Mit einer Kombination modernster Informations-, Kommunikations- und Regelkonzepte könnten städtische Kreuzungen effizienter und vor allem sicherer gestaltet werden.
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Strasse und Verkehr

Die intelligente Kreuzung

17. März 2023
Aktuelle Forschungsergebnisse aus Österreich lassen erahnen, wohin sich Mobilität und Verkehrsgeschehen in Zukunft entwickeln werden. Zwei Beispiele zeigen wohin sich Kreuzungen entwickeln.

Die beiden vordersten Plätze des Forschungspreises des Kuratoriums für Verkehrssicherheit belegten zuletzt zwei Projekte, die sich mit der Sicherheit im Straßenverkehr auseinandersetzen, und bei beiden spielen Sensorik und Vernetzung eine zentrale Rolle. Als Siegerprojekt wurde die Dissertation von Alexander L. Gratzer ausgezeichnet. Der Titel lautet: „Die intelligente Kreuzung der Zukunft“.

KFV
Alexander L. Gratzer (Bild­mitte), bei der Verleihung des KVF-Forschungspreises 2022 im Technischen Museum Wien. Foto: Schedl/KFV

„Ziel meiner Forschungsarbeit ist es, ­neuartige, integrierte und flexible Kommunikations-, Regelungs- und Simulationsmethoden zu entwickeln, um das System ,intelligente Kreuzung‘ zu verwirklichen“, erklärt der Wissenschaftler von der TU Wien. Das steigende Verkehrsaufkommen im innerstädtischen Raum verschärfe den Konflikt zwischen Sicherheit, Verkehrseffizienz und Umweltbelastung.

Kreuzungen sind kritische Knoten in Verkehrsnetzen, die derzeit zumeist nur mit festen, voreingestellten Ampelphasen gesteuert werden. Mit einer Kombination modernster Informations-, Kommunikations- und Regelkonzepte jedoch könnten städtische Kreuzungen effizienter und vor allem sicherer gestaltet werden.

Den Fokus legte Gratzer bei seiner Forschungsarbeit auf die ungeschützten Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, ­Fahrrad- und Scooterfahrer. „Der konkrete Nutzen dieser Innovation sind z. B. die Prognose von Kollisionen und Verkehrsregelverletzungen, das Erkennen von Gefahrenstellen und die Rekonfiguration der Verkehrsregelung nach einem Unfall“, erklärt der Preisträger.

Verhalten an Kreuzungen vorhersagen

Die Modellarchitektur „Agile Multi-Agent Architecture for Intelligent Intersection Traffic Management“ bildet beispielsweise alle Verkehrsteilnehmenden ab und stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für weitere Forschung mit Fokus auf einer skalierbaren Lösung für Simulation, Regelung und Informationsmanagement dar.

Damit ist eine effiziente Simulation von Regelungs- sowie Vorhersageberechnungen möglich. Gratzers Forschungsergebnisse sollen die Vorhersagbarkeit des Verhaltens von Verkehrsteilnehmenden an Kreuzungen ermöglichen, um damit die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Die Formulierung gemeinsamer Belegungswahrscheinlichkeitskarten ermöglicht die Quantifizierung des Risikos von Beinahe-Unfällen und stellt ein vielversprechendes Instrument zur Bewertung von Sicherheitsaspekten in Verkehrssituationen dar.

Weiters wird die wichtige Systemeigenschaft von Platoons (einer Form des automatisierten und vernetzten Fahrens, bei dem zwei oder mehr Fahrzeuge digital miteinander gekoppelt werden), die String Stabilität, im Regelziel berücksichtigt. Fahrzeugkonvois, die nicht string-stabil sind, wirken sich destabilisierend auf den Verkehrsfluss aus und können zu Phantom-Staus und sicherheitskritischen Situationen führen. Gratzer erforschte, wie die Platoon-Performance durch die Nutzung von Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation weiter verbessert werden kann.

Hightech-Armreifen erhöhen Sicherheit

Platz zwei des Forschungspreises wirkt im Vergleich zur akademischen Arbeit Gratzers greifbarer, aber nicht weniger genial. Dabei geht es um mehr Sicherheit für Micromobility-Nutzer, sprich E-Scooter- und Fahrradfahrer und Benutzer ähnlicher Gefährte.

Das von Alexander Rech und Ines Wöckl gegründete Grazer Start-up Flasher entwickelt und vertreibt das Micromobility Safety Wearable „Flasher“, an dem seit 2019 geforscht und gearbeitet wird. Die Hightech-Armreifen werden beidseitig am Oberarm getragen und dienen je nach Nutzungsmodus als gestengesteuerte Blinker oder als Dauerlicht für optimale Sichtbarkeit.

