Virtuelle Computerdarstellung der Erde
Der deutsche „Digital Evangelist“ Karl-Heinz Land will Technologie nutzen, um die Probleme der Welt zu lösen.
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Digitalisierung als Chance für den Planeten Erde

Klimawandel, Ressourcenvergeudung, Überbevölkerung, Hunger, Armut, Ungleichheit – der Zustand des Planeten und seiner Ökosysteme ist denkbar schlecht. Doch die Digitalisierung und der technologische Fortschritt eröffnen gerade noch rechtzeitig die Chance, die gravierenden Probleme der Welt ein für alle Mal zu lösen.

Stephen Hawking, der kürzlich verstorbene geniale Astrophysiker, meinte einst, dass die Menschheit in hundert Jahren alle Ressourcen der Erde verbraucht haben wird und das Klima zerstört sein wird. Dann wird sie gezwungen sein, sich einen neuen Planeten zu suchen – außerplanetarische Kolonisation sozusagen.

Aus dem heutigen Stand der Technik gesehen scheint die extraterrestrische Kolonisation ein bisschen zu optimistisch zu sein und wird sich vermutlich auch in hundert Jahren nicht ausgehen, aber die Aussage, dass bald alle Ressourcen der Erde verbraucht sein werden, das würde die Menschheit locker schaffen. Der WWF warnt zwar regelmäßig, dass wir eigentlich einen zweiten Planeten bräuchten. Aber würde jeder Mensch auf der Erde so viel konsumieren wie die Europäer, wäre sogar ein dritter Planet vonnöten. Und die US-Amerikaner benehmen sich überhaupt so, als hätten sie gleich fünf Erden zu Verfügung. Gleichzeitig verhungern aber nach wie vor hunderte Millionen Menschen jedes Jahr.

Der deutsche „Digital Evangelist“ Karl-Heinz Land ist einer jener Vordenker, die sie über die Auswirkungen der zunehmenden Technologisierung und Digitalisierung Gedanken gemacht haben. KOMMUNAL hat ihn interviewt.

Herr Land, worauf gründet sich ihre Aussage, dass „die Zukunftsaussichten der Menschheit insgesamt düster sind, die Digitalisierung und der technologische Fortschritt aber gerade rechtzeitig Chancen eröffnen, die gravierenden Probleme der Welt ein für alle Mal zu lösen“?

Seit 1972 gibt’s die Studie „Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome. Da standen damals schon Klimawandel, Erderwärmung, Bevölkerungswachstum etc. drin – in der Zeit hat sich allerdings die Weltbevölkerung auf rund sieben Milliarden Menschen nahezu verdoppelt – demnächst werden wir zehn Milliarden sein. Die wollen auch alle mobil sein, heizen essen und wohnen. Das bedeutet aber, dass es so nicht weiter gehen kann – es wird schlicht nicht möglich sein, wir haben diese Ressourcen nicht. Wo soll das denn herkommen. Der Planet wächst ja mit dem Bedarf nicht mit!

Die technologische Entwicklung der Menschheit in den vergangenen hundert Jahren ist ja schuld am heutigen Zustand der Welt. Die Technik hat Plastik erfunden, heute haben wir das in den Weltmeeren. Die Technik hat Autos erfunden, heute haben wir ein CO2 Problem.

Der technologische Fortschritt ist also Ursache vieler unserer Probleme, trägt aber auch die Lösung in sich. E-Autos haben keine CO2 Emission mehr, würden wir die ehrlichen Kosten von Plastik rechnen, würde das Plastik teurer als Glas machen usw.

Ich behaupte, mit einer ökosozialen Marktwirtschaft würden wir das gut regulieren können. Ich rede von sharing Economie und zirkulärer Economie und so weiter

Plattformen wie AirBNB und Uber verwalten heute Überfluss. Wenn diese „nicht gebrauchten“ Wohnungen oder auch Autos in die Vermietung kommen, würde das eigne Probleme lösen.

