Der Wunsch nach dem eigenen Haus ist auch in der jüngeren Generation sehr groß. Warum gibt es nach wie vor diese Anziehungskraft?
© Roland Gruber

Bauen und Wohnen

Neue Wohnformen als Mittel gegen Leerstand

Der leer stehende Wohnraum unserer Einfamilienhäuser ist unsichtbar. Doch er kann mit Leben gefüllt werden, wenn attraktive neue Wohn­formen und innovative Konzepte vom Sonderfall zum Regelfall werden.

Das Einfamilienhaus ist für viele ein absolutes Lebensziel, für andere der Albtraum an Zersiedelung, Bodenversiegelung und sozialer Abgrenzung. Rund 1,7 Millionen dieser Häuser stehen in Österreich in der Landschaft, 17 Millionen in Deutschland. Doch viele sind nur mit sehr wenigen Menschen gefüllt. Der unsichtbare Leerstand ist eine bisher sehr ­unterbeleuchtete Tatsache mit einem riesigen, unentdeckten Potenzial – nicht nur hinsichtlich eines verminderten CO₂-Verbrauchs, sondern auch, um den enormen Druck auf den Immobilienmarkt der Gemeinden und Städte zu reduzieren. 

Was tun?

Von 21. bis 23. September 2022 hat die „Leerstandskonferenz“ mit dem Titel „Jemand daheim?“ in Kolbermoor (Bayern) diesen unsichtbaren Leerstand in den Mittelpunkt gestellt und Ideen für das halb leere Einfamilienhaus entwickelt. Rund 160 Teilnehmende beleuchteten das Thema aus  unterschiedlichen Blickwinkeln. Neben Bürgermeister:innen und Gemeinderät:innen, Vertreter:innen der Planungsverwaltung und Expert:innen aus Architektur, Stadt- und Regionalplanung, Soziologie und Wirtschaft sowie Landschaftsplanung waren auch zahlreiche Studierende sowie Besitzer:innen von Einfamilienhäusern dabei, die auf der Suche nach Ideen zum Weiterbauen, Umbauen oder Teilen ihres Domizils waren. 

Der kostbare Traum vom Einfamilienhaus

Der Wunsch nach dem eigenen Haus ist auch in der jüngeren Generation sehr groß. Warum gibt es nach wie vor diese Anziehungskraft? Für den Soziologen Marcus Menzl, Universitätsprofessor an der Hochschule Lübeck, sind es vor allem Selbstwirksamkeit, Selbstverwirklichung, Status, Sinnstiftung, Freiheit, Sicherheit und Altersvorsorge, die hinter diesem Traum stehen. Sein Tipp: diese Sehnsüchte wirklich ernst nehmen und in alternativen Wohnmodellen umsetzen. 

Auch Universitätsprofessorin und Stadtplanerin Sophie Wolfrum sagt, dass Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit die zentralen Säulen des Einfamilienhauses sind. „Das Private bekommt einen anderen Stellenwert, der dem Individuum Autonomie ermöglicht, ICH kann ICH sein!“, so die Professorin an der TU München. Gleichzeitig verstecken sich die Häuser und ihre Bewohner:innen und schotten sich hinter Thujen-Schutzwällen vor der Nachbarschaft ab.

Alternative Modelle für das individuelle Glück

Die Gesellschaft wird immer individualisierter und diverser. Leider bietet der Immobilienmarkt nichts Adäquates dafür an. Es werden nach wie vor fast ausschließlich Einfamilienhäuser, Reihenhäuser oder Geschoßwohnungsbauten errichtet. Das ist – auch im ländlichen Raum – eindeutig zu wenig für die vielfältigen Bedürfnisse der Bevölkerung. Diese könnten, so Marcus Menzl, spannende alternative Wohnmodelle und Wohnformen entstehen lassen, wo Menschen ähnlich glücklich werden wie in Einfamilienhäusern.

Wojciech Czaja
Konferenz-Moderator Wojciech Czaja navigierte nicht nur souverän durch die Veranstaltung, sondern sorgte mit seinem Humor für viele Lacher und eine großartige Stimmung. Foto: Julia Schäfer

Auf Exkursionen in der Region wurden mehrere andere Wohnformen besichtigt und in Vorträgen präsentiert. Eines davon ist das gemeinschaftliche Wohnprojekt B.R.O.T im niederösterreichischen Pressbaum, das von der Bewohnerin Johanna Leutgöb präsentiert wurde.

