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Bürgermeister im 15-Minuten-Dorf
St. Paul im Lavanttal ist eine Marktgemeinde im Bezirk Wolfsberg. Identitätsstiftend für den Ort ist das Benediktinerstift St. Paul, dessen Stiftsgymnasium um die 600 Schülerinnen und Schüler besuchen. Bekannte Persönlichkeiten, von Hugo Wolf, über die Hörbigers und Peter Simonischek bis hin zu Friedrich Orter sind hier zur Schule gegangen.
Die Bevölkerungszahl von St.Paul sank zwar seit ihrem Höchststand um den Jahrtausendwechsel, doch das könnte sich bald wieder ändern. Mit der Eröffnung der Koralmbahn ist ein Aufschwung für den Ort programmiert. Der neue Bahnhof im Norden von St.Paul wird die erste Station nach dem Koralmtunnel sein, und der Ort somit der erste Eindruck und quasi das Willkommensportal Kärntens.
Hoffen auf die Koralmbahn
„Unsere Vision ist, dass St. Paul zum schönsten Vorort von Graz und Klagenfurt wird“, erklärt Bürgermeister Stefan Salzmann. Der 40-jährige ist sich des Potenzials der hochrangigen Bahnanbindúng bewusst: „Die Eröffnung der Bahn auf Kärntner Seite kommt noch heuer, und wenn der Tunnel 2025 eröffnet wird, liegen wir exakt in der Mitte eines Ballungsraumes mit über einer Million Einwohner. Nach Klagenfurt benötigt man dann nur noch 22 Minuten, und in Graz ist man in 36 Minuten. Das ist die halbe Zeit, die man mit dem Auto brauchen würde. Und schon ab der neunten Zugfahrt nach Klagenfurt hat man bei Kalkulation mit dem amtlichen Kilometergeld die Kosten für das Kärnten Ticket (399 Euro) wieder herinnen.“
In St. Paul leben derzeit rund 3.200 Einwohner. Mittelfristig rechnet Salzmann, dass der Ort auf 5.000 Bewohner wachsen wird: „Wir können einer jungen Familie anbieten am Land zu wohnen, mit aller Ruhe, mit Lebensqualität, Kinderbetreuung, Schwimmbad und Schulen, für die Arbeit nach Klagenfurt oder Graz auszupendeln und obendrein zumindest auf das Zweitauto, oder sogar gänzlich auf ein Auto zu verzichten. Das wird mit der Koralmbahn möglich sein!“ Natürlich reicht es dafür nicht nur überregional gut aufgestellt zu sein. Der Ort kann aber auch innerhalb der Gemeindegrenzen punkten.
Das Modell des 15-Minuten-Dorfs ist im St. Pauler Ortskern schon jetzt Realität. Von der Kindertagesstätte, über Kindergarten, Grundschule, Hauptschule, Gymnasium, Apotheke, Ärzten, Gasthaus, Bekleidungsgeschäft, Billa, Spar, bis hin zum Café ist alles innerhalb vom Ortskern in 15 Minuten zu Fuß erreichbar. „Genau das ist unser Asset. Die Leute, die bei uns im Ortskern wohnen, pendeln großteils nur mehr zum Arbeiten aus. Neunzig Prozent der alltäglichen Wege lassen sich im Ort erledigen. Für einen Flachbildfernseher oder Sportbekleidung fährt man wohl in die Stadt, aber den täglichen Bedarf kann man bei uns im Ortskern zu Fuß erledigen.“
Fachmarktzentren unerwünscht
Viele Gemeinden können das leider nicht bieten. Salzmann ist stolz auf diese Situation, und möchte sie nicht nur erhalten, sondern weiter forcieren: „Wir haben uns einen Raumplaner geholt, der Unterpremstätten und Hart bei Graz betreut, und der Erfahrung mit Boom-Towns hat.“ Mehr als ein Dutzend Master-Studenten des Instituts für Städtebau der TU Graz haben sich zudem mit einem Projekt zu St. Paul und der Koralmbahn befasst. Auch deren Erkenntnisse fließen in die weitere Ortsentwicklung mit ein.
