Bianca Fürst
„Das ist eine Perspektive, die ich für junge Politikerinnen ganz wichtig finde.“ Bianca Fürst über die künftige Möglichkeit, auch als Bürgermeisterin in Karenz zu gehen.
© Gemeinde Hochwolkersdor

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„Bürgermeisterin ist ein Vollzeitjob“

Jung, weiblich, Bürgermeisterin: Diese in Österreich noch immer viel zu seltene Kombination gibt es nun in Hochwolkersdorf, nachdem die 31-jährige Bianca Fürst den Chefsessel übernommen hat.

In Österreich sind rund ein Viertel aller Kommunalpolitiker Frauen – im Bürgermeisteramt hingegen sind es nur knapp über zehn Prozent. Jünger als 40 Jahre sind überhaupt nur ein gutes Dutzend. Umso erfreulicher ist es, wenn eine junge Frau als Ortschefin ihr Amt antritt und dazu beiträgt, dass sich das demografische Verhältnis in den kommunalen Führungspositionen jenem der Bevölkerung annähert. So geschehen ist es jüngst in Hochwolkersdorf.

Tor der Buckligen Welt
Howodo, wie der Ort in der Region genannt wird, liegt in der Buckligen Welt. Von hier hat man Ausblick auf die Rax, den Schneeberg, den Wechsel und die Hohe Wand. 

Seit 11. Oktober 2023 leitet dort Bianca Fürst die Geschicke ihrer Gemeinde. Nachdem sie sich schon zuvor im Ortsleben, etwa bei Veranstaltungen, engagiert hatte, entschloss sich die 31-jährige Niederösterreicherin im Jahr 2015, aktiv bei der Ortsgruppe der ÖVP mitzuwirken. Eine Funktion im Gemeinderat strebte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht an. Dass sie selbst einmal die Gemeinde leiten würde, hätte damals niemand geahnt, einschließlich ihr selbst. Schließlich stellte in Hochwolkersdorf seit jeher die SPÖ den Bürgermeister – in Summe 75 Jahre lang.

2020 Eskalation im Gemeinderat

Vor drei Jahren änderten sich jedoch die Kräfteverhältnisse. Nach den Wahlen 2020 gab es zwischen den in den Gemeinderat gewählten Parteien Querelen, die so weit eskalierten, dass der Gemeinderat in der konstituierenden Sitzung umgehend wieder aufgelöst wurde.

„Das Ganze hat eine Woche vor dem ersten Corona-Lockdown stattgefunden. Das war natürlich ein Super-GAU für die gesamte Gemeinde“, erinnert sich Fürst zurück. Gemeinsam mit Spitzenkandidat Martin Puchegger stellte sie daraufhin ein junges Team zusammen, das nicht nur ÖVP-Vertreter umfasste, sondern auch andere, unabhängige Personen mit ins Boot holte. Diese wollten gerne im Gemeinderat mitarbeiten, sich aber weder zu Rot noch zu Schwarz zählen, weshalb man in Folge als Liste „Miteinander Hochwolkersdorf - Volkspartei und Unabhängige“ antrat. 

„Martin Puchegger und ich haben fünf Wochen lang versucht alle Haushalte in der Gemeinde zu besuchen, manche auch doppelt, wenn beim ersten Mal niemand anzutreffen war. Dabei haben wir gemerkt, dass die Leute wirklich eine Veränderung wollten“, erinnert sich Fürst zurück.

Tatsächlich gelang es der Liste bei der neuerlichen Wahl die absolute Mehrheit zu erringen. Puchegger wurde Bürgermeister und Fürst seine Stellvertreterin.

Zu tun gab es genug, denn „wir hatten viele alteingesessene Gemeinderäte, die teilweise schon 30 Jahre im Amt waren. Es brauchte dringend frischen Wind und Schwung. Daher kam es zu einem Generationenwechsel bei beiden Fraktionen, die nun im Gemeinderat tätig sind“, erklärt Fürst. Projekte seien kaum noch in Angriff genommen worden. „So schwierig der Start für uns in der Pandemie-Zeit auch war, so hatten wir durch den Wegfall sämtlicher Veranstaltungen und Festivitäten genug Zeit, um uns in die Gemeindearbeit hineinzutigern.“

Das tat das junge und motivierte Team auch, wenngleich Puchegger und Fürst ihre bisherigen Berufe weiter ausübten. „Vor 20 oder 30 Jahren ist es vielleicht noch möglich gewesen, einen Tag in der Woche auf dem Gemeindeamt zu verbringen und nebenbei einen Job zu meistern. Mittlerweile hat sich das aber stark geändert.

