Für Feuchtsalze sind eigene Streuverteiler nötig, da ansonsten Verstopfungen der Ausbringer drohen. Foto: auphoto, olalaja/shutterstock.com

Streuverluste minimieren

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind. Auch Eis und Schnee kehren wieder. Der Winterdienst muss darauf vorbereitet sein, um in kürzester Zeit für möglichst viele Menschen sichere Verkehrsbedingungen zu schaffen. Die Wahl des richtigen Streumittels ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Der Winter naht und somit auch die Hochsaison für den Straßendienst. Auch wenn die Schneemengen und die Anzahl der Frosttage seit Jahren rückläufig sind, muss jede Gemeinde auf den Extremfall vorbereitet sein. Statistische Ausreißer, Wetterkapriolen und die alpine Lage verzeihen keine Nachlässigkeit in der Vorbereitung. Als Alpennation ist Österreich in dieser Hinsicht erfahren und gut gerüstet.

Anders als in vielen europäischen Ländern gehört hierzulande die Bewältigung auch größere Schneemengen zur Routine, womit man gemäß dem Spruch „Never change a runnig system“ verleitet ist, bisherige Vorgehensweisen beizubehalten und sich anderen kommunalen Teilbereichen zuzuwenden. Das ist schade, denn auch auf dem Gebiet des Winterdienstes gibt es Optimierungspotenzial. Etwa in der Organisation der Routen für Räumfahrzeuge bzw. der operativen Einsatzsteuerung, dem Fuhrpark selbst oder auch der Streustoffe.

Das Ausbringen von Streugut ist Alternative und Ergänzung zur Schneeräumung gleichzeitig und erfreute sich in den vergangenen drei Jahrzehnten recht unterschiedlicher Beliebtheit. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen sind Umweltbedenken seit dieser Zeit ein wesentliches Entscheidungskriterium, das je nach Art des Stoffes für oder gegen dessen Verwendung sprach. Andererseits sind die Anforderungen an die Streustoffe recht hoch, und das in vielerlei Hinsicht.

Das ideale Streumittel sollte:

  • einfach verfügbar sein,
  • einfach zu lagern sein,
  • leicht auszubringen sein (und gegebenenfalls auch wieder leicht einzusammeln),
  • sofort wirken,
  • lang anhaltend wirken,
  • keine Fahrzeuge beschädigen,
  • den Straßenbelag nicht angreifen
  • und möglichst umweltfreundlich sein.

Gleich vorweg sei gesagt: Auch bei Streugut gibt es leider keine eierlegende Wollmilchsau, aber es gibt eine größere Auswahl spezifischer Mittel, die je nach den unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Prioritäten am geeignetsten sind.

Tauende Streustoffe

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten von Streustoffen, den tauenden und den abstumpfenden. Unter abstumpfenden Stoffen versteht man solche, die wasserunlöslich sind und ihre Wirkung durch Reibung und Griffigkeit entfalten. Dazu gehören der klassische Streusplitt, aber auch Streusand, Asche und einige weitere, meist Nebenprodukte aus der Industrie.

Tauende Stoffe hingegen sind wasserlöslich. Sie haben keinen mechanischen sondern einen chemischen Effekt als Wirkungsgrundlage. Durch das Senken des Gefrierpunktes von Wasser bringen sie einerseits Schnee und Eis zum Schmelzen und verhindern andererseits, dass sich Glatteis überhaupt bilden kann. In Österreich kommen vor allem drei Salze als tauende Stoffe zum Einsatz: Das bestens bekannte Kochsalz, mit der chemischen Bezeichnung Natriumchlorid, sowie weiters Calciumchlorid und Magnesiumchlorid.

Zu diesen Salzen gibt es eine Fülle an Studien, die deren Wirkungsweise, Ausbringungsart und Dosierung untersuchen. Dabei stellte sich in der Vergangenheit das Kochsalz als das in den meisten Fällen zu bevorzugende Taumittel heraus. Sein einziger Nachteil im Vergleich zu den anderen Salzen ist die höhere Minimaltemperatur, ab der es nicht mehr wirkt. Selbst bei höchster Konzentration verliert das Natriumchlorid ab -21 °C seine Wirkung. Calciumchlorid hingegen wird erst ab -33 °C unwirksam und Magnesiumchlorid löst Eis und Schnee selbst bei arktischen -55 °C.

Man möchte meinen, derartige Temperaturen sind in unseren Breiten so selten, dass diese Vorteile auch in strengen Wintern meist nicht von entscheidender Relevanz sind. Diese Temperaturpunkte sind jedoch Werte, die unter theoretischen Idealbedingungen erzielt werden. Das heißt, in diesen Versuchsanordnungen sind die Salze in größter Reinheit vorhanden, besitzen die optimale Korngröße und werden absolut gleichmäßig aufgetragen. Kurz gesagt, Bedingungen, die im realen Alltag des Winterdiensts so nicht auftreten.