Diese Art der Plattform-Ökonomie könnte auch genutzt werden um die Maschinen eines mittelständischen Unternehmens – oder von 100 – zu nutzen

Das Auto hat einen Wirkungsgrad von fünf Prozent - den Rest der Zeit steht es auf dem Parkplatz. Wenn unsere PKWs alle „geshared“ wären, bräuchten wir nur noch jedes zwanzigste Auto. Das ist ökologisch hoch attraktiv, wenn man sich vorstellt, wieviel Megawatt Energie, wie viele Rohstoffe, selten Erden etc. in diesen Autos stecken.

Es gibt auch schon die Gegenbewegung. Wir unterstützen derzeit ein Projekt, bei dem in Afrika eine Million Quadratkilometer Bäume gepflanzt werden. Warum? Um CO2 einzufangen. Und damit schaffen wir auch 30 Millionen Arbeitsplätze in Afrika … 

Aber ist in Afrika nicht das Problem mit der Abholzung, um Raum für Menschen, für Landwirtschaft zu bekommen – und wir pflastern das wieder mit Bäumen zu? Ist da nicht ein Widerspruch?

Die Abholzung geschieht nicht für Lebensraum, sondern um Soja und Maisanbau für die Tierfutterherstellung durchzuführen – zwei Drittel der Agrarfläche wird dafür gebraucht. Tierfuttererzeugung führt zu einem schlechteren CO2-Footprint als alle Autos und Verkehrsmittel auf diesem Planeten. Wenn wir all weniger Wurst und Fleisch essen würde, nur mehr alle drei/vier Tage oder so, dann könnten wir vier Milliarden Menschen mehr mit Lebensmittel versorgen. Diese Größenordnung ist den meisten Leuten nicht klar. Auch hier gibt es als technologischer Fortschritt bereits Indoor- oder Urban-Farming als einen der sinnvollsten Auswirkungen des Fortschritts – Farmen kommen in die Städte.

Meine These: Aber wir werden in Europa auch Ökonomie neu denken müssen. Der Kapitalismus ist unser Wirtschaftssystem, funktioniert aber nur bei Wachstum. Wenn aber die Grenzen des Wachstums erreicht sind – also die Aktienkurse nicht mehr steigen – dann kollabiert wie 2008 das System. Nicht aus ideologischer Sicht wird die soziale Marktwirtschaft zusammenbrechen, sondern weil der Dampf aus dem Kessel ist, weil wir nicht mehr wachsen. Denn dann funktioniert der Kapitalismus nicht mehr. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass das Experiment soziale Marktwirtschaft gescheitert ist.

Jetzt müssen wir über die nächste Stufe, nämlich eine Ökosoziale Marktwirtschaft nachdenken. Ökologie und Ökonomie müssen im Einklang mit den Menschen und den Bedürfnissen des Menschen stehen. Dazu muss man sich aber auch klarmachen, dass die Ungleichheit zwischen Afrika und Europa, zwischen Ost und West, zwischen Arm und Reich – ein Prozent der Menschen besitzen mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen – so massiv gestiegen ist, das ist selbst für die Reichen nicht mehr schön. Die tauschen mittlerweile Geld gegen Sicherheit.

Wir müssen uns also auch daran gewöhnen, dass die Grenzen des Wachstums bald erreicht sind. Wir werden so nicht weitermachen können. Jeder fühlt das: Plastik in den Weltmeeren, die Ungleichheit wächst, die soziale Instabilität steigt. Schauen sie sich nur an, was mit der AfD in Deutschland, mit dem Anstieg der Rechtsradikalen passiert …

Dieser Anstieg der Rechtsradikalen ist doch eine Reaktion auf die Unsicherheit. Das gibt’s auch in Österreich, in Ungarn, in Italien, der Türkei, in Frankreich in den USA und wo man sonst hinschaut? Jeder zieht die Mauern hoch.

Richtig. Ich zitiere gerne den italienischen Philosophen Antonio Gramsci, der in den 1930er Jahren Folgendes gesagt hat: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren und dies ist die Zeit der Monster.“ So ist das jetzt wieder. Gramsci meinte damals die Faschisten und die Nationalsozialisten. Heute heißen die Monster Trump und Le Pen und Erdogan und in Deutschland Gauland und andere mehr – das muss man sich einfach klarmachen! Die Rechtspopulisten „kochen die Suppe auf der Hitze der Unruhe des Volkes“.

