Public WLAN
Anhand eines öffentlichen WLAN lässt sich auch die Auswirkung auf das Residualeinkommen sehr gut veranschaulichen. Durch jedes Gigabyte, den Bürger im öffentlichen WLAN verbringen, sparen sie sich dieses Gigabyte an mobilen Daten.
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Gemeindeinvestitionen über das Residualeinkommen besser bewerten

Die österreichischen Gemeinden stellen zahlreiche öffentliche Güter in ihrem Wirkungsbereich bereit. Dazu zählen Straßen, Schulen, Parks, Freizeitanlagen, Schwimmbäder und vieles mehr. In manchen Fällen gebieten die Vernunft oder ein direkter Wunsch der Bürger die Bereitstellung der öffentlichen Güter. In vielen anderen Fällen werden die potenziellen Investitionen von einer hitzigen Debatte über deren Sinnhaftigkeit begleitet. Bei diesen Grenzfällen kann die Perspektive des Residualeinkommens zu einer begründeten Entscheidung beitragen.

Die Bewertung von öffentlichen Gütern sorgt schon seit längerer Zeit für Diskussionen in Wirtschaftskreisen. Die Betrachtungsweisen der Wertschöpfung und des generierten Nutzen stehen sich dabei gegenüber. Darüber hinaus veröffentlichte der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz im Jahr 2020 das Buch „Jenseits des BIP”[1]. In diesem Werk wird die Aussagekraft des Bruttoinlandsproduktes in zahlreichen Fällen angezweifelt.

Zu den Kritikpunkten am BIP zählt der Vertrauensverlust in die Politik, da die Marktaktivitäten, die über das BIP gemessen werden, nichts über die Verteilungsfrage aussagt. Die Autoren geben als gutes Beispiel das US-amerikanische Gefängnissystem an. Vor allem die private Gestaltung dieses Systems erhöht zwar die Marktaktivität bzw. das Bruttoinlandsprodukt, aber das dabei erwirtschaftete Geld kommt kaum dem Allgemeinwohl zugute. Zudem betont Stiglitz, dass die Wahl der betrachteten Messgröße die wesentlichste Grundlage für Entscheidungen darstellt.

All diese Punkte rechtfertigen die Einführung neuer Kennzahlen auf jeder Ebene der politischen Entscheidungsfindung und das Residualeinkommen bietet sich gerade für Gemeinden an.

Was ist das Residualeinkommen?

Novy, Bärnthaler und Prieler definieren in „Zukunftsfähiges Wirtschaften”[2] das Residualeinkommen als das Haushaltseinkommen abzüglich aller unvermeidbaren Kosten und zuzüglich aller Transfers und des kollektiven Konsums.

Vereinfacht ausgedrückt, kostet eine private Straße Errichtungs- und Erhaltungskosten. Logischerweise reduziert diese Straße auf dem Privatgrundstück das verfügbare Budget des Eigentümers. Geld, das er nicht für den Bau eines Pools oder die Einrichtung des Wohnzimmers verwenden kann. Es handelt sich um unvermeidbare Kosten für den Eigentümer, da er ohne diese Privatstraße sein Haus nicht erreichen könnte.

Auf der anderen Seite erhöht eine öffentliche Straße das Residualeinkommen von allen Bürgerinnen und Bürgern, die diese Straße verwenden. Sie erhalten den Vorteil der Mobilität bzw. die Möglichkeiten, Arbeitsplätze oder Freizeiteinrichtungen zu erreichen.

Das Residualeinkommen beschreibt damit ein Konzept, das intuitiv verständlich ist, aber trotzdem selten als Messgröße in politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene einfließt.

Hinweis: Auf österreichischer Bundesebene wird versucht über die wirkungsorientierte Steuerung[3] die Auswirkungen von öffentlichen Investitionen auf vielfältige Art zu messen.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung des Residualeinkommens

Nehmen wir als Beispiel einen öffentlichen WLAN-Zugang im Zentrum der Gemeinde. Wenn es kein Passwort für den Zugang gibt, dann kann niemand ausgeschlossen werden und bei entsprechender Einrichtung herrscht ebenso keine Rivalität vor. Ein zusätzlicher Nutzer im Netz beeinträchtigt nicht die Nutzung der anderen Anwender, wenn die Bandbreite hoch genug ist. Mit diesen Definitionen handelt es sich um ein reines öffentliches Gut, da keine Ausschließbarkeit ohne Passwort vorliegt und es bis zu einem gewissen Grad nicht-rivalisierend ist.

