Menschen vor einer Skihütte
Dass die Menschen ihr Reiseverhalten ändern, wird nicht der Fall sein. Achtzig Prozent der Menschen warten nur darauf, dass sie ihr Freizeit- und Urlaubsverhalten endlich wieder uneingeschränkt und so wie früher ausüben und ausleben können.
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Im Tourismus wird alles nachgeholt

Sorgenkind Tourismus: Zwar werden die Gäste aufholen, was sie coronabedingt ausgelassen haben, doch sind harte Einschnitte zu erwarten. Können die Gemeinden ihre lokalen Tourismusbetriebe unterstützen? Ein Tourismusforscher gibt Antwort.

Der Tourismus liegt derzeit, gelinde gesagt, darnieder. Zwar ist er bei Weitem nicht der einzige Wirtschaftszweig, der von den Auswirkungen der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung beeinträchtigt wurde. Der Tourismus wurde allerdings außerordentlich schwer getroffen und das ist umso tragischer, da er für die heimische Volkswirtschaft bedeutender ist, als es in praktisch jedem anderen Land der Welt der Fall ist.

Abgesehen von den beiden Inselstaaten im Mittelmeer, Malta und Zypern, und knapp vor Kroatien hat Österreich weltweit den größten BIP-Anteil pro Kopf durch den Tourismus zu verzeichnen. Das bedeutet: Fallen die Tourismuseinnahmen komplett aus, trifft uns das härter als so ziemlich alle anderen, selbst vermeintliche Schwergewichte wie Spanien oder Italien.    

Bedeutung des Tourismus in Österreich wird unterschätzt 

Das ist vielen in dieser Drastik gar nicht bewusst. Der Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, Peter Zellmann, bestätigt das: „Die Bedeutung des Tourismus in Österreich wird volkswirtschaftlich dramatisch unterschätzt. Tourismus ist das wirtschaftliche Alleinstellungsmerkmal in Österreich, und die induzierten Abhängigkeiten, also Berufe, die scheinbar und auf den ersten Blick gar nichts mit dem Tourismus zu tun haben, sind viel größer als wir es uns vorstellen. Wie etwa der Tischler, der dem Bäcker den Laden neu einrichtet, der wiederum 50 Prozent seiner Umsätze mit der Gastronomie und Hotellerie in der Umgebung macht. Diese Umsätze sind dem Tourismus gar nicht zugerechnet.“

Bedeutung des Tourismus für die eigene Region ist vielen bewusst

Für Gemeinden zahlt es sich aus, in Erfahrung zu bringen, wie diese induzierten Abhängigkeiten im Hinblick auf den Tourismus in der eigenen Kommune aussehen. „Mit den heutigen digitalen Möglichkeiten kostet das nur ein paar hundert Euro“, erklärt Zellmann. Im Jahr 2016 hat er dazu eine repräsentative Studie gemacht, mit dem Ergebnis, dass 75 Prozent aller Österreicher vom Bodensee bis zu Neusiedler See der Aussage zustimmen: „Auf bestimmte Weise hängt in meiner Region jeder vom Tourismus ab.“

Die emotionale Einstellung, dass der Tourismus für die eigene Region wichtig sei, ist überall präsent. Die Schwankungsbreite erstreckte sich dabei von 60 bis 90 Prozent und nicht, wie man meinen würde, von 0 bis 100 Prozent. Das bedeutet, selbst in Gemeinden, in den man es gar nicht vermutet hätte, sind 60 Prozent der Bevölkerung dieser Ansicht. „Die rahmengestaltende Politik hat das mancherorts vielleicht zu wenig im Hinterkopf“, gibt Zellmann zu bedenken.

Derzeitige Probleme lassen sich oft nur auf Gemeindeebene lösen

Angesichts dieser faktischen, aber auch der subjektiven Bedeutung des Tourismus ist die momentane Situation ein Super-Gau. Im Regelfall herrscht überall totale Flaute. Mancherorts hingegen kann die Lage jedoch schnell ins andere Extrem kippen, wie die Situation Anfang Jänner 2921 am Semmering bewies. Tagesausflügler, größtenteils aus Wien, stürmten den Ort und die umgebende Landschaft. Ihre Fahrzeuge parkten kilometerlang die Bundesstraße entlang. Sperren, wie etwa der Rodelwiese, waren unumgänglich.

