Viele Gesetze sind von so schlechter Qualität, dass sie nicht einmal von ausgebildeten Juristen sinnerfassend gelesen werden können.
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Zu viele Gesetze verderben den Staat

Seit Jahren fordern die Gemeinden eine Verwaltungsreform, wenn es denn schon keine Bundesstaatsreform gibt. Wichtigstes Ziel: Weg von den wuchernden Regelungen und Bestimmungen, die ein vernünftiges Arbeiten teilweise unmöglich machen. Wie es tatsächlich mit der „Vereinfachung der Verwaltung“ aussieht, haben wir uns genauer angesehen.

Der scheidende Präsident des Rechnungshofes Josef Moser hat dem Staat erst kürzlich 1007 Reformvorschläge hinterlassen. Dazu muss gesagt werden, dass diese Vorschläge den handelnden Akteuren in unserem Staat durchaus nicht unbekannt sind, etwa schon seit dem Österreich-Konvent, der vor mehr als einem Jahrzehnt stattfand. Auch die Bundesregierung hat in ihrem aktuellen Arbeitsprogramm vereinbart, weitere Schritte in Richtung Verwaltungsvereinfachung, Modernisierung, Entbürokratisierung, Effizienz und Bürgernähe zu setzen. Hier wurde sicher auch schon manches angegangen. Es wurde etwa auch ein Reformdialog abgehalten bzw. eine Kommission eingesetzt. Der Abschlussbericht dieser sogenannten Aufgabenreform- und Deregulierungskommission vom Juni 2015 kann sich auch sehen lassen. Er listet auf 327 Seiten eine große Anzahl von Sachverhalten auf, die in diesem Staat verbessert werden könnten.


Es ist schon einmal ein guter erster Schritt, wenn man weiß, welche Normen vielleicht antiquiert oder totes Recht sind, wo es teure Doppelgleisigkeiten gibt, welche Angelegenheiten mit einer neuen Technologie viel leichter zu bewältigen sind. Das ist aber wie die Bekämpfung von Symptomen, um die Ursachen kümmert man sich weniger.


Vor allem ist es aber die unüberlegte und wenig praxisorientierte Gesetzgebung. Hat man sich in solchen Deregulierungskommissionen denn je die Frage nach einer Verbesserung der Legistik gestellt? Es ist freilich nicht so, dass man gewisse neu geplante Normen vielleicht gar nicht brauchen würde, aber viele Unterfangen schießen aus Eitelkeit oder anderen falschen Intentionen übers Ziel hinaus. Bei der Umsetzung von EU-Recht kennt man das Problem des „Golden Plating". Vorgaben aus Brüssel werden in teurer Weise übererfüllt.


Manche Gesetze im Einzelnen oder in ihrer Gesamtheit stellen sich aber auch offen gegen den zu erzielenden Zweck. Sie erschweren die Praxis und der wachsende Rechtsbestand überwuchert das Gemeinwohl, das eigentlich der höchte Sinn unserer Rechtsordnung sein sollte. Der Gesetzgeber hat daher den Ehrgeiz, zu zeigen, dass Deregulierungskommissionen künftig arbeitslos werden sollen. Und dabei muss moderne Gesetzgebung eben nicht heißen, dass wir von einer Sturmflut von Regelungen und unverständlichen Normen überschwemmt werden, wo sich letztlich niemand auskennt. Weniger ist mehr!


Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, Univ.-Prof. Rudolf Thienel, hat es bei seinem Antritt in diesem Amt vor zwei Jahren auf den Punkt gebracht. Seiner Ansicht nach sind die Gesetze in Qualität und Quantität zu kritisieren. Viele Gesetze sind von einer so inferioren Qualität, dass sie nicht einmal von ausgebildeten Juristen sinnerfassend gelesen werden können. Das Wort Deutsch leitet sich eigentlich davon ab, dass es die Sprache war, die alle verstanden, also neben der Gebildetensprache Latein war Deutsch die Volkssprache. Zum Umfang der Gesetze braucht auch nicht viel gesagt werden. Die neue, 66. Auflage des Index der Bundesgesetzblätter lässt den Pegelstand der Gesetzesflut erahnen. Die erste Auflage 1948 kam mit 40 Seiten aus, heuer stehen wir – es ist lediglich der Index der Bundesgesetze – bei 784 Seiten.


