Das österreichische Erbe früherer Raumordnung hat sich in maßlosen Baulandwidmungen niedergeschlagen, die zu einer unvorstellbar großen Baulandreserve geführt haben.
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Wie man den Flächenvielfraß auf Diät setzt

Die Gemeinden stehen vor einem Dilemma: Einerseits müssen sie „wachsen“ dürfen, was bedeutet, sie müssen – neben der Bestandsverdichtung – auch neue Baugründe ausweisen dürfen. Andererseits sollen sie mit dem kostbaren Gut Boden sparsam umgehen. Und da sieht es dramatisch aus: Pro Minute gehen in Österreich statistisch betrachtet 30,8 Quadratmeter Ackerfläche verloren. 37,44 Quadratmeter Boden werden in diesem Zeitraum versiegelt, davon 9,89 Quadratmeter für Straßen.

Mit diesen erschreckenden Zahlen werden die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Boden für Alle“ im Architekturzentrum Wien begrüßt. Die Ausstellung widmet sich dem kostbaren Gut Boden, der durch sorglosen Umgang in den vergangenen Jahrzehnten rapide geschwunden ist, was unsere Dörfer und Städte massiv verändert hat. Eine Zeitleiste zum Grundeigentum in Österreich und zur Entwicklung von Raumordnungsinstrumenten zeigt, dass die Raumplanung ein zahnloser Papiertiger ist, weil der Eigentumsschutz hochgehalten wird.

Doch es gibt Möglichkeiten für Gemeinden und ihre Bürgerinnen und Bürger, sparsam mit Grund und Boden umzugehen. Das beweisen nicht nur die 16 „Best Practice“-Beispiele aus Österreich und anderen Ländern in der Ausstellung, sondern auch die Tipps von Expertinnen und Experten:

Schweres Erbe Baulandwidmung

Die österreichische Siedlungstätigkeit sei gekennzeichnet durch ausufernde Siedlungsränder, eine niedrige Bebauungsdichte, niedrige Geschoßzahlen und ein schwerwiegendes Erbe, mit dem man umgehen müsse, sagt Gernot Stöglehner. Er ist Professor am Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der Universität für Bodenkultur in Wien. Dieses Erbe betrifft frühere maßlose Baulandwidmungen, die zu einer unvorstellbar großen Baulandreserve geführt haben: Sie beträgt 720 Quadratkilometer (= 72.000 Hektar).

Gernot Stöglehner
Gernot Stöglehner, Professor am Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der BOKU Wien: „Manchmal wurde eine Baulandwidmung für Enkelkinder beantragt, die noch gar nicht geboren sind.“ Foto: BOKU/Christian Fürthner.

Diese Reserve würde für 79 Jahre reichen, wenn pro Tag „nur“ 2,5 Hektar Boden verbraucht würden, wie in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Jahr 2002 festgeschrieben wurde. Tatsächlich werden aktuell rund 13 Hektar Boden pro Tag verbraucht. 26 Prozent des gewidmeten Baulandes in Österreich sind ungenutzt, und trotzdem wird weiterhin Grünland in Bauland umgewidmet.

Die Gemeinden würden den Baulandbedarf zumeist überschätzen, weiß Gernot Stöglehner. In Österreich gebe es aber kaum rechtlich bindende bodenpolitische Instrumente, um bereits gewidmetes Bauland zu mobilisieren.

Verkauf von Bauland kann nicht erzwungen werden

Wer ein als Bauland gewidmetes Grundstück besitzt und es nicht als solches nutzt, kann – außer für Straßen- oder Schienenbauten – nicht gezwungen werden, es zu verkaufen. Auch eine Rückwidmung in Grünland ist schwierig, weil dies mit Entschädigungen und damit hohen Kosten für  Gemeinden verbunden sein kann.

Gernot Stöglehner rät dazu, das Gespräch mit den Grundeigentümern zu suchen, um eine einvernehmliche Lösung zu erreichen: „Manchmal wurde eine Baulandwidmung für Enkelkinder beantragt, die noch gar nicht geboren sind.“

Anders sieht es bei neuen Baulandwidmungen aus. Hier kann man im Zuge der Vertragsraumordnung regulierend eingreifen. Im Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz 2014 heißt es beispielsweise:

„Bei der Neuwidmung von Bauland darf die Gemeinde eine Befristung von fünf Jahren festlegen. Diese ist im Flächenwidmungsplan ersichtlich zu machen. Die Gemeinde kann für unbebaute Grundstücke nach Ablauf der Frist innerhalb eines Jahres die Widmung ändern, wobei ein allfälliger Entschädigungsanspruch gemäß § 27 nicht entsteht.“

Bei der Widmung von Bauland darf die Gemeinde mit Grundeigentümern auch Verträge abschließen, durch die sich diese verpflichten, Grundstücke innerhalb einer bestimmten Frist zu bebauen bzw. der Gemeinde zum ortsüblichen Preis anzubieten.

