Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer, Flüchtlingskoordinator Christian Konrad, KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun und Kommunalverlag-Geschäftsführer Michael Zimper. Foto: Juerg Christandl

"Es ist machbar. Man muss nur wollen!"

Die Frage der Unterbringungen von Asylwerbern beschäftigt die Gemeinde aufgrund der Witterung derzeit besonders. Um die Bürgermeister zu unterstützen und zu informieren, wird es im Jänner 2016 drei regionale Bürgermeisterkonferenzen zu dieser Frage geben. KOMMUNAL sprach mit Gemeindebund-Chef Helmut Mödlhammer und dem Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Christian Konrad.

KOMMUNAL: Herr Dr. Konrad, die Unterbringungsfrage ist eine der drängendsten. Eigentlich kann es in einem reichen Land wie Österreich nicht sein, dass Menschen in Notquartieren wie Lagerhallen überwintern müssen. Wie können Sie und Ihre Koordinierungsstelle den Gemeinden bei dieser Herausforderung helfen?



Christian Konrad: Es ist leider Faktum, dass es zu wenig Quartiere gibt. Wir suchen ja vor allem kleinere Quartiere, weil größere Unterkünfte zur Gettobildung führen und bestenfalls eine Notlösung sind. Deshalb wollen wir auch versuchen, Private und die öffentliche Hand zum Bauen zu animieren. Dazu brauchen wir aber Liegenschaften. Aber nachdem in Österreich jede Liegenschaft in einer Gemeinde liegt, brauchen wir die Hilfe der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.



Und darum laden wir gemeinsam mit dem Gemeindebund die Bürgermeister ein, um ihnen Modelle zu zeigen, welche Lösungen es am Markt gibt. Wir bauen hier auf die Erfahrungen vom Bürgermeistertreffen beim Forum Alpbach auf. Mit diesem arbeiten wir auch bei der Organisation dieser Treffen im Jänner zusammen. Zwischenzeitlich hat es schon viele Innovatoren gegeben, die neue Lösungen präsentiert haben – und die auch schon praktisch verwirklicht wurden. Auch das wollen wir den Bürgermeistern zeigen, wie es in anderen Gemeinden schon funktioniert.



Was wir vor allem für die Asylwerber brauchen, sind feste Wohnungen auf Zeit. Auch für jene, die eine Aufenthaltsberechtigung haben, brauchen wir eine Unterkunft, bis diese Leute einen Arbeitsplatz haben.



Diese Wohneinheiten sind multifunktional verwendbar, das bedeutet, dass sie später als Wohneinheiten für Studenten dienen können oder als Kinderbetreuungseinrichtungen oder als Start-up-Wohnungen. Es gibt auch schon gemischte Modelle, wo Studenten und Asylwerber unter einem Dach wohnen. Das ist für die Integration, die die nächste große Herausforderung für uns ist, sehr vorteilhaft.



Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat kürzlich in der parlamentarischen Fragestunde erklärt, dass es heuer schon 82.000 Asylanträge gibt. Gibt es ernsthafte Prognosen, wie es weitergeht? Oder erwarten uns im Frühjahr 2016 wieder so hohe Zahlen?



Konrad: Die Fluchtbewegung wird  weitergehen, da gibt es keinen Zweifel. Das bedeutet eine Herausforderung für Europa insgesamt und damit auch für Österreich. Aber diese Herausforderung ist zu bewältigen.



Die Zahl der abgeschlossenen Asylverfahren in Österreich steigt sehr langsam, die der unerledigten Akte steigt viel stärker. Wir bemühen uns sehr, den Stau bei den Entscheidungen aufzulösen. Aber diese Frage ist ein ganz wichtiger Punkt, weil damit ja die Versorgung verbunden ist, der finanzielle Aufwand und nicht zuletzt ist es eine humane Frage. Man kann die Leute ja nicht ewig auf die Entscheidung warten lassen, ob sie bleiben können oder nicht.

Im Moment ist es aber etwas ruhiger, daher können wir den Berg etwas abbauen. Aber es wird wieder mehr werden.