Calcium- und Magnesiumchlorid haben zudem Nachteile gegenüber dem Kochsalz. Sie sind äußerst feuchtigkeitsanziehend, weshalb sie stark dazu neigen, schon während der Lagerung oder vor der Ausbringung zu verklumpen. Infolge dessen werden sie meist nur als Feuchtsalz oder als Lösung ausgebracht, was wiederum besondere Streumaschinen erfordert. Das profanste Argument ist allerdings ihr Preis: Sie sind schlicht zu teuer.

Antibackmittel bringen Salz zum Rieseln

Vor dem Problem der Verklumpung ist, wenn auch in geringerem Ausmaß, das Kochsalz nicht gefeit. Um das zu verhindern, kann den Salzen Antibackmittel zugesetzt werden. Dadurch rieseln sie besser. Das ist aber auch schon der einzige Zusatz, der nach aktuellem Stand der Wissenschaft als Beimengung Sinn ergibt und einen nachweislichen Effekt erzielt. Achtung, manche Hersteller bringen gerne Produkte auf den Markt, die zu signifikant höheren Preisen neue Zusatzmittel beinhalten sollen. Bislang konnte allerdings kein Effekt dieser neuartigen Wunderstoffe nachgewiesen werden, weder was die Taueigenschaften, noch was den Korrosionsschutz betrifft.

Natürlich gibt es abgesehen von den genannten Salzen auch weitere tauende Streumittel. Ihnen allen gemein ist erstens der höhere Preis, zweitens ein zumeist schlechterer Wirkungsgrad und drittens mitunter eine weitaus höhere Umweltbelastung. Dennoch können derartige Stoffe, wie zum Beispiel organische Salze (Actetate) oder Alkohole, sinnvoll sein. Auf Flughäfen etwa ist Harnstoff das bevorzugte Taumittel. Für den kommunalen Winterdienst besitzen diese Mittel allerdings keinen Vorteil und somit auch keine Relevanz.

Wind kann Salz verblasen

Weitaus mehr als das minimale Verbessern durch neu kreierte Beimischungen bringt es, die Streumittel effektiver und gleichmäßiger auf den Straßen auszubringen: in Bezug auf die Kosten, in Bezug auf die Umwelt und ganz besonders in Bezug auf die Sicherheit. Das beste Mittel hilft nichts, wenn es seine Wirkung nicht dort entfalten kann, wo es sollte.

Leider ist das im Fall von Salzen, in trockener Form ausgebracht, nicht selten der Fall. Wind, und sei es nur die Sogwirkung vom Fahrtwind des Streufahrzeuges, verbläst das frisch gestreute Salz. Daher wird heute beim maschinellen Streuen meist die sogenannte Feuchtsalztechnik angewandt.  Dabei wird unmittelbar vor dem Streuteller das trockene Salz sowie eine Solelösung gesondert eingespritzt. Derart vermengt, ergeben sich zwei Vorteile: Zum einen wird das Feuchtsalz aufgrund der besseren Haftung weit weniger durch den Wind vertragen. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn vorbeugend gegen Glätte auf trockenen Grund gestreut wird. Zum anderen besitzt das schwerere Feuchtsalz bessere Flugeigenschaften, wodurch größere Flächen gleichmäßiger bestreut werden können. Das Feuchtsalz hat im Vergleich zum Trockensalz eine geringere Tauwirkung, und zwar nahezu unabhängig davon, mit welcher Art Solelösung die Anfeuchtung erfolgt.

Eine reine Solelösung, sprich vollständig in Wasser gelöstes Tausalz, kann ebenfalls ausgebracht werden. Zumeist geschieht das beim vorbeugenden Streuen. Untersuchungen haben gezeigt, dass nur zirka ein Fünftel des auf trockener Straße gestreuten Salzes auch tatsächlich so lange dort verbleibt, bis es seine Wirkung entfalten kann. Deshalb wählt man in derartigen Situationen gerne die flüssige Sole. Ihr Salzgehalt ist naturgemäß geringer als bei Feuchtsalz, bei dem der Salzanteil kaum unter 70% fällt. 