Eine Gruppe von Menschen hat sich als Baugruppe gefunden und gemeinsam auf einem 14.000-m2-Grundstück insgesamt elf Wohngebäude mit 22 Wohneinheiten und einem Gemeinschaftshaus entwickelt, geplant und errichtet. In zahlreichen Planungswerkstätten fanden die künftigen Bewohner:innen gemeinsam Lösungen zu Gemeinschaftsnutzungen, Baukörpersituierung, Wohnungstypen und -größen oder für die Wahl der Baustoffe und ihre Verarbeitung. „Das Gemeinschaftswohnprojekt B.R.O.T. in Pressbaum ist eines der auf den ersten Blick unscheinbarsten und bei näherer Betrachtung wohl schönsten Baugruppen-Projekte Österreichs“, so der Journalist und Buchautor Wojciech Czaja.

Umdenken ist gefragt – auch bei den Förderungen

Es braucht viel mehr Experimente und dafür müssen auch neue Förderprogramme das Licht der Welt erblicken. Der Sonderfall muss zum Regelfall werden. Ein Vorzeigebeispiel ist die neue Förderschiene für gemeinschaftliches Wohnen in Baugruppen und Baugemeinschaften des Bundeslands Kärnten. 

Reinhard Schinner vom Amt der Kärntner Landesregierung / Wohnbauförderung zeigte, wie seit Jänner 2022 private Initiativen und Kleingruppen von Personen vom ersten Schritt der gemeinsamen Entwicklung und Planung bis zur Finanzierung und zur Grundstückssuche unterstützt werden. Ziel ist, dass auf diese Weise neue Wohnprojekte – ähnlich wie B.R.O.T.-Pressbaum - abseits des Einfamilienhauses, Reihenhauses und des Geschoßwohnbaus entstehen können. Auf das Weiterbauen an Bestandsobjekten und die Nutzung leer stehender Immobilien wird im Förderleitfaden explizit hingewiesen. Die ersten Baugruppen haben bereits Fördergelder bekommen und arbeiten an der Entwicklung neuer Wohnkonzepte.

Einfamilienhäuser werden zu Keinfamilienhäusern

Der gebaute und halb leere Bestand ist es, der den Kern der Konferenz ausmachte. „Wenn man als Bürgermeister zum Geburtstagsgratulieren in Doppelhaushälften oder Einfamilienhäuser kommt, da steht dann oft das Krankenbett im Wohnzimmer und die Staubschicht auf den Stiegen ist mehrere Zentimeter hoch, weil schon lange niemand mehr in das Obergeschoß gegangen ist. Die Besitzerinnen oder Besitzer kommen hinten und vorne nicht mehr zusammen mit dem Bewirtschaften. Gleichzeitig wissen wir nicht, wohin mit den jungen Familien, die Wohnraum suchen“, so Bürgermeister Peter Kloo aus Kolbermoor. 

Der Leerstand ist versteckt und es ist sehr schwer, Alternativen zu entwickeln, weil es sehr starke emotionale Bindungen zum Haus gibt. Viele Häuser wurden von den Besitzer:innen gebaut, damit sie im Alter etwas haben – aber da können sie nicht mehr. Wir müssen wieder mehrere Generationen unter ein Dach bringen. 

Peter Kloo geht mit positivem Beispiel voran: In seinem Haus wohnen vier Generationen unter einem Dach. In dieselbe Kerbe schlug auch Isabel Stumfol, die Leiterin des Centers Ländlicher Raum der TU Wien, die dafür eintritt, dass wir sowohl das Teilen und Zusammenleben neu lernen als auch das Auseinandersetzen mit dem Bestand, wo auch die Kompetenz der ­Planenden gebraucht wird. Studierende der TU Wien begleiteten als Referent:innen die Konferenz und präsentierten ihre Ergebnisse rund um die Geschichte des Einfamilienhauses.

Emotionale Bindungen an Haus und Umgebung

Dass dieses „Loslassen“ vom eigenen Haus nicht einfach ist, erzählte Roland Bräger, Geschäftsführer der Maxlrainer Schlossbrauerei, Vorsitzender des Wirtschaftsforums Mangfalltal und somit Veranstalter der Konferenz. Er hat für seine Mutter, die alleine in einem Einfamilienhaus wohnt, eine Eigentumswohnung gekauft, damit sie sich im Alter nicht mehr um das gesamte Haus kümmern muss. Aber die Mutter möchte die Umgebung nicht verlassen und bleibt im Haus.

Ein Beispiel, wie dieses Ausziehen und Umsiedeln gehen kann, wurde beim Projekt Bremer Punkt umgesetzt. Dort wurde in einem Quartier ein sogenanntes Auszugshaus errichtet, wo Umzugswillige eingezogen sind, ohne die Umgebung zu verlassen. So blieben sie in der Nachbarschaft und mit den gewohnten Personen zusammen, aber ihre eigenen Häuser und Wohnungen konnten nachgenutzt werden. Diese Strategie fördert das Umdenken in der Zivilgesellschaft.