Herr Präsident: Die Gemeinden Österreichs werden bei der Frage der Unterbringung der Flüchtlinge und Asylwerber medial immer wieder kritisiert. Trotz vieler positiver Beispiele gibt es auch immer wieder Schwierigkeiten, weil sich manche Bürgermeister schlicht verweigern. Woran liegt das?



Mödlhammer: Tatsächlich ist es so, dass in mehr als der Hälfte der Gemeinden bereits Flüchtlinge aufgenommen werden. Das ist ein gewaltiger Fortschritt, weil es vor einem halben Jahr nur etwa 20 Prozent der Gemeinden waren. Wir haben gemeinsam mit der Koordinierungsstelle sehr viel bewegt. Und ich bin sehr froh, dass Christian Konrad auf kleine Lösungen Wert legt. Die sind erstens viel leichter umsetzbar, zweitens werden sie von den Menschen verstanden und drittens funktionieren sie. Das sind die entscheidenden Punkte, auf die wir auch bisher schon immer und immer wieder gedrängt haben. Mit den Bürgern und nicht gegen die Bürger ist das Zauberwort.



Warum wehren sich einige Bürgermeister? Dort, wo es Massenquartiere angedacht sind, gibt es Widerstand. Das ist ja auch völlig klar, wenn in einer kleinen Gemeinde mit 2000 Einwohnern plötzlich 500 Asylbewerber kommen, dann sind Probleme vorprogrammiert. Die können ja auch nicht entsprechend betreut werden – daher haben die Menschen dort Angst und daher sagen die Kommunalpolitiker auch, dass es in der Form nicht geht. Wir haben deswegen schon vor einem dreiviertel Jahr vorgeschlagen, dass ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in einer Gemeinde sind akzeptabel, sind zumutbar und sind umsetzbar.



Agiert der Bund mit seinem Durchgriffsrecht nicht auch ein wenig glücklos?



Mödlhammer: Da sind wir wieder bei den zwei Prozent, die ich seinerzeit dem Bund angeboten habe.



Man sollte auch den Begriff „Quartiere“ anders formulieren, allein, weil es auch baurechtliche Probleme gegeben hat. Ich habe schon früher angeregt, dass man die Bezeichnung „Übergangsquartier“ schaffen soll, wo nicht die hohen Anforderungen des normalen Wohnbaus zum Tragen kommen. Das wurde aber negiert – und jetzt hat man die Probleme, dass es zu wenige Quartiere gibt und man daher als Ausweg auf Großlösungen verfällt.



Auf Dauer kann das nur funktionieren, wenn es mit den Gemeinden und mit den Menschen vor Ort gemacht wird. Dann funktionieren sowohl Unterbringung als auch Integration, weil es in jeder Gemeinde eine Vielzahl engagierter Menschen gibt, die sich hier einbringen.

Aber ohne Gemeinden und ohne die Menschen wird es nicht funktionieren.



Konrad: Wir haben eine Notsituation, unsere Gesetze und Verordnungen sind auf ruhigere Zeiten und eine normale Entwicklung ausgelegt. Jetzt haben wir eine andere Entwicklung, und daher müssen wir auch mit den Rahmenbedingungen anders umgehen. Das Durchgriffsrecht bringt den Vorteil lange Wartezeiten zu verkürzen. Nur nein zu sagen, wird auch nicht die Lösung sein.



Wie lange dauert es eigentlich, bis ein Flüchtling vom Eintreffen an der Grenze seinen Asylwerber-Status erhält und in ein Quartier kommt? Bis sein Status geklärt ist?



Mödlhammer: Im Grunde dauert es zu lange. Diese Verfahren dauern mindestens ein Jahr, zurzeit oft aber auch drei bis fünf Jahre, weil die Kapazitäten fehlen. Wenn die mal drei, vier oder fünf Jahre da sind, bis geklärt sind, ob sie bleiben dürfen, beginnt das Prozedere mit dem Abschieberecht von vorne ...