Solelösung hingegen hat im Schnitt einen Salzgehalt von 20%.  Sie besitzt eine niedrigere und langsamere Wirkung als Feuchtsalz, die dafür aber stabiler und länger anhaltend ist. Da die vorbeugende Ausbringung einen wesentlichen Teil des Winterdienstes ausmacht, kann durch den Einsatz von Solelösung ein beträchtlicher Anteil an Salz eingespart werden. Das spart Kosten und schont die Umwelt. Im Vergleich von Sole zu Feuchtsalz befindet sich bei gleichbleibender Verkehrseinwirkung bereits nach einer Stunde noch mehr Salz durch die Soleapplikation auf der Straße als bei Verwendung von Feuchtsalz. Zwar sind für die dazu benötigten Sprühvorrichtungen höhere Investitionen einzukalkulieren. Diese amortisieren sich aber durch die Einsparungen beim Salz relativ rasch.



Hinsichtlich der Dosierung gilt die Devise „So wenig wie möglich, aber so viel wie  nötig“. Die wichtigsten zu berücksichtigenden Parameter sind zum einen die Dicke der aufzutauenden Schicht und zum anderen die Temperatur. Beim vorbeugenden Streuen ist zusätzlich ein eventuell bereits vorhandener Wasserfilm auf der Straße mit einzuberechnen, sowie die noch zu erwartenden Niederschlagsmengen. Besondere Vorsicht ist bei sogenanntem Flüsterasphalt geboten. Dieser besitzt eine offenporige Struktur und verhält sich ähnlich einem Schwamm. Bei Minusgraden ist durch einen möglichen Wasseraustritt verstärkt die Gefahr von Glatteis gegeben, daher ist eine höhere Salzmenge als bei herkömmlichem Asphalt zu wählen.

Für einen über die gesamte Saison zuverlässigen Winterdienst ist zudem eine ausreichende Bevorratung essentiell. Für Gemeindestraßen sollten durchschnittlich vier Tonnen Salz pro Kilometer eingelagert werden. Wobei dies einen Mittelwert darstellt. In alpinen Regionen kann dieser Richtwert noch beträchtlich höher liegen. Bei Solelösungen ist es eher üblich, jene, die Natriumchlorid enthalten, selbst herzustellen, bei Calcium- und  Magnesiumchlorid wird in der Regel eine fertige Lösung bezogen, die vor Ort auf die benötigten Konzentrationen verdünnt wird.

Abstumpfende Streustoffe

Abstumpfende Streustoffe unterscheiden sich von den tauenden grundlegend und haben, wie schon erwähnt, eine völlig andere Wirkungsweise. In Verwendung sind hauptsächlich Kiese aus gebrochenem Naturgestein.

Zwar gibt es auch andere abstumpfende Streumittel, jedoch besitzen diese signifikante Teilschwächen. So haben Sande eine zu geringe Korngröße und sind ebenso wie Sägespäne oder Asche bestenfalls auf Gehwegen einzusetzen. Bähton, Betonnabbruch oder Schlacken wiederum besitzen eine zu geringe Abriebfestigkeit. Schlacken enthalten zudem nicht selten unerwünschte Schadstoffe. Um die Griffigkeit auf Eis und Schnee bestmöglich zu steigern, sollte Streusplitt nicht plattenformig, sondern kubisch geformt sein. Kantige Steinchen fördern den Halt, allerdings dürfen sie auch wieder nicht so scharfkantig sein, dass dadurch Schäden an Reifen und Schuhwerk verursacht werden. Zu empfehlen sind daher gebrochene Naturgesteine, wie beispielsweise Dolomit.

Streusplitt leidet unter dem selben Manko wie das Trockensalz. Er wird binnen kurzer Zeit beiseitegeschleudert und damit nutzlos. Der gewünschte Reibungseffekt geht schnell verloren. Daher muss öfter als bei auftauenden Streumitteln das Ausbringen wiederholt werden, und diese Tatsache lässt den zweiten Nachteil des Streusplitts noch schwerer wiegen, der da heißt Volumen. Während bei einem Feuchtsalz mit 70prozentigem Salzanteil etwa 20 Gramm  pro Quadratmeter zu veranschlagen sind, benötigt man für die gleiche Fläche rund 150 Gramm an Streusplitt. Das treibt die Kosten spürbar in die Höhe, und es fallen noch weitere an.

Der Splitt sollte, wie alle abstumpfenden Streumittel, möglichst bald nach Ende der Glätte wieder beseitigt werden. Auch das ist nicht ohne weiteren Geld-, Material- und Zeitaufwand bewerkstelligbar. Ihn  längere Zeit liegen zu lassen ergibt keinen Sinn. Bei neuerlichem Schneefall wird der Splitt überdeckt und kann seine Wirkung nicht entfalten. Fällt kein Schnee und die Straße ist trocken, verursacht er sogar den gegenteiligen Effekt der ursprünglichen Intention. Er verschlechtert die Bodenhaftung und kann zu einer Gefahr für die Verkehrsteilnehmer werden. Motorradfahrer wissen ein Lied davon zu singen. Liegenlassen ist also keine vernünftige Option. 

