Bauer blickt auf ein überschwemmtes Feld.
Überschwemmungen treten immer häufiger auch abseits von „klassischen Flusshochwassergebieten“ auf.
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Wenn aus Grünland Flüsse werden

Überschwemmungen an Orten, wo es nie welche gab. Immer öfter treten in Österreich heiße Sommer mit punktuellen Unwettern mit enormen Niederschlagsmengen innerhalb kürzester Zeit auf. Der Boden kann diese Starkregenereignisse nur unzureichend aufnehmen.

Das Problem ist, dass der verbleibende Teil des Regenwassers über das offene Gelände als sogenanntes starkregenbedingtes Oberflächenwasser („Oberflächenabfluss“ bzw. „pluviale Überflutung“) abfließt und enorme Schäden an Gebäuden und Infrastruktur verursachen kann.

Die Folge sind reißende Flüsse auf Grünland, überquellende öffentliche Kanäle und lokale Überschwemmungen von Gebäuden, die immer häufiger an Orten fernab von Bächen und Flüssen auftreten und mit „klassischen Flusshochwassergebieten“ kaum etwas gemeinsam haben.

Fluviale Überflutungen
Fluviale Überflutungen gehen von einem Gerinne wie z. B. einem Fluss aus (oben). Pluviale Überflutungen sind durch starkregenbedingtes Oberflächenwasser verursacht, dessen Abfluss sich dem Gelände folgend zum nächsten Gerinne hinbewegt (unten).

pluviale Überflutung

Aufgrund der extrem kurzfristigen Vorhersehbarkeit solcher Wetterereignisse treffen sie Regionen, Gemeinden, Eigentümer sowie deren Bauwerke meist in völlig unvorbereitetem Zustand. Durch dieses geänderte Bedrohungsszenario kommt der Früherkennung von Gefahrenstellen (sogenannter „Hotspots“) sowie der Erarbeitung von einfachen und kostengünstig umzusetzenden Präventionsmaßnahmen eine zentrale Bedeutung zu. Nur so lässt sich zukünftig der weitere Anstieg an Gebäudeschäden infolge von Oberflächenabflüssen minimieren.

Gefahren frühzeitig erkennen

Das Elementar­schadenpräventionszentrum (EPZ) arbeitet seit Jahren intensiv an der Thematik der Früherkennung von Gefahrenstellen an Gebäuden bzw. signifikanten Risikogebieten in Gemeinden in Bezug auf starkregenbedingtes Oberflächenwasser. Seit geraumer Zeit können unter Verwendung hochaufgelöster Geländemodelle in Kombination mit überaus leistungsstarken Simulationsmodellen Oberflächenwasserkarten in Form von Hinweiskarten betreffend Oberflächenabfluss erstellt werden.

Oberflächenwasserkarte von Schwertberg
Beispiel einer Hinweiskarte betreffend Oberflächenabfluss.

Aber welche Möglichkeiten haben Gemeinden und deren Gebäudeeigentümer, um oberflächenabflussbedingte Schäden im Vorfeld zu verhindern bzw. zu reduzieren? Ein grundlegender Schritt liegt darin, die in der Natur vorhandenen Abflusswege zu identifizieren. Um das vorzeitige Erkennen signifikanter Risikogebiete in Gemeinden in Bezug auf Oberflächenabfluss zu ermöglichen, kommen Oberflächenwasserkarten zur Anwendung.

Diese Hinweiskarten betreffend Oberflächenabfluss – auch als Hangwasserhinweiskarten bezeichnet – stellen immer häufiger eine wichtige Säule ergänzend zu den bereits bestehenden Gefahrenkarten der Bundeswasserbauverwaltung dar.

Aufbauend auf zahlreichen Vor-Ort-Begehungen von Seiten des EPZ zur Identifikation der in der Natur vorhandenen Abflusswege und von Kleinstrukturen (z. B. Unterführungen, Gartenmauern etc.) sowie entsprechenden Validierungen der Modellberechnungen bilden Oberflächenwasserkarten eine hervorragende Basis, um gefährdete Gebiete und Bereiche, die von Oberflächenabfluss potenziell betroffen sein können, vor Schadenseintritt zu erkennen.

Auszugsweise werden in den unten stehenden Abbildungen Ergebnisse aus Abgleichen mit den Hangwasserereignissen vom 8. bis 11. Juni 2011 im Schwertberger Ortsteil Poneggen gezeigt. Die nachstehend angeführten Vergleiche zwischen Realität und Modellergebnis belegen eine sehr gute Übereinstimmung des während des Ereignisses eingetretenen Abflussgeschehens.

Hangwasserereignissen vom 8. bis 11. Juni 2011 im Schwertberger Ortsteil Poneggen
Unmittelbarer Vergleich zwischen Simulationsergebnissen und Bildern nach dem realen Oberflächenwasserereignis.
Ergebnisse der Computersimulation hinsichtlich Wasserstandtiefen [m] und Fließgeschwindigkeiten [m/s] sowie dem daraus resultierenden Abfluss [m³/s]: Beispiel eines „Hotspots“ (türkiser Kegel) einer Gemeinde in Oberösterreich.
Ergebnisse der Computersimulation hinsichtlich Wasserstandtiefen [m] und Fließgeschwindigkeiten [m/s] sowie dem daraus resultierenden Abfluss [m³/s]: Beispiel eines „Hotspots“ (türkiser Kegel) einer Gemeinde in Oberösterreich.