Warum? Wenn in Chemnitz ein paar tausend Menschen mit den Rechtsradikalen auf der Straße demonstrieren, ist klar, dass das nicht alles Nazis sind. Aber viele dieser Menschen sind unsicher und wissen nicht, was kommt. Die sagen sich, ich habe nicht viel, aber da kommen noch tausende Migranten, mit denen will ich nicht teilen. Das ist die eigentliche Kernaussage.

Politik muss diesen Bürgern Sicherheit geben. Zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Denn egal was passiert, eines ist klar: In den nächsten 20 Jahren wird die Hälfte der Arbeitsplätze verschwinden. Das ist so klar wie das Amen in der Kirche.

Und die Automatisierung war bislang eher in den Fabriken zu finden, auf den Fließbändern von VW und wir sie alle heißen. Aber jetzt kommt die Automatisierung zum ersten Mal in die Büros. Diesmal werden die Buchhalter durch SAP und künstliche Intelligenzen ersetzt. In der Folge auch kleinen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Auch Juristen, Journalisten, Einkäufer von Firmen – das sind die Jobs, die jetzt automatisiert werden.

Was glauben Sie denn, was passiert: Wenn 90 Prozent der Bankfilialen in den kommenden Jahren zumachen – und davon ist auszugehen –dass dann die Bankangestellten alle in die Zentralen kommen werden? 

Was ist mit den Gemeinden, den Städten? Werden die auch alle automatisiert?

Natürlich müssen die aus zwei Gründen auch automatisieren. Die Stadt Köln hat 17.000 Angestellte – und allein in den vergangenen drei Jahren in der Amtszeit von Henriette Reker hat die Stadt 2000 neue Stellen schaffen müssen. Das ist aber eine Situation, die nicht haltbar ist, eine Kommune kann schließlich nicht ständig Leute aufnehmen. Also muss die Stadt digitalisieren – um einerseits bürgerfreundlicher zu werden – das ist klar. Andererseits muss sie digitalisieren, um demokratiefreundlicher zu werden. Es ist ja auch mit Studien belegt, dass die BürgerInnen die Behördengänge online erledigen wollen. Reisepass, Auto an- und ummelden usw. kann ja alles online passieren.

Auf der anderen Seite, wenn ich digitalisiert habe ist alles vernetzt, und was vernetzt ist kann auch automatisiert werden. Diese Regel gilt immer und treibt die Digitalisierung – und damit die Automatisierung – zusätzlich an. 

Auch die gewählte Vertretung der Menschen? Beleuchtung, Kanalisation – das ist noch vorstellbar, aber die Politik? Ketzerisch gefragt, wozu bräuchte ich die gewählten Vertreter der Menschen noch?

… lacht … Unsere gewählten Vertreter wird es immer geben, einfach um die Interessen der Menschen wahrzunehmen. Aber Tatsache ist, dass das in China anders gesehen wird. Shenzhen**, eine mittlere Stadt mit zwölf Millionen Einwohner, wurde ein Jahr lang von einer künstlichen Intelligenz verwaltet – und niemand hats gemerkt.

Das ist aber ein gewaltiger Mentalitätsunterschied.

Genau. Dieselbe Mentalität hat auch keine Probleme damit, bepunktet zu werden. Bei guter Führung bekomme ich Gutpunkte, bei schlechter – bei Rot über die Straße, zu schnell fahren, oder eine Kippe hingeschmissen – kriege ich automatisch Negativpunkte auf mein Konto. Das ist in China so und die Chinesen sind stolz auf dieses System, weil sie durch die Ein-Kind-Politik sehr viele kleine Egomanen großgezogen haben. Da geht Eigennutz vor Gemeinnutz.

Was ich damit sagen will, ist folgendes: Natürlich könnte man die Verwaltung einer Stadt komplett in die Hände einer künstlichen Intelligenz geben. Besonders dann, wenn es eine sogenannte „Smart City“ ist, die sehr erstrebenswert ist. Ein Musterbeispiel für eine Smart City ist das Projekt Neom in Saudi-Arabien. In der Stadt Neom wird es 80 bis 90 Prozent weniger Verkehr geben, sie wird bis zu 90 Prozent weniger Energie brauchen, dafür aber mehr Strom erzeugen, wird weniger Abfall produzieren usw. 