Konrad: … oder sie noch ein Bleiberecht haben …



Mödlhammer: Das muss jedenfalls wesentlich schneller gehen. Das verstehen die Menschen ja auch überhaupt nicht.



Der Bund verfügt über ziemlich viele Möglichkeiten, Menschen unterzubringen. Uns fallen da beispielsweise leerstehende Bahnhofswohnungen oder Kasernen ein. Kann die Koordinierungsstelle nicht über diese Unterkünfte und Flächen verfügen?



Konrad: Mit den bundeseigenen Gebäuden ist schon einiges geschehen, die BIG hat ihre Liegenschaften zur Verfügung gestellt, aber in der Regel eignen sich die nur bedingt für Quartiere. Wien und die ÖBB haben auch die Plätze zur Verfügung gestellt für Notquartiere für den Winter. Und es gibt sehr viele Gemeinden, die leerstehende Gemeindewohnungen zur Verfügung stellen. Die Pfarrer sind diesbezüglich auch sehr hilfsbereit. Wenn das so beginnt, findet sich auch der eine oder andere privat.



Diese kleineren Quartiere sind für die Integration viel einfacher, das Problem ist, sie zu betreuen. Die NGOs, die sehr wertvolle Arbeit leisten und ohne die wir vieles nicht hätten bewältigen können, haben auch Grenzen. Die sind ja auch nicht für diese Menge an Menschen ausgerichtet.

Es ist eng, es ist schwierig, aber es ist machbar. Man muss nur wollen.



Mödlhammer: Diese örtliche Betreuung ist auch für die Gemeinden nicht unbegrenzt machbar. Es reicht nicht, wenn einmal im Monat wer von einer NGO vorbeschaut und fragt, wie’s geht. Der Punkt ist aber jetzt auch bei den Ländern angekommen und es ist ein Umdenken im Gange. Es wäre ideal, wenn die Betreuung durch Freiwillige gemacht wird. Das geht aber nur dann, wenn man kleine Einheiten nimmt. Dann ist die örtliche Betreuung die billigere und bessere.



Wieso kommt das medial nicht an? Man hört ja immer wieder Geschichten, dass Quartiere abgelehnt werden.



Mödlhammer: Medial wird mit unterschiedlichem Maß gemessen. Die Gemeinde, die ein Großquartier hat, ist gut, die Gemeinde, die zehn Familien aufnimmt, die findet nicht statt. Es hat sich noch nicht durchgesprochen, dass die Gemeinde mit zehn Familien wesentlich effizienter und besser in der Umsetzung und der Integration ist.



Konrad: Das ist auch ein Entwicklungsprozess. Bei der Quartierzuteilung wurde ursprünglich nicht automatisch angenommen, dass die Menschen vor Ort selber betreuen. Diese Möglichkeit, dass ein Unterkunft-Geber die Menschen selbst betreut, ist viel zu wenig kommuniziert.

Aber in der größten Not ist auch die Lagerhalle besser als der freie Himmel.



Kürzlich wurde der Gemeindefinanzbericht präsentiert. Im Bereich Soziale Wohlfahrt – also jener Budgetposten, in den auch die Asylfragen fallen – verzeichneten die Gemeinden von 200 bis 2014 einen Anstieg um 113 Prozent. Sind solche Steigerungsraten im Gefolge der Asylfrage auf Dauer verkraftbar? Und wenn ja, wie?



Mödlhammer: Hier ein klare Ansage: Die gesamte Integration muss ein gesamtstaatliches Anliegen und auch eine Finanzierungsinstrument haben. Es kann ja nicht sein, dass die Gemeinden mit der Integration allein überbleiben, dass sie die Kinderbetreuung finanzieren, dass sie die Schulen finanzieren, die Nachmittagsbetreuung, die Mindestsicherung.



Wir haben eine völlig neue Situation, die muss auch im Finanzausgleich besprochen werden – das habe ich auch bei der letzten FAG-Sitzung eingebracht. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, die die Gemeinden nicht allein schultern können.