Entscheidend: aktive Bodenpolitik

Erfahrungen mit der Rückwidmung des Bauland-Überhangs hat der ehemalige Bürgermeister von Zwischenwasser in Vorarlberg, Josef Mathis. Als er im Jahr 1980 Bürgermeister wurde, war eine seiner ersten Amtshandlungen, die Änderung des Flächenwidmungsplans in die Wege zu leiten.

Das Verfahren dauerte viele Jahre und führte zu Klagen des Landesvolksanwalts beim Verfassungsgerichtshof, die jedoch abgewiesen wurden. Dieser mutige Schritt hat die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung und eine außergewöhnliche Baukultur gesetzt, für die die Gemeinde im Jahr 2009 mit dem LandLuft Baukulturgemeinde-Preis ausgezeichnet wurde.

Heute ist Josef Mathis immer noch in Sachen sparsamer Bodenverbrauch aktiv: als Mitglied der Initiative „vau hoch drei“, die sich für gemeinwohlorientierte Raumentwicklung in Vorarlberg einsetzt. Das wichtigste Instrument dafür sei eine aktive Bodenpolitik, sagt Mathis. Eine Gemeinde müsse Grundstücke zur Verfügung haben, um sie bei Bedarf gegen zentrumsnahe Grundstücke tauschen oder für den Bau eines Wohnhauses, eines Betriebsgebietes oder anderer gemeinschaftlich wertvoller Projekte einsetzen zu können.

Josef Mathis
Josef Mathis, ehemaliger Bürgermeister von Zwischenwasser: „Eine Gemeinde muss Grundstücke zur Verfügung haben, um sie bei Bedarf gegen zentrumsnahe Grundstücke tauschen zu können.“ Foto: Land Vorarlberg/Serra

Ein Beispiel: Ein Landwirt hat einen alten Bauernhof im Ortskern, den er nicht nutzt und dessen Standort für die Errichtung von Wohnungen interessant wäre. Die Gemeinde gibt ihm stattdessen einen Grund im Außenbereich und vergibt das zentrumsnahe Grundstück im Baurecht an einen Bauträger. Dafür sei es notwendig, dass die Gemeinde aktiv nach Grundstücken Ausschau hält und diese vorsorgend kauft oder einen Verkauf vermittelt, um die Ortsentwicklung zu steuern, erklärt Josef Mathis.

Hohe Grundstückspreise als Hindernis für aktive Bodenpolitik

Ein Hindernis für eine aktive Bodenpolitik sind in Vorarlberg die sehr hohen Grundstückspreise. Deshalb hat die Initiative „vau hoch drei“ schon vor vielen Jahren die Gründung eines Bodenfonds gefordert, der solche Grundstückskäufe und -verkäufe übernehmen soll. Im März 2019 wurde dieser im Rahmen einer Novelle des Raumplanungs- und des Grundverkehrsgesetzes beschlossen. Allerdings sei der Topf noch leer, bedauert Josef Mathis.

Tirol hat seit 1994 einen Bodenfonds. Dieser kauft Grundstücke, entwickelt sie und gibt sie auf Vorschlag der Gemeinden für bodensparendes, leistbares Wohnen günstig weiter. In Salzburg kümmert sich die Salzburger Baulandsicherungsgesellschaft mbH um diese Aufgabe. Es wäre wünschenswert, so ein Instrument in ganz Österreich zu haben.

Außenentwicklung bedeutet hohe Kosten

Den Flächenverbrauch zu reduzieren sei für Gemeinden auch wichtig, weil die Außenentwicklung hohe Kosten für Infrastruktur verursacht, gibt der Raumplaner Reinhard Seiß zu bedenken.

Reinhard Seiß
Raumplaner Reinhard Seiß: „Neue Siedlungsgebiete sollten angrenzend an bestehende Ortskerne entstehen.“ Foto: Heidrun Schlögl

Abgelegene Siedlungsgebiete sind oft nur mit dem Auto erreichbar, für die erforderlichen Straßen wird wiederum Boden versiegelt. Neue Siedlungsgebiete, so sie wirklich nötig sind, sollten deshalb angrenzend an bestehende Ortskerne entstehen. Außerdem müssten Gemeinden bei der Parzellierung und den Bebauungsplänen für flächensparendes Bauen sorgen, sagt Reinhard Seiß. Einfamilienhäuser soll es natürlich weiterhin geben, allerdings in verdichteter Bauweise: „Die Gartenstadt Puchenau von Roland Rainer zeigt, dass Menschen auch auf kleinen Parzellen glücklich sein können.“

Innenentwicklung spart Fläche

Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass der Flächenverbrauch in Österreich nur reduziert werden kann, wenn die Gemeinden auf Innenentwicklung setzen. Das bedeutet, leer stehende Häuser, Geschäfte, Betriebsgebäude und Grundstücke im Ortskern wieder zu nutzen, zu erweitern oder durch neue Bauten zu ersetzen. Große Grundstücke könnte man teilen und ein zweites Haus darauf bauen oder an Bestehendes anbauen oder aufstocken.