Daniel Fuhrhop, Autor des Bestsellers „Verbietet das Bauen“, fasste in seinem Vortrag die Ergebnisse seiner Dissertation zusammen. Er präsentierte fünf Szenarien zur Aktivierung von leer stehendem Wohnraum: zunächst die Untermiete bzw. Homesharing, wo vorwiegend junge Menschen mit älteren zusammenziehen und sich gegenseitig unterstützen – ein ­riesiger Markt in Ländern wie Großbritannien. Dort werden Wohnungssuchende und Leute mit zu viel Wohnraum über eine Vermittlungsagentur zusammengebracht. Letztere trägt sich mittlerweile selbst.

Daniel Fuhrhop
Daniel Fuhrhop präsentierte das riesige Potential am unsichtbaren Leerstand - z.B. in Deutschland wäre Platz für 20 Millionen Menschen ohne Neuzubauen (sic!) und daraus fünf Szenarien zur Aktivierung von leerstehendem Wohnraum. Foto: Julia Schäfer

Weitere Szenarien sind der Umzug in kleinere Wohnungen und das Öffnen des bestehenden großen Hauses für Leute, die es dringender benötigen, oder auch der Umbau und das räumliche Teilen des Hauses, damit mehrere Parteien nebeneinander mit getrennten Zugängen wohnen können – bis hin zur sozialen Wohnraumvermittlung, organisiert von der öffentlichen Hand, oder dem gemeinschaftlichen Wohnen, wo zum Beispiel Essraum und Küche geteilt werden.

Alte Häuser anpassen

Diesen Ansatz verfolgt auch Julia Lindenthal, Senior-Expertin für Nachhaltiges Bauen am Österreichischen Ökologie-Institut. Im Forschungsprojekt ReHABITAT wurde untersucht, wie unterbelegte oder leer stehende  Einfamilienhäuser aus den 50er- bis 90er-Jahren an die vielfältigen Wohnbedürfnisse angepasst werden können.

Lingenthal nutzt die Ressource von bereits gebautem Wohnraum, indem sie Einfamilien- zu Mehrpersonenhäusern weiterentwickelt. Dabei werden keine zusätzlichen Flächen verbaut oder das Bestandsvolumen nennenswert vergrößert. Bestehende Flächen werden effizienter genutzt und Räume werden, wenn notwendig, umgenutzt oder mit anderen Personen gemeinschaftlich benutzt.

Von „Hinterholz 8“ zum Ideen-Feuerwerk

Walter Unterrainer zeigte Beispiele für alternatives Wohnen aus Skandinavien und neue Formen von Nachverdichtung in Einfamilienhausgebieten. Er beeindruckte mit der Aussage, dass seine Studenten nichts Neues mehr bauen, weil Abbruch das Umweltschädlichste überhaupt sei.

Bürgermeister Anton Wallner aus Bad Feilnbach ergänzte: „Der Abriss der alten Häuser, um an gleicher Stelle etwas Neues zu errichten, sollte in Zukunft der Ausnahmefall sein.“ Diese Erkenntnis verfestigte auch der Eröffnungsfilm „Hinterholz 8“ über den Traum vom Einfamilienhaus und das Scheitern an der Sanierung eines Altbaus. Der in Österreich meistbesuchte Kinofilm des Jahres 1998 schürte die Angst vor dem Altbau und den Wunsch nach dem schlüsselfertigen Fertigteilhaus.

Leerstandskonferenz
Die Leerstandskonferenz im bayrischen Kolbermoor: Intensiver Kontakt in Arbeitsgruppen und rege Diskussionen begleiteten die vielen jungen Menschen als Teilnehmende. Begleitend gab ein digitales Gewinnspiel, womit das Aufpassen bei den Vorträgen und das Austauschen mit Anderen gefördert wurde. Foto: Julia Schäfer

Ein „Feuerwerk von Ideen“ mit 15 Projekten und Zukunftsvisionen zeigte, was alles in, um und mit Einfamilienhäusern passieren könnte: Erdgeschoße als Cafés, Rampen oder Stiegen für barrierefreie Erschließung und Teilbarkeit, Künstleratelier im Dachgeschoß, Wohnen im Alter und in familiärer Gemeinschaft, Ärztin mit Wohnen und Arbeiten, Vereinshaus – Gemeinde kauft das Gebäude, Einfamilienhäuser im Verband zusammenschließen, Garage wird Lebensmittelgeschäft, Yoga-Raum und Wohngemeinschaft und vieles mehr. Eine schier unendliche Anzahl an Ideen.