„Solche Beispiele sind allerdings medial hochgespielte Einzelereignisse und nicht typisch“, weiß Zellmann. Überrascht hat ihn die Situation am Semmering dennoch nicht, „wie jeden, der sich mit dem Freizeitverhalten der Menschen auseinandersetzt, doch das tun wir  zu wenig. Freizeit gilt immer noch als eine Restkategorie und bestenfalls als Konsum, dabei spielen sich dort im Außerberuflichen die Einstellungen, die Sehnsüchte, die Hoffnungen und Ängste der Menschen ab. Das war mir ganz klar - ab dem Moment, wo man das darf, wird der Semmering überrollt werden. Wobei 10.000 Menschen bzw. 2000 oder 3000 Autos bei rund zwei Millionen Einwohnern in der Relation eigentlich nichts sind.“

Die Gemeinden wären aufgerufen, so etwas vorauszusehen, denn dies sei nur auf Gemeindeebene zu lösen, meint Zellmann und bekennt: „ Dazu muss die Autonomie der Gemeinden viel mehr gestärkt werden. Es muss dem jeweiligen Bürgermeister möglich sein, im Rahmen seiner möglichen Gegebenheiten Letztentscheidungen zu treffen.“ 

Massenandrang kann man nur über Geld steuern

Als Lösungsansatz nimmt Zellmann Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit dem Over­tourism gewonnen wurden, von Orten wie Hallstatt oder Dürnstein.

„Man kann nur vor Ort mit den dort lebenden Gastgebern entscheiden, wie mit den Menschenmassen umgegangen wird. Dazu gehört auch eine solide Vorbereitung. In Hallstatt war die Entwicklung seit Jahren linear, also ganz klar abzusehen. Wenn man ehrlich ist, kann man die Massen nur über das Geld steuern, also über den Eintrittspreis. Da kosten dann eben das Parken und der Slot für den Bus und solche Dinge. Im Leben ist es nun mal so, dass nicht allen alles möglich ist. Overtourism kann man nur mit Eintrittspreisen regeln. Für spontan auftretende Überbelastungen sollte man in den Gemeinden deshalb einen dahingehenden Plan ausarbeiten.“   

Wie mit dem Ausbleiben von Touristen umgehen?

Viel häufiger als nach dem Zuviel an Besuchern ist dieser Tage allerdings die Frage, wie die Gemeinden mit dem Ausbleiben der Gäste umgehen sollen. Wie erhält man seine örtliche Tourismusinfrastruktur bestmöglich? Wer benötigt am dringendsten Unterstützung? Wie es weitergehen wird, weiß niemand.

Peter Zellmann
Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung: „Wir haben keine Ahnung, wie viele Betriebe das aushalten. Momentan findet ja nur ein Hinausschieben der Insolvenzen statt.“

„Trendforscher, die jetzt wissen, wie wir  nach Corona leben, sind schlicht unseriös“, sagt Zellmann. „Wir haben keine Ahnung, wie viele Betriebe das aushalten. Momentan findet ja nur ein Hinausschieben der Insolvenzen statt. Ob das jetzt ein Drittel der Betriebe sein wird, ob die Hälfte oder nur 20 Prozent – das sind alles Schätzungen, mit denen man zwar in den Medien vorkommt, die aber unseriös sind. Ich fürchte, es wird eine hohe Anzahl an Betrieben sein, die das nicht durchhalten. Das gilt nicht nur für Hotellerie und Gastronomie, sondern auch für den Handel“, zeichnet Zellmann ein düsteres Bild der Zukunft. 

Was kann die Gemeinde tun?

