Gemeindebundreise nach Tschechien
Tschechien führt im zweiten Halbjahr 2022 den EU-Vorsitz. Aus diesem Anlass reiste das Präsidium des Österreichischen Gemeindebundes gemeinsam mit dem Europaausschuss nach Prag, um dort Kolleginnen und Kollegen des Verbands der Städte und Gemeinden (SMO) zu treffen und auch zwei Gemeinden außerhalb Prags zu besuchen.
© Gemeindebund

Fach- und Bildungsreise des Gemeindebundes nach Tschechien

Tschechien war das Ziel einer Fach- und Bildungsreise des Österreichischen Gemeindebundes. Mit dem Bus reisten die Mitglieder Mitte Oktober in die „goldene Stadt“ Prag. Im Austausch mit befreundeten Verbänden soll nicht nur die internationale Zusammenarbeit intensiviert werden. Im Fokus stehen vor allem der Blick über den Tellerrand, der Austausch mit anderen Kommunen über ihre Projekte und ihr Umgang mit den aktuellen Herausforderungen.

Unser Nachbarland ist auf Platz sechs bei den wichtigsten Handelspartnern. Jährlich werden Waren im Wert von 14 Milliarden Euro exportiert. In Tschechien gibt es insgesamt 6.254 Gemeinden und 26 Statutarstädte, bei etwa 10,5 Milli­o­nen Einwohnern und rund 79.000 km². Im Vergleich zu Österreich ist unser Nachbarland mit drei Mal so vielen Kommunen viel kleiner strukturiert.

Die hohe Anzahl der Gemeinden geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 1990 zurück, das Gemeinden und Ortschaften erlaubte, sich von größeren Einheiten loszulösen. Fast 25 Prozent der Gemeinden haben weniger als 200 Einwohner, seit dem Jahr 2000 sind Abspaltungen aber nur noch möglich, wenn die neuen Gemeinden mindestens 1.000 Einwohner erreichen.

In Tschechien gibt es keinen Finanzausgleich

Von der Größe der Gemeinde sind auch deren Aufgaben abhängig. Die Mehrzahl der Kommunen erfüllt die sogenannten Pflichtaufgaben, während ein Sechstel auch weitere Befugnisse wie Baurecht oder Meldeamt hat. Die Pflichtaufgaben sind grundsätzlich dieselben Themen wie in Österreich, von Kinderbetreuung über Schulerhaltung, Wasser- und Abwasserversorgung und Gemeindestraßen bis hin zur Sozialhilfe, aber auch sozialer Wohnbau und gesundheitliche Grundversorgung.

Da es in Tschechien keinen Finanzausgleich gibt und die finanziellen Mittel vom Staat nach den Aufgaben der Gemeinden vergeben werden, stehen vor allem die kleinen Kommunen unter starkem finanziellem Druck. 

Über den finanziellen Druck haben wir gleich zu Beginn mit Vertreterinnen und Vertretern des Verbands der Städte und Gemeinden diskutiert.

Inflationsrate ist noch höher als in Österreich

Die aktuellen Krisen in der Welt sorgen auch in Tschechien für viele Probleme. Die steigenden Energiepreise setzen die Kommunen unter Druck. Hunderte Gemeinden wissen noch nicht, ob sie auch im Jänner noch einen Energielieferanten haben. Gleichzeitig steigen die Ausgaben enorm. So ist die Inflationsrate mit 17 Prozent um einiges höher als in Österreich und die Ausgaben etwa für Abfallentsorgung sind in den letzten zwei Jahren um 50 Prozent gestiegen.

Dazu kommen auch Lohnsteigerungen im öffentlichen Sektor von plus 10 Prozent. „Die Kommunen in Tschechien stehen mit dem Rücken zur Wand“, betonte die Direktorin des Verbands der Städte und Gemeinden (SMO) Radka Vladyková. 

In der Kurstadt Poděbrady

Im Anschluss machte sich die ­Delegation gemeinsam auf den Weg in die Kurstadt Poděbrady etwa 50 Kilometer östlich von Prag. Der Bürgermeister der Kurstadt empfing den Gemeindebund am Hauptplatz und führte im Anschluss durch den weitläufigen Kurpark rund um die Heilbäder der Stadt, wo er auch über die ereignisreiche Geschichte und die vielen Bemühungen der Gemeinde erzählte, die Kurstadt mit ihren Heilbädern weiterzuentwickeln. Nach einem traditionellen böhmischen Mittagessen stand dann der Besuch in der kleinen 500-Einwohner-Gemeinde Kněžice unweit von Poděbrady auf dem Programm.

