Young Leaders, also junge Kommunal- und Regionalpolitiker:innen, sind Teil des Urban Future Universums. Hier auf einem Gruppenfoto mit Helsingborgs Bürgermeister Peter Danielson.
© urban future/Kasa Fuhe

Konferenz

„Sie sind unter uns!“

Wen der Titel an einen Hollywood-Reißer erinnert, liegt nicht ganz falsch. Nur sind „Sie“ diesmal keine außerirdischen Feinde, ganz im Gegenteil. „Sie“ setzen sich für lebenswerte Städte und Gemeinden ein, für klimafreundliche neue Zugänge zu Problemlösungen und für neue nachhaltige Technologien ein. KOMMUNAL war dabei bei der Urban Future 2022 im schwedischen Helsingborg.

Keine Angst, das wird keiner der verbreiteten „Sie-müssen-jetzt-alles-ändern“ Beiträge. Aber was ich Ihnen vorstellen möchte, sind die Ideen und Lösungen der rund 1500 internationalen Teilnehmer aus aller Welt, was unser aller Probleme und was die Zukunft der Jugend betrifft. Ich möchte Sie als Leserin und Leser teilhaben lassen an einer Konferenz, mit Beispielen aus aller Welt, wie engagierte Menschen in kleinen Schritten ihre Welt verbessern und wie und was wir (der Rest) daraus lernen können.

„Sie“, das sind die „CityChanger“ oder deutsch etwa „Stadterneuerer“. In der Regel sind das eher jüngere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aber umso engagierte an die Dinge, die ihnen am Herzen liegen, herangehen. Und das macht sie für so viele erfahrene Kommunalpolitikerinnen, Kommunalpolitiker und Verwaltungsexperten beiderlei Geschlechts so suspekt. Denn die jungen – und junggebliebenen – „Wilden“ fühlen die Zeichen der Zeit stärker als die älteren. Und zu Recht, denn sie müssen in der Welt, die wir (ja, ich zähle mich auch zu den Älteren) hinterlassen, noch viel länger leben als wir. Von ihren Kindern ganz abgesehen.
Wenn man es so betrachtet, dann geht’s irgendwie schon in die Richtung „Wir müssen vieles ändern“.

Ursel Velve
Ursel Velve, CEO of Ülemiste City. Ülemiste City ist Teil eines Bezirks der estnischen Hauptstadt Talinn und entstand auf dem Areal einer geheimen sowjetischen Traktorfabrik. Ihr Motto: „Innovation muss im Dienste der Menschen stehen.“

Das Gute ist, wenn man das weltweit betrachtet, gibt es eine Unzahl an Beispielen. Beispiele für Dinge, die funktionieren und Dinge, die eben nicht funktionieren. Und es spricht nichts dagegen, sich gute Ideen zum Vorbild zu nehmen, wenn man weiß, dass sie schon funktionieren.

Und Fehler kann man ja sowieso nur vermeiden, wenn man sie kennt. Und im Rahmen der Urban Future (kurz UF22) erzählen beispielsweise Claus Madsen und Pekka Timonen, die Bürgermeister von Rostock und von Lahti, von ihren Fehlern, damit andere sie nicht wiederholen müssen. 

Hier ist der Platz für gute Beispiele: Zum Beispiel das von Nicholas „Nick“ Marchesi aus Brisbane in Australien. Er wollte etwas für Obdachlose tun, und hat in (mittlerweile) 25 verschiedenen Orten in Australien und Neuseeland viel mehr geschafft: Er hat die Menschen zusammengebracht und mit einem zutiefst sozialen Projekt wieder Gemeinschaften belebt. Wie er das gemacht hat? Mit einem mobilen Gratis-Waschsalon für Obdachlose und sechs roten Sesseln.

Oder Jennifer Keesmaat. Die kanadische Stadtplanerin hat aus einer der wichtigsten – und dauerverstopften – Zufahrtsstraßen in das Zentrum Torontos eine vor Leben sprühende „Begegnungszone“ gemacht. Letzten Endes hat sie einfach Zahlen und Fakten sprechen lassen – und so auch die Ängste vieler kleiner Wirtschaftstreibenden und Händler beruhigt.