Die Verantwortung wird von Bund und Ländern immer mehr an die Gemeinden übertragen und die Arbeit wird stetig mehr. Das Gehalt für eine Bürgermeisterin in einem kleinen Ort ist auch nicht unbedingt berauschend, gemessen an der Verantwortung, die man eigentlich trägt“, konstatiert Fürst, „darum sind viele dennoch nach wie vor berufstätig, um finanziell abgesichert zu sein. Man weiß ja nie, wie die nächste Wahl ausgeht.“

Führungsrolle übernommen

Nachdem Martin Puchegger im heurigen Jahr aufgrund von beruflichen Veränderungen wieder auf Vollzeitarbeit aufstocken musste, war sein Beruf mit dem Amt kaum noch vereinbar. Eine Lösung musste her. Da Bianca Fürst schon bestens mit den laufenden Projekten vertraut war, war ein Wechsel von ihr an die Spitze der Gemeinde die naheliegendste Lösung. „Das war der Punkt, an dem ich erst einmal sehr viel nachdenken musste“, bekennt sie offen. Darum hat sie sich einige Zeit dafür genommen, Für und Wider abzuwägen. 

„Ich bin mit 31 Jahren doch noch recht jung und habe mir dieses Ziel jetzt noch gar nicht vor Augen gehalten. Frühestens in zehn oder fünfzehn Jahren vielleicht.“ Nichtsdestotrotz war die Entscheidung für sie jetzt zu treffen. Fürst hat sich schließlich dafür entschieden, die Führungsrolle zu übernehmen, und zwar in dem Bewusstsein, dass sie ihren Beruf aufgeben würde müssen, denn beides zugleich wäre zu umfangreich gewesen. So vollzog sich ein Wechsel: Der Bürgermeister und seine Stellvertreterin tauschten die Rollen. Auf diese Weise kann Puchegger weiter­hin „seine“ Projekte, wie etwa die Kanal­erweiterung oder den Neubau des Bauhofs und des Wertstoffsammelzentrums, zu einem guten Abschluss führen und Fürst das Arbeitspensum bewältigen, das das Amt erfordert.    

Vollzeitbürgermeisterin

Bianca Fürst hat internationale Wirtschaftsbeziehungen studiert und zunächst in einem Logistikunternehmen gearbeitet. Dort  hat sie sich zunehmend auf das Personalwesen spezialisiert und in weiterer Folge berufsbegleitend einen Master im Personalbereich absolviert. Nach einem Jobwechsel war sie die vergangenen fünf Jahre ausschließlich im Personalwesen tätig.

Zur gleichen Erkenntnis, die ihr Vorgänger nun nach drei Jahren ziehen musste, kam auch Fürst: „Bürgermeister(in) ist ein Vollzeitjob!“ Sie gab daher ihre bisherige Arbeitsstelle und Karriere auf und widmet sich seit Mitte Oktober mit all ihrer Kraft ausschließlich den Gemeindebelangen. Wie lange? Das kommt darauf an. Wenn der Tenor der Bevölkerung ein positiver ist und das Wahlergebnis ein gutes, kann sie es sich durchaus auch längerfristig vorstellen.

„Selbstverständlich steht für mich mit meinen 31 Jahren auch irgendwann das Thema Familienplanung im Raum und da hat bei meiner Entscheidung natürlich auch mitgespielt, dass es in Niederösterreich ab 2024 möglich sein wird, auch als Bürgermeisterin in Karenz zu gehen.  Das ist eine Perspektive, die ich für junge Politikerinnen ganz wichtig finde.“

Gemeindeamt Hochwolkersdorf
Im Gemeindeamt von Hochwolkersdorf befindet sich ein Gedenkraum, der an die historischen Verhandlungen mit den Sowjets Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. 
Hochwolkersdorf wird auch Geburtsort der Zweiten Republik genannt. Im April 1945 wurden hier die ersten Verhandlungen zwischen den Sowjets und Dr. Karl Renner über die Gründung der Zweiten Republik und eine kampflose Übergabe Wiens geführt.