Das ist aber nur möglich durch Technologie. 2050 leben geschätzt 75 Prozent der Menschen in Städten, in Megacitys – also größer als zehn Millionen Einwohner. Von den 40 Megacitys auf unserem Planeten sind aber 35 noch nicht gebaut – stellen sie sich das Potenzial vor. 

In Europa sehe ich diese Zukunft nicht. Da gibt es London, Paris, Madrid, Istanbul, Rom, vielleicht noch das Ballungsgebiet Ruhrpott und Berlin …

… keine dieser Megacitys wird in Europa liegen. Das ist schon richtig. Aber auch unsere Städte werden und müssen intelligent werden. Was ich sagen will ist Folgendes: Wenn von diesen 40 Megacitys noch 35 gebaut werden müssen, wäre es hoch attraktiv, wenn die nur einen Bruchteil der Kosten verbrauchen.

Aber ich kann die nicht alle Städte neu bauen. Ich kann keine Altstadt wegplanieren und dort eine smarte City hinbauen? Das sehe ich nicht!

Das habe ich auch nicht gesagt. Die 35 Citys müssen erst gebaut werden – und keine davon wird vermutlich in Europa liegen, sondern in Asien, in Afrika, vielleicht noch in Südamerika. Und da sage ich, lasst uns sie so bauen, dass sie wirklich smart sind.

2050 werden von den 10,5 Milliarden Menschen 7,5 Milliarden in Städten leben. Wenn wir dafür sorgen können, dass die 70 bis 80 Prozent weniger Energie und Ressourcen verbrauchen, 70 bis 80 Prozent weniger Verkehr produzieren, dann ist das doch hoch attraktiv. 

Wo bleiben denn in der Rechnung die Bewohner der kleinen und mittleren Gemeinden? Brauchen wir für diese Menschen Smart Regions oder ähnliches?

Richtig. Wir müssen nur dafür sorgen, dass wir Technologie nutzen, wo immer es geht. Dazu gehört, dass wir Dinge effizienter nutzen, die Flächen besser nutzen, dass wir ökonomischer und vor allem ökologischer handeln können. Darum sage ich, lasst uns die Technologie nutzen, um die Probleme der Welt zu lösen. Eine smarte Region verwaltet sich ja tatsächlich von allein.

Man hat die Leute dazu ja auch schon befragt. In Estland gibt es eine vollautomatisierte Verwaltung, wo sie ja praktisch alles online machen können. Die Bürger dort finden dieses System demokratischer, vor allem, weil man sie zu jedem Vorgang befragen kann. Das ist ein Schritt hin zu mehr Basisdemokratie und ist ein Beleg dafür, dass sich die Bürger in einem Land wohler fühlen, wo es eine hochautomatisierte Verwaltung gibt. 

Glauben Sie nicht, dass die Automatisierung, die in einem ersten Schritt viele Arbeitsplätze kostet, bevor sie welche generiert, bei den Bürgern Angst um den Job weckt? Die sind ja das Potenzial für die Le Pens dieser Welt.

Ganz sicher. Die hälfte der Arbeit wird in 20, 25 Jahren weg sein. Lasst uns über alternative Einkommen, bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgereinkommen, Maschinensteuer, Robotersteuer nachdenken. Und wir müssen jetzt darüber nachdenken, weil es so ist, wie Sie es skizziert haben. Die Menschen wissen nicht, was passiert, wenn der Job weg ist. Daher wollen viele, dass sich nichts ändert. Und laufen Le Pen und dem Gauweiler hinterher.

Auch das bedingungslose Grundeinkommen allein wird nichts nutzen, die Menschen brauchen ja einen Sinn im Leben – sonst generiere ich sozusagen Unzufriedenheit aus Langeweile.

Im meinem neuen Buch „Erde 5.0“ gibt es ein Kapitel „Bildung, wo es darum geht, was die Menschen machen können, wenn sie nicht mehr arbeiten müssen. In 40, 50 Jahren werden wir eine Gesellschaft ohne Arbeit haben, oder besser eine Gesellschaft haben, in der wir nicht mehr für Geld arbeiten müssen.