Anhand eines öffentlichen WLAN lässt sich auch die Auswirkung auf das Residualeinkommen sehr gut veranschaulichen. Durch jedes Gigabyte, den Bürger im öffentlichen WLAN verbringen, sparen sie sich dieses Gigabyte an mobilen Daten. Die mobilen Daten werden zwar bei jedem Mobilfunkbetreiber unterschiedlich bepreist, aber eine Flatrate ist sehr selten und so lässt sich ein Preisschild am Datenvolumen festmachen.

Wir können zudem davon ausgehen, dass die Internetnutzung vielfach unvermeidlich ist und folglich handelt es sich um unvermeidliche Kosten.

An diesem Punkt müssen wir ebenso das Prinzip der positiven externen Effekte aus der Volkswirtschaft ins Spiel bringen, aber dann befinden wir uns bald am Ziel. Die Anzahl der genutzten Daten im öffentlichen WLAN lässt sich leicht erheben. Bezüglich des Preises können wir von 47 Cent pro Gigabyte[4] ausgehen.

Wenn nun die Kosten der Bereitstellung des mobilen Hotspots geringer sind, als die verbrauchten GBs sonst den einzelnen Bürger kosten würden, dann handelt es sich um einen positiven externen Effekt. Das Residualeinkommen aller Nutzer des öffentlichen WLAN wurde damit erhöht und sie wurden somit reicher, ohne direkt mehr Geld auf ihr Konto zu bekommen.

Hinweis: Beim Beispiel zum öffentlichen Hotspot handelt es sich um ein brandaktuelles Beispiel, da es die Digitalisierung der Gemeinden betrifft und die Nutzung mobiler Daten in den letzten Jahren stark angestiegen ist.[5]

Bekannte Konzepte werden im Residualeinkommen zusammengeführt

Wer eine volkswirtschaftliche Ausbildung genossen hat, der wird im bisherigen Beitrag einige Konzepte wiedererkannt haben. Weder die externen Effekte noch das Prinzip der öffentlichen Güter ist völlig neu. Trotzdem schafft das Residualeinkommen eine neue Perspektive, die für Kalkulationen und vor allem politische Kommunikation wertvoll sein kann.

Diese Kennzahl lässt nämlich einen Diskurs zu, der nicht abstrakt, sondern möglichst nahe an der Brieftasche der Bürgerinnen und Bürger geführt wird.

Dieses WLAN oder dieses öffentliche Freibad macht dich um diesen Betrag reicher im Jahr!”

Bei einem Freibad gilt dies natürlich nur, wenn kein Großteil der Hausbesitzer bereits einen privaten Swimmingpool in der Gegend besitzen oder Badeseen ohnehin schon für ausreichende Ausweichmöglichkeiten bzw. Substitute gesorgt haben. In diesen Fällen muss natürlich von entsprechenden Gemeindeinvestitionen abgeraten werden.

Vorsicht bei negativem Residualeinkommenseffekten

Über diese Kennzahl lassen sich selbstverständlich auch Vorhaben ablehnen. Nehmen wir als Beispiel einen lauten Gewerbebetrieb in einer Gemeinde. Die Kosten für lärmschützende Fenster und sonstige Maßnahmen senken das Residualeinkommen der Anrainer, da diese Ausgaben unvermeidbar werden. Wenn dieser negative Einfluss auf das Residualeinkommen nicht berücksichtigt wird, dann führt dies zum bekannten Unmut. Diese Unzufriedenheit wird zwar meist emotional begründet, aber sie lässt sich finanziell messen, wenn die richtigen Indikatoren beachtet werden.

Das Residualeinkommen zur Bewertung von Großprojekten

Vor allem bei Großprojekten kann die Perspektive des Residualeinkommens zeigen, dass alle positiven sowie negativen Effekte aller betroffenen Bürger eingepreist werden. Ein prominentes Beispiel wären Windkraftwerke. Gegen geplante Windräder formiert sich oft ein lokaler Widerstand. Anrainer könnten beispielsweise einen Wertverlust ihrer Immobilien befürchten. Im Residualeinkommen kann sich dies durch erhöhte Zinsen widerspiegeln. Abstrakte Gewinne, wie weniger Schäden durch Extremwetter, lassen sich hingegen eher schwer berechnen und damit als Argument angeben. Eine direkte Beteiligung an den Gewinnen erhöht hingegen das Residualeinkommen direkt und gleicht somit Verluste an anderer Stelle aus.

