Gerhard Beer
Gerhard Beer: „Ich sehe die Gemeinde als großes Ganzes, nicht als Summe vieler Einzelinteressen.“
© Gemeinde Hittisau

„Hier ist man stolz, Wälder zu sein“

Gerhard Beer ist Bürgermeister der almenreichsten Gemeinde Österreichs. Der Vorderwälder Vordenker hat eine bemerkenswerte Vergangenheit und mit Hittisau und seinen Bürgern noch einiges vor.

Hittisau ist eine Gemeinde im vorderen Bregenzerwald. Gemessen an der Bevölkerungszahl unterdurchschnittlich groß, liegt die Gemeinde flächenmäßig dafür leicht über dem österreichischen Schnitt. Wer folglich glaubt, es handle sich daher wohl um einen typischen, recht gewöhnlichen Ort, der irrt gewaltig.

Hittisau vom_Hittisberg
Hittisau liegt inmitten einer Dreitälerschlucht im Osten des Bregenzerwaldes. Mit 81 Alpen ist die Gemeinde die almenreichste Österreichs. Foto: CC BY-SA 4.0 Reinhard Müller

Tatsächlich ist die Kommune in vielerlei Hinsicht höchst außergewöhnlich. Darum passt auch Gerhard Beer als Bürgermeister perfekt hierher. Auch seine Geschichte ist außergewöhnlich, zudem tragen bereits etliche Vorgänge in Hittisau seit vielen Jahren seine Handschrift.

Gerhard Beer stammt eigentlich aus Dornbirn. Aufgewachsen ist er in einem Haus mit vier Generation unter dem Dach. Soziale Verantwortung  sowie gegenseitige Rücksichtnahme und Unterstützung wurden ihm so von Anbeginn täglich vorgelebt.

Kommunaler Start in der Dornbirner Verwaltung

Nach dem Gymnasium lernte er im väterlichen Betrieb Einzelhandelskaufmann. Zur Politik kam Beer allerdings „wie die Jungfrau zum Kind“. Zwar hatte er sich schon immer für kommunales Geschehen interessiert, war in Vereinen aktiv und hatte immer guten Kontakt zu Gemeindepolitikern.

„Den unbedingten Willen, einmal in der Politik zu landen, hatte ich allerdings nicht - oder zumindest nur sehr im Geheimen“, erinnert er sich an die Anfänge zurück.

Begonnen hat es eigentlich noch in Dornbirn, als er mit 18 Jahren vom damaligen Stadtamtsdirektor in den Verwaltungsdienst der Stadt Dornbirn „entführt“ worden ist. Das war noch, bevor die Geschichte mit seiner jetzigen Frau Daniela immer konkreter wurde. Seiner Frau, derentwegen er hierher in den Bregenzerwald zog, mit der er bis heute - nicht zuletzt wegen der zwei gemeinsamen Kinder und ihrer famosen Kochkünste - glücklich zu sein scheint.

Überhaupt ist Hittisau heute ein kulinarischer Hotspot, doch dazu später mehr. 

Gemeindesekretär, Pflegeheimleiter und Sparkassen-Filialleiter

Beer wurde erst einmal Gemeindesekretär in Hittisau – der jüngste damals im ganzen Land. Sein Vorgänger ward nämlich zum Bürgermeister gewählt. Fünf Jahre später bat genau dieser ihn, sich auch auf die Einheitsliste setzen zu lassen, und ehe sich’s Beer versah, war er mit den drittmeisten Vorzugsstimmen gewählt worden.

Aufgrund eines Todesfalls rückte er schnell in die Gemeindevertretung nach und sollte dort ein knappes Jahrzehnt bleiben. Beruflich wechselte er vom Gemeindesekretär zum Pflegeheimleiter in Hittisau und später zum Filialleiter der örtlichen Sparkasse.

„Zur Wahl 2010 habe ich mich nicht mehr zur Verfügung gestellt - auch weil meine beruflichen Herausforderungen andere waren“, erzählt Beer über seinen Ausstieg aus der Politik. Private Angelegenheiten hatten Vorrang, zudem arbeitete er fortan als selbstständig Handelstreibender und Feinkosthändler in Berlin.    

