Symbolbild Digitalisierung
Wie sich die Digitalisierung auf die Menschen auswirkt. lässt sich noch kaum absehen.
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Digitalisierung: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Wir sind sicher auf dem Weg in eine digitale Zukunft. Damit wird sich das Leben für uns alle – und natürliche auch für die Gemeinden – massiv verändern. So viel steht fest. Aber wie sieht „die digitale Zukunft“ aus? Wie wird sie sein, die „digitale Gemeinde der Zukunft“? Was bedeutet eine digitale Zukunft für unser Leben, für unser Arbeitsumfeld, für unser System des sozialen Zusammenhalts oder des Zusammenlebens? Der Versuch einer Annäherung.

Gleich vorweg: Welche Anwendungen die digitale Zukunft für uns parat hält, können wir nach allgemeiner Ansicht zwar schon einigermaßen deutlich, aber dennoch immer noch höchstens annähernd erfassen. Bei Licht besehen haben wir nicht einmal einen schwachen Schimmer von unserer Zukunft, schon gar nicht von unserer digitalen. Zu schnell schreiten die Entwicklungen voran, zu schnell ändern sich die Parameter für die Technik selbst. Da wird in einem Labor an einer Uni ein neues Element entdeckt oder ein Genetiker entschlüsselt den Aufbau eines tierischen Exoskeletts – und schon müssen wir zumindest Teile unserer Zukunftsvisionen neu schreiben.

Heute schon sind Dinge wie Smart Meter, Smart Home, autonomer Verkehr, die intelligente Straße, Chatbots im Gemeindeamt, Reinigungsroboter fürs Heim oder auch für die Kanalisation selbstverständlich. Sogar diverseste künstliche Ersatzteile für unsere Körper gibt es – alles das ist keine Zukunftsmusik mehr, das gibt es schon. Das macht es auch so schwierig, eine halbwegs genaue Prognose zu erstellen.

Aber der Reihe nach: Im Grunde müssen wir zwischen zwei Arten der digitalen Zukunft unterscheiden. Die eine zeigt auf, was alles möglich sein könnte, die andere, was möglich und auch umsetzbar ist.

Mehrere hundert Jahre leben?

Möglich wird künftig sein, dass wir ewig leben. Wenn stimmt, was Noah Harari in seinem Werk „Homo Deus“ aufzeigt, ist künftig sogar eine Lebenserwartung von ein paar hundert Jahren möglich. Genauer gesagt, wird daran sogar schon konkret geforscht. Und gar so unwahrscheinlich ist das gar nicht. Immerhin hat sich die Lebenserwartung im 20. Jahrhundert von 40 auf 70 Jahre nahezu verdoppelt. Wenn diese Entwicklung im 21. Jahrhundert weiter geht, halten wir zu Ende dieses Jahrhunderts bei einer Lebenserwartung von rund 150 Jahren.

Rein technisch scheint das möglich – was das für uns als Gesellschaft bedeutet, darüber wird allerdings relativ wenig nachgedacht. Nur ein Gedankenspiel Hararis: Wenn künftig jemand mit 40 Jahren heiratet, dauert die Ehe 110 Jahre. Ist das realistisch? Nach Harari dürften dabei sogar „katholische Fundamentalisten leichte Zweifel beschleichen“.

Und was macht man als Mehr-Hundertjähriger?

Was wir mit Menschen machen, die mit 100 noch rüstig und arbeitswillig sind, ist völlig offen. Einerseits schreit die Wirtschaft ständig nach mehr Lebensarbeitszeit für die Menschen, andererseits sind gerade die Protagonisten dieser Forderung, beispielsweise Firmenchefs, nicht willig, sie zu unterstützen. Gerade gut ausgebildete ältere Arbeitnehmer finden so gut wie keine Jobs, in denen sie nach ihrer Ausbildung oder Erfahrung bezahlt werden. Lieber stellt man junge, unerfahrene Kräfte ein, die den Job mit Begeisterung, aber auch für weniger Geld erfüllen.

Ist auch irgendwie logisch, denn wenn man 150 wird, ist man vermutlich mit der neuesten Technologie nicht mehr ganz firm. Wie es in der Buchkritik in „Der Zeit“ heißt, verliert der Mensch „im Zeitalter der Automatisierung zunehmend die Kontrolle. Wir delegieren Entscheidungen an Algorithmen, ob bei der Navigation, auf den Terminbörsen oder beim Drohnenkrieg.“

Harari entwirft demnach in einer „düsteren Prognose eine gewisse Triftigkeit, schließlich steuern wir in smarten Städten, die eigentlich Cyborg-Cities sind, darauf zu, dass sich die Grenzen zwischen Körper, Stadt und Technologie auflösen. Und schon heute sehen wir die sogenannten Smombies, die wie ferngesteuert durch die Straßen irren.“

Harari warnt auch, dass durch den Einsatz von Algorithmen „liberale Gewohnheiten wie Wahlen obsolet werden, denn Google wird in der Lage sein, sogar unsere Überzeugungen besser zu repräsentieren“.

