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Ein Wahlkämpfer voller Tatendrang
Da die Bürgermeisterin, die Wörgl zwölf Jahre regierte, nach einem veritablen Absturz im ersten Wahlgang das Handtuch geworfen hat, bezieht ihr Kontrahent, der 33-jährige Michael Riedhart bereits eine Woche vor dem nunmehr obsoleten Stichwahl-Termin das Bürgermeisterbüro. Der Weg dahin war kein leichter. Für Tiroler Verhältnisse eher untypisch befand sich der ÖVP-Politiker Riedhart in seiner bisherigen politischen Laufbahn durchgehend in der Oppositionsrolle. Die Erfahrungen daraus möchte er nun in die künftige Einbindung anderer Listen in die Stadtregierung einfließen lassen. Doch der Reihe nach.
Im Jahr 2010 arbeitete der junge Riedhart bei der Firma Vertex in Brugghäusl als Disponent für Großbritannien und Italien, als er eines Tages den Staatssekretär Kurz auf Puls4 sieht. Kurz ist nur zwei Jahre älter als Riedhart, dem dadurch bewusst wird, dass man auch als Junger einiges bewegen kann. Gleichwohl sich seit seinem Ururgroßvater, der vor gut 120 Jahren Dorfvorsteher von Wörgl-Rattenberg war, niemand mehr in Riedharts Familie politisch engagierte, stellt sich der junge Disponent bei der Bezirksstelle der ÖVP vor – zu einer schwierigen Zeit.
Nach der Wahl 2010 hatte man gerade den langjährigen Bürgermeister Arno Abler verloren, und auch bundespolitisch war zur Zeit Spindeleggers die Situation recht durchwachsen. Riedhart kümmerte das nicht. Er kannte die Strukturen gar nicht, wusste nichts von den sechs Teilorganisationen der ÖVP, sondern wollte einfach nur mithelfen: „Ich war ganz stolz, als ich bei der Jungen ÖVP Ortsgruppe Wörgl sehr bald zweiter Stellvertreter sein durfte. Rückblickend betrachtet ist das ja ganz nett, aber unbedarft wie ich damals war, war das für mich unglaublich toll!“
Der Obmann war nicht gerade der aktivste, Riedhart dafür aber voller Tatendrang. Er organisierte eigenständig Veranstaltungen wie eine Fahrradtauschbörse, Wintertauschbörse, ein Street-Soccer-Turnier, oder ein Fifa-Turnier auf der Playstation. „Ich war überall dabei und habe Kontakte geknüpft.“ 2011 wird Riedhart für das Bundesmentoring der ÖVP ausgewählt und weitet seine Kontakte über die Landesgrenzen hinaus aus. Nach der Landtagswahl 2013 wird Riedhart Bezirksgeschäftsführer der Tiroler Volkspartei im Bezirk Kufstein und bleibt es fünfeinhalb Jahre lang.
In der Stadt Wörgl ist 2016 Hedi Wechner mittlerweile seit sechs Jahren SPÖ-Bürgermeisterin, allerdings ohne Mandatsmehrheit. Die ÖVP geht mit drei Listen in den Wahlkampf und verliert eindeutig. Wechner verdreifacht ihre Mandate, geht eine Themenpartnerschaft mit der FPÖ ein, und Riedhart erfährt „wie es ist, wenn alle deine Ideen aus Prinzip abgeschmettert werden.“
2019 setzt er alles auf eine Karte, kündigt seinen Job und führt bei der ersten Nationalratswahl nach Ibiza einen Vorzugsstimmenwahlkampf. Unglücklicherweise hat der Tiroler Landwirtschaftskammerpräsident Josef Hechenberger die gleiche Idee und Riedhart zieht den Kürzeren. Der Wettbewerb zwischen den beiden war allerdings derart fair und respektvoll, dass Hechenberger zu einem politischen Freund und Förderer wird.
Für Riedhart war der Wahlkampf dennoch ein Erfolg. Sein Team absolvierte allein 20.000 Hausbesuche im Wahlkreisbezirk Kufstein und Kitzbühel und machte ihn auf diese Weise ordentlich bekannt.
2017 wird Riedhart Stadtparteiobmann in Wörgl, vereint die drei Listen und holt die Bünde aktiv dazu. Er stellt ein Team aus den besten Köpfen aller Listen zusammen, achtet auf Ausgewogenheit nach Berufs- und Altersgruppen, sowie der Herkunft nach. Über Monate hinweg notieren sich Riedharts Mitstreiter alle Wünsche und Anliegen der Bevölkerung.
„Wir haben jeden der 6.300 Haushalte in Wörgl zweimal besucht, und damit haben wir nicht erst im Intensivwahlkampf angefangen,“ erklärt der neue Stadtchef: „Unser Wahlprogramm hat sich dann aus all diesen Anliegen geformt. Wir haben nicht gesagt: Wir haben selbst die besten Ideen – wir sind die Gescheitesten in der Stadt! Stattdessen haben wir die Bevölkerung unser Wahlprogramm gestalten lassen. Der Auftrag, den uns die Leute so gegeben haben, ist nun auch mein Auftrag.“
Am häufigsten geäußert wurden übrigens Wünsche nach leistbarem Wohnen, nach mehr Lebensqualität durch bessere Freizeiteinrichtungen, nach mehr Sicherheit, und in den Ortsteilen, die es betrifft, auch der Hochwasserschutz.