Arbeit wird uns nie ausgehen, und wenn wir eine Million km² Bäume pflanzen oder Entwicklungshilfe in Afrika machen. Vielleicht haben wir in den Schulen dann drei, vier Lehrer pro Klasse mit zehn Kindern. Das würde vor allem auch bei Migrantenklassen, die die Sprache nicht beherrschen, helfen. 

Ist das nicht ein Widerspruch? Die Gesellschaft verlangt heute von der Verwaltung, so sparsam wie nur möglich zu agieren. Wie finanziere ich als Verwaltung dann vier Lehrer pro Klasse?

Das ist doch das Perverse. Wir beurteilen die falschen Dinge, weil wir der Ökonomie, dem Kapitalismus, hinterherlaufen, einem System, das im Grunde am Ende ist. Das wird bald nicht mehr funktionieren, aber wir versuchen immer noch, Sparsamkeit zu predigen, eine schwarze Null zu erreichen – was ich für einen groben Fehler halte. Und überdies geht das alles auf Kosten anderer, was unfair ist, unser Wohlstand geht auf Kosten der Armut anderer. Ich halte das für einen groben Fehler.

Heute sind vielleicht 30 Millionen in der Sahara und unter lebensfeindlichsten Bedingungen auf dem Weg nach Europa. Die sieht keiner. Aber wenn der Klimawandel so geht weiter, in vielen Gegenden das Wasser verschwinden wird, das Bevölkerungswachstum in Afrika so weitergeht, werden sich nach heutiger Schätzung bis zu 800 Millionen Menschen Richtung Norden, Richtung Europa auf den Weg machen. Da werden uns Zäune nicht viel nützen.

Wir müssen einen Systemwechsel vornehmen und von sozialer Marktwirtschaft auf ökosoziale Marktwirtschaft, wo Ineffizienz wie CO2-Verschwendung oder Kohlekraftwerke, Plastik usw. pönalisiert wird, schwenken. Und gleichzeitig müssen wir alles, was ökologisch ist, fördern.

Und noch was zu den Arbeitsplätzen: Wenn das Auto demnächst wirklich autonom fährt – Ford hat das in den USA für 2021 in den Städten beantragt – werden wir eine Unzahl an Arbeitsplätzen verlieren. Und aus Taxlern oder LKW-Fahrern machen wir auf die Schnelle auch keine Informatiker.

Die Steuern, die diese dann Arbeitslosen dem Staat gebracht haben, sind verloren. Es sei denn, die Maschine zahlt diese Steuern weiter! Daraus kann ich dann wieder bedingungsloses Grundeinkommen, mehr Lehrer usw. finanzieren. Wir werden an Maschinen und Robotersteuern nicht vorbeikommen.

Digital-Evangelist Karl-Heinz Land
Karl-Heinz Land: "Der technologische Fortschritt ist Ursache vieler unserer Probleme, trägt aber auch die Lösung in sich."

Was die öffentliche Hand durch autonomes Fahren an Gebühren für Führerscheine, Parkgebühren usw. verlieren würde, ging allein in die zig Millionen. Das muss ja kompensiert werden – und das wird durch automatisierte Kanalservices nicht gehen.

Meine These ist, dass wir komplett umdenken müssen. Sozial- und Rentensysteme, unsere Marktwirtschaft – das wird alles nicht mehr funktionieren. Es einfach nicht zu besprechen, macht nicht besser.

Durch autonom fahrende Autos werden wir nur mehr jedes fünfte Auto brauchen – die sind ja ständig im Sharing-Einsatz und parken nicht 95 Prozent der Zeit. Dadurch brauchen wir dramatisch weniger Autos. Allein in Deutschland gibt es 40 Millionen Autos, dann aber nur mehr acht! Wenn wir dann nur noch 20 Prozent der Autos produzieren, was passiert dann mit der Produktion, den Zulieferern, den Maschinen- und Anlagenbauern, der chemischen Industrie und der Energieindustrie passieren wird? Das sind ja 25 Prozent des BIP, die da betroffen sind. Ob wir das wollen oder nicht: In Deutschland werden wir vom BIP (das waren 2017 rund 3520 Milliarden Euro) rund 400 Milliarden verlieren. Dann wird sich das Wachstum von eins Komma irgendwas Prozent ins Negative umkehren. Und zwar reden wir dann von sieben bis zehn Prozent Negativwachstum über Jahre! Unser System, wie wir es jetzt kennen, wird kollabieren!