Die Macht der Algorithmen

Nach dem Brexit-Votum registrierte Google eine 250-prozentige Erhöhung von Suchanfragen nach „Was ist die EU?“. Womöglich wäre es besser gewesen, die Wähler hätten vor dem Referendum gegoogelt, was die EU eigentlich ist.

Hätte man den Wahlakt nicht gleich der Suchmaschine überantworten können, die unsere Wahlpräferenzen besser kennt als wir selbst? Vielleicht könnte man den Wählerwillen durch ein algorithmisches Voting präziser und nicht durch Populisten verzerrt abbilden, was demokratietheoretisch gar nicht so abwegig erscheint. Doch letztlich würde die Willensbildung zur Farce, weil jede Wahl dann einem maschinellen Determinismus folgt.

Hatte der Humanismus im 19. Jahrhundert noch die Maxime „Hör auf deine Gefühle!“ ausgegeben, schreibt Harari, verlange der Dataismus (statt Dadaismus!) nun: „Hör auf Algorithmen. Sie wissen, wie du dich fühlst.“

Dieser Erkenntnis Hararis steht die Erkenntnis zweier MIT-Absolventen (MIT steht für „Massachusetts Institut of Technologie“, eine der renommiertesten Schulen dieser Welt) entgegen, die in ihrem Buch „Machine – Platform – Crowd“ den Schluss gezogen haben, dass man „sich vor der Zukunft nicht fürchten muss, man sie aber selbst gestalten muss“.

Digitalisierung bringt Wohlstand, aber wie wird er verteilt?

Im Interview mit dem „Handelsblatt“ räumt Andrew McAffee ein, dass „künstliche Intelligenz in den nächsten sechs Monaten nicht jeden Arbeitsplatz vernichten wird. Aber sie wird zahlreiche Nöte verstärken.“

Trotzdem wird die digitale Zukunft mehr Wohlstand bringen. Aber die Frage, auf die wir noch keine Antwort wissen, ist laut McAffee, wie dieser Wohlstand verteilt wird. „Wir erzeugen Reichtum, aber er konzentriert sich immer mehr in einigen wenigen Gebieten der Welt und auf eine kleine Zahl an Unternehmen, das zeigen die Zahlen sehr deutlich. Der Fortschritt durch Technologie verstärkt diesen Trend statt ihn umzukehren“, auch wenn den Managern diese Probleme der Arbeitswelt bewusst ist. Die Diskussion wird aber sein, ob dieser Entwicklung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen oder eher mit Lohnzuschüssen zu begegnen ist.

Und wie betrifft das die Gemeinden?

Ein bisschen ist das so wie bei den Stufen des sogenannten „autonomen“ Autos:

Bei Stufe 0 gibt es nur den Lenker. Beim „assistierten Fahren“ (Stufe 1) unterstützt das System den Fahrer beim Einparken oder Abstandhalten. Beim „teil-assistierten Fahren“ (Stufe 2) kann – muss aber nicht – auch Lenken, Beschleunigen und Bremsen an die Maschine übertragen werden. In der Stufe 3, dem „hoch-automatisierten Fahren“, kann der Mensch das Fahren für eine gewisse Zeit ganz der Maschine übergeben und sich anderen Dingen widmen. Er muss aber fähig bleiben, sofort das Kommando zu übernehmen, sonst bleibt das Fahrzeug stehen.

Bei „voll-automatisierten Systemen“ (Stufe 4) kann das Auto mit seinen Passagieren selbstständig unterwegs sein – allerdings nur in jenen Gebieten oder auf jenen Strecken, die dafür vorbereitet wurden. In diese Stufe würde auch ein automatisiertes Einparken fallen.

In der Stufe 5, dem „autonomen Fahren“, wäre das System so weit, dass auf Dinge wie Lenkrad und Pedal verzichtet werden kann. Diese Stufe wird allerdings laut unseren Recherchen noch nirgends praktiziert. Derzeit arbeitet man am Sprung von Stufe 3 zu Stufe 4.