Ähnlich wie jetzt schon mit Umsatzausgleich, Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss Betriebe seitens des Bundes über Wasser gehalten werden, wäre das auch die Stoßrichtung, in die Gemeinden ihre ortsansässigen Betriebe unterstützen könnten. Eine Rettung ist in jedem Falle sinnvoll.

Dort, wo die Gemeinde Eigentümer ist, oftmals in kleinen Städten, könnte man die Betriebe unterstützen, indem man ihnen einen Mieterlass oder Fixkostenzuschuss gewährt. Man sollte die Bürger informieren, welche Betriebe man unterstützt und warum man ihnen hilft. Es geht nicht nur um Hotellerie und Gastronomie, sondern um viele kleinere Unternehmen, die mittel- und  unmittelbar vom Tourismus abhängen und ihm zuarbeiten. 

Oliver Schenk von der Österreichischen Hoteliervereinigung regt an, dass die Gemeinden am Image der Urlaubsdestination mitarbeiten. Etwa in der Form, dass sie für das absehbare „Rein­testen“  die entsprechende Infrastruktur schaffen.

Strukturen für das „Rein­testen“ schaffen

„Hat ein Hotel oder Restaurant einen Gast, der keinen Test vorweisen kann, kann man denjenigen dann relativ schnell und unkompliziert zu einer Stelle vor Ort schicken, bei der er einen Test machen und wieder zurückgehen kann. Gemeinden können bei solchen Abläufen sicher sehr viel unterstützen und koordinieren“, zeigt sich Schenk überzeugt.   

Dass kleine Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu großen Hotelketten oder Skiresorts Probleme hätten, ausreichend Unterstützungen abzuschöpfen, kann Schenk nicht bestätigen. Im Gegenteil: „Momentan ist es mit Blick auf die Förderlandschaft so, dass kleine Betriebe ganz gut durchkommen, mittlere und große Hotels jedoch sehr schnell den Deckel von 800.000 Euro  bzw. den jetzt auf eine Million Euro aufgestock­ten Maximalbetrag ausschöpfen. Für eine Hilton-Gruppe beispielsweise ist das jetzt nicht der große Wurf.“

Gefragt nach den Aussichten für das bevorstehende Tourismusjahr betont Schenk, keine Prognose abzugeben. Die Bandbreite zwischen Idealbild und Worst-Case-Szenario sei groß, und zu oft sei in den vergangenen Monaten Letzteres eingetreten.

Hoffen auf den Sommertourismus

Oliver Schenk
Oliver Schenk, Österreichische Hoteliervereinigung: „Bei den See­gebieten hat es 2020 sehr gut funktioniert, Es war nicht der große Jubel, aber es war vielerorts besser als erwartet. Ich schätze, es wird diesen Sommer ähnlich werden.“


Er äußert allerdings eine hoffnungsvolle Vermutung dahingehend, dass zumindest der Sommertourismus ähnlich dem letzten Jahr halbwegs gut ablaufen werde. „Bei den See­gebieten hat es 2020 sehr gut funktioniert, vor allem in den Toplagen. In den B- und C-Lagen, das heißt ohne den direkten Zugang zum See, war es etwas schwieriger. Es war nicht der große Jubel, aber es war vielerorts besser als erwartet, etwa in Kärnten oder im Burgenland. Ich schätze, es wird diesen Sommer ähnlich werden.“

Das vermutet auch der Tourismuswissenschaftler Peter Zellmann, wobei auch er betont, damit keine Prognose abgeben zu wollen. 

Reisverhalten wird sich nicht ändern

Immerhin hat Zellmann durch seine lange Forschungstätigkeit auf dem Gebiet Freizeit und Tourismus manche Verhaltensmuster identifizieren können und meint: „Dass die Menschen ihr Reiseverhalten ändern, wird nicht der Fall sein. Achtzig Prozent der Menschen warten nur darauf, dass sie ihr Freizeit- und Urlaubsverhalten endlich wieder uneingeschränkt und so wie früher ausüben und ausleben können.