Wirkte der Ort bei unserem Eintreffen noch unscheinbar, zeigte der Blick hinter die Kulissen, wie fortschrittlich und visionär die Gemeindeführung im Sinne ihrer Bürger arbeitet. So gibt es seit 2006 ein Seniorenwohnheim mit 20 behindertengerechten Wohnungen, die mit einer Miete von 4.000 Kronen (etwa 160 Euro) nicht nur sozial gestützt, sondern auch von der Gemeinde gut betreut werden. Und man plant bereits die Ausweitung auf 24-Stunden-Betreuung.

Auch bei der Kinderbetreuung und in der Volksschule, die Platz für 80 Kinder bietet, setzt die Gemeinde viele Akzente, um ihren Bürgerinnen und Bürgern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Der Kindergarten kann bereits ab dem zweiten Lebensjahr besucht werden. In der Kommune wird auch viel Wert auf Mülltrennung und getrennte Sammlung gelegt. So erzählte Vizebürgermeisterin Jana Sedláčková, dass der Bürgermeister den Hausbesitzern schon Smileys auf die Mülltonnen geklebt hat, wenn das Richtige entsorgt wurde. Am Ende des Rundgangs zeigte man uns das Highlight der Gemeinde: die Fernwärme- und Biogasanlage. 

Am Beginn stand die Vision einer Gemeinderätin und des Bürgermeisters. Jetzt ist die Gemeinde energieautark. Vor 20 Jahren begannen die Gespräche und die Ideen wurden immer größer. Zu Beginn wollte man alle 250 Haushalte nur mit Wärme versorgen. Am Ende stand das Projekt des Energie-Selbstversorgungs-Dorfes Kněžice (ESO Kněžice), das neben Wärme aus dem Heizwerk auch Strom aus der Biogasanlage produziert. 

Der Komplex inklusive aller Leitungen zu den Häusern hat insgesamt 124 Millionen Kronen (rund fünf Millionen Euro) gekostet. 85 Prozent der Mittel konnten aus EU-Geldern finanziert werden. Den Rest musste die Gemeinde selbst stemmen.

Zur Einordnung: Das Jahresbudget der Gemeinde lag im Jahr 2006 bei etwa vier Millionen Kronen (rund 160.000 Euro), heute liegt das Jahresbudget bei 28 Millionen Kronen (1,2 Millionen Euro). Die Gemeindevertretung und der damalige und auch heutige Bürgermeister Milan Kazda gingen ein großes Risiko ein.

Heute hat die Gemeinde mit der Biogas- und Fernwärmeanlage nicht nur die kommunalen Probleme der Abfall- und Abwasserentsorgung gelöst, sondern produziert jährlich 2.700 Megawatt an Strom, der ins Stromnetz eingespeist wird. Die Autarkie der Gemeinde gilt derzeit nur rechnerisch, da die gesetzlichen Grundlagen für den direkten Verkauf an Haushalte fehlen. Derzeit ist auch eine Insellösung in Planung, damit die gesamte Anlage bzw. auch die Gemeinde gegen ein Blackout gewappnet ist.  

Besuch in der österreichischen Botschaft

Bereits zur Tradition geworden ist auch ein Besuch in der österreichischen Botschaft. Dieses Mal wurden wir von Botschafterin Bettina Kirnbauer empfangen. Die kulturellen Beziehungen mit Tschechien sind aus historischen Gründen sehr eng. Es gibt auch bereits einige grenzübergreifende Projekte, wie etwa das Gesundheitszentrum in Gmünd, wo Patienten aus beiden Ländern behandelt werden. Derzeit gibt es auch 35 Partnerschaften zwischen österreichischen und tschechischen Gemeinden.  

Zum Abschluss der Reise stand natürlich die Stadtbesichtigung der „goldenen Stadt“ Prag auf dem Programm. Mit ihren vielen goldenen Kirchtürmen, der wundervollen Altstadt, der beeindruckenden Karlsbrücke, dem Veitsdom und der acht Hektar großen Burganlage ist diese Stadt jedenfalls eine Reise wert.