Entsorgung
Wie sich die Abfallwirtschaft weiterentwickelt
Herr Bartmann, sie sind der neue Bundeskoordinator der Arge Abfallwirtschaftsverbände Österreichs. Was sind ihre ersten Schritte in diesem Job?
Michael Bartmann: Als Interessensvertretung und Informationsdrehscheibe für Gemeinden und Gemeindeverbände, mit rund 7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, vertritt die Arge AWV einen wesentlichen Teil der kommunalen Abfallwirtschaft in Österreich. Eine der Kernaufgaben der Arge AWV liegt darin, sich für geeignete Rahmenbedingungen für Kommunen und Verbände einzusetzen, damit diese Ihre Aufgaben der Daseinsvorsorge nachhaltig erfüllen können - diesen Weg wird die Arge AWV auch zukünftig konsequent weitergehen.
Gleichzeitig ist es mir wichtig, den Blick auf Innovation und Weiterentwicklung zu richten. Als Organisation werden wir uns beispielsweise noch stärker als Informationsportal positionieren und auch den „Alleinstellungsmerkmalen“ der kommunalen Abfallwirtschaft besondere Aufmerksamkeit schenken.
Die AWV kümmern sich mit rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr oder weniger um alles, was in Österreichs Haushalten weggeworfen wird – rund 3,5 Millionen Tonnen Abfälle (inklusive Wien wären es rund 4,6 Millionen). Wieviel davon wird deponiert, wieviel wird recycelt?
Die kommunale Abfallwirtschaft hat die Aufgabe, sich insbesondere um Siedlungsabfälle, also jene Abfallströme, die in Haushalten und ähnlichen Einrichtungen anfallen, zu kümmern. Das sind z. B. Rest- und Sperrmüll, Biogene Abfälle, Papier- und Kartonagen, Problemstoffe aber auch Altholz, Alttextilien oder Altspeisefette.
Die Sammlung und Behandlung ist entsprechend der Abfallhierarchie gestaltet – weshalb nur Rückstände der Abfallbehandlung, wie etwa nach der Müllverbrennung, deponiert werden - das sind ca. 730.000 Tonnen pro Jahr. Österreich erreicht aktuell eine Recyclingquote von 62,5 Prozent und liegt damit auf Platz 2 im EU-Vergleich.
Das verdeutlicht, dass die kommunale Abfallwirtschaft sehr professionell agiert und die Kreislaufführung von Rohstoffen einen hohen Stellenwert hat. Zudem ist das Thema Abfalltrennung bei den Bürgerinnen und Bürgern sehr gut verankert, was unter anderem auf das hohe Engagement der Gemeinden und Gemeindeverbände im Bereich der Umwelt- und Abfallberatung zurückzuführen ist.
Was passiert eigentlich mit dem getrennten Abfall? Wer sind die Abnehmer?
Was mit den getrennten Abfällen passiert ist hängt sehr stark vom jeweiligen Material ab:
- Aus Biogenen Abfällen, also Grünschnitt oder dem Inhalt der Biotonnen, kann wieder hochwertiger Kompost und somit Dünger für Landwirtschaft, Landschaftsbau und Gärten entstehen – hierfür bestehen in Österreich 410 Kompostierungsanlagen. Je nach Zusammensetzung kommt das Material aber auch in Biogasanlagen zum Einsatz.
- Gesammeltes Altpapier wird wieder für Verpackungen wie Kartonagen, Zeitungspapiere oder ähnliches eingesetzt. Zirka 90 Prozent des Aufkommens an Papierabfällen in Österreich kann recycelt werden.
- Getrennt gesammeltes Altspeiseöl/-fett kann in Raffinerien zu Biodiesel verarbeitet werden, wobei ungeeignete Fette und Reststoffe zur Vergärung in Biogasanlagen eingesetzt werden.
- Gesammelte Metallabfälle, also Schrotte, sind eine nachgefragte Ressourcen für die Herstellung von Stahl in Lichtbogenöfen.
Wie sehr haben neue Vorschriften zur Kreislaufwirtschaft Auswirkungen auf ihre Tätigkeiten?
Insbesondere auf Europäischer Ebene wird aktuell an einer Vielzahl an Vorgaben gearbeitet, die die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft weiter unterstützen sollen und gleichzeitig auch direkte Auswirkungen auf die kommunale Abfallwirtschaft in Österreich haben werden (z. B. EU-Verpackungsverordnung, EU-Abfallrahmenrichtlinie).
