Urban Mining
Im Durchschnitt stecken in den Gebäuden, Straßen und Anlagen industrieller Länder rund 400 Tonnen Material pro Einwohner – hauptsächlich mineralische Baustoffe.
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Abbau statt Abbruch

Urban Mining als Schlüsselstrategie in Österreich

Beim Urban Mining (städtischer Bergbau) geht es darum, die in Städten und Gemeinden vorhandenen Materialien als Quelle für Rohstoffe zu nutzen. Häuser, Infrastrukturen und sogar alte Deponien werden als urbane Lagerstätten betrachtet, aus denen man Metalle, Mineralien oder Baustoffe „abbauen“ kann – anstatt diese Rohstoffe neu aus der Natur zu entnehmen.

Durch unsere lange Bautätigkeit haben sich in Städten enorme Materialmengen angesammelt, das sogenannte anthropogene Lager. Studien zeigen, dass dieses Lager für manche Rohstoffe bereits die Größenordnung von natürlichen Erzvorkommen erreicht hat.

Im Durchschnitt stecken in den Gebäuden, Straßen und Anlagen industrieller Länder rund 400 Tonnen Material pro Einwohner – hauptsächlich mineralische Baustoffe. Dieses Material gilt es für die Zukunft zu sichern.

Urban Mining umfasst mehrere Bereiche: Ein Schwerpunkt liegt auf Gebäuden und Bauwerken. In Beton, Ziegeln, Stahlträgern, Kabeln, Fenstern oder Holzdecken schlummern wertvolle Sekun­därrohstoffe. Darüber hinaus zählt auch die Rückgewinnung von Edelmetallen aus Elektro­nikschrott zum Urban Mining. Selbst unsere Infrastruktur – von Wasserleitungen über Stromkabel bis zum Asphalt auf den Straßen – wird als Rohstoffquelle betrachtet. Urban Mining ist also ein interdisziplinärer Ansatz, der Stadtplanung, Abfallwirtschaft, Recyclingtechnologien und Produktdesign zusammenbringt.

Urban Mining steht für ein neues Bewusstsein im Umgang mit Ressourcen. Unsere Rohstoffe sind endlich. Hier setzt die Kreislaufwirtschaft an, die darauf abzielt, Materialien so lange wie möglich im Umlauf zu halten. Indem wir Beton, Metall oder Holz aus bestehenden Strukturen zurückgewinnen, reduzieren wir den Abbau neuer Rohstoffe, sparen Energie und minimieren Abfälle.

Kreislaufwirtschaft: Stellenwert des Urban Mining in Österreich

Österreich misst der Kreislaufwirtschaft und damit dem Urban Mining einen hohen Stellenwert bei. Die Bundesregierung hat Ende 2022 eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie beschlossen, die den Wandel zu einer klimaneutralen, nachhaltigen Wirtschaft bis 2050 vorsieht. Darin wird betont, dass Produkte länger genutzt, repariert und recycelt werden sollen, um Primärrohstoffe einzusparen.

Konkrete Ziele sind unter anderem die Reduktion des inländischen Materialverbrauchs auf 14 Tonnen pro Kopf bis 2030 und eine Steigerung der Zirkularitätsrate auf 18 Prozent. Urban Mining – als Quelle sekundärer Rohstoffe – trägt direkt zu diesen Zielen bei. Die Bauwirtschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle: Baurohstoffe machen mehr als die Hälfte des Ressourcenverbrauchs aus und Bau- und Abbruchabfälle stellen einen großen Teil des Abfallaufkommens.

Seit 2016 sorgt die Recycling-Baustoffverordnung (RBV) dafür, dass bei Abbrüchen Baustoffe getrennt erfasst und in hoher Qualität wiederverwertet werden. Auch auf Bundesländerebene und in Städten wächst das Interesse: Urban Mining ist in Österreich konzeptionell stark verankert. Politisch wird es durch die Klimaziele des Landes (Klimaneutralität bis 2040) und EU-Richtlinien unterstützt.