Zudem gibt es das Dauerthema Nordtangente. Die Umfahrungsstraße sollte von der Stadt gebaut und dann ins Eigentum des Landes übergeben werden. Doch nach ca. der Hälfte des Baus ging vor vielen Jahren das Geld dafür aus. Seitdem steht das Projekt still. Bei mittlerweile 25.000 Fahrzeugen täglich, die durch das Ortszentrum rauschen, hat die Fertigstellung für Riedhart nun aber höchste Priorität.
Überhaupt ist in Sachen Straßenbau einige Initiative gefordert: „In Wörgl gibt‘s das Sprichwort: Wörgl, dein Laster ist das Pflaster. Das hat sich leider über Jahrzehnte hinaus bewahrheitet. Wenn du nur lange genug in Wörgl unterwegs bist, brauchst du neue Stoßdämpfer.“
Den Straßenbau und den Hochwasserschutz, der auch schon seit 20 Jahren ungelöst ist, möchte Riedhart sofort angehen, weil es Projekte sind, die viel Zeit benötigen werden. Zu solchen zählt auch ein neu zu errichtendes Regionalbad, nachdem Riedharts Vorgängerin das stadteigene Erlebnisbad „WAVE“ schließen ließ, obwohl sich die Bürger in einer Volksbefragung bei 30 Prozent Beteiligung mit 70 Prozent für dessen Erhalt ausgesprochen haben. Mehr als 1.000 Mitglieder von Schwimmvereinen verloren in Folge der Schließung die Möglichkeit zu trainieren.
Freizeiteinrichtungen gingen verloren
Wenn Riedhart „die Lebensqualität von früher“ beschwört, ist das keine verklärte Reminiszenz an „die gute alte Zeit.“ Vielmehr spielt er auf einen der meistgenannten Kritikpunkte der Bevölkerung an, den Verlust von Freizeiteinrichtungen. Nicht nur die Wörgler Wasserwelten wurden geschlossen. Auch der Schilift ging verloren, es gibt keinen vernünftigen Eislaufplatz mehr und ehemals öffentlich zugängliche Sporteinrichtungen wurden abgesperrt.
Häufiger von den Bürgern kritisiert wurde nur noch die Entwicklung im Wohnbau. Zwar wurde in den vergangen Jahren in den sozialen Wohnbau investiert. Anstatt in einen Wohnungsmix allerdings ausschließlich in Mietwohnungen, die vor allem bei zugezogenen Arbeitern der zahlreichen Wirtschaftsbetriebe Anklang fanden. An den Bedürfnissen der alteingesessenen Wörgler und ihrer Kinder ging das vorbei. Sie sehnen sich nach leistbarem Eigentum oder zumindest Miet-Kauf-Optionen.
Die spärlichen Kaufangebote am Markt haben jedoch auch wegen des starken Zuzugs unerschwingliche Preishöhen erreicht. „Die Folge war, dass Wörgler, die von zuhause ausziehen wollten, in die Umlandgemeinden abgewandert sind,“ bedauert Riedhart.
Wörgl ist nicht auf Tourismus ausgelegt und hat kaum Hotels. Dafür ist es aber Verkehrsknoten, Handelszentrum und Einkaufsstadt. Die Bahnhofstraße ist sogar Tirols zweitlängste Einkaufsstraße. Ihr unterer Teil zum Bahnhof hin sollte eine Fußgängerzone werden.
Riedhart möchte diesen Beschluss jedoch aufheben und sie zu einer Begegnungszone machen: „Nicht nur, weil es gar kein Parkleitsystem gibt, sondern auch weil sich dort teilweise Häuser mit bis zu 40 Parkplätzen befinden und wir große Probleme mit den Zufahrtsberechtigungen haben.“ Im Vergleich zur Errichtung des einzigen Hallenbades im Umkreis von 30 bis 40 Kilometern sollte diese Änderung aber verhältnismäßig schnell gehen.
Die wirklich großen Projekte werden länger als eine Legislaturperiode brauchen. Deswegen stellt Riedhart auch klar: „Ich habe nicht vor, nur eine Periode lang Bürgermeister dieser Stadt zu sein, sondern will Wörgl die nächsten 20 bis 30 Jahre entwickeln.“
Ob ihm das gelingt, wird die Zukunft zeigen. Zum Beginn seiner ersten Amtszeit hat Riedhart jedenfalls den Vorsatz gefasst, themenbezogene Mehrheiten im Gemeinderat zu finden: „Ich möchte eine Stadt der besten Ideen, und lade jeden dazu ein mitzumachen. Ich möchte keiner Seite mehr antun, dass aus Prinzip einfach alles abgeschmettert wird, selbst wenn die Ideen gut sind. Das habe ich jetzt selbst sechs Jahre lang erleben müssen. Jeder, der mitarbeiten will, soll die Möglichkeit dazu haben. Dafür werde ich auf das ein oder andere Stimmrecht meiner Partei im Ausschuss verzichten, sodass Listen, die nicht im Ausschuss mitstimmen könnten, auch ein Stimmrecht erhalten. Von der Tiroler Gemeindeordnung aus geht das. Ich habe bereits mit fast jeder Liste gesprochen und bisher hatten wir noch mit allen gewisse Schnittmengen. Und da unsere Liste allein schon neun Mandate hat, bis ich sehr zuversichtlich, dass das gut funktionieren wird.“
Zur Person
Michael Riedhart
Alter: 33
Gemeinde: Wörgl
Einwohnerzahl: 14.179 (2021)
Bürgermeister seit: 14. März 2022
Partei: Wörgl bewegen