Gedenkraum im Gemeindeamt Hochwolkersdorf

Aktuell stehen für die frischgebackene Bürgermeisterin aber noch ganz andere Prioritäten auf der Tagesordnung. Auch wenn schon viele Projekte in der Gemeinde angegangen wurden, bleibt noch genug zu tun. Manches, wie beispielsweise der Generationenspielplatz, lässt sich schneller umsetzen, anderes braucht länger. Etwa die Suche nach einer Nachfolge für die Amtsleitung. Die jetzige geht mit Ende des Jahres in Pension und der Fachkräftemangel, der auch vor den Gemeinden nicht halt macht, gestaltete das Finden einer qualifizierten Person sehr schwierig. Zwar habe man in Hochwolkersdorf vorausschauend schon vor zwei Jahren zu suchen begonnen und zwischenzeitlich auch gedacht, fündig geworden zu sein, doch die mit der Amtsleitung verbundene Verantwortung sei nicht zu unterschätzen – und so sah sich die auf Personal­wesen spezialisierte Ortschefin nun auch im Bürgermeisteramt mit den Herausforderungen ihres alten Berufs konfrontiert. Mit Jahreswechsel sollte diese Position dann hoffentlich wieder gut nachbesetzt werden können. 

Neue Flächen können wir nicht umwidmen, weil noch zu viele vorhandene Baugründe unbebaut sind.“

Ein noch größeres Problem in Howodo, wie Hochwolkersdorf in der Region landläufig genannt wird, ist die Verfügbarkeit von Bauland.

„Es gibt bei uns im Ort grundsätzlich sehr viele Flächen, die als Bauland gewidmet sind. Diese Flächen wurden vor mehreren Jahrzehnten ohne jegliche Auflagen oder Bauzwang umgewidmet, oft aber gar nicht bebaut. Die Gemeinde selbst hat bedauerlicherweise keine Baugründe und die Besitzer der besagten Baugrundstücke sind leider nicht gesprächsbereit beziehungsweise möchten nicht verkaufen.“ Dadurch kann die Gemeinde jungen Familien keine Grundstücke zur Verfügung stellen, dabei wäre das sehr wichtig, um der Abwanderung entgegenzuwirken. 

Hochwolkersdorf ist eine Tausend-Seelen-Gemeinde mitten in der Buckligen Welt – idyllisch und wunderschön, aus Verkehrssicht aber etwas abgelegen. Wiener Neustadt ist rund 20 Kilometer entfernt, Autobahn und Bahnhof sind ähnlich weit weg. Wenn die Jugend dann noch mangels Baugründen keine Möglichkeit sieht, im Ort zu bleiben, wandert sie in die Stadt ab. Durch Ausbildung, Studium und Beruf zieht es manche noch viel weiter weg. Die Anreize, wieder zurückzukommen oder gleich hierzubleiben, sind ohne Baugründe gering.

Hochwolkersdorf
Die Gemeinde liegt im südöstlichen Teil von Niederösterreich (Bezirk Wiener Neustadt Land) auf einer Seehöhe von rund 625 Meter.

„Dieses Dilemma besteht bei uns seit Jahrzehnten. Man kann zwar mit den Leuten reden, aber als Gemeinde haben wir sonst kaum Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Neue Flächen können wir nicht umwidmen, weil noch zu viele vorhandene Baugründe unbebaut sind.“

Infolgedessen überaltert die Bevölkerung zunehmend. Verstärkt wird diese Entwicklung noch durch die geburtenschwachen Jahrgänge. Umso wichtiger ist es für Fürst, das Umfeld für Kinder und junge Menschen so attraktiv wie möglich zu gestalten. Federführend beteiligt war sie schon bisher bei der Ferienbetreuung für Kinder. In den nächsten Jahren sind der Aus- und Zubau beim Kindergarten und der Volksschule ihr erklärter Schwerpunkt. Das ist aber nicht der einzige. Dringend vorantreiben möchte die Bürgermeisterin auch den Glasfaserausbau, der in den Jahren davor leider komplett verabsäumt wurde. „Das ist eine Grundinfrastruktur, die für alle Generationen ganz wesentlich ist“, weiß die Ortschefin. 

Mit ihrem Enthusiasmus und ihrem Engagement steht Bianca Fürst selbst als bestes Beispiel dafür, dass junge Menschen ihre ländliche Heimat zu einem modernen und zukunftsfitten Lebensraum formen können. Es ist der Bürgermeisterin zu wünschen, dass ihr das bestmöglich gelingt und sich viele andere ein Beispiel an ihr nehmen mögen. 

Zur Person

Bianca Fürst

Alter: 40
Gemeinde: Hochwolkersdorf 
Einwohnerzahl: 1.001 (Jänner 2023)
Bürgermeisterin seit: 11. Oktober 2023
Partei: Liste HOCH (ÖVP)