Leerstand füllen
KOMMUNAL: Herr Dr. Fuhrhop, in Ihrer Dissertation „Der unsichtbare Wohnraum“ formulieren Sie die These, dass sich durch soziale Maßnahmen etwa 1/3 Drittel der Neubau-Wohnungen ersetzen lassen. Wie kann das gelingen?
Daniel Fuhrhop: Abgesehen von Ballungszentren stagniert oder sinkt die Bevölkerungszahl. Mittlerweile haben wir mehr sterbende Menschen als neu geborene. Durch den Zuzug wird das zwar abgefedert, aber der Trend nicht geändert. Zudem sind die Gesellschaften massiv älter geworden. Die Wohnfläche pro Person ist kontinuierlich gestiegen. Das sagt zwar nichts über den Einzelfall aus, aber im Durchschnitt haben wir einen wachsenden Anteil älterer Menschen, die zu zweit oder allein auf großer Fläche wohnen. Da wird Wohnraum gar nicht genutzt. Manchmal steht eine ganze Etage leer, in welcher eine Einliegerwohnung möglich ist. Als „unsichtbar“ bezeichnet ist hier der Raum, der nicht am Markt erscheint, diesem jedoch leichter zur Verfügung gestellt werden kann, als man meint.
Statt einen neuen Ortsteil zu begründen, muss man also erst einmal den Bestand besser ergründen. Wir beziehen uns hier vor allem auf sogenannte „Speckgürtel“ mit hoher Dichte an Einfamilienhäusern?
Ja, die Werkzeuge für den ländlichen Raum, der massiv von Landflucht betroffen ist, sind teils erheblich anders, denn dort stehen komplette Häuser leer. Wir haben in München oder Wien eine ähnliche Entwicklung. Wir sprechen von hunderttausenden Einfamilienhäusern, oft an der Peripherie und im Umland.
Die Zahl von einem Drittel basiert auf real bestehenden Programmen und deren Erfolgszahlen. Manche Menschen leben allein im Haus, hätten aber gerne als Älterer eine junge Person bei sich, die jedoch nicht als normaler Mieter einzieht, sondern im Alltag hilft. Wenn ein Älterer Wohnraum hat und der Jüngere eventuell bei Computerfragen oder Gartenarbeit hilft, dann profitieren beide davon. Das ist eine Abgrenzung zu Pflege oder Untermiete.
Es gibt in Wien den WohnBuddy. Der hilft dabei Alt und Jung zusammen zu bringen. Ich will schließlich wissen, wen ich mir ins Haus hole. Dabei baut eine seriöse Vermittlung Ängste ab.
Dass die Potenziale hierzulande gar nicht ausgeschöpft sind, erahnt man, wenn man nach Frankreich, England oder Belgien blickt. Allein in Brüssel werden pro Jahr 400 junge Menschen zu älteren vermittelt als sogenannte „Wohnpaare“. Es ist auch ein Comeback des Mehrgenerationenwohnens, diesmal allerdings nicht familiär gebunden.
Dafür braucht es Plattformen wie Wohnpartnerportale etc. Es braucht sicher auch weitere Maßnahmen wie qualifiziertes Personal, um diesen stillen Markt in Bewegung zu setzen. Wer finanziert das?
Die Kommunen erhalten für ihre Investitionen ja Lösungen für teils gravierende Probleme.
Neben der Vermittlung kann auch die Absicherung ein Anreiz sein, leerstehende Räume wieder in Nutzung zu bringen. Ich empfehle als Berater das Modell „Sicheres Vermieten“, das in Vorarlberg seit einiger Zeit und in Tirol seit kurzem betrieben wird. Ein anderer Begriff wäre „soziale Wohnraumvermittlung“. Da werden Eigentümer und Vermieter gezielt angesprochen, die Sorge haben zu vermieten, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Kommune übernimmt dabei einen möglichen Ausfall. Auch dafür braucht es Personal für den Dialog.
Vom Eigentümer wiederum kann man verlangen, dass die Miete sozial verträglich ausfällt. In Karlsruhe betreibt man das bereits seit 20 Jahren. So werden pro Jahr über 100 leerstehende Wohnungen wiederbelebt. Mittlerweile gibt es über 1.300 Wohnungen, die durch dieses Modell sozial abgesichert in Nutzung gebracht wurden. Bei einer Einwohnerzahl von 300.000 ist das eine signifikante Größe. Die negativen Erfahrungen sind sehr bescheiden. Außerdem können die Kommunen die Mietausfälle bei den Leuten in manchen Fällen später zurückholen. Der Vermieter erhält aber zuverlässig seine Miete.
Meine These lautet, dass wir im Prinzip ausreichend Wohnraum haben, wir müssen mehr in Beine investieren, also in Menschen, die beraten, vermitteln und bei Problemen Verantwortung übernehmen.