Die Simulationen zeigen des Weiteren die sehr kurzen Zeitintervalle zwischen Niederschlagsbeginn und der auftreffenden Überflutungswelle. Diese überaus geringen Vorwarnzeiten sind charakteristisch für starkregenbedingte Überschwemmungen und bedeuten für die EigentümerInnen und deren Gebäude sowie vor Ort befindliche Einsatzkräfte ein erhöhtes Risikopotenzial.

Darüber hinaus bieten die Hinweiskarten betreffend starkregenbedingtes Oberflächenwasser eine Vielzahl an Möglichkeiten für Gemeinden, Betriebe, Gebäudeeigentümer, Einsatzkräfte usw., um präventives Handeln aller Betroffenen zu unterstützen. Hierzu zählen beispielsweise:

•    Früherkennung von Hotspots in Gebieten durch flächendeckende Berechnungen
•    Verbesserte Sensibilisierung der Bevölkerung für das Risiko starkregenbedingtes Oberflächenwasser
•    Anwendung/Etablierung von bewusst gewählten Präventionsmaßnahmen im Rahmen der Eigenvorsorge
•    Kalkulierbares Schadenspotenzial von Starkregenereignissen
•    Verhinderung kostenintensiver Betriebsausfälle von Unternehmen im jeweiligen Gebiet
•    Vermeidung von Schäden an kommunaler Infrastruktur sowie wirtschaftlicher Folgeschäden
•    Verbesserung der Einsatzsicherheit für die im Ernstfall beteiligten Blaulichtorganisationen durch zielgerichtete Planungen und Prognosen der zu erwartenden Abflusswellen
•    Standortspezifische Auswahl und Etablierung von Bodenschutzmaßnahmen, die abflussverzögernde und somit schützende Wirkung haben

Personen schützen

Realbeispiele zeigen, dass Oberflächenwasser nicht nur große Sachschäden verursachen, sondern auch Menschenleben gefährden kann: Die Gefährdung von Personen ist in der für Oberflächenabfluss typischen, geringen Abflusstiefe mit hoher Fließgeschwindigkeit begründet. Das führt oftmals zur Unterschätzung des Risikos.

Dabei reichen wenige Zentimeter Wasser an einer kritischen Eintrittsstelle am Gebäude aus, um tieferliegende Räume in kürzester Zeit zu fluten. Bereits geringe Wassertiefen führen dazu, dass sich beispielsweise Türen nicht mehr öffnen lassen und Personen in Räumen eingeschlossen werden bzw. nicht mehr rechtzeitig flüchten können. Daher steht bei allen Betrachtungen der Personenschutz immer an erster Stelle.

Schutzmaßnahmen im Bau berücksichtigen

Basierend auf in der Praxis gewonnenen Grundlagen wird neben der Weiterentwicklung der Berechnungsmethoden auch intensiv daran gearbeitet, wie die nun vorzeitig erkennbaren Hotspots an Gebäuden einfach und kostengünstig durch Präventionsmaßnahmen geschützt werden können. Denn die Simulationsergebnisse in Form von Oberflächenwasserkarten stellen nur den ersten Schritt dar, um einen wirkungsvollen Schutz vor Schäden zu gewährleisten.

Beispiele möglicher Eintrittsstellen von starkregenbedingtem Oberflächenwasser am Gebäude.
Eine oft unterschätzte Gefahr: Beispiele möglicher Eintrittsstellen von starkregenbedingtem Oberflächenwasser am Gebäude.

Aufbauend auf den erkannten „Problemstellen“ stehen in weiterer Folge eine Vielzahl an verschiedenen, meist baulichen, direkt am Objekt angebrachten Schutzmaßnahmen zur Auswahl, um Schäden zu vermeiden. Eine Zusammenfassung vieler dieser Maßnahmen findet sich z. B. in dem vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) herausgegebenen „Leitfaden zur Eigenvorsorge bei Oberflächenabfluss“.

Das Interreg-Projekt „Rainman“ der Europäischen Union hat sich des Weiteren intensiv mit der Bewusstseinsschaffung für Risiken ausgehend von Starkregenereignissen und dem damit einhergehenden Oberflächenwasser auseinandergesetzt. Im Rahmen des Projekts wurde ebenfalls ein umfassender Maßnahmenkatalog erarbeitet und veröffentlicht (www.rainman-toolbox.eu).

Einfache Maßnahmen, die helfen

In der Praxis stellen vielfach einfachste Maßnahmen wie etwa hochgezogene Lichtschächte oder Rampen bei Gebäudeeingängen sehr wirkungsvolle und erprobte Schutzmöglichkeiten dar. Werden solche Schutzmaßnahmen bereits beim Bau eines Gebäudes berücksichtigt, entstehen daraus im Regelfall keine Mehrkosten für die Gebäudeeigentümer.

Die Experten des EPZ bieten allen Interessierten die Dienstleistung an, gemeinsam potenzielle Gefahrenstellen und „Hotspots“ vorzeitig zu erkennen und darauf aufbauend präventive Maßnahmen zur Gewährleistung des bestmöglichen Schutzes vor Oberflächenabflüssen zu generieren.

Weiterführende Informationen sind unter www.elementarschaden.at sowie in diversen Informationsfoldern zum Thema Elementarschadenprävention, die bereits in zahlreichen Gemeinden aufliegen, erhältlich.