Blick auf das Kulturzentrum in Ischgl

Das Kulturzentrum St. Nikolaus in Ischgl

5. Mai 2015
Das Gemeindekulturzentrum im Schiort Ischgl ist ein Musterbeispiel für die Integration eines modernen Veranstaltungszentrums in einen sensiblen Dorfkern. Das Projekt wurde für den IMPULS Gemeindeinnovationspreis in der Kategorie "Baukultur" eingereicht.




Durch Ischgl verläuft ein Riss im Zeitgefüge: Während ringsum der wirtschaftliche Erfolg die Gebäude in die Höhe wachsen läßt, blieb hinter der Kirche ein Stück des alten Ischgl fast unberührt. Ein letzter Rest vom klassischen Dorfanger mit 3 denkmalgeschützten Gebäuden (alter und neuer Widum und das „4-Parteien“-Haus) wird nach wie vor als Weide genutzt.



Das Gemeindekulturzentrum „St. Nikolaus“ ist in den Anger hineingebaut, Teile des Geländes überdecken das Gebäude. Einzelne Bauteile durchbrechen die Oberfläche und lassen Licht und Luft eindringen. Am Fuß des Angers bettet sich der Dorfplatz. Über das Gebäude zieht sich ein naturnah gestalteter Weg und verbindet den Dorfplatz mit dem oberen Platz auf dem Gebäude.

 
 

Ausgangsbasis vor dem Bau aus der Sicht des Bürgermeisters:



Der alte Musikpavillon war in die Jahre gekommen und entsprach auf Grund der Lage nicht den Bedürfnissen der Musikkapelle und den örtlichen Vereinen. Somit war der Gedanke geboren für die größte Musikkapelle Tirols, die Sängerrunde und anderen Vereinen passende Räumlichkeiten und einen Dorfplatz zu schaffen. In vielen Besprechungen kristallisierte sich heraus, dass wir hier in Ischgl einen sehr großen Nachholbedarf haben. Es wurde aus Gemeindevertretern und Vereinsmitgliedern ein Bauausschuss „GEMEINDEKULTURZENTRUM“ installiert. Hier stellte man fest, dass auch der alte, leer stehende Widum reaktiviert werden könnte. Somit könnten zusätzliche Räumlichkeiten für mehr Vereine geschaffen werden. Der Grundbesitzer des Dorfangers, die Agrargemeinschaft Ischgl stellte uns den benötigten Grund kostenlos zur Verfügung, eine Vereinbarung über ein Baurecht mit der der Diözese zur Benutzung des denkmalgeschützten Widums wurde ausverhandelt. Man kam zum Entschluss ein Architektenwettbewerb mit Hilfe der Dorferneuerung zu machen. Aus diesem ging das Projekt der „parc architekte - Michael Fuchs und Barbara Poberschnigg" als Sieger hervor. Bei einer Vorstellung aller Wettbewerbsprojekte für die gesamte Gemeindebevölkerung gab es sehr positives Feedback für das Siegerprojekt.

Die wesentlichsten Ziele waren:



Die Idee war primär sich an den Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung zu orientieren und einen Ort der Begegnung und des Verweilens zu schaffen.

Ich glaube wir haben in diesem sehr sensiblen Gebiet um die Kirche im Dorfzentrum ein Projekt geschaffen, das österreichweit einzigartig ist. Es wurden alle Ziele und Vorstellungen der Gemeinde vom Architektenteam umgesetzt. Alle die in diesem Gebäude verweilen fühlen sich sehr wohl und auf die unmittelbaren Nachbarn mit ihren Bedürfnissen wurde entsprechend Rücksicht genommen. Wir haben viel Raum für unser Gemeinschaftsleben gewonnen, ohne Platz im Zentrum zu verlieren.

Heute ist der Platz , wie erhofft von Leben und Aktivitäten erfüllt. Zahlreiche Veranstaltungen, die bereits stattgefunden haben bestätigen die architektonische und inhaltliche Richtigkeit. Bereits bei der Planung der Eröffnungsfeierlichkeiten konnten wir erleben, wie die Vereine bzw. Dorfgemeinschaft durch das Gebäude in ihrer Aktivität am Gemeinschaftsleben mitzuarbeiten motiviert worden sind. Durch das Zusammenwirken aller Beteiligten und der Geduld aller Beteiligten ( weit über 60 Sitzungen und Besprechungen) konnte ein Ergebnis erzielt werden, welches von der gesamten Dorfgemeinschaft mitgetragen wird und an dem alle Ihre Freude haben.

Projektbeschreibung (durch die Architekten):



Ischgl ist einer der wichtigsten Tourismusdestinationen im Alpenraum, 1.600 Einwohnern stehen 11.000 Gästebetten gegenüber. In der Saison, die fast ein halbes Jahr dauert, wird das Ortsbild von Schifahrern in Partylaune dominiert, denen das Aprés-Ski wichtiger scheint als der Tag auf der Piste.

Das kleine Paznauner Dorf ist in den letzten 30 Jahren zu einer Ansammlung von Hotels angewachsen. Dennoch ist das Dorf im sozialen Sinne noch vorhanden, die über 40 Vereine sind – vielleicht gerade als Reaktion auf den übermächtigen Tourismus – sehr aktiv. So ist die Blasmusik mit fast 100 aktiven Mitgliedern bei 1.600 Einwohnern (!!) die relativ größte in Tirol; die Menschen rücken zusammen und es werden Orte wichtig, die eben nicht für Touristen und Broterwerb gedacht sind.



