Alter Mann steht vor regionalem Gemüseregal
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Nicht immer das Rad neu erfinden

Ein europäisches Projekt verbindet Erfahrungen und hilft, Entscheidungen schon früh zu verifizieren. Vor allem die Gestaltung altersgerechtere Umwelt steht im Mittelpunkt, ein Thema, das auf die Gemeinden mit Riesenschritten zukommt.

Eine Erkenntnis einer langjährigen Arbeit in Brüssel ist, dass es für fast jedes Problem und jeden Plan irgendwo bereits eine Lösung gibt. Im Brüssel-Sprech nennt man das dann „Best-Practice“.  Man ist quasi umspült von Best-Practices aller Art, viele davon auch für die kommunale Ebene nicht uninteressant. Würden sich Projektplaner und politische Entscheidungsträger öfter umschauen, Sprachbarrieren überwinden und sich trauen, von fremden Erfahrungen zu lernen, könnte vieles womöglich schneller und sparsamer erledigt werden. Dass dies aber nicht einfach ist, zeigt ein Projekt des europäischen Dachverbands RGRE. Dieser ist seit Anfang 2014 Teil eines europäischen Konsortiums, das sich mit der Frage altersgerechter Lebensraumgestaltung befasst. Das aus europäischen Mitteln geförderte Netzwerk AFE-INNOVNET richtet sich sowohl an Praktiker wie Gemeinden, Kommunalverbände und Sozialverbände als auch an Wissenschaft und Technik.



Das bis 2016 laufende Projekt dient unter anderem dem Austausch lokaler Erfolgsgeschichten und dem Zugang zu technischer Hilfe für Kommunen, die altersgerecht planen wollen. Grundsätzlich also ein Thema, das derzeit viele Gemeinden interessieren muss. Die geringe direkte Beteiligung der lokalen Ebene sticht aber ins Auge. Dies kann daran liegen, dass Netzwerke auf europäischer Ebene vor allem auf Englisch kommunizieren und es gerade für kleinere Gemeinden schwierig ist, Personal abzustellen. Gemeinden können die Ergebnisse aber auch nutzen, ohne Partner zu sein. Moderate Englischkenntnisse sind ausreichend, um sich von anderen inspirieren zu lassen. Etwa vom Wohnbauprogramm der Stadt Nantes, der Umkehrung von Essen auf Rädern in Genf oder der Demenzoffensive im belgischen Brügge. Interessant erscheint auch die Folgenabschätzung regionaler und lokaler Planungsprozesse. Dabei handelt es sich um ein Projekt, das anhand einer Reihe von sozio-ökonomischen Indikatoren ex-ante die möglichen Auswirkungen von Planungsentscheidungen analysiert. Das heißt, Entscheidungsträger können nicht nur die unmittelbaren Kosten eines geplanten Projekts, sondern auch zahlreiche mittelbare Folgen abschätzen und unterschiedliche Planungsoptionen durchspielen.



Im Zentrum steht die Gestaltung altersgerechter Lebensräume. Die Modellrechnung berücksichtigt aber nicht nur die Lebensqualität älterer Bürger, sondern die Auswirkungen unterschiedlicher Planungsoptionen auf die Gesamtbevölkerung. Es bleibt den Anwendern vorbehalten, ob das Modell für die Berechnung eines allgemeinen Überblicks oder für detaillierte Planungsprozesse verwendet wird.



Anwendung der Folgenabschätzung. Gemeinden und Regionen, die sich an dem Projekt beteiligen und das Folgenabschätzungstool testen wollen, erwartet zwar ein nicht unerheblicher Anfangsaufwand, zieht man ins Kalkül, dass damit Fehlentscheidungen vermieden werden können, dürfte sich dieser aber lohnen.



In Phase 1 muss man sich der Problemanalyse stellen und festlegen, welches konkrete Projekt den Test durchlaufen soll. Auch ist zu definieren, ob lediglich die Auswirkungen auf die ältere Bevölkerung oder auf die Gesamtbevölkerung dargestellt werden sollen. Die Zieldefinition sollte neben dem erhofften Nutzen auch darstellen, wie sich das geplante Projekt auf andere kommunale Projekte auswirken wird.



In Phase 2 sind ein Projektplan zu entwerfen, eine Fülle von Projektgrenzen (örtlich, zeitlich, Bevölkerungsgruppen etc.) festzulegen sowie der Status quo den Zukunftsszenarien gegenüberzustellen.



In Phase 3 werden die möglichen Auswirkungen des Projekts unter die Lupe genommen. Sowohl im Hinblick auf die Zielgruppe ältere Bevölkerung, auf die Gesamtbevölkerung als auch finanziell (Gegenüberstellung von business as usual und Projektumsetzung). Dafür steht eine Tabelle mit Indikatoren zu sozialen, wirtschaftlichen und Umweltauswirkungen zur Verfügung, aus welcher sich eine Gesamtbewertung des Projekts bzw. mehrerer Alternativen ergibt.



Bewertung. Diese durchaus komplexe Modellrechnung kann für Gemeinden, die größere Investitionen planen oder besonders vom demografischen Wandel betroffen sind, Entscheidungshilfe im Planungsprozess sein. Spannend ist die Ex-ante-Bewertung, die durchaus zu Überraschungen führen kann und gängige Lösungsmodelle als vielleicht nicht mehr zeitgemäß oder für den jeweiligen Ort unbrauchbar enttarnt. Hinzuweisen ist aber darauf, dass auch für die Modellrechnung und das Erfassen der notwendigen statistischen Daten genügend Personal zur Verfügung stehen muss.