Jetzt müssen wir die Weichenstellungen vornehmen, wie wir tun wollen.

Gibt’s da Überlegungen, wie wir die Leute, die nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert werden können oder mit unserer älter werdenden Gesellschaft umgehen?

In der Übergangszeit wird das teilweise ruppig werden. Das hat ja noch niemand richtig durchdacht, was das heißt. Uns es wird zu Ungerechtigkeiten kommen, wenn wir uns eine neue Marktwirtschaft aufbauen – und es wird Verletzte und Tote geben. Das scheint mir glasklar.

Aber es hilft nichts, wir müssen es jetzt denken. Jetzt haben wir noch – hoffentlich – 20 bis 25 Jahre Zeit, um neue Systeme zu installieren. Und klar ist auch, dass es nicht ohne ökosoziale Marktwirtschaft gehen wird, wo wir Ökologie und Ökonomie und Marktwirtschaft sozusagen miteinander „verheiraten“. Im technologischen Fortschritt liegt unglaublich viel Potenzial. Und wir müssen die Technologie nutzen, Protektionismus und einseitiges Verharren verhindern nur.

Wir müssen uns auch überlegen, wie wir die Menschen in sinnvolles Brot bringen können. Wahrscheinlich wird’s viele Jobs geben, wo wir nicht mehr für Geld arbeiten. Es gibt dann vielleicht in den Gemeinden mehr Eigeninitiative, wo Menschen aus eigenem Antrieb sich um ihre paar Quadratmeter Gehsteig und Straße kümmern und Gärtnern und die reinigen. Diese Beispiele gibt es schon, wie ich aus eigenem Erleben in New York erfahren habe. Da habe ich Leute getroffen, die mir auf meine Frage geantwortet haben, dass „ist mein Stück vom Central Park, das pflege ich!“ geantwortet haben. Die Leute haben kein Geld dafür bekommen, waren aber beschäftigt.

Ich glaube, wenn der Mensch versorgt ist, wird er für sich Beschäftigung finden. Er ist ja nicht zwangsläufig nur zum Arbeiten geboren. In 40, 50 Jahren wird niemand mehr für Geld arbeiten müssen. Und wir müssen uns auf eine Welt einstellen, die auf die Arbeitsfreiheit zugeht. Kultur, Philosophie, Musik, Kunst – das wird einen ganz anderen Stellenwert in unserem Leben bekommen. 

Das erinnert ein bisschen an John F. Kennedy, der gemeint hat, dass „man nicht fragen soll, was die Gesellschaft für einen tut, sondern fragen soll, was man selbst für die Gesellschaft tun soll“. Das ist nun ein paar Jahre her und zumindest bei uns hat diese Einstellung noch nicht um sich gegriffen?

Auch das ist richtig. Wir haben unsere gesamte Innovationskraft der vergangenen 50 Jahre einseitig immer zum wirtschaftlichen Fortkommen benutzt. Die Natur, die Umwelt, der Mensch hat massiv gelitten. Ich sage, dass wir jetzt dafür sorgen müssen, dass das Leben ökologisch und sozial verträglich ist. Wir müssen vom Shareholder-Value, also den Aktionären, weggehen und sehen, dass wir zum „Total Social Impact“ kommen. Da ist die Frage gemeint, was kann ich für meine Umwelt tun, für den Planeten, für die Mitarbeiter, für die Menschen.

Ich bin mit dieser Forderung auch nicht mehr alleine. Joe Kaeser von Siemens sagt das gleiche. Tim Höttges von der Telekom sagt, dass das richtig ist, selbst Robert Fink, der Chef der US-Fondsgesellschaft Blackrock sagt, wir müssen sozial verträglich denken, sonst sind unsere Investments nicht mehr sicher.

Milton Friedman hat einmal gesagt, „the business of business is business“. Inzwischen heißt es, „the business of business is also social impact“.