So wie die Entwicklung beim Auto voranschreitet, werden unserer Einschätzung nach auch die Gemeinden voranschreiten. Deshalb ist es höchst an der Zeit, „für den ländlichen Raum eigene Konzepte vorzuweisen. Denn es geht schließlich um die schiere Daseins- oder

Dableibevorsorge für einen großen Teil der Bevölkerung. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe in allen Phasen des Lebens: Gesundheitsversorgung, Mobilität und altersgerechte Dienstleistungen müssen dafür an veränderte gesellschaftliche Strukturen angepasst, vernetzt und neu konzipiert werden“, wie Gerhard Swarat vom deutschen Fraunhofer-Institut in der Festschrift „70 Jahre NÖ Gemeindebund“ geschrieben hat.

Die eigene Zukunft gestalten – mit dem Menschen im Mittelpunkt

Während sich die Städte in den letzten zwei Jahrzehnten beständig neu definieren, darbt der ländliche Raum weiterhin am demografischen Wandel, an der Stadtflucht und dem drohenden infrastrukturellen Abstellgleis. Die Attraktivität als Lebensmittelpunkt sinkt weiter, wenn die jungen, gut qualifizierten Menschen wegziehen, Schulen schließen, wodurch die letzten Busse eingespart werden und der Weg zum Arzt zur immer größer werdenden Hürde für die alternde Bevölkerung wird.

Schon jetzt sind die Nahversorgung und der lokale Handel in ernster Bedrängnis, was bei ausbleibender Anpassung an den rasanten Wandel der digitalen Transformation dazu führen wird, dass auch die älteren Menschen für eine elementare Gesundheitsversorgung und für die Versorgung mit Pflegediensten den angestammten Raum verlassen müssen.

Digitalisierung kann und muss, so Swarat, teilweise industriegetrieben eine notwendige Geschwindigkeit erreichen, aber sie sollte gleichwohl durch gesellschaftspolitische Zukunftsdebatten und ethische Rahmenbedingungen geleitet und flankiert sein. Denn zu fragen, wie wir leben, arbeiten und gepflegt werden wollen, ist unerlässlich, um der Bevölkerung eine positive Vision innerhalb der digitalen Revolution zu vermitteln und damit zu verhindern, dass sie von Ängsten dominiert wird.

Was wäre, wenn sich die ländliche Gemeinschaft weigert, sich dem hinlänglich prognostizierten Verfall zu ergeben? Wenn sie gemeinschaftlich forschen und Innovationen schaffen, die ihrer Gemeinschaft eine Zukunft geben? Das Ergebnis sind die „Digitalen Dörfer“ in Rheinland-Pfalz. Das Fraunhofer IESE befragte die Kommunen nach eigenen Ansätzen und Herausforderungen, konzipierte die Szenarien und entwickelt nun gemeinsam mit ausgewählten Verbandsgemeinden konkrete digitale Lösungen für das Land von morgen.

Das Projekt ist somit aus den Gedanken geboren, dass Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaftsgefühl auf dem Land eine ideale Basis bieten, die durch Digitalisierung in nachhaltig tragfähige Lösungen transformiert werden kann. Und die ganze Region richtet ihren Blick zukunftsorientiert nach vorn und strahlt eine neue Attraktivität auf Bürger wie Unternehmen aus.

Alle wesentlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, Umbrüche ebenso wie Chancen und Zukunftserwartungen spiegeln sich zuerst und nachhaltig in den Kommunen. Hier entstehen die Probleme, hier müssen sie gelöst werden. Wir erleben derzeit einen extremen Bedeutungsgewinn der Kommunen.

Digitalisierung bildet in der dargestellten Lösung eine Brücke zwischen Tradition und Zukunft. Die aktuellen Szenarien bilden erst den Anfang und dienen als Grundlage für Erweiterungen von der telemedizinischen Versorgung bis zum autonomen Fahren.

Das Projekt ist deshalb eingebunden in die Forschungsinitiative Smart Rural Areas des Fraunhofer IESE, denn um mit digitalen Diensten in ländlichen Regionen einen Nutzen für Menschen und Unternehmen zu schaffen, ist ein sehr breites Kompetenzspektrum erforderlich: von Softwaretechnologien über intelligente Sensoren, Geräte und Systeme bis zum Anwendungswissen im breiten Spektrum von Mobilität, Logistik und medizinischer Versorgung.

Es ist an der Zeit, so das Resümee von Gerhard Swarat, mit dem Aufbau von Smart Citys und Smart Rural Areas unser Land für die kommenden Jahre wettbewerbsfähiger, nachhaltiger und umweltfreundlicher zu machen sowie die Lebensqualität seiner Menschen zu verbessern. Die notwendigen Grundlagen sind bekannt, Lösungsvorschläge gibt es auch – es fehlt eigentlich nur ein gesamtheitliches Konzept und die Mittel dazu.