Eine Überschlagsrechnung für alle beteiligten Haushalte zeigt entsprechende Empathie. Sofern die anteiligen Stromgewinne nicht die berechneten Pauschalkosten ausgleichen können, sollte an eine zusätzliche Kompensation gedacht werden, damit sich das Residualeinkommen der Anwohner zumindest nicht verschlechtert.

Welche öffentlichen Güter, den negativen Residualeinkommenseffekt der Anrainer kompensiert, muss situationsabhängig bestimmt werden. Dabei kann es sich um einen Park oder eine Sportanlage handeln, sofern keine solche Angebote in der Nähe vorhanden sind. Weitere Möglichkeiten können das Sponsoring von Jahreskarten für das lokale Freibad oder Zuschüsse zum Klimaticket darstellen. Es ist nur wichtig, dass eine ausgeglichene Bilanz im Residualeinkommen bestehen bleibt.

Hinweis: Emotionale Kosten lassen sich auch über das Residualeinkommen schwer ermitteln, aber wenn der wahre Bedarf in der Region ermittelt wird, lässt sich die emotionale Bilanz zumindest leichter ausgleichen.

Sozialistisch vs. nachhaltig

Ein offensichtlicher Kritikpunkt an der Perspektive des Residualeinkommens bezieht sich auf die große Rolle der öffentlichen Hand. Es sollte eher ein individueller Einsatz zum finanziellen Erfolg, der ebenfalls über das Residualeinkommen gemessen wird, führen. Wenn öffentliche Güter zu viel „Reichtum” bereitstellen, geht die Motivation für Arbeit verloren. Diesem Argument können die Analysen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Acemoglu entgegengestellt werden, dass ein starker Entzug von öffentlichen Gütern oft ein erstes Anzeichen ist, warum Nationen scheitern.[6]

Im Gegensatz dazu hilft das Residualeinkommen, aus dem Rad des ständigen BIP-Wachstums ein wenig auszubrechen. Das Ziel ist schließlich, den persönlichen Wohlstand in der eigenen Residenz hochzuhalten und nicht auf ein unaufhörliches Vermehren abzuzielen. Wer den Blick nur auf persönliche Vermehrung fixiert und dabei sein Umfeld aus den Augen verliert, wird seinen Wohlstand auch nicht erhöhen können. Hochwasserschäden senken nämlich eindeutig das Residualeinkommen, unabhängig davon, wie hoch der Lohnzettel oder Unternehmensgewinn ausfällt.

Einzelanalysen bleiben bedeutend

Selbstverständlich kann das Prinzip des Residualeinkommens keine Analysen von Einzelfällen in den jeweiligen Gemeinden ersetzen. Trotzdem kann diese Kennzahl zu einer bürgernahen Bewertung verschiedener Projekte beitragen und somit ein neues Werkzeug für die nachhaltigere Entscheidungsfindung in Gemeinden darstellen.

[1] Joseph E. Stiglitz, Jean-Paul Fitoussi, und Martine Durand, Jenseits des BIP: Was bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wirklich zählt (OECD, 2020), https://doi.org/10.1787/80cca758-de.

[2] Veronika Heimerl, Richard Bärnthaler, und Andreas Novy, Zukunftsfähiges Wirtschaften: Herausforderungen der sozialökologischen Transformation, 2. Auflage, Arbeitsgesellschaft im Wandel (Weinheim: Juventa Verlag, 2023).

[3] „Grundzüge der wirkungsorientierten Steuerung“, o. J., https://www.vab.gv.at/bildungsprogramm/online-trainings/kursdetails.html?vid=31798&tid=109071.

[4] Victoria Breitsprecher, „Österreich vs. die Welt: Wie teuer ist Mobilfunk im internationalen Vergleich?“, Vergleichsseite, o. J., https://www.tarife.at/ratgeber/oesterreich-vs-die-welt-wie-teuer-ist-mobilfunk-im-internationalen-vergleich.

[5] „Entwicklung des Datenvolumens in Mobilfunknetzen in Österreich in den Jahren von 2013 bis 2023“, o. J., https://de.statista.com/statistik/daten/studie/306646/umfrage/mobiles-datenvolumen-in-oesterreich/.

[6] Daron Acemoglu und James Alan Robinson, Warum Nationen scheitern: die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut, übers. von Bernd Rullkötter, 8. Auflage, Fischer Taschenbuch 19558 (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2024).

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