Vor diesem Hintergrund nimmt die Arge AWV, gemeinsam mit dem Städtebund, auch weiterhin die österreichische Vertretung der Europäischen kommunalen Abfallwirtschaft in Brüssel im Rahmen der Municipal Waste Europe (MWE) wahr. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Entwicklungen auf europäischer Ebene frühzeitig erkannt und nach Möglichkeit darauf Einfluss genommen wird.
Im Wege von Municipal Waste Europe konnte beispielsweise mitgewirkt werden, dass die Hersteller von Einwegkunststoffprodukten, gemäß der Single-Use-Plastic-Directive, für Kosten für die Einsammlung von achtlos weggeworfenem Müll aufkommen müssen.
Bei der Finanzierung spielen die Gemeinden eine große Rolle – in Summe reden wir von rund 800 Millionen Euro Abfallgebühren, die über die Gemeinden und Gemeindeverbände aufgebracht werden? Welche Rolle spielen die kommunalen Interessensvertretungen in diesem Zusammenhang?
Als kommunale Interessensvertretung koordinieren und unterstützen wir Vertragsverhandlungen beispielsweise im Bereich der haushaltsnahen Verpackungssammlung oder im Zusammenhang mit den Reinigungskosten für Einwegkunststoffprodukte („SUP-Produkte“). Hier ist das Ziel, dass kommunal erbrachten Leistungen in einer solchen Art und Weise abgegolten werden, dass diese Leistungen auch langfristig gesichert sind.
Im Rahmen der 2023 abgeschossenen Verhandlungen zu den Gebietskörperschaftsverträgen für die haushaltsnahe Verpackungssammlung konnte hier etwa eine Steigerung der Entgelte in der Höhe von rund 14 Millionen Euro pro Jahr für gesamt Österreich erzielt werden.
Ebenso wurden im Dezember 2023 die Verhandlungen der Littering-Kostenersätze für Einwegkunststoffprodukte abgeschlossen - hier wurde ein Betrag in Höhe von 20 Millionen Euro für die Abgeltung der kommunalen Kosten für Littering-Abfälle vereinbart, was einer Steigerung um etwa 60 Prozent zum vorangegangenen Verhandlungsergebnis entspricht.
Für das Sammeln der „Einwegkunststoffprodukte“ – sprich die Plastikflaschen, die künftig gesammelt werden – wurde für 2024 rund 20 Millionen für die Abgeltung der kommunalen Kosten für Littering-Abfälle vereinbart. Dies entspricht einer Steigerung um rund 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ist das nicht eine exorbitante Steigerung? Wie erklären Sie diese Steigerung?
Im Auftrag der kommunalen Interessensvertretungen wurde 2022 eine Aktualisierung der Studie zur Erhebung der kommunalen Kosten für das Einsammeln von Litteringabfällen beauftragt. Hierbei hatten sich nunmehr 643 Gemeinden in ganz Österreich an der Abfrage zu den angefallenen Kosten beteiligt, was sehr positive Auswirkungen auf die Repräsentativität und den Detaillierungsgrad der Ergebnisse zur Folge hatte.
Gemeinsam mit Lohnkostensteigerungen, die geltend gemacht werden konnten, führte die eindeutigere Datenlage dazu, dass die kommunalen Forderungen gegenüber den Verhandlungspartnern nachvollziehbar begründet werden konnte. Somit konnte auch ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden.
Die Sammlung der Alttextilien ist laut Ihrer Website ebenfalls eine kommunale Aufgabe. Sind das nicht Stoffe, die grob gesagt für Bedürftige gesammelt und verkauf werden?
Als Siedlungsabfälle unterliegt die Sammlung von Alttextilien der Gestaltungshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände – was auch ein flächendeckendes System zur Sammlung und Erfassung von Alttextilien sicherstellt.
Die Sammlung wird jedoch vielfach in Kooperationsmodellen mit soziökonomischen Betrieben umgesetzt und, wie von Ihnen richtig angemerkt, besteht in Österreich eine lange Tradition der Sammlung mit Fokus auf Secondhand Produkten. Aktuell können rund 40 Prozent der über diesen Weg getrennt gesammelten Alttextilien wieder als Kleidungsstücke verwendet werden.