Viele Gemeinden haben sich – leider – zu Schlafgemeinden entwickelt, wo die Menschen nur mehr abends und am Wochenende zu Hause sind. Kann Integration dort auch funktionieren?



Mödlhammer: In diesen Gemeinden gibt es viele Pensionisten, die rüstig und durchaus bereit sind zu helfen. Die sind immens wertvoll. Es wäre gut, wenn sie sich nicht nur als Empfänger sehen, sondern wieder mehr als Akteure einbringen können. Das ist für diese wertvollen Menschen oft auch eine Ehre und eine Herausforderung, wenn man sie fragt, ob sie helfen können. Das liegt an uns, gerade in Gemeinden, die von Abwanderung betroffen sind, ist das auch eine Chance.



Dieses Modell funktioniert ja gerade in den kleineren Gemeinden, in größeren und unüberschaubareren Gemeinden wird es eher nicht funktionieren



Der Gemeindebund veranstaltet im Jänner drei weitere Regionalveranstaltungen, zu denen die Bürgermeister herzlich eingeladen sind. Was sind Ihre Erwartungen und Wünsche an diese Veranstaltungen.



Konrad: Zuerst wünsche ich mir, dass viele kommen. Wir werden ihnen Vorschläge präsentieren, aber am sinnvollsten und am wirkungsvollsten ist das Beispiel. Wenn der Bürgermeisterkollege erzählt, wie er das gemacht hat, dem glaubt er natürlich viel mehr als anderen Beispielen.



Mödlhammer: Man braucht das Rad nicht ständig neu erfinden, man kann die Erfahrungen anderer durchaus annehmen. Es gibt viel Information und es gibt Rezepte, wie man mit solchen Situationen umgeht. Wenn wir es schaffen, viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu informieren, dann werden mehr Gemeinden eine offene Tür haben. Dann können die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ihre Bevölkerung richtig informieren.



Information ist das Kernthema. Es darf kein Versteckspiel sein, sondern Wahrheiten müssen auf den Tisch. Den Menschen ist die Wahrheit zuzumuten.



Nach dem Alpbach-Treffen wurde ein „offenes Handbuch für die Gemeinden“ mit dem Titel „Wege aus der Asylkrise“ publiziert. Darin wird als allerersten Schritt eine „respektvolle Grundstimmung“ empfohlen. Sehen Sie diese bei der teils sehr populistischen Berichterstattung noch als gegeben an?



Konrad: Ich würde sagen, im Grunde ist die Stimmung positiv, aber Querschüsse gibt’s. Ich merke es auch, wenn ich privat wo hingehe. In meiner Funktion werde ich von den Leuten angeredet, und jeder sagt: Furchtbar. Wieso macht’s ihr so viel … und so weiter. Das ist dann der Punkt, wo ich anfange, dagegen zu argumentieren bis zum Streiten. Ich nehme die Ängste der Menschen und ihre Sorgen ernst, aber wenn ich dann nach den Fakten dahinter frage, gibt es die alle nicht. Eine steigende Verbrechensrate? Gibt’s nicht – im Gegenteil, sie sinkt. Hygiene und Seuchengefahr? Alles nicht richtig.



Da spielt halt bei vielen Gemeinden die Angst vor dem Unbekannten mit.



Mödlhammer: Das ist ja klar, das ist bei jedem Menschen drinnen. Da muss man den Menschen das Gefühl geben, dass wir das im Griff haben. Mein Appell an die Bundesregierung ist auch – ich sage das sehr deutlich – ein anderes Bild zu vermitteln. Es wäre eine Aufgabe zu sagen, dass wir Lösungsorientiert sind und dass wir nicht über irgendwelche Dinge streiten, wo die Menschen nur mehr den Kopf schütteln.



Die Situation in Deutschland und in Schweden ist viel schlimmer, es gibt dort wesentlich mehr Angriffe auf Asylunterkünfte als in Österreich. Die österreichische Bevölkerung ist da ganz hervorragend. Trotz aller Ängste sind die Österreicherinnen und Österreicher sehr hilfsbereit, entgegenkommend und aufgeschlossen.