Säumnis bei behördlichen Entscheidungen
Die Behörden sind verpflichtet, über Anträge von Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.
Der Gesetzgeber kann von dieser Frist für einzelne Materien abweichen, indem er in den materiellen Verwaltungsvorschriften eine entsprechende Bestimmung aufnimmt Ein Beispiel für eine abweichende Frist findet sich in der NÖ Bauordnung: Die Baubehörde erster Instanz hat über einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung, sofern das Vorhaben keiner Bewilligung nach einem anderen Gesetz bedarf, binnen drei Monaten zu entscheiden (§ 5 Abs. 2 NÖ BauO 2014). Die Entscheidungsfrist beginnt allerdings erst, wenn alle Antragsbeilagen der Baubehörde vorliegen.
Devolution
Wird ein Bescheid, gegen den Berufung erhoben werden kann, nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die Berufungsbehörde über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Berufungsbehörde einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist (§ 73 Abs. 2 AVG).
Ein zulässiger Devolutionsantrag bewirkt, dass mit Einlangen des Devolutionsantrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung auf diese übergeht. Ein unzulässiger (z. B. verfrühter) Devolutionsantrag bewirkt keinen Zuständigkeitsübergang und wäre von der Oberbehörde zurückzuweisen.
Die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse üben aus:
- gegenüber dem Bürgermeister und dem Gemeindeamt mit Organstellung der Gemeindevorstand (Stadtrat), wobei gegen diese Bescheide eine Berufung unzulässig ist;
- gegenüber dem Gemeindevorstand (Stadtrat) der Gemeinderat (§ 60 Abs. 2 NÖ GO 1973).
Ein Fall aus der Praxis
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Liegenschaft, bei der auf einer angrenzenden Liegenschaft nachträglich die Bewilligung für eine Einfriedungsmauer erteilt wurde. Er brachte am 5. Februar 2014 an den Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz einen Antrag auf Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages mit nachstehendem Inhalt ein:
„Bezugnehmend auf Ihre Niederschrift vom 08.01.14 sowie Ihren Bescheid vom 10.01.14 worin Sie bewusst fälschlicherweise behaupten, meine Einfriedungsmauern, die seit Jahrzehnten bestehen und ein konsensionales Bau- und Verhandlungsverfahren (Einreichung, Baubewilligung, Kollaudierung etc) bis hin zu einer vorliegenden Benützungsbewilligung (20.11.75) durchlaufen haben, hätten keine Baubewilligung, hat mich Ihre ambitionierte, wie auch rechtswidrig agierende Verhandlungsleiterin durch ihre Aussagen am 08.01.14 darauf aufmerksam gemacht, dass in Wirklichkeit nicht ich für meine Einfriedungsmauern eine Baubewilligung brauche, sondern die Nachbarn M.B. und G.B. für ihre auf ihrem Grundstück im Jahre 2007 errichtete Mauer.
Demgemäß halte ich fest, dass die Errichtung der Einfriedungsmauern auf dem Grundstück von M.B. und G.B. im Jahr 2007, ohne gültiger Baubewilligung nach der NÖ BO 1996 erfolgt ist […]
Ich erwarte von Ihnen bis spätestens 14 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens die Einleitung eines Verfahrens (bis 20.02.14) und eine baubehördliche konsensfähige Erklärung für ihr fehlerhaftes Vorgehen in dieser Sache, andernfalls werde ich ein Verfahren wegen vorsätzlichen Amtsmissbrauchs gegen Sie einleiten.“
Da das baupolizeiliche Verfahren gegen die Nachbarn nicht eingeleitet wurde, brachte der Beschwerdeführer am 15.10.2014 einen Devolutionsantrag ein.
Der Stadtrat der Stadtgemeinde erließ daraufhin den Bescheid vom 15.12.2014, mit welchem der Antrag auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages an M.B. und G.B. zur nachträglichen baubehördlichen Bewilligung der Einfriedungsmauer abgewiesen wurde.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer zuerst Berufung, welcher der Gemeinderat nicht Folge gab, und dann Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG 19.09.2016, LVwG-AV-1203/001-2015).