2012 hat sich die Gemeinde Ischgl entschlossen, einen solchen Ort nur für die Ischgler zu bauen. Zwischen „altem“ und „neuen“ Widum (beide sind alt und stehen unter Denkmalschutz) ließ sich noch in Ansätzen der typische Dorfanger erahnen. Die Gemeinde erwarb von der Pfarre die Nutzungsrechte für den alten Widum, für die zusätzliche Neubaukubatur inklusive Dorfplatz und Musikpavillon wurde eine Architekturwettbewerb abgehalten. Die Gemeinde wollte ein „identitätstiftendes Gebäude“, das einerseits dem selbstbewußten und erfolgreichen Ischgl von heute entspricht, und trotzdem den Dorfanger noch erspüren läßt.

Das neue Gebäude wird vor allem von der Musikkapelle genutzt, während Chor, Bibliothek und Dorfarchivar im alten Widum Platz finden. Ein von allen Vereinen nutzbarer Aufenthaltsraum dient als neutrale Stube mit einer einfachen gastronomischen Ausstattung, aber ohne dem Konsumzwang eines Gastronomiebetriebs.



Unter dem Anger verläuft der Dorftunnel, der die Gäste fußläufig (also per Förderband ...) von den Hotels zu den Schiliften bringt. Im Bereich des Vereinsgebäudes befindet sich einer der wichtigen Liftzugänge zum Tunnel. Das Vereinslokal war rund um diesen unverrückbaren Pfahl zu bauen, der Liftzugang sitzt wie ein Findling auf der neuen Landschaft.



Das Gemeindekulturzentrum „St. Nikolaus“ ist in den Anger hineingebaut, Teile des Geländes überdecken das Gebäude. Einzelne Bauteile durchbrechen die Oberfläche und lassen Licht und Luft eindringen. Am Fuß des Angers bettet sich der Dorfplatz. Über das Gebäude zieht sich ein naturnah gestalteter Weg und verbindet den Dorfplatz mit dem oberen Platz auf dem Gebäude.



Der Dorfplatz ist das Zentrum der Anlage. Er wird begrenzt durch Musikpavillon, Sitzrampe und - hinter einer Glasfassade - den inneren Räumen des Kulturzentrums. Für Veranstaltungen läßt sich die Glasfassade großflächig öffnen, ein witterungsgeschützter Ausschank dient der kulinarischen Versorgung.

Der Musikproberaum als Herzstück des Gebäudes ist als Holzbox in den Hang geschoben, die Wände sind zueinander leicht schräg gesetzt, wodurch Flatterechos vermieden werden. Die vertikalen Stützen werden durch quergestellte Stützen ausgesteift, die Felder dazwischen sind mit klappbaren Akustikpaneelen aus Holz ausgefacht und erlauben eine akustische Anpassung des Raumes. Die Paneele vor der Fensterfläche sind aufgeklappt und lassen Licht eindringen.



Der Musikpavillon ist südlicher Abschluß des Dorfplatzes. Die Rückwand wird durch Akustikholzelemente gebildet, über der Geländelinie schützt eine Verglasung vor den Talauswinden. Vor der Witterung geschützt, bildet er eine permanent nutzbare Erweiterung des Dorfplatzes.



Das räumliche Gegenstück des Pavillons ist die ansteigende Rampe mit Sitzstufen aus Holz. So kann auch von den hinteren Reihen aus das Geschehen auf der Bühne verfolgt werden.



Der wichtigste Raum im Kulturzentrumist der Musikproberaum. Als Holzschachtel ist er in den Hang hineingeschoben, wobei ein Eck noch aus dem Anger herausragt. Die Wand zwischen Proberaum und Foyer bzw. Außenraum läßt die Holzkonstruktion sichtbar. Die Füllungen aus Holz sind ausklappbar, sie lassen Licht eindringen und verbessern die Akustik. Die Unterkonstruktion ist als Raster im Foyer konstruktiv sichtbar. Das Probelokal ist mit fast 500 Dreieckspaneelen ausgekleidet, alle vertikalen, horizontalen und diagonalen Fluchten treffen sich von den Wänden über die Decke verlaufend in ihren Fluchtpunkten. Dadurch ist der Großteil der Dreiecke in ihren Ausmassen verschieden groß.Tageslicht dringt über die Auffaltung der Elemente am einzig oberirdischen Geländepunkt in den Proberaum ein, Licht durch die Benützung des Raums ist im Foyer bzw. am Dorfplatz durch die Fortführung der Auffaltung vor der Innenverglasung sichtbar.

Der Zugang zum alten Widum erfolgt zum einen über eine unterirdische Anbindung des neuen Gebäudeteiles und über ein an der Nordfassade neu errichtetes Treppenhaus/Liftgebäude. Der neue Gebäudeteil ragt wie Teile des Kulturzentrums wie ein Findling aus dem Erdreich und ist in seiner Materialisierung dezent. Unterirdische Elemente in Stahlbeton, oberirdische Bauteile in traditioneller Massivholzbauweise in Weißtanne.



Das denkmalgeschützte Gebäude wird nicht durch große Umbauten verändert, durch abgestimmte Nutzungskonzepte wurden die alten Stuben auf den Zustand der Errichtung restauriert. Erforderliche neue Elemente wurden entmaterialisiert in schwarzer Farbgebung ausgeführt.