Die verstärkte Integration dezentral
produzierter erneuerbarer Energie in die Netze der Stadt ist eine der Herausforderungen, vor denen Stadtwerke heute stehen.

Eine Branche im Umbruch

25. Mai 2016
Während Elektromobilität in aller Munde ist und immer stärker gefördert wird (Deutschland zahlt bereits bis zu 4000 Euro Prämie), stehen die kommunalen Energieversorger vor neuen Herausforderungen. Wie die Anforderungen „unter einen Hut zu bringen sind" und gleichzeitig auf die Herausforderungen der Zukunft reagiert werden könnte, war Thema des 2. Stadtwerkeforums in Wien. KOMMUNAL war dabei.


Herausforderungen für Stadtwerke



Eine Analyse der aktuellen Situation kleiner und mittlerer Stadtwerke vor dem Hintergrund von niedrigen Ölpreisen, vermehrtem Einsatz von Alternativenergie und strukturellen Veränderungen am Markt  lieferte Univ.-Prof. Friedrich Schneider, Wissenschaftlicher Leiter des Energieinstituts der Johannes-Kepler-Universität Linz. Er identifizierte vor allem zwei Herausforderungen:


  • Die verstärkte Integration von Windkraft und Photovoltaik in die Energienetze der Stadtwerke – und das bei meist sehr niedrigen Grenzkosten.

  • Der noch immer stattfindende Import billiger Energie nach Europa – auch wenn die Exploration von Schiefergar und -öl aus Nordamerika im Nachlassen begriffen ist.



Die Konsequenz daraus, so Schneider, ist, dass die heimischen (kalorische) Kraftwerke zumeist nicht in Betrieb sind und Strom daher an der Börse zugekauft werden muss. Daraus resultiert aber für die Stadtwerke zumindest ein Problem. Die Kraft-Wärme-Koppelanlagen (KWK-Anlagen) mit dem Fernwärmenetz muss aufrecht erhalten bleiben. Der Betrieb des KWK wird teurer - der Strom wird kostenintensiver produziert, als er an der Börse eingekauft werden könnte. Oder der Betrieb der KWK wird eingestellt, was aber eine alternative Wärmeproduktion mit hohen Fixkosten nach sich zieht.



Die naheliegendste Lösung wäre eine Anhebung der Fernwärmepreise. Aber dem stehen häufig politische Vorgaben zu den Preisen von Fernwärme von den Eigentümern entgegen.

Steigerung der Konkurrenz der Anbieter auch am Gasmarkt



Weitere Herausforderungen für Stadtwerke ortete Schneider in der Steigerung der Konkurrenz der Anbieter auch am Gasmarkt, der steigende Energieeffizienz der Gebäude (geringerer Energieabsatz im Raumwärmebereich u. höhere Eigenproduktion der Kunden (PV), dem starken Streben der Kunden nach Energieautarkie (z. B. PV-Anlage + Biomassekessel etc.) sowie der komplexer werdende Regelung des Stromnetzes durch die verstärkte Integration von dezentralen Produktionsanalgen (v.a. Photovoltaik).



Gerade der Wunsch der Kunden (der Bürgerinnen und Bürger) nach eigener Stromerzeugung und damit auch nach Autarkie muss zwangsläufig zu einer Änderung der Systeme führen, wie es Prof. Jens Strüker, Geschäftsführer des deutschen Instituts für Energiewirtschaft und Lehrbeauftragter an der Hochschule Fresenius, formulierte. Er brach die Ineffizienz traditioneller Energiesysteme auf einige Punkte herunter:



Ein dezentrales Energiesystem mit hohem Erneuerbaren-Anteil ist extrem ineffizient, weil es einen hohen Bedarf an Backup-Kraftwerken und Regelenergie braucht, weil es enorme Redundanzen auf der Erzeugungsseite hat und weil der Netzausbau und die Netzbewirtschaftung entkoppelt von dezentralen Ressourcen ist.

Flexibilität bei Erzeugung, Übertragung, Speicherung und Verbrauch nötig



Daraus folgt, so Strüker, dass fluktuierende Erzeugung Flexibilität bei Erzeugung, Übertragung, Speicherung und Verbrauch erfordert. Um ihren wirtschaftlichen Nutzen erschließbar zu machen, muss Flexibilität als Wirtschaftsgut verstanden werden, das sowohl einen zeitlichen als auch einen räumlichen Bezug aufweist.