„Wir wollen keine Fachmarktzentren und damit den Ortskern aushungern, wir wollen weder zu nahe zur Straße hin bauen, noch zu nah an den Bahnhof. Wir wollen eine Raumplanung, bei der wir den Lärm berücksichtigen, die Energieraumplanung – also mehr in die Sonne rein, und bei der wir eine Verdichtung erreichen. Ein Hektar mit Einfamilienhäusern beherbergt durchschnittlich ca. 40 bis 50 Einwohner. Bei einem nur sanft verdichteten Flachbau sind es bereits 200 bis 250 Einwohner. Da zahlt es sich dann schon aus, eine Haltestelle oder einen Spielplatz zu errichten. Da wollen wir hin“, bekennt Salzmann.
Hochwasserschutz wird notwendig
Sanfte Verdichtung und Bodenversiegelung vermeiden ist also die Devise. Hinzugekommen ist das Thema Unwetter, das mitbedacht werden muss.
„Ich bin jetzt drei Jahre Bürgermeister. Letztes Jahr haben wir schon ein Starkregenereignis mit überfluteten Häusern gehabt, und heuer ein Jahrhunderthochwasser mit Zivilschutzalarm. Mit solchen Ereignissen wird leider weiter zu rechnen sein“, so Salzmann. Die Gemeinde könne sich nur bestmöglich damit auseinandersetzen. Daher wird nun ein kostspieliger Hochwasserschutz gebaut. „Wir haben noch mehr Respektabstand vor diesen Gefahrenzonen, und wir berücksichtigen das Hangwasser in der Raumplanung, und bauen keine Siedlungen mehr am Fuße eines Hanges,“ erklärt der Bürgermeister. In Bezug auf die angestrebte Verdichtung bedeutet das, „bei uns wird das Modell „Keller als Wohnfläche“ keine Zukunft haben. Wir werden eher noch einen Stock in die Höhe gehen.“
Bodenschutz ist ein Anliegen des Bürgermeisters
Anfang des Jahres wurde die LandLuft-Wanderausstellung „Boden g’scheit nutzen“ in St. Paul gezeigt, die Gemeinden und Initiativen vorstellt, die mit gutem Beispiel in Sachen Baukultur und Bodenschutz vorangehen.
Das Thema ist den Bürgerinnen und Bürgern wichtig und dem Bürgermeister ein persönliches Anliegen. Der Ortschef hat durch seinen Werdegang einen breiten Einblick in die Gesellschaft. Angefangen hat er als Kfz-Mechaniker-Lehrling. Das neunte Schuljahr hat er an der landwirtschaftlichen Fachschule in St. Andrä absolviert, da beide Seiten der Familie in der Landwirtschaft tätig sind. Nach der berufsbegleitenden Matura zog es ihn in die Automobilindustrie nach Graz, privat ins Ausland Richtung Südamerika. Besonders oft war er in Brasilien und Kuba.
„Wenn man nur in Österreich oder nur in Europa unterwegs ist, neigt man dazu diesen Eurozentrismus zu haben. Aber die Welt ist doch ein bisschen größer. Viele wissen gar nicht, wo Österreich liegt. Das beschrieb ich meist als zwischen Deutschland und Italien gelegen. Wenn ich gesagt habe, dass man mit dem Auto in drei Stunden in Venedig ist, löste das Staunen aus. Das ist in brasilianischen Maßstäben keine Distanz. Wenn ich in den USA nach meinem Heimatort gefragt wurde, habe ich gerne gesagt: Bei uns ist es wie in der Schweiz - nur leistbar.“ Wieder in Österreich zurück, arbeitete Salzmann bei einem Autokonzern bundesweit im Außendienst: „Dadurch habe ich – quasi als Begleiterscheinung – viele Gemeinden kennenlernen können.“
Schon mit 14 Jahren Bürgermeister
In die Politik kam Salzmann im Jahr 1996, wenn auch nur für einen Tag. „Ich habe damals bei einer Verlosung gewonnen. Zu gewinnen gab es einen Tag lang Feuerwehrkommandant zu sein, einen Tag Polizeikommandant oder einen Tag lang Bürgermeister. Und ich habe das Los für den Bürgermeister gezogen. Damals war ich knapp 14 Jahre alt. Seitdem habe ich die Kommunalpolitik etwas genauer verfolgt.“
Richtig in die Politik eingestiegen ist Salzmann 2013 als Nationalratskandidat für die SPÖ im Wahlkreis Ost. Als Absolvent der Gewerkschaftsabendschule in Graz war das Interesse an der Arbeitervertretung seine Triebfeder. 2015 übernahm er den Vorsitz der Ortspartei, und löste 2020 schließlich seinen Vorgänger im Bürgermeisteramt ab, der es 29 Jahre lang innegehabt hat. Salzmann setzt seitdem seine eigenen Schwerpunkte. Einer davon ist, die Digitalisierung in der Gemeinde voranzutreiben.