Beim Streben nach Verlangsamung und Zeit für Freunde und Familie, ebenso wie bei einem gesteigerten Umweltbewusstsein, ist zwar der Wunsch Vater des durchaus vernünftigen Gedankens. Doch in Wahrheit wird ein Überausgleich auf Österreich zukommen, das ist keine Frage.

Wenn man die Menschen in Europa wieder reisen lässt, wird nachgeholt, was aufgeschoben wurde. Was Trendforscher vorausgesagt haben – da lehne ich mich aus dem Fenster –, dass wir jetzt alle gelernt hätten, mit unserem Leben und unserer Umwelt vorsichtiger umzugehen, wird zurückgestellt werden und es wird zunächst zu den alten Gewohnheiten zurückgekehrt. Vielleicht wird später einmal nachgedacht, ob es auch anders geht.“ 

Wellness­urlaub wird sich schnell erholen

Man sollte sich auch bewusst sein, dass sich die verschiedenen Tourismuszweige unterschiedlich schnell erholen werden.

„Der Wellness­urlaub wird sich sehr schnell erholen. Ebenso wird sich fast alles, was Kurzurlaub ist, sehr schnell erholen, und der Skiurlaub wird im nächsten Winter eine Renaissance erleben. Erfreulich für die Betriebe, die bis dahin durchgehalten haben“, sagt Zellmann, „problematischer ist es leider für den Städtetourismus. Der hat wahnsinnig gelitten. Wir sehen jetzt in der Innenstadt, was der Tourismus auch für Wien bedeutet. Schon im Soft-Lockdown, als die Lokale offen waren, waren sie in der Innenstadt praktisch leer bzw. deutlich weniger besetzt. Als Wiener bekam man gar nicht so mit, wie viele Ausländer oder Leute aus anderen Bundesländern da waren. Städteflüge boomten in der Vergangenheit, weil sie preisgünstig waren.  Dieses Preisdumping wird von den Fluglinien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aufrechterhalten werden können. Die Flugpreise werden steigen und es werden nicht so viele Flüge sein wie früher. Daher werden auch in der Stadthotellerie einige Betriebe wegfallen.“

Gemeinden müssen Alleinstellungsmerkmal aufbauen

Auf die Frage was Gemeinden langfristig für ihren Tourismus tun können, empfiehlt Zellmann, „ein qualitativ hochwertiges Alleinstellungsmerkmal aufzubauen, um sich auch abseits des Mainstreams zu entwickeln“. Im Idealfall passiere das in einem moderierten Bottom-up-Prozess mit der Bevölkerung. Jede Gemeinde, die die Lebensqualität der eigenen Bürger in der Freizeit fördert und als politisch wichtig ansieht, macht schon den ersten Schritt in Richtung touristisches Angebot, denn eigentlich wollen Gäste „Einheimische auf Zeit“ sein. Dieses Gefühl „Ich bin in der Region zu Hause und komme auch gerne wieder“ sei gerade für die kleineren Gemeinden, in denen der Stammgästeanteil viel höher ist, eine besonders wichtige Erkenntnis.

Gemeinden können oft schneller reagieren

Im Rückblick auf die bisherige Corona-Pandemie und das Krisenmanagement in den Kommunen meint Zellmann übrigens: „Was wir im Hinblick auf die Politik aus der Krise gelernt haben könnten, ist, dass in der Gemeinde viel mehr, viel besser und viel schneller entschieden werden kann als am Schreibtisch im Ministerium. Wobei das kein Gegeneinander-­Ausspielen sein soll. Zentral müssen die Rahmenbedingungen erstellt werden, keine Frage. Aber die Letztentscheidungen und möglichen Interpretationen gehören noch viel besser in die Gemeinden hinuntergebrochen, als das derzeit der Fall ist – bei aller Fehleranfälligkeit. Fehleinschätzungen machen Bundesregierungen genauso wie Bürgermeister - das allein ist also kein Kriterium. Die Gemeinden sind das Rückgrat der Politik. Medial berichtet wird immer nur über das Große, abhängen tun wir aber vom Kleinen. Das gilt für den Tourismus und die Wirtschaft genauso wie die Politik.“