Und Studierende der Kunstuniversität Linz führten vor Augen, dass es möglich ist, nur mit programmatischen Strategieänderungen und ohne große bauliche Maßnahmen ein monofunktionelles Einfamilienhausgebiet in ein lebendiges Quartier oder eine nutzungsdurchmischte Siedlung zu transformieren.

Eine neue, kreative Umbaukultur ist notwendig!

Viele der gezeigten Umbau- und Leerstandslösungen sind nicht nur gut für den Klimaschutz, sondern bringen auch eine höhere Lebensqualität. Ein volles Einfamilienhaus bedeutet ein Mehr an Nachbarschaft. Das Planen von Umbaumaßnahmen ist anders als das Planen von Neubauten. 

Die französischen Pritzker-Preisträger Lacaton/Vassal sehen jeden Abriss als Gewaltakt, insbesondere im Lichte des Klimawandels. Der Umgang mit dem Bestand gewinnt deshalb eine zentrale Bedeutung im künftigen Planen und Bauen. Denn kreatives Umbauen heißt: zuerst aufräumen, auf der Baustelle spontane Entscheidungen treffen und eine neue Form der Geduld mitbringen. Unsere Sehgewohnheiten ändern sich, wir ändern uns.

Das Wissen allein führt noch nicht zum Handeln – die Gefühlswelt und Werte sind für das Handeln entscheidend. Die Konferenz gab den Teilnehmenden Inspiration und Anleitung, um ins Tun zu kommen. Wir brauchen neue Visionäre und eine kreative Umbaukultur!  

Österreichische Projekte

Förderprogramm Land Kärnten für Gemeinschaftliches Wohnen 

Seit 1. Jänner 2022 gibt es die Förderung für die Entwicklung von Wohnbaugruppen. Diese haben das Ziel, gemeinschaftliches Wohnen zu praktizieren und dabei für diesen Zweck leer stehende Objekte zu adaptieren oder Neubauten in gut geplanter, verdichteter Form mit nahegelegenen sozialen und verkehrstechnischen Infrastrukturen zu errichten. Dazu bedarf es eines von Expert:innen begleiteten Prozesses für die Themen Gruppenbildung, Vision, Architektur, aber auch Recht, Organisation und Finanzierung bis zur Erweiterung der Wohngruppe. 
ktn.gv.at/Service/Formulare-und-Leistungen/BW-L96

B.R.O.T.-Pressbaum – Gemeinschaftliches Wohnen

Eine Gruppe von Menschen hat gemeinsam als Baugruppe ein Grundstück im niederösterreichischen Pressbaum mit dem Architekturbüro nonconform entwickelt und gebaut. Das Projekt wurde schon mehrfach prämiert. brot-pressbaum.at

Projekte der TU Wien / Center ländlicher Raum – Das Einfamilienhaus

Im Mittelpunkt stehen die verschiedenen (raumplanerischen) Aspekte rund um die Wohnform und den „Traum vom Einfamilienhaus“. Dazu gehören die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Einfamilienhauses, die Herausforderungen, Probleme, Vor- und Nachteile, Alternativen und die Darstellung in den Medien. Aber auch die persönlichen Erfahrungen und Einstellungen zu diesem polarisierenden Thema wurden aufgearbeitet.
https://futurelab.tuwien.ac.at 

ReHABITAT – Vom Einfamilien- zum Mehrpersonenhaus

Im Projekt ReHABITAT wurde anhand von vier verschiedenen Gebäudetypen der 1950er- bis 1990er-
Jahre untersucht, wie leer stehende und unterbelegte Ein- und Zweifamilienhäuser zu Mehrpersonen­häusern umgebaut werden können. 
www.ecology.at/rehabitat

Projekte der Kunstuniversität Linz – Studio ZOOMTOWN

Urbanity meets Country Life – Transformation von Einfamilienhaussiedlungen: 
www.kunstuni-linz.at

Über die Leerstandskonferenz

Veranstalter war das Wirtschaftsforum Mangfalltal e.V., finanziell gefördert von den beiden LEADER Regionen (LAGs) Kreisentwicklung Miesbacher Land und Mangfalltal-Inntal sowie von den fünf Gemeinden Bad Wiessee, Kolbermoor, Otterfing, Rohrdorf und Tuntenhausen aus der Region. 

Die gesamte Konferenz wurde auf Video aufgezeichnet und ist unter jemand-daheim.de nachzusehen.
Das österreichisch-deutsche Architekturbüro nonconform wurde mit der Kuratierung und Organisation der Konferenz beauftragt und baute inhaltlich auf die Erfahrung und Umsetzung von Leerstandskonferenzen zu unterschiedlichen Facetten untergenutzter Gebäude in den letzten zehn Jahren auf.

Mehr Infos auf www.nonconform.at und www.leerstandskonferenz.at.