„Wenn Qualität für die Allgemeinheit geboten wird, sollte eine höhere Dichte erlaubt sein“, erklärt Sibylla Zech, Professorin am Institut für Raumplanung der TU Wien und Raumplanerin beim Büro „stadtland“.

Sibylla Zech
Sibylla Zech, Professorin am Institut für Raumplanung der TU Wien: „Wenn Qualität für die Allgemeinheit geboten wird, sollte eine höhere Dichte erlaubt sein.“ Foto: TU - Forschungsbereich Regionalplanung und Regionalentwicklung

Dabei dürfe nicht auf die Freiraumdichte vergessen werden, also auf Plätze oder Gärten, die gemeinschaftlich genutzt werden. Grünräume sind wichtig für die Klimawandelanpassung (Pflanzen kühlen) und zur Versickerung von Niederschlägen, was wiederum Kosten für die Abwasserbehandlung spart und die Gefahr von Hochwässern reduziert. Eine Gemeinde, die öffentlichen Verkehr, Zu-Fuß-Gehen, Radfahren und Mikro-ÖV fördert, kann außerdem Straßenbreiten verringern und Parkplätze einsparen. Alle diese Maßnahmen erhöhen auch die Lebensqualität.

Die Entsiegelung von Flächen sei ebenfalls wichtig, sagt Sibylla Zech, doch die Rahmenbedingungen dafür seien in Österreich schlecht. In Bayern wurde 2018 für die Entsiegelung eine Förderung in Höhe von 60 Prozent der Kosten eingeführt, zahlreiche Gemeinden haben sofort Interesse gezeigt.

Gernot Stöglehner von der Universität für Bodenkultur hält auch ausgabenseitige finanzielle Anreizsysteme für sinnvoll, also Steuern, Infrastrukturabgaben oder Leerstandsabgaben für nicht genutztes Bauland oder nicht genutzte Gebäude. Die Betreiber von Einkaufszentren sollten bereits bei der Widmung von Betriebsgrundstücken eine Rücklage zahlen müssen, mit der ein eventueller späterer Rückbau finanziert würde, schlägt er vor, denn: „Durch den steigenden Online-Handel werden wir in Zukunft massiven Leerstand haben.“

Gute Beratung und kreative Bildung

Jede Gemeinde sollte das Thema Boden ins Zentrum ihres Wirkens stellen, weil Boden wichtig sei für die Nahrungsmittelproduktion, als CO2-Speicher oder etwa für den Wasserhaushalt, meint Arthur Schindelegger, Projektassistent am Forschungsbereich Bodenpolitik und Bodenmanagement der TU Wien.

Arthur Schindelegger
Arthur Schindelegger, Projektassistent am Forschungsbereich Bodenpolitik und Bodenmanagement der TU Wien: „Jede Gemeinde sollte das Thema Boden ins Zentrum ihres Wirkens stellen.“ Foto: Marion Müller

Welche Maßnahmen eine Gemeinde dafür ergreife, hänge aber vom Kontext ab, also ihrer Lage, dem Widmungsbestand, dem Baulandbedarf usw. Da es keine dezidierte Förderschiene für bodenschonende Entwicklung gibt, müsse man schauen, welche anderen Förderformate, wie z. B. Lokale Agenda 21, LEADER-Projekte oder KLAR!-Regionen dafür genutzt werden können und hier vorausschauend agieren.

Isabel Stumfol, die am Institut für Raumplanung der TU Wien forscht und lehrt und Vorstandsmitglied im Verein LandLuft ist, empfiehlt den Gemeinden, sich gute Fachberatung von außen zu holen: „Man merkt es an den Ergebnissen, wenn eine Gemeinde beim Umgang mit Baulandhortung, Umwidmungen, Rückwidmungen und Innenentwicklung professionell begleitet wird.“ Eine externe Moderation dieser Prozesse fördere auch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, und das erhöhe das Verständnis und die Akzeptanz für die Bodenpolitik.

Gute Raumplanung sieht man nicht

„An der Uni arbeiten wir intensiv mit der vorschnellen Einschätzung: Gute Raumplanung sieht man nicht“, sagt Isabel Stumfol – denn man sieht meist nur die Fehler. Bachelor- und Masterarbeiten angehender Raumplanerinnen und Raumplaner und der LandLuft Baukulturgemeinde-Preis 2021 unter dem Motto „Boden g’scheit nutzen!“ sollen deshalb gute, flächensparende Raumplanung sichtbar machen.

isabel stumfol
Isabel Stumfol, forscht und lehrt am Institut für Raumplanung der TU Wien: „Man merkt es an den Ergebnissen, wenn eine Gemeinde beim Umgang mit Baulandhortung, Umwidmungen, Rückwidmungen und Innenentwicklung professionell begleitet wird“ Foto: Johannes Prieler

Ein schönes Projekt dafür ist „Raumplanung wtf!“ von acht Masterstudierenden der TU Wien. Auf der zugehörigen Website http://raumplanung.wtf wird erklärt, was Raumplanung ist und wie nicht nur die Gemeinde, sondern jede und jeder dazu etwas Gutes beitragen kann.