Zur Wahl 2015 ließ sich Beer jedoch zu einem abermaligen Einstieg in die Politik überreden und wurde prompt Bürgermeister. Erst Mitte September wurde er neuerlich in seinem Amt bestätigt.

Einziges Frauenmuseum Österreichs

Gute fünf Jahre ist Beer nun Ortschef – was in der Gemeinde vor sich geht, weiß er jedoch schon seit seinen Anfängen als Gemeindesekretär. Da wäre zum Beispiel das Frauenmuseum. Nebenbei bemerkt das einzige in Österreich, und im ländlichen Raum gar weltweit das einzige seiner Art.

„Ich bin einer der Befürworter der ersten Stunde und war seinerzeit  schon bei der Entscheidung dabei, das Museum einzurichten,“ erinnert sich Beer. Nun als Bürgermeister war es ihm ein großes Anliegen, den Fortbestand der Einrichtung gewährleisten zu können.

Frauenmuseum Hittisau
Foto: Das Gebäude des Frauenmuseums wurde mit zahlreichen Architekturpreisen ausgezeichnet. Spannend ist seine Aufteilung. Im Obergeschoß ist das weiblich dominierte Frauenmuseum. Im Untergeschoß ist die Feuerwehr, die in Hittisau keine Frauen aufnimmt, und in der Mitte, quasi als Puffer, der Musikverein, bei dem beide Geschlechter zugelassen sind. Foto: Tobias Heimplaetzer

Das Museum ist ein enormer Budgetposten, daher wurde es aus der alleinigen Rechtsträgerschaft der Gemeinde ausgegliedert und ein Verein gegründet, damit die finanziellen Grundlagen dauerhaft gesichert sind. Der Betrieb des Museums rechnet sich auf alle Fälle. Eine Erhebung ergab, dass für jeden Euro, der aus der öffentlichen Hand ins Frauenmuseum fließt, mindestens drei Euro an Wertschöpfung zurückkommen. 

Ein Kriegerdenkmal neuer Art

Die Einigung auf einen gemeinsamen Wasserverband letztes Jahr ist ein anderes Beispiel für Beers Engagement, Projektansätze, die seit Jahrzehnten bestehen, zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.

Auch der Platz neben der Kirche wurde unter seiner Ägide endlich neu gestaltet. Und zwar, indem das vielerorts als sakrosankt angesehene Kriegerdenkmal abgetragen und durch eine differenzierteres Gedenkstätte ersetzt wurde. Man beachte den feinen Unterschied. Nun geht es nicht nur um Soldaten, sondern um alle Opfer. DENK.MAL – so die bewusste Namensgebung für den neuen Platz lädt zur Begegnung und Kommunikation ein und erinnert daran, dass 75 Jahre Frieden nicht selbstverständlich sind“, erklärt Beer das Konzept dahinter. Das Miteinander ist ihm grundsätzlich immer wichtig: „Ich sehe die Gemeinde als großes Ganzes, nicht als Summe vieler Einzelinteressen.“ 

Kriegerdenkmal in Hittisau
Die neue Gedenkstätte in Hittisau soll nicht nur der Gefallenen und Vermissten der Kriege, sondern auch an Hinterbliebene, Witwen und Kriegswaisen sowie der traumatisiert Zurückgekehrten erinnern. Sie soll darüberhinaus aber auch ein mahnendes DENK.MAL im Sinne jener sein, die als nicht lebenswert betrachtet wurden. Foto: Helmut Scheffknecht

Zusammenarbeit ist für Beer aber auch außerhalb der Gemeinde elementar: „Wir sind im Vorderbregenzerwald neun Gemeinden, und in den letzten paar Jahren sehr bekannt dafür geworden, Kooperationen zu initiieren, gemeinsame Ideen zu entwickeln und diese auch umzusetzen.“

Vieles wurde bereits erreicht. Den Sozialsprengel etwa gibt es schon lange. In ihm sind die Hauskrankenpflege, mobile Hilfsdienste, Essen auf Rädern und Ähnliches organisiert und strukturiert.