Praktisch überall spielt die Herstellerverantwortung eine immer größere Rolle, also dass Hersteller einen Beitrag zur Entsorgung zahlen sollen/müssen.
Auch im Bereich der Textiliensammlung wird derzeit ein solches System diskutiert. Es ist zu begrüßen, dass entsprechend eines Verursacherprinzips, die Kosten für die Sammlung- und Verwertung von Produkten direkt beim Kauf eines Artikels zu entrichten sind und nicht die Allgemeinheit für die Entsorgung aufkommen muss.
Gleichzeitig muss aber sichergestellt bleiben, dass es durch solche Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung nicht zu einer Beschränkung des eigenen Wirkungsbereichs von Gemeinden und Verbänden kommt und bestehende Strukturen der öffentlichen Abfallwirtschaft eingebunden werden.
Die Arge AWV und der Verband Abfallberatung Österreich (VABÖ) setzten mit einer gemeinsamen Informationskampagne 2024 ein Zeichen für Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit in der Abfallberatung. Wie soll diese Kampagne aussehen?
Für Fragen zur richtigen Sammlung, Trennung und Vermeidung von Abfällen ist die Umwelt- und Abfallberatung erste Ansprechstelle in Österreich. Hier gibt es ein Netzwerk aus ca. 350 Beraterinnen und Berater, welche seit den 1980er Jahren eine professionelle Information der Bevölkerung zu Abfall- und Kreislaufwirtschaft gewährleisten.
Um die Abfallberaterinnen und Abfallberater zu aktuellen Themen der kommunalen Abfallwirtschaft zu informieren, stellen wir 350 Exemplare unseres Fachwerks „Grünbuch – Verantwortungsvolles Wertstoffmanagement“ für Aus- und Weiterbildung der Abfallberater zur Verfügung.
Unser „Grünbuch“ gibt auf 430 Seiten einen umfassenden Überblick über abfallwirtschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen in Österreich. Neben Grundsätzen der Daseinsvorsorge, dem Beitrag der Abfallwirtschaft zum Klimaschutz, sowie der detaillierten Betrachtung ausgewählter Abfallströme finden sich zahlreiche Beiträge von renommierten Branchenexpertinnen und -experten.
Sie wollen auch einen besonderen Fokus auf das Thema Letztverbraucherinformation legen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Der Begriff Letztverbraucherinformation kann mit Bürgerinformation gleichgesetzt werden. Über die Umwelt- und Abfallberatung verfügen die Gemeinden und Verbände in Österreich über einen etablierten und professionalisierten Kanal, um Information auf einem sehr direkten Weg an die Bevölkerung zu bringen – die Abfallberatung ist quasi ein „Tor“ zu den Bürgerinnen und Bürger.
Besonders für zukünftige Herausforderungen im Rahmen der Kreislaufwirtschaft werden diese Kommunikationsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung sein und stellen sicherlich auch ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal der kommunalen Abfallwirtschaft dar. Diese Alleinstellungsmerkmale wollen wir auch zukünftig weiter stärken, etwa durch gezielte Informationsbereitstellung oder Ausbildungsangebote.
Das neue Leitbild der Arge AWV soll „fit in die Zukunft“ führen. Können sie die Gedanken, die hinter dem Leitbild stehen, kurz erklären?
In unserem neuen Leitbild greifen wir Vision, Mission und Werte unserer Mitglieder auf und formulieren daraus Grundsätze und Handlungsanleitungen. Wesentliches Ziel ist es, Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben der Daseinsvorsorge im Bereich der kommunalen Abfallwirtschaft professionell, effizient und vorausschauend zu unterstützen.
Zur Person
Der 34-jährige Michael Bartmann stammt aus Himberg bei Wien und hat 2015 sein Studium an der BOKU abgeschlossen. Nach seiner beruflichen Tätigkeit beim Ingenieurbüro „wpa – Beratende Ingenieure“ und dem Land Niederösterreich war er zuletzt für den Abfallverband Schwechat als Büroleiter tätig. Mit 1. September 2023 hat er als stellvertretender Bundeskoordinator in der Arge AWV begonnen und hat am 1. Jänner 2024 die Bundeskoordination übernehmen.