Praxisbeispiele: Urban Mining in Städten und Gemeinden. Immer mehr österreichische Städte und Gemeinden sammeln praktische Erfahrungen mit Urban Mining. Wien, Graz und Linz gelten als Hotspots, doch auch kleinere Gemeinden ziehen nach:

  • Wien – MedUni-Campus Mariannengasse: Rückbau eines Bürogebäudes durch das Projekt BauKarussell. 60 Tonnen Bauteile wurden wiederverwendet, 81 Tonnen recycelt. Sozialwirtschaftlich wurden über 5.000 Arbeitsstunden generiert.
  • Wien – Ferry-Dusika-Stadion: Über 1.100 Sitze wurden ausgebaut und über Online-Plattformen zur Wiederverwendung vermittelt.
  • Graz – Vorklinik der Medizin-Uni: In sieben Monaten wurden 140 Tonnen Material demontiert. 40,9 Tonnen gingen ins Recycling, 17,4 Tonnen zur Wiederverwendung – etwa in einer Re-Use-Aktion für Bürgerinnen und Bürger.
  • Linz – Rückbau WICK-Areal: Erstmals wurde hier Social Urban Mining in Oberösterreich umgesetzt, mit Einbindung regionaler sozialwirtschaftlicher Betriebe.
  • Weitere Beispiele: In Gmünd (NÖ), Vorarlberg und Tirol unterstützen lokale Betriebe die Rückgewinnung alter Baustoffe. In Wien integriert das Projekt „Materialnomaden“ alte Bauteile in neue Architekturkonzepte.

Innovative Ansätze: Von Social Urban Mining bis selektiver Rückbau

Social Urban Mining kombiniert verwertungsorientierten Rückbau mit sozialer Beschäftigung. Sozialwirtschaftliche Betriebe übernehmen den Ausbau wiederverwendbarer Materialien und schaffen Arbeitsplätze.

Selektiver Rückbau bedeutet, Gebäude systematisch zu zerlegen, um Materialien getrennt zu erfassen. So entsteht aus Abfall eine Ressource. Unterstützend wirken digitale Gebäudepässe oder Materialkataster.

Auch Infrastruktur-Urban-Mining rückt in den Fokus: Rohstoffe aus alten Rohrleitungen, Stromkabeln oder Straßenaufbrüchen können wirtschaftlich rückgewonnen werden.

Neue Projekte qualifizieren Arbeitsuchende als „Social Urban Miner“, Gemeinden setzen Re-Use-Flohmärkte um und digitale Bauteilbörsen erleichtern die Vermittlung gebrauchter Materialien.

Fazit

Urban Mining hat sich in Österreich als Schlüsselstrategie etabliert, um Ressourcen zu schonen, Emissionen zu senken und regionale Wertschöpfung zu fördern. Von der Millionenstadt bis zur Landgemeinde bieten sich praktische Chancen – vorausgesetzt, man nutzt die bestehenden Werkzeuge, baut Netzwerke auf und denkt Kreisläufe mit. Die Stadt von heute ist die Rohstoffmine von morgen.

Handlungsempfehlungen für Gemeinden

  • Urban Mining von Anfang an einplanen: Rückbau nicht nur als Abriss sehen – Konzepte zur Wiederverwendung bereits in der Planung erstellen
  • Selektiven Rückbau ausschreiben: Mustertexte und Leitfäden (z. B. des BMK) nutzen, um rechtssicher Ausschreibungen zu gestalten
  • Mit erfahrenen Partnern arbeiten: BauKarussell, Materialnomaden und andere unterstützen
  • Regionale Netzwerke nutzen: Zusammenarbeit mit Abfallwirtschafts­verbänden, Re-Use-Zentren oder Sozial-
    betrieben suchen
  • Wiederverwendung fördern: Kommunale Bauteillager aufbauen oder Re-Use-Aktionen 
    (z. B. „Re-Use Box“) durchführen
  • Gebäudekataster erstellen: Materialien und Bauteile von kommunalen Gebäuden dokumentieren – idealerweise digital
  • Schulungen anbieten: Bauhof-Teams, Bauamtsleiter:innen und Bauunternehmen weiterbilden, z. B. durch klimaaktiv-Seminare
  • Politisch verankern: Urban Mining in Gemeinderatsbeschlüssen, Klimastrategien oder Ausschreibungsrichtlinien integrieren

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