Während sich Inanspruchnahme und Versiegelung von Flächen relativ einfach in Zahlen abbilden lassen (beispielsweise über die Nutzungsarten in der Katastralmappe), gestaltet sich dies bei Quantifizierung von Zersiedelung ungleich schwieriger, besonders, weil eine einheitliche wissenschaftliche Definition fehlt.
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Zersiedelung

Verbauen wir unser Land?

Spätestens seitdem Menschen permanente Behausungen schaffen, die vor der Witterung schützen sollen, werden auf unserem Planeten Flächen versiegelt. Die betroffene Bodenfläche kann von oben nicht mehr von Niederschlag durchdrungen werden – darum wird von „Versiegelung” gesprochen. Finden Versiegelungsprozesse unkontrolliert statt, so wird dies als “Zersiedelung” bezeichnet. Versiegelung und besonders Zersiedelung gehen mit negativen Folgen für Mensch und Umwelt einher. Dieser Artikel präsentiert die Daten und Fakten für Österreich, beschreibt einige der negativen Folgen und gibt Handlungsempfehlungen.

Versiegelte Flächen sind eine Untergruppe von „in Anspruch genommenen” Flächen. Laut österreichischem Umweltbundesamt (UBA) kommt es bei der Flächeninanspruchnahme zum Verlust biologisch produktiven Bodens durch intensive Nutzung aller Art, also auch durch Verbauung für Siedlungs- und Verkehrsflächen. Wird Boden versiegelt, so ist dieser Verlust dauerhaft.

Im schlimmsten Fall findet Versiegelung ungeplant, ohne Konzept und unkontrolliert abseits von zusammenhängenden Siedlungen in den ländlichen Raum hinein statt. Dieser flächenintensive Prozess, der weit gestreute und ineffizient genutzte Siedlungsflächen produziert, die stark von Individualverkehr abhängig sind, wird als „Zersiedelung“ oder „Urban Sprawl“ bezeichnet.

Daten und Fakten

Laut UBA liegt der dreijährige Mittelwert der Flächeninanspruchnahme in Österreich bei 11,5 Hektar täglich. Der Anteil der versiegelten Flächen lag dabei etwas über 41 Prozent. Jährlich gehen somit im Durchschnitt 42 km² an biologisch produktiven Flächen verloren, was in etwa der Größe von Eisenstadt entspricht.

Stand 2020 summierte sich die Inanspruchnahme auf 7 Prozent der österreichischen Landesfläche, also rund ein Fünftel der potenziell besiedelbaren Fläche bzw. 5.768 km². Bis zum geplanten Reduktionsziel der Regierung von 2,5 Hektar Inanspruchnahme pro Tag, was 9 km² jährlich entspricht, ist es also noch ein sehr weiter Weg.

Während sich Inanspruchnahme und Versiegelung von Flächen relativ einfach in Zahlen abbilden lassen (beispielsweise über die Nutzungsarten in der Katastralmappe), gestaltet sich dies bei Quantifizierung von Zersiedelung ungleich schwieriger, besonders, weil eine einheitliche wissenschaftliche Definition fehlt. An dieser Stelle können Erdbeobachtungssatelliten Abhilfe schaffen, die unter anderem Daten über optische Reflektionen sammeln, aus denen sich Informationen über den Versiegelungsgrad von Oberflächen ableiten lassen.

Zersiedelungslandkarte für Österreich

Aus den satellitenbasierten Versiegelungsdaten hat die Forschungsgruppe „Regionalwissenschaft und Umweltforschung“ am Institut für höhere Studien (IHS) mithilfe des Konzepts der Entropie eine Zersiedelungslandkarte für Österreich berechnet.

Bei Entropie handelt es sich grob gesagt um ein Maß für die Unordnung in (geschlossenen) Systemen. Die Abbildung zeigt diese Karte; Werte nahe 1 (gelb) geben hohe Werte für Zersiedelung/Entropie an, Werte nahe 0 (blau) niedrige. Es zeigt sich, dass in den meisten besiedelbaren Regionen der kritische Entropiewert von 0,5 erreicht wird. Darunter fallen bei hoher Auflösung der Karte (wie im konkreten Fall) auch Städte, weil sich auch hier Versiegelung auf hohem Niveau unordentlich verteilt. Nur in Nationalparks und den Alpen, die grundsätzlich schwer bzw. nicht besiedelbar sind, zeigen sich niedrige Werte. Das Gleiche gilt für den Norden Niederösterreichs und das östliche Burgenland. Österreich muss also als zersiedeltes Land bezeichnet werden, in dem ein hoher Grad an unkontrollierter Versiegelung vorherrscht bzw. immer noch voranschreitet.

Zersiedelungslandkarte für Österreich
Zersiedelungslandkarte für Österreich, eigene Berechnung und Darstellung von IHS

Negative Folgen

Versiegelung geht mit zahlreichen negativen Effekten einher, die sowohl die Umwelt als auch die Wirtschaft und das menschliche Wohlbefinden betreffen können.