Also sagt auch das Kapital schon, dass es besser ist, nachhaltig zu wirtschaften, weil sonst mein Kapital gefährdet ist. Und wie die Panama-Papers gezeigt haben, ist das auch nicht geheim zu halten. Die Digitalisierung schafft hier auch Transparenz. Mehr Transparenz hilft aber auch wieder den Kommunen, weil letzten Endes dadurch das Demokratieverständnis steigt. 

Wo müsste man in den Gemeinden ansetzen, damit das Umdenken verfestigt wird, es muss ja n die Breite gehen?

Wir müssen uns auch Vorbild bei denen nehmen, die es schon erfolgreich vormachen – Estland zum Beispiel. Die haben das innerhalb von drei Jahren komplett gemacht und sind hoch effizient. 

Bei uns ist der Tenor der Diskussion, dass es ein Feld gibt, wo die Digitalisierung den Menschen nicht ablöst – und zwar bei der Pflege älterer Menschen. Ist das die Aufgabe der Zukunft?

Auch in der Pflege wird es – wie das Beispiel Japan zeigt – einen hohen Roboteranteil geben. Einerseits das Roboterkuscheltier und andererseits der Roboter, der hilft, den 90-Kilo-Mann zu wenden. In der Konsequenz hat die Pflegerin für das persönliche Gespräch mehr Zeit. Es wird also in der Pflege eine deutliche Automatisierung geben.

Es geht jetzt auch weniger darum, die Dinge richtig zu tun, sondern mehr darum, die richtigen Dinge zu tun. Das ist ein Unterschied. Wäre es denn nicht besser, wenn sich arbeitsfreie Menschen ans Bett einer älteren Person setzen und denen die Hand halten und dabei eine Geschichte vorlesen? Zeigen Sie mir den Pfleger, die Pflegerin, die das heute kann.

Welches Umdenken müsste in der öffentlichen Verwaltung passieren?

Die muss einfach kundenorientierter werden. Da waren Verwaltungen nie gut. Es muss auch für Gemeinden das Denken im Vordergrund sein, „was will denn mein Kunde?“ Verwaltung drehen sich oft um die eigene Achse, ohne etwas zu bewegen. Wenn ich überlege, wie der Service aussehen müsste, damit der Kunde zufrieden ist, würden wir auf ganz neuen Services kommen. Es gibt solche Gemeinden schon – und meistens sind es die, die massiv unter Druck gekommen sind.

Als im Ruhrgebiet die Kohle und damit die metallverarbeitende Industrie weg war, haben die Gemeinden aus dem Ruhrpott eine Kulturstätte gemacht. Heute ist dort kein schwarzes Loch mehr, sondern es ist unglaublich grün und hat mit die reinste Luft Deutschlands. Gleichzeitig sind dort die vielfältigsten Angebote auf kulturellem Gebiet, im Bildungsbereich usw.

In diesem Umbau hat ein komplett neues Denken stattgefunden, weil die komplett neu denken mussten. Welche Angebote brauche ich, welche Bedingungen muss ich schaffen, damit Leute hinkommen oder bleiben – das ist auch eine Vorbildwirkung für einen Strukturwandel.

Da heißt also, wenn die Not am Größten ist, beginnt das Umdenken. Ist die Not in Europa schon groß genug?

Ich glaube ja. Denken sie mal an die beschämende Entwicklung mit den Rechtsradikalen in Europa. Das kommt doch daher, weil die Menschen schon hoch verunsichert sind. Soziale Ungerechtigkeit, Klimawandel, Migration, Flüchtlinge, alternde Bevölkerung, Umweltverschmutzung – das alles führt immer zu sozialer Instabilität und dann kommen die Monster, von denen wir gesprochen haben, setzen sich drauf und kochen ihr Süppchen. Und dann verziehen sie sich, wenn sie an Boris Johnson und den Brexit denken.

Die Unzufriedenheit ist da, die Gemeinden spüren das schon, wir wissen aber nicht, wie wir damit umgehen sollen. Und die wenigsten haben begriffen, dass der technologische Wandel nicht nur die Ursache vieler Probleme ist, sondern auch die Lösung.