Die EU, allen voran die EU-Kommission als Initiativorgan, müsste in vielen Politikbereichen komplett umdenken, wenn der ländliche Raum ähnlich prosperieren soll, wie die Metropolen.
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Europa und die „Langzeitvision für den ländlichen Raum“

Der ländliche Raum ist vielerorts wieder ins Blickfeld gerückt. Stadtflucht heißt der nicht mehr ganz so neue Hype und auch politisch gab es zahlreiche Versuche, sich der Vielfalt des ländlichen Raums anzunähern, man denke etwa an den österreichischen Masterplan aus 2017. Auch in Brüssel gibt es viele Fürsprecher für eine holistische Betrachtungsweise, allen voran die Kommunalverbände. In der jüngeren Vergangenheit kann man die Erklärung von Cork aus dem Jahr 2016 als Initialzündung für einen neuen Diskussionsprozess sehen. Fünf Jahre wurde diskutiert, befragt und wieder diskutiert.

Greifbares Ergebnis war im Sommer 2021 die Langzeitvision für den ländlichen Raum, für die im Jahr davor ein umfassender Konsultationsprozess gestartet wurde. Die Verhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik und deren Finanzinstrumente waren da aber schon in vollem Gange und es war klar, dass es sich um eine Vision ohne Mittel handeln würde.

Dennoch war die interaktive Konferenz in Vorbereitung der Langzeitvision eines der besten Onlineformate, die die Kommission in Corona-Zeiten zustande brachte. Was vor allem am Herzblut der Teilnehmer lag, die sich aus allen Ecken Europas zuschalteten und sowohl praktische als auch visionäre Vorschläge einbrachten.

Die tatsächliche Langzeitvision, veröffentlicht in Form einer Kommissionsmitteilung, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück. Die Kommission sieht sich eher in der Rolle eines Mediators und Moderators, greifbare Initiativen blieb sie schuldig.

Hier stehen wir aktuell

Der in der Langzeitvision angekündigte Pakt für den ländlichen Raum wurde kürzlich als Onlinetool aus der Taufe gehoben. Zweck und Ziel sind jedoch unklar, Interessierte können sich registrieren, werden danach aber im Regen stehen gelassen.

Abgesehen davon, dass der Pakt wahrscheinlich keine neuen Stimmen anlocken wird und sich die Beiträge der üblichen Verdächtigen wiederholen werden: Eine weitere Plattform zum Best-practice-Austausch wird wohl kaum nennenswerten Einfluss auf die europäische Politikgestaltung haben.

EU müsste in vielen Politikbereichen komplett umdenken

Dabei braucht der ländliche Raum aber genau das. Die EU, allen voran die EU-Kommission als Initiativorgan, müsste in vielen Politikbereichen komplett umdenken, wenn der ländliche Raum ähnlich prosperieren soll, wie die Metropolen.

Das beginnt beim Auftragswesen und endet bei der Steuerpolitik. Das reicht vom Verständnis dafür, dass die Zusammenarbeit ländlicher Gebietskörperschaften keine Wettbewerbsverzerrung darstellt, über die Analyse, dass der Markt allein nie eine umfassende Breitbandabdeckung in dünn besiedelten Gebieten gewährleisten wird bis hin zur simplen Frage, ob das viel gepriesene Rural proofing nur ein Lippenbekenntnis ist, oder ob sich die Kommissionsdienststellen tatsächlich die Mühe machen, die konkreten Auswirkungen ihrer Vorschläge auf den ländlichen Raum umfassend abzuschätzen.

Unterschiedliche Voraussetzungen in Stadt und Land

Denn gerade auch zur Umsetzung des Grünen Deals bräuchte es unterschiedliche Stadt-Land-Perspektiven. Fern- und Nahwärme funktioniert in Ballungsgebieten, während es am Land viele Biomasse-Selbstversorger gibt.

Die Elektromobilität stößt in dünn besiedelten, womöglich noch alpinen Gebieten zumindest im Winter an ihre Grenzen, auch wenn trotzdem ausreichend Ladeinfrastruktur zur Verfügung stehen muss. Und schließlich bedeutet der zunehmende Datenhunger der Kommission, der sich in Berichterstattungspflichten (etwa über Gebäudebestand und Renovierungsmaßnahmen) manifestiert, gerade für kleinere Verwaltungen einen immensen Zusatzaufwand, der nicht immer von übergeordneten Stellen abgefangen werden kann.

Wenn ein Bekenntnis zum ländlichen Raum gleichwertige Lebensverhältnisse inklusive Daseinsvorsorge, digitalem Anschluss und Zugang zur öffentlichen Verwaltung bedeutet, braucht es mehr als die Errichtung eines weiteren Debattierclubs.