Das automatische Notfallbremslicht stellt außerdem sicher, dass die User bei abrupten Bremsmanövern besser sichtbar sind. Dank weiterer Modi sind die Träger auch bei schlechter Sicht und im Dunkeln sicher unterwegs.

Flasher
Mittels Gestensteuerung beginnt der „Flasher“ zu blinken. Die Hände können so durchgehend am Lenker bleiben. Foto: Steady Motion GmbH

Im Night Mode leuchten die Armreifen dauerhaft weiß nach vorne und rot nach hinten, Blinker und Bremslicht funktionieren weiterhin. Der Jogging Mode sorgt mit gelbem Dauerlicht beim Spazierengehen oder Laufen für optimale Sichtbarkeit. Die Armreifen können auch als Warnblinker eingesetzt werden und passen die Lichter automatisch StVO-konform an.

Die Idee für Flasher stammt ursprünglich aus dem Sommer 2019 und wurde durch die erste Interaktion der beiden Gründer mit Leih-E-Scootern in Wien angestoßen. Beim erstmaligen Fahren bemerkten die beiden, dass die Fahrzeuge einerseits sehr schnell und wendig waren, allerdings auch vergleichsweise instabil und unsicher wirkten, vor allem wenn man vor dem Abbiegen ein Handzeichen geben wollte.

Die Entwicklung der intelligenten Gadgets war die Folge. Geladen werden sie mittels USB-C-Kabel. Die Akkus halten rund acht Stunden. Die Armreifen sind mit diversen Sensoren, einer haptischen Feedbackeinheit sowie High-­Power-LEDs ausgestattet. Derzeit sind die meisten Kunden noch Privatpersonen, aber auch Firmen nutzen bereits die Flasher, beispielsweise im Mitarbeitersicherheitsbereich.

Im kommunalen Bereich wurde schon mit der Stadt Graz angedacht, ob man Lastenräder mit den Flashern ausstattet, erzählt Alexander Rech gegenüber KOMMUNAL. „Die genauen Details werden dieses Jahr ausgearbeitet. Die Gespräche dazu laufen.“ Die Flasher, die bereits erhältlich sind, bezeichnet Rech als „unser Startprodukt“. Er denkt aber schon weiter.

Was die Armreifen noch können

„Ganz oben auf unserer To-do-Liste steht 2023, sich neben dem Ausbau des Mikromobilitätsbereichs auch auf den Mitarbeitersicherheitsbereich zu konzentrieren. Dabei sind nicht nur der Verschlussmechanismus, die Beleuchtung und die Gestensteuerung interessant, sondern vor allem die Kommunikation der Armreifen.“ Zwar kommunizieren sie jetzt schon miteinander, allerdings soll diese Fähigkeit weiter ausgebaut werden, um auf Baustellen, der Straße und am Gleis für mehr Sicherheit zu sorgen.

„Da geht es beispielsweise um die Vermeidung eines toten Winkels, um das schnelle Weiterschicken von Notfallsignalen oder das Erkennen, wenn jemand ohnmächtig wird. Wir haben bereits Projekte laufen, bei denen die direkte Kommunikation mit Fahrzeugen ermöglicht wird, und arbeiten an einer Schnittstelle, die es erlaubt, Daten in Echtzeit auszutauschen, damit man nicht nur den Fahrzeuglenker warnen kann, sondern gleichzeitig auch den Träger des Armreifens, sprich die schwachen Verkehrsteilnehmer oder Bauarbeiter“, beschreibt Rech die kommenden Funktionalitäten.

Ob es nun Gratzers komplexe Berechnungen des Konzept der „intelligenten Kreuzung“ sind oder die Funktionalitäten der Hightech-Wearables für die schwächsten Verkehrsteilnehmer – klar scheint, dass die Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Koordination der Verkehrsteilnehmer untereinander in Zukunft ganz wesentlich durch Automatisation erreicht werden wird.

Vernetzte Systeme kommunizieren und reagieren dabei selbstständig miteinander und eliminieren das menschliche Gefahrenpotenzial der Unaufmerksamkeit und Reaktionszeit. Wenn dadurch die Unfallwahrscheinlichkeit zurückgeht und der Verkehrsfluss verbessert wird, sollte es uns Menschen auch nicht schwerfallen, einen Teil unserer Freiheit in Form von Entscheidungsgewalt der Technik anzuvertrauen.