Die Mobilität an der Peripherie bzw. am Land muss allerdings auch befriedigend und generationenbewusst unterstützt sein?
Wenn ich mir Kopenhagen ansehe, wo es 30 bis 40 Kilometer im Umland der Metropole verzweigte und gut ausgestattete Radschnellwege gibt, dann ist das eine essenzielle Ergänzung zum motorisierten Individualverkehr und zum ÖPNV. Diese Wege sind kreuzungsfrei und beleuchtet. Zudem erleben wir einen Boom beim Homeoffice, der durch Corona verstärkt wurde.
Es finden sich gute Beispiele für Co-Working-Angebot am Land. In der Nähe von Nürnberg ist eine alte Scheune zu einer „Macherscheune“ umgestaltet worden, der Hof ist dabei zum „New Work Campus“ mutiert. Das Projekt heißt „Neue Höfe“. Es gibt auch Seminarräume. Dafür hat sich der Begriff „Workation“ gebildet, der eine Verbindung von Arbeit und Urlaub bedeutet. Gute Ideen entstehen vielleicht leichter auf der Obstwiese als im sterilen Büro.
Vor sich hin dümpelnde Gebäude in eine intelligente Nachnutzung überzuführen, gehört zum 1x1 zukunftsweisender Planung, gerade für prekäre ländliche Räume. Ohne politischen Willen wird es aber nicht gelingen?
Sicherlich. Es spielt beispielsweise die Niederlassung einer universitären Einrichtung an der Peripherie eine Rolle dafür, ob eine darbende Region wiederbelebt werden kann. Das ist ein Anker für Neuansiedlungen. Mittelgroße oder kleinere Städte zeigen das ja bereits.
Oder denken Sie an touristische Nachnutzung. In Italien gibt es beispielsweise verstreute Dörfer, die in einem Gesamtkonzept zum Hotel verwandelt sind: Albergo Diffuso (Anm. d.h. „verstreutes Hotel“). Dabei sieht die lokale Bevölkerung eine Chance ansässig zu bleiben und der Tourismus nutzt eine willkommene Nische jenseits des Massentourismus. Die Gassen des Dorfs sind jetzt der Hotelflur und die Gebäude haben eine kluge Neudefinition, ob als Apartment, Frühstücks- oder Freizeitraum. Für manche Gäste scheint der Aufenthalt sogar zu einer Rückbesinnung auf ihre eigene ländliche Herkunft zu führen.
Für die Adaption günstig sind flexible Grundrisse, das lässt mich auch an Gründerzeithäuser denken. Hier haben wir viele Dachgeschossausbauten erlebt, aber in den Etagen nur wenig Transformation – eine verpasste Chance?
Gerade das historische Mehrparteien-Haus lässt nach Bedarf größere oder kleinere Wohnungen zu. Wir sprechen hier von einem „Joker“-Zimmer. Denken Sie an ein Zimmer, das wahlweise Wohnung A oder B angeschlossen wird. Die Adaption ist meist überschaubar. Ich muss auf der einen Seite eine Tür zumauern, auf der anderen eine öffnen. So kann etwa ein älterer Mensch, der Zimmer nicht wirklich nutzt, freigeben für die Wohnung daneben, wo vielleicht gerade ein Baby zur Familie hinzugekommen ist.
Sicherlich sind dafür die Mietstruktur und der Mietvertrag ausschlaggebend, aber es geht darum in Alternativen zu denken. Für eine Kleinfamilie ist eine vergrößerte Wohnung attraktiver und für den Pensionisten die kleinere und günstigere ebenso. Apropos historisch: Man kann Häuser wie Städte durch Umbenennung oder Aufwertungen attraktiver machen.
Unsichtbarer Wohnraum Österreich
- Ein-Personen-Haushalt > 3 Zimmer: ca. 760.000 Haushalte
- Zwei-Personen-Haushalte > 4 Zimmer. ca. 560.000 Haushalte
- Theoretisch Platz für bis zu 2 Millionen Menschen
Quelle: Statistik Austria
Daniel Fuhrhop:
Der Wohnwendeökonom beschäftigt sich mit sozialem Wohnen, nachhaltigem Stadtwandel und lebenswerten Städten. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft und einem Abschluss als Diplom-Kaufmann machte er sich 1998 selbständig und gründete den Stadtwandel Verlag, den er fünfzehn Jahre lang leitete. Als Architekturverleger hat er in ganz Deutschland Stadtviertel kennengelernt, die so verkehrsberuhigt sind, dass Kinder auf der Straße spielen können.
Webtipps:
https://www.daniel-fuhrhop.de/
https://flexible-grundrisse.de/
https://www.albergodiffuso.it/de/