sie, damit wirklich flächendeckende, leistbare Mobilität vor allem im ländlichen Bereich umgesetzt werden kann? Und wer soll das bezahlen?

Wir wollen beim Verkehr die notwendige Trendwende bei den CO2-Emissionen schaffen. Dafür bedarf es engagierter Umsetzungsprogramme, für die wir nun Schritt für Schritt Maßnahmen entwickeln. Die Ziele sind klar: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern und Verkehr verbessern. Dazu gilt es, den Anteil umweltverträglicher Mobilität – Fuß- und Radverkehr, öffentliche Verkehrsmittel und Shared Mobility – deutlich zu steigern und verbleibende Autofahrten und Transporte auf emissionsfreie Antriebe umzustellen.

Ich komme selbst vom Land, aus einem kleinen Ort mit 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in der Steiermark und ich weiß daher, wie es ist, wenn man nach dem Kino nicht mehr mit dem Bus nach Hause fahren kann.

Leonore Gewessler
„Ich komme selbst vom Land, aus einem kleinen Ort mit 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in der Steiermark und ich weiß daher, wie es ist, wenn man nach dem Kino nicht mehr mit dem Bus nach Hause fahren kann.“

Unser Ziel ist es, dass jeder Ortskern – auch am Wochenende oder in den Abendstunden – öffentlich erreichbar sein soll. Mit dem 1-2-3-Ticket, einem meiner Herzensprojekte, wollen wir öffentliche Verkehrsmittel für noch mehr Menschen zur ersten Wahl machen. Damit das alles gelingt, leistet der Bund seinen Beitrag – finanziell, aber auch mit den richtigen Rahmenbedingungen.

Nicht ganz sicher sind wir uns beim Punkt „Verkehrssicherheit“ – fällt das in Ihr Ressort oder liegt das beim Innenminister? Aber falls es bei Ihnen ist: Temporeduktion ist nur ein Schritt, die notwendige Überwachung der Einhaltung der zweite. Sollen Gemeinden eine Radarmessung auf Gemeindegebiet erhalten? Das ist etwas, was Gemeinden seit Langem fordern.

Ganz klar: Wir begrüßen jegliche Maßnahme für mehr Verkehrssicherheit, wie Temporeduktionen vor Schulen. Und es ist klar: Je schneller man fährt, desto mehr Emissionen stößt man aus. Deshalb habe ich mich auch entschlossen, den Tempo-140-Test zu beenden und in ganz Österreich wieder Normaltempo 130 einzuführen.

Das Einhalten der bestehenden Geschwindigkeitsregeln verbessert nicht nur die Luftqualität – bei etwa jeder vierten im Verkehr getöteten Person wird überhöhte Geschwindigkeit als Hauptunfallursache angenommen. Wir haben im Regierungsprogramm daher vereinbart, die sogenannten Straftoleranzen bei überhöhter Geschwindigkeit österreichweit zu vereinheitlichen. Zuständig dafür sind die Länder bzw. ihre Bezirksverwaltungsbehörden und Stadtpolizeikommandos. Viele der anderen Themen liegen in meinem Ressort.

Letzte Frage zum „Bürokratieabbau im Straßenverkehr“. Gemeinden stoßen im Zusammenhang mit „Schilderwäldern“immer wieder auf große Schwierigkeiten. Wie soll die angekündigte „Evaluierung der Beschilderung“ aussehen? Soll es für Gemeinden Erleichterungen geben, zum Beispiel bei der Ausweisung von zentrumsnahen Begegnungszonen?

Wo es praktikable und konsensfähige Vorschläge zur Reduktion des Verwaltungsaufwandes im Straßenverkehr gibt, werden wir das sicher gerne aufgreifen. Hinsichtlich Anpassungen der Straßenverkehrsordnung wollen wir in diesem Jahr vor allem bei der Förderung aktiver Mobilität, also des Zufußgehens und Radfahrens, beginnen. Für einen attraktiven öffentlichen Raum spielen dabei neben rechtlichen Erleichterungen und einer Ausweitung des Rücksichtnahmeprinzips auch Infrastruktur und Verkehrsorganisation eine wichtige Rolle.