Zersiedelung
Durch die Zersiedelung steigen auch die Kosten für die Gemeinden. Die Erschließungskosten, wie Straße, Kanal und Trinkwasser, sind bei freistehenden Einfamilienhäusern drei bis zehnmal so hoch wie bei mehrgeschoßigen Wohnbauten.
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Zersiedelung ist Verursacher von Verkehrsproblemen

12. November 2020
Wohnbau und Siedlungsentwicklung haben sehr großen Einfluss auf die Verkehrsentwicklung, wie eine Publikation des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) zeigt. Während Zersiedelung zu höheren Mobilitätskosten und mehr Autoverkehr führt, vermeide die Stärkung der Ortskerne Verkehr und ermögliche es der Bevölkerung, mehr Alltagserledigungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu machen. Der VCÖ fordert daher, dass Mobilitätskriterien in der Wohnbauförderung stark berücksichtigt werden und die Pkw-Stellplatzverpflichtung abgeschafft wird.

„Acht von zehn Alltagswegen beginnen oder enden zu Hause. Die Fehler, die in der Vergangenheit bei der Siedlungsentwicklung gemacht wurden, sind wesentlich mitverantwortlich für die Verkehrsprobleme der Gegenwart. Und sie sind auch ein Grund dafür, warum der Verkehr von seinen Klimazielen so weit entfernt ist“, fasst VCÖ-Experte Michael Schwendinger ein Ergebnis der neuen VCÖ-Publikation „Mobilitätsfaktoren Wohnen und Siedlungsentwicklung“ zusammen.

Zersiedelung treibt den Flächenverbrauch in die Höhe

Mittlerweile beanspruchen die Bau- und Verkehrsflächen in Österreich bereits 5.338 Quadratkilometer, das entspricht der doppelten Fläche Vorarlbergs.

Besonders stark ist der Flächenverbrauch des Straßenverkehrs gestiegen, von 1.440 Quadratkilometer im Jahr 1990 auf fast 2.000 Quadratkilometer im Vorjahr, macht der VCÖ aufmerksam. Allein in Niederösterreich betragen die Straßenflächen knapp mehr als 600 Quadratkilometer, in der Steiermark und in Oberösterreich sind es jeweils etwas mehr als 340 Quadratkilometer. 

„In den vergangenen dreißig Jahren ist die Einwohnerzahl Österreichs um 14 Prozent gestiegen, die für Wohnen verbaute Fläche hat doppelt so stark zugenommen und die Anzahl der Pkw sogar viermal so stark“, weist Experte Schwendinger auf ein weiteres Ergebnis hin.

Die VCÖ-Analyse zeigt, dass es in Österreich in dünn besiedelten Regionen mit weniger als 100 Personen pro Quadratkilometer 691 Pkw pro 1.000 Einwohner gibt, während es in dichter besiedelten Regionen mit 500 bis 2.000 Personen pro Quadratkilometer 585 sind und in dicht besiedelten Gebieten mit über 2.000 Personen pro Quadratkilometer sind es 483 Pkw pro 1.000 Personen. 

Haushalte in den Regionen haben häufig Zweit- und Dritt-Autos

Die Zahl der Zweit- und Drittautos hat sich seit dem Jahr 2000 von rund 700.000 auf rund 1,6 Millionen im Vorjahr mehr als verdoppelt, informiert der VCÖ.

Private Haushalte, die in einer Region mit geringer Siedlungsdichte wohnen, haben - bereinigt um die Haushaltsgröße - um rund 50 Prozent höhere Ausgaben für Mobilität als jene, die in einer Stadt mit hoher Siedlungsdichte wohnen.

Zersiedelung kommt teuer

Durch die Zersiedelung steigen auch die Kosten für die Gemeinden. Die Erschließungskosten, wie Straße, Kanal und Trinkwasser, sind bei freistehenden Einfamilienhäusern drei bis zehnmal so hoch wie bei mehrgeschoßigen Wohnbauten, verdeutlicht der VCÖ.

Beim Hausbau wird der Energieverbrauch der Mobilität meist ausgeblendet. Dabei hat ein Diesel-Pkw im Schnitt einen jährlichen Energieverbrauch von umgerechnet 10.000 kWh, ein durchschnittlicher Zweitwagen von rund 5.000 kWh.

„Wird ein Niedrigenergiehaus auf der grünen Wiese errichtet und braucht dieser Haushalt zwei Autos, dann ist der Gesamtenergieverbrauch höher als jener eines autofreien Haushalts in einer Altbauwohnung. Um die Klimaziele erreichen zu können, ist der Fokus nicht nur auf Energiesparhäuser, sondern auch auf Verkehrsparhäuser zu legen“, betont VCÖ-Experte Schwendinger.  

Weniger Autos in dicht besiedelten Gebieten

Mit steigender Siedlungsdichte sinkt der Pkw-Motorisierungsgrad. Denn dort, wo im Verhältnis zur Fläche viele Menschen wohnen, kann leichter ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz und eine bessere Nahversorgung angeboten werden. Das wiederum ermöglicht mehr Haushalten sehr gut ohne Auto mobil sein zu können oder mit nur einem statt zwei Autos auszukommen.

Die Forderungen

Um das von der Bundesregierung beschlossene Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, brauche es im Bereich des Wohnbaus und der Siedlungsentwicklung Maßnahmen, die die klimaverträgliche Mobilität fördern, so der VCÖ.

Zentral sei der Stopp der Zersiedelung und die Stärkung der Ortskerne und der Nahversorgung. In die Wohnbauförderung seien verstärkt Mobilitätskriterien aufzunehmen und die bestehende Pkw-Stellplatzverpflichtung sei abzuschaffen und durch eine Mobilitätsgarantie (Öffentlicher Verkehr in der Nähe, Sharing-Angebote, Anbindung an Rad-Infrastruktur) zu ersetzen.

Zudem sei auch in den Regionen die Infrastruktur für den Radverkehr stark auszubauen. Denn in den Regionen sind vier von zehn Autofahrtenkürzer als fünf Kilometer. Der Ausbau der Radinfrastruktur ermögliche den verstärkten Umstieg auf Fahrrad, Elektro-Fahrrad oder E-Scooter.

VCÖ: Je geringer die Siedlungsdichte, umso hoher die Anzahl der Pkw pro 1.000 Einwohner

(Einwohnende pro Quadratkilometer Dauersiedlungsraum: Pkw / 1.000 Einwohnende)

  • Weniger als 100: 691 Pkw / 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner
  • 100 bis 249: 661 Pkw / 1.000 EW
  • 250 bis 500: 603 Pkw / 1.000 EW
  • 501 bis 2.000: 585 Pkw / 1.000 EW
  • Mehr als 2.000: 483 Pkw /1.000 EW

Quelle: Statistik Austria, VCÖ 2020