Basierend auf dieser Erkenntnis formulierte Strüker drei zentrale theoretische Grundsätze:


  • Die Integration von Flexibilitäten bestimmt die Wirtschaftlichkeit eines dezentrale(re)n Energiesystems.

  • Milliarden von Geräten kommunizieren in Echtzeit und optimieren sich gegen Knappheitssignale aus Netz und Markt.

  • Die Erschließung von Flexibilität erfordert einen Knappheitspreis mit einem zeitlichen und räumlichen Bezug.


App zeigt Zugang zu Car-Sharing-Stationen



Was diese Entwicklung für städtische und ländliche Mobilität, für deren Digitalisierung und Vernetzung bedeutet, führte am zweiten Tag des Kongresses Reinhard Birke von der „Neuen Urbanen Mobilität Wien“ aus. Wenn man den Schluss „Die Urbane Mobilität steht vor Veränderungen“, einmal gezogen hat, ist es nur ein Schritt zur nächsten Handlung, nämlich allen Mobilitäts-Anbietern eine Plattform zu bieten. Auch aus diesem Grund haben die Wiener Stadtwerke die App „Wien Mobil" entwickelt, über die User Zugang zu Standorten von Car-Sharing-Stationen genauso wie die Abfahrtszeiten von Anschlusszügen oder die Kurspläne von Straßenbahnen und Bussen hat.



Und nicht nur das, der User kann über die App auch gleich Tickets kaufen oder sich erkundigen, ob bei seiner Ankunft am Zielort der örtliche Supermarkt noch offen hat oder er/sie seine Einkäufe noch am Arbeitsort machen muss. Nach den Kosten für die App gefragt, antwortete Birkin; „Weniger als für eine U-Bahn-Garnitur“ – und sorgte damit für den Lacher der Konferenz. Im Kern geht es aber darum, „urbane Mobilität als ,mobility as a service‘ zu verstehen.



Aber wie sieht es mit „Elektromobilität als Teil des Mobilitätssystems“ am Land aus? Mit diesem Thema befasste sich Gerald Miklin, Amtssachverständiger für Verkehrsplanung, -sicherheit, -technik und -telematik im Dienste des Amtes der Kärntner Landesregierung. Er präsentierte praktische Beispiele für den ländlichen Raum, basierend auf aktuellen Erhebungen. Eine davon stellt die These auf, dass die tägliche Bewegung der Menschen die Maximalzeit von 70 Minuten nicht übersteigt. „Wir brauchen  also Park & Ride-Anlagen (P&R)oder Ladestellen bei den Kontaktpunkten zu den Öffis in diesen Abständen“, so Miklin.



Gerald Miklin, Amt der Kärntner Landesregierung: „Die ,Bürgermeister-Ladestation‘ ist essentiell für die Akzeptanz von E-Ladestationen und Elektromobilität auf dem Land.“




Noch eine Erkenntnis ist, dass Ladestationen bei P&R zwar ausreichend vorhanden sein sollten, aber nicht über viel kW-Ladekapazitäten verfügen müssen. Warum? Die Autos stehen dort ja den ganzen Tag. Im Gegensatz dazu müssen Ladestationen an Transitstrecken oder in Ortszentren über hohe kW-Leistungen verfügen. „Und keinesfalls sollten diese Stationen direkt an der Autobahn sein, sondern jedenfalls im Ort nahe der Auf- und Abfahrten. In dem Zusammenhang sind die Bürgermeister-Ladestationen essentiell wichtig für die Akzeptanz von Elektromobilität – vor allem, wenn auch die örtliche Infrastruktur von wartenden E-Drivern profitiert.“ Miklin, zu dessen Job die Entwicklung, Planung und Lenkung der Elektromobilitätsregion sowie die Einbeziehung aller neuen Technologien und Mobilitätslösungen in das bestehende Verkehrssystem Kärntens gehört, schätzt, dass Kärnten die Infrastruktur für 30.000 E-Fahrzeuge braucht und damit zu einer der bestausgestatteten Region Europas wird.