Gemeindekooperation statt -zusammenlegung

Oder die Wirtschaftsregion Vorderwald: „Wir haben erstmalig in Vorarlberg ein gemeinsames Betriebsgebiet gekauft und entwickelt, dazu eine Gesellschaft gegründet und einen interkommunalen Finanzausgleich beschlossen.

Die Gemeinde Sibratsgfäll mit 370 Einwohnern lukriert schlussendlich die gleichen Kommunalsteuereinnahmen wie wir als größte Gemeinde mit 2075 Einwohnern“, beschreibt Beer das Konstrukt und zählt weiter auf: „Jetzt sind wir dran an einer gemeinsamen Finanzverwaltung, weil wir wissen, dass es für die kleinen Gemeinden zunehmend schwerer wird, in allen Bereichen für alle Aufgaben die entsprechende Fachkompetenz zu besitzen. Wir sind in sehr vielen Bereichen nicht nur gefordert, sondern auch überfordert – so ehrlich muss man sein. Deshalb versuchen wir regionale Strukturen zu schaffen, die die eigenen entlasten. Solange wir es schaffen, uns selbst zu organisieren, ist die Gefahr nicht groß, dass wir von oben aufgefordert werden, uns zusammenzuschließen.“ Das sei für die Vorderwälder nämlich, schon von der Mentalität her, keine Option.   

Hittisau ist eine führende e5-Gemeinde und als Mitglied der KLAR-Region, der Energieregion Vorderwald und der REGIO im Bregenzerwald zudem sehr gut aufgestellt.

Länderübergreifender Naturpark

Mit dem Naturpark Nagelfluhkette beweisen die Wälder interkommunale Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg. Sieben Allgäuer Gemeinden und acht aus dem Vorderwald haben den Naturpark gegründet, und Hittisau ist mittendrin. Keine andere heimische Gemeinde hat eine längere Grenze zu Deutschland.

Zu Beers kommenden Herausforderungen zählt auch der neue Schulcampus mitten im Ort. Mit den Gemeinden Riefensberg und Sibratsgfäll sind für das Schulbauprojekt netto 30,6 Millionen Euro zu veranschlagen.

Die Bildung steht hier hoch im Kurs, ebenso wie die Kultur. Und die Kulturlandschaft hier, weiß man in Hittisau, ist die Basis für die Lebensqualität. Übrigens hat auch die Esskultur einen zentralen Stellenwert.

Vier Haubenlokale im Ort

Die schon eingangs gepriesenen Kochkünste von Beers Frau bleiben, abgesehen von ihm selbst, exklusiv den maximal 25 Bewohnern ihres Gästehauses vorbehalten. Wer sich nicht zu diesen zählen kann, geht am besten in eines der örtlichen Restaurants.

Gasthof Krone in Hittisau
Spitzenküche in Hittisau: Der Gasthof Krone ist mit zwei Hauben ausgezeichnet und liegt direkt am Hauptplatz, dem eine grundlegende Umgestaltung bevorsteht. Foto: CC BY 3.0 Richard Mayer  

Mit insgesamt vier Hauben ist die Haubendichte in Hittisau so groß wie sonst kaum irgendwo. Das neue Feinkostgeschäft in Hittisau geht wiederum auf Beer zurück. Mit den Bürgermeisterkollegen aus Sibratsgfäll und Riefensberg, sowie einem exzellenten Gastwirt und einem hervorragenden Metzgermeister hat er nämlich als Privatmann die Naturpark-Metzgereigenossenschaft gegründet: „Das ist meine Herzensangelegenheit. Da geht es uns darum, dass die Bauern einen ordentlichen Preis bekommen und dass die Tiere ein gutes, tiergerechtes Leben haben und nicht quer durch Österreich oder Europa geführt werden.“ Und ganz nebenbei wird wieder die Regionalität gestärkt.

Zur Person

Gerhard Beer

Alter: 51

Gemeinde: Hittisau

Einwohnerzahl: 2.063 (1. Jänner 2020)

Bürgermeister seit: 7. April 2015

Partei: Liste Hittisau