In unserer Verfassung wird an prominenter Stelle festgestellt, dass das Recht vom Volk ausgeht. Dass es auch vom Volk verstanden und dem Volk zugutekommen soll, wird zu oft vergessen. Die Rechtsordnung darf daher mit Blick auf den kollektiven Wunsch nach positiven Rahmenbedingungen für Staat und Gesellschaft nicht mit einer Rankenpflanze verglichen werden, die alle anderen Gewächse des Gartens erstickt. Gesetze dürfen kein Selbstzweck sein, an denen einzelne Spezialisten Freude haben, sondern sie müssen ein Bild einer menschlichen Gesellschaft als Ziel vor Augen haben. So wird es ja auch in vielen Gemeinden gepflegt. Gemeindeentwicklungskonzepte und Perspektivengruppen sind dafür ein gutes Beispiel. Sie fragen nach den Stärken und Schwächen im Ort, und wo man sich in den nächsten 10-20 Jahren sieht. Diese Foren lösen sich von der täglichen Routine und dem beengten Arbeitsalltag, sie weiten den Blick und eröffnen Perspektiven. Mit solchen Methoden wird es für Entscheidungsträger viel leichter erkennbar, wo zurückgeschnitten, wo gejätet oder gegossen werden muss. Auf

staatlicher Ebene wären solche Perspektivengruppen oder zumindest der Blick auf das

Ganze bei der Gesetzgebung eine dringende Notwendigkeit.


Österreich war zwar eines der ersten Länder, in denen über den Konsultationsmechanismus eine Folgekostenabschätzung von Gesetzen und Verordnungen institutionalisiert wurde. Wenn es aber um die Praxis und um das Detail geht, sieht man, dass die Gesetzgebung eine Kostenverantwortung noch immer nicht verinnerlicht hat. Eine vorausschauende Gesetzgebung hat außerdem dafür Sorge zu tragen, wie Gesetze und Verordnungen in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt werden können.


In einem Fachausdruck heißt das effektive Rechtsordnung. Wir wissen, dass Papier geduldig ist und auch dann und wann unerfüllbare Wünsche in einen Gesetzesentwurf hineingeschrieben werden können. Wer in einer legistischen Arbeit nicht an die Praxis denkt, führt den Rechtsstaat ad absurdum, weil er damit einräumt, dass dieses Gesetz nie effektiv vollzogen werden kann.


Die erst jüngste Diskussion über die Anfang Mai erlassene Einmeldeverordnung nach dem Telekommunikationsgesetz ist leider kein Einzelfall. Wie sollen Gemeinden Breitband-Infrastrukturen einmelden, wenn die vorerst gar nicht so konkret definiert sind oder auch die extra dafür errichtete Stelle zur Sammlung der Daten noch gar nicht so genau weiß, welche Daten, welches Datenformat etc. sie überhaupt will. Die Gemeinden wurden lediglich zu Jahresanfang per E-Mail darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet sein werden, irgendetwas zu melden. Die erste Kritik des Gemeindebundes in einer Stellungnahme hat freilich ein wenig gefruchtet. Anfang Mai wurde eine entsprechende Verordnung erlassen, die im Gegensatz zum Erstentwurf zwar schon etwas entschärft war.


Aber es war noch immer keine Idee, kein Plan des Verordnungsgebers vorhanden, wie die nun abgespeckten Einmeldeverpflichtungen überhaupt an die Gemeinden kommuniziert werden, wie der Verordnungstext zu verstehen ist. Es ist auch bislang noch nicht klar, wie man mit Leermeldungen umgehen soll, oder ob solche überhaupt erfolgen müssen. Der Gemeindebund wird sich jedenfalls dafür einsetzen, dass der Aufwand so gering wie möglich gehalten wird. Ein Informationsschreiben gemeinsam mit dem Städtebund war zu Redaktionsschluss in Arbeit. Es ist kein Zeichen einer guten Gesetzgebung, einen Verordnungsentwurf wie einen Medizinball einmal planlos in die gegnerische Spielhälfte zu schießen, um dann einmal sehen, was damit passiert.