Das LVwG führte dazu aus: Gemäß § 60 Abs. 2 NÖ GO 1973 üben die in den verfahrensgesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen oberbehördlichen Befugnisse gegenüber dem Bürgermeister und dem Gemeindeamt mit Organstellung der Gemeindevorstand (Stadtrat), gegenüber dem Gemeindevorstand (Stadtrat) der Gemeinderat aus. Gegen Bescheide des Gemeindevorstandes (Stadtrates) nach Z 1 ist eine Berufung unzulässig.
Gemäß § 73 Abs. 2 AVG geht die Zuständigkeit zur Entscheidung auf schriftlichen Antrag einer Partei (Devolutionsantrag) auf die „Berufungsbehörde“ über. Berufungsbehörde – wäre vom Bürgermeister fristgerecht ein Bescheid erlassen worden – ist in gegenständlichem Fall gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 NÖ GO 1973 der Stadtrat gewesen.
Die Entscheidungsbefugnis in gegenständlicher Angelegenheit ging durch den Devolutionsantrag gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 NÖ GO 1973 vom Bürgermeister auf den Stadtrat über. Dieser hat auch in weiterer Folge den Bescheid vom 15.12.2014 erlassen und den Antrag auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages abgewiesen.
Der Stadtrat wurde zwar erstmalig in der Sache tätig – zumal der Bürgermeister seiner Entscheidungspflicht nicht nachgekommen ist, doch ändert dies nichts an dem Umstand, dass der Stadtrat als im Devolutionsweg zuständige Berufungsbehörde den Bescheid erlassen hat. Der Stadtrat wurde demgemäß nicht als erste Instanz tätig, sondern nur anstelle dieser.
Über die Berufung des Beschwerdeführers hat der Gemeinderat mit Bescheid vom 08.07.2015 entschieden. Für eine Berufung gegen den im Devolutionsweg erlassenen Bescheid des Stadtrates gibt es allerdings keine gesetzliche Grundlage. Gemäß § 63 Abs. 1 AVG richten sich der Instanzenzug in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde und das Recht zur Erhebung von Berufungen nach den Verwaltungsvorschriften.
Die Entscheidung
§ 60 NÖ GO 1973 sieht einen zweigliedrigen Instanzenzug in Angelegenheiten, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden fallen, vor. Durch den eingebrachten Devolutionsantrag wurde der Stadtrat als in Betracht kommende Berufungsbehörde im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG i.V.m. § 60 Abs. 1 Z 1 NÖ GO 1973 zuständig.
Daraus ergibt sich, dass zur Entscheidung über den ursprünglich eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz zuständig war. Mangels Entscheidung binnen der Entscheidungsfrist und infolge eingebrachten Devolutionsantrages, ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf die gemäß § 73 Abs. 2 AVG i.V.m. § 60 Abs. 1 NÖ GO 1973 in Betracht kommende Berufungsbehörde (idF der Stadtrat) über. Diese entschied mittels Bescheid – zwar erstmalig in der Sache – aber dennoch als Berufungsbehörde und nicht als erstinstanzliche Behörde. Ein weiteres Rechtsmittel gegen diesen Bescheid ist im innergemeindlichen Instanzenzug gesetzlich nicht vorgesehen.
Eine Anfechtung dieses Bescheides wäre demnach ausschließlich mit Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 i.V.m. Art. 131 Abs. 1 B-VG an das zuständige Landesverwaltungsgericht möglich gewesen.
Die Beschwerde wurde abgewiesen, wobei aber der Bescheid des Gemeinderates dahingehend abgeändert wurde, dass er hinsichtlich der Rechtsgrundlage zu lauten hat: „Die Berufung des Beschwerdeführers wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) i.V.m. § 63 AVG i.V.m. § 73 AVG i.V.m. § 60 NÖ Gemeindeordnung 1973 idgF (NÖ GO 1973) als unzulässig eingebracht zurückgewiesen.“