Leute zusammenzubringen, um Dinge zu ändern

Es geht darum, Leute zusammenzubringen, um Dinge zu ändern. Dass der tiefere Sinn hinter den Urban Future-Veranstaltungen darin besteht, „die Leute zusammenzubringen und ihre Beispiele zu hören, über ihre Erfahrungen zu diskutieren und auch aus ihren Fehlern zu lernen, ist eine der Haupttriebfedern hinter dem Ganzen“, wie Gerald Babel-Sutter, einer der Initiatoren, beschreibt. „Im Rückblick hat 2019, bei der letzten Urban Future, Oslo gerade mit dem autorfreien Stadtzentrum begonnen“, wie er berichtet. „Dennoch wird ‚autofrei‘ immer noch diskutiert.“ 

Gerald Babel-Sutter 3 © Lupi Spuma
Gerald Babel-Sutter: „Wir müssen aus unseren Fehlern lernen.“  Foto: Lupi Spuma

Oslos Zentrum bedeutet beispielsweise für die Alten und Behinderten nicht, dass sie ohne Mobilität auskommen müssen. Es bedeutet auch nicht ein ‚totes Zentrum‘, wie so viele Beispiele aus aller Welt zeigen. Aber die Dinge müssen richtig angepackt werden, wenn sich alte und bequeme Gewohnheiten ändern sollen. „Und“, wie Babel-Sutter betont, „wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Auch für nachhaltigere Städte und Gemeinden bedeutet das, aus den Fehlern anderer zu lernen.“ 

Aus Fehlern lernen

Auch diese Dinge müssen erzählt werden, jene Dinge, die nicht funktionieren.

Beispielsweise die Geschichte von Pekka Timonen, des Bürgermeisters von Helsinki. Er hat vor 15 Jahren mit der Einführung von gratis City-Bikes begonnen. Und er musste ähnliche Erfahrungen machen wie andere Städte (Wien war auch so eine Stadt). Die Räder wurden gestohlen, beschädigt und im See versenkt (in Wien fanden die Versenkungen im Donaukanal statt). Oder sie verschwanden einfach. Das Rätselraten über das Warum war groß. 

Als Reaktion, so Timonen, seien er und andere des Stadtrats auf die glorreiche Idee (O-Ton Timonen), Räder anzubieten, die schwer fahrbar und unansehnlich waren. Dass der Schuss nach hinten losging, ist nachvollziehbar. Schlussendlich hat man eingesehen, dass so ein Projekt nur mit einer Art Einsatz (und einer kleinen Gebühr) funktionieren würde.

„Krisenmeister“ statt „Bürgermeister“

Claus Ruthe Madsen, der dänischstämmige Bürgermeister des deutschen Rostock, beschreibt einen anderen Aspekt, der mehr mit verschiedenen Mentalitäten zu tun hat. 

„Deutschland ist ein „Bedenkenland‘“. Bei Madsens Amtsantritt, so erzählt er, hörte er bei praktisch allem, was er vorschlug, den Satz „Ich habe Bedenken …“. Die Leserinnen und Leser in Österreich werden mit vermutlich zustimmen in meiner Einschätzung, dass nicht nur Deutschland ein Bedenkenland ist.

Jedenfalls war Madsens Erkenntnis daraus, dass eine Fehlerkultur auch in Verwaltungen extrem wichtig sein. Das muss so weit gehen, Fehler auch zuzulassen, wenn man weiß, dass es schiefgeht. Die Leute dann aufzurichten und gemeinsam einen richtigen Weg zu finden, sei der einzige Weg, die Bedenkenkulturhinter sich zu lassen. Es ist auch der einzige Weg zu lernen, was möglich ist und was nicht. Oft genug würden sonst „Entscheidungen a la Huhn“ fallen.

Er meint damit die Möglichkeit, eine Schublade in zwei Hälften zu unterteilen, ein Ja, die andere Nein zu nennen, dann Körner reingeben und zu schauen, aus welcher Seite ein Huhn zuerst pickt. An dieser Stelle unterbrach schallendes Gelächter seine Erzählungen – und viele wissen seither, woher der Spruch „auch ein blindes Huhn findet mal ein richtiges Korn“ kommen könnte.

Madsen, der das Amt im September 2019 antrat (nicht die einfachste Zeit), agiert „skandinavisch unkonventionell. So nennt er sich lieber „Krisenmeister“ statt „Bürgermeister“, aber das skandinavisch unkonventionell hat mehr damit zu tun, dass er lieber zuhört, auf Vorschläge eingeht (und die Vorschlagenden dann in die Umsetzung mit einbezieht!) und die Dinge nach einer Maxime abhandelt: „Keep it simple!“
Der parteilose Madsen kehrt der Hansestadt letzten Berichten zufolge offenbar den Rücken: Er soll nach Informationen von NDR Wirtschaftsminister in der neuen schwarz-grünen Landesregierung in Kiel werden. 

Urban Future 2023

Von 21 bis 23. Juni 2023 ist Stuttgart, Europas „Epizentrum der Mobilität“, die Gastgeberin der Urban Future. Stuttgart hat jedoch viel mehr zu bieten als Mobilitätsindustrie. Tatsächlich ist Stuttgart eine der sich am schnellsten verändernden Städte in Europa.
Die UF23 bietet das umfangreichste Programm bisher: mehr als 100 Workshops und Vorträge, mehr als 40 Exkursionen, Dutzende von Nebenveranstaltungen, Meetings und gesellige Momente. Hier treffen Sie die besten CityChanger der Welt. 

Infos

urban-future.org

citychangers.org