Hat man es schließlich geschafft, den Großteil des Splitts wieder einzusammeln, sitzt man auf einem Berg aus Schüttgut, das gemeinhin als Sondermüll klassifiziert wird. Der darauf zurückgebliebene Reifenabrieb ist dafür verantwoertlich, dass ein abermaliges Verwenden, wenn überhaupt, nur nach einer Reinigung mittels Waschen in einer Streusplittanlage anzuraten ist.

Fachwelt ist sich uneinig

Klar ist, egal ob tauend oder abstumpfend, Streustoffe stellen immer eine Umweltbelastung dar. Welche Art der Belastung nun das kleinere Übel ist, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Allgemein gültigen Pauschalaussagen sollte man diebezüglich besser keinen Glauben schenken. Im Zuge der Recherche zu diesem Artikel überraschte die Divergenz der Fachartikel. Selbst zeitgleich veröffentlichte Studien kommen zu diametral entgegengesetzten Schlussfolgerungen, welche Art an Streumitteln zu bevorzugen sei. Diagramme, die den Einsatz von Salz im Vergleich zu Splitt über Jahrzehnte hinweg abbilden, zeigen heftig nach oben und unten ausschlagende Kurven für beide Streuarten. Die Unschlüssigkeit, welchem Streumittel der Vorzug zu geben sei, zieht sich folglich schon über einige Dekaden hin und unterlag ständig dem vorherrschenden Zeitgeist.

Die Geschichte der Streumittel

Während über Jahrhunderte abstumpfende Stoffe wie die Pottasche dominierten, begann 1916 der Siegeszug der Taumittel. Damals wurde in Paris erstmals Salz im Kampf gegen die Glätte eingesetzt, und das gleich exzessiv - mit verheerenden Folgen für Brückenkonstruktionen und die Hufe der Pferde. Seit ziemlich genau hundert Jahren wechseln sich nun die Präferenzen für eine der Streuarten munter ab. Standen anfangs der Sicherheitsaspekt und die Kosten im Vordergrund, so verschiebt sich die Argumentation zusehends in Richtung Umweltschutz. Seit Mitte der 1970er-Jahre gewannen die Salze zusehends an Beliebtheit, bis man deren schädliche Auswirkung auf die Vegetation realisierte.



Splitt wurde daraufhin wieder mehr und mehr bevorzugt. Als sich herausstellte, dass Streusplitt einen nicht unwesentlichen Anteil an der erhöhten Feinstaubbelastung im Winter hat, sank auch dessen Beliebtheit wieder. Das 21. Jahrhundert ist schließlich geprägt von der Suche nach Alternativen, ohne dass dabei bislang eine revolutionäre Entdeckung gemacht worden wäre. Die Verbesserungen lagen hauptsächlich in der Weiterentwicklung der Technik zur Ausbringung, in der ehöhten Effektivität dank der verbesserten Wetterprognostik, und verbesserten Taumittelrezepturen.

Nicht räumen als Alternative?

Dennoch macht sich ein neuer Trend bemerkbar. Die Weißräumung ohne das Ausbringen irgendeines Streumittels gewinnt sukzessive an Anhängern, natürlich nicht ohne entsprechende Studien, die die Richtigkeit dieser Entwicklung untermauern. Laut dem Freiburger Öko-Institut e.V. hätte sich gezeigt, dass auf nicht geräumten Straßen keineswegs mehr Unfälle passieren. Grund dafür: Die Autofahrer würden sich umsichtiger verhalten. Für niederrangige Straßen mag das durchaus zutreffen. Schließlich liegt der Ursprung im Trend zur ungestreuten Weißräumung im kommunalen Winterdienst. Im höchstrangigen Straßennetz würde eine wirtschaftlich vernünftige Mobilität wohl doch darunter leiden. Doch das sind Problemstellungen, mit denen sich Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene gottseidank kaum  befassen müssen.



Letztendlich wird der Winterdienst immer ein Kompromiss zwischen Natur- und Umweltschutz auf der einen und Verkehrssicherheit auf der anderen Seite bleiben. Die Entscheidung, welche Vorteile am schlagendsten bzw. welche Nachteile am ehesten verkraftbar sind, muss jede Gemeinde unter Rücksichtnahme auf die örtlichen, zeitlichen und finanziellen Gegebenheiten selbst entscheiden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Wahl auf höchst unterschiedliche Methoden des Winterdienstes gefallen ist, und so wird es auch in absehbarer Zukunft bleiben.