Ähnliche Erfahrungen mit Meldepflichten machte man vor fünf Jahren mit dem sogenannten Medienkooperationsgesetz. Bis heute ist dieses Unding noch nicht entschärft, nach dem die Gemeinden quartalsweise zu Leermeldungen bei sonstiger Verwaltungsstrafe verpflichtet sein sollen. Maßgebliche Mitglieder der oben genannten Aufgabenreform- und Deregulierungskommission haben sich nach einem Jahr Arbeit dazu bekannt, dass es hier zu einer Vereinfachung kommen soll. O-Ton Professor Thienel: „Selbst wenn man den Transparenzgedanken hoch hält, würde es nicht auch genügen, Leermeldungen einmal im Jahr abzugeben?" Mit Kopfschütteln kann man dazu nur vermerken, dass gerade der Rechnungshof, der sich auch immer wieder für Effizienz und Sparsamkeit einsetzt, über die korrekte und fristgerechte Abgabe der Leermeldungen wacht, nicht nur von den Gemeinden, auch von zahlreichen Vereinen. Man kann davon ausgehen, dass die Vereinfachungsvorschläge des Gemeindebundes nicht im „Abschiedsgeschenk" des RH-Präsidenten Moser enthalten sind.


Ein weiteres Beispiel ist die Verpflichtung der Gemeinden zur Führung einer eigenen Schulpflichtmatrik. Seit Jahren bemüht sich der Gemeindebund, beim zuständigen Ressort einen Sinn für Synergie und Effizienz zu entfachen, leider bislang vergeblich. Das sind nur einige kuriose Beispiele, den aufmerksamen KOMMUNAL-Leser/innen ist durch die laufenden Berichte wohl eine Vielzahl weiterer „Schildbürgerstreiche" bekannt.


Es ist seit Jahrzehnten Tatsache, dass die Legistik oft am Bürger oder am Anwender in den Gemeinden vorbeiregiert und mit komplizierten und unsinnigen Regelungen die Leistungskraft der Kommunen schwächt. Wie sollen einfache Amtsleiter in den Gemeinden mit mangelhaften und überschießenden Gesetzen zu Rande kommen, wenn es sogar der Präsident des Höchstgerichtes einmahnt.


Der Staats- und Verwaltungsrechtler Thienel bringt es auf den Punkt: „In Österreich regiert ein bisschen zu viel Staat." Man müsse, so der VwGH-Präsident, den reformerischen Mut haben und überlegen, ob man nicht auf einzelne Gesetze überhaupt verzichten kann. Ganz klar nahm Thienel schon vor zwei Jahren zum Vergaberecht Stellung, das seiner Ansicht nach seinem eigenen Zweck zuwiderlaufe, da es vor allem für kleine Auftraggeber oder mittlere Wirtschaftsbetriebe viel zu komplex sei. Da derzeit eine größere Vergaberechtsnovelle in Arbeit ist, wird man sich die legistischen Ergüsse wohl auch hier wieder sehr genau ansehen müssen.


Rechtswissenschafter räumen ein, dass komplizierte Regelungen im Trend der Zeit liegen. Aber man muss bei einer solchen Überfütterung mit Gesetzen auch einen guten Magen haben. Letztlich darf der Gesetzgeber seine Hände nicht in Unschuld waschen, wenn der sicher gut gemeinte Zweck der Gesetze in die Hose geht.



Ein österreichischer Staatsreformer hat bereits vor rund 170 Jahren gemeint, dass eine nur auf den Status quo bedachte Politik, die alle selbstständige Entwicklung des öffentlichen Lebens und der Gemeinden hemmt und an tausend Förmlichkeiten, Schreibereien und Plackereien bindet, nicht bestehen darf. Dies muss auch für unsere künftige Gesetzgebung gelten.



 

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