„Als ich gekommen bin, gab es auf der Homepage ein paar Formulare als PDFs zum Downloaden, ausdrucken, ausfüllen und aufs Gemeindeamt tragen. Wir haben den digitalen Amtsweg eingeführt, den es andernorts ja schon gibt.“
Mittlerweile kann man in St. Paul den größten Teil der Behördenwege vollständig von zuhause aus erledigen. Den größten Brocken der anstehenden Projekte, hat sich Salzmann allerdings nicht ausgesucht. Der umfangreiche Hochwasserschutz des Langlbachs ist dringend umzusetzen. St. Paul droht gleich von drei Gewässern Gefahr: dem Granitzbach, der Lavant und dem Langlbach. Letzterer ist eigentlich ein kümmerliches Rinnsal. Bei Niederschlag verwandelt er sich aber in einen reißenden Fluss, der immer wieder eine bestehende Siedlung überschwemmt.
Bahn soll Impulsgeber werden
Ein weiteres Projekt ist die bestmögliche Anbindung des neuen Bahnhofes, insbesondere die dazu nötige Abstimmung mit der ÖBB, dem Verkehrsverbund, dem Postbus sowie den Nachbargemeinden, mit denen ein Mikro-ÖV avisiert ist. Die umliegenden Gemeinden sind auch Partner, wenn es um die Wirtschaft geht. Die Koralmbahn wird zwar neue Bürgerinnen und Bürger anlocken, St. Paul will sich aber nicht nur auf die Rolle als Wohnsitzgemeinde beschränken.
Die Bahn kann auch Impulsgeber für die Wirtschaft sein. Auf einem Grundstück, das dem Benediktinerstift gehört, südlich des Bahnhofes, ist ein Projekt mit der Kärntner Betriebsansiedlungs Gesellschaft (BABEG) angedacht, das den Namen „Campus 2050“ trägt. Ein Technologiepark soll es werden, im Sinne des Lake Side Parks in Klagenfurt. Keine Fabriksschlote, keine großen Hallen, sondern international vernetzte Forschung und Entwicklung soll sich hier ansiedeln. Das Ziel ist es, sich neben Villach im Westen und Klagenfurt im Zentralraum, als das östliche Zentrum Kärntens für Forschung und Entwicklung zu etablieren.
„Da gibt es schon konkrete Pläne. Die Unterschrift fehlt zwar noch, aber wir sind auf der Zielgeraden“, freut sich der Bürgermeister. Als interkommunaler Technologiepark konzipiert, sind alle neun Gemeinden des Bezirks mit dabei. Dank eines Verteilungsschlüssels partizipiert jede Gemeinde aliquot nach Einwohnerzahl. Die Beschlüsse dafür sind in allen neun Gemeinderäten bereits durch. Den internen Standortwettbewerb spart man sich auf diese Weise im Bezirk Wolfsberg, und arbeitet lieber gemeinsam daran, das Beste aus der neuen Bahnanbindung für die Region herauszuholen.
Zur Person
Stefan Salzmann
Alter: 40
Gemeinde: St. Paul im Lavanttal
Einwohnerzahl: 3.179 (Jänner 2023)
Bürgermeister seit: 7. August 2020
Partei: SPÖ