Die European Environmental Agency (EEA) hat eine übersichtliche Darstellung der negativen Folgen zusammengetragen. Zu den größten Herausforderungen zählt die verlorene Bodenfunktion von versiegelten Flächen, Niederschlagswasser aufzunehmen und so den natürlichen Wasserkreislauf zu schließen.

Laut einem IPCC Special Report beeinflusst die Bodenversiegelung Volumen und Geschwindigkeit von Überschwemmungen während Starkregenereignissen, welche sich in Zukunft noch häufiger und intensiver ereignen werden. Biologisch produktiver Boden nimmt allerdings nicht nur Wasser auf, er stellt auch einen wichtigen Speicher für CO2 dar und bietet die Grundlage für intakte Ökosysteme, die wiederum als CO2-Senken dienen und durch einen hohen Grad an Biodiversität als widerstandsfähig bezeichnet werden können.

Durch Flächeninanspruchnahme und Zersiedelung werden Lebensräume entweder zerschnitten und dadurch fragmentiert oder gänzlich eliminiert, was mit einem erheblichen Verlust an Biodiversität und für den Menschen nützlichen Funktionen durch Vegetation einhergeht. Neben der Produktion von Sauerstoff, der Bindung von CO2 und dem Kühlungseffekt von Grünpflanzen wird durch Verbauung auch das Landschaftsbild merklich verändert und Natur durch Bauten ersetzt. Dies kann bei großer Reduktion der Grünflächenmit negativen Effekten für das menschliche Wohlbefinden einhergehen, wobei nicht in Abrede gestellt werden kann, dass von Menschen geschaffene Bauten an sich wichtige Funktionen in Gesellschaften einnehmen und somit auch das Wohlbefinden steigern können.

Durch das geringere Flächenangebot als Resultat der hohen Inanspruchnahme steigt der Druck bzw. die Konkurrenz zwischen den alternativen Nutzungsformen, wobei besonders landwirtschaftliche Flächen und fruchtbare Böden zunehmend verlorengehen. Dieser ansteigende Flächenverlust begünstigt eine intensivierte Form der Landwirtschaft und Massenproduktion, bei der auf weniger Flächen mehr produziert werden kann und meist Düngemittel und Pestizide im großen Stil eingesetzt werden (müssen).

Neben den direkten Effekten von Versiegelung und Flächeninanspruchnahme spielt die Nutzung der neu geschaffenen Infrastruktur eine wichtige Rolle. Durch ein gesteigertes Verkehrsaufkommen erhöhen sich Lärmbelastung, Luft- und Lichtverschmutzung und damit die Gesundheitsbelastung für die lokale Bevölkerung. Zersiedelte Strukturen vergrößern die zurückzulegenden Distanzen zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen wie Wohnen und Arbeiten und bedingen daher einen höheren Energieverbrauch sowie höhere Kosten für Mobilität. Positive Effekte von verdichtetem Bauen, wie etwa effiziente Nutzung von Baumaterialien, Energie und Fläche, werden bei zersiedelnden Baumaßnahmen nicht ausgenützt.

Verantwortung auf Gemeindeebene übernehmen

In der Thermodynamik lässt sich Entropie in einem geschlossenen System nicht umkehren. Bei Zersiedelung ist dies zwar theoretisch möglich, in der Praxis ist die großflächige Renaturierung von Siedlungsgebieten aber (politisch) kaum umsetzbar. Darum wäre es spätestens jetzt an der Zeit, die laufende Flächeninanspruchnahme und Versiegelung in Österreich auf ein Minimum zu reduzieren und dort, wo es möglich ist, ungenutzte versiegelte Flächen zu renaturieren.

In Österreich liegen viele Kompetenzen in der Raumordnung bei den Bundesländern und den Gemeinden. Eine österreichweite, gesetzlich bindende Regelung zur Einschränkung der weiter voranschreitenden Zersiedelung ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht, unter anderem, weil Bund, Länder und Gemeinden unterschiedliche Interessen verfolgen. Da aber das Risiko besteht, dass in Österreich schon bald der letzte biologisch produktive Boden dem Flächenfraß zum Opfer fällt und wir unser Land komplett verbauen, ist Eile geboten.

Besonders Mitglieder von Gemeinderäten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wären über die von ihnen erlassenen Verordnungen zu Flächenwidmungen schon jetzt in der Lage, der Zersiedelung Einhalt zu gebieten.

Das soll aber nicht heißen, dass Neubauten komplett verboten werden sollen. Vielmehr sollte auf Verdichtung in den Ortskernen anstatt auf Ausbreitung der Ortsgebiete gesetzt werden. Konzepte, wie diese Verdichtung geschehen kann, gibt es bereits. So bieten große Gebäude (wie Supermärkte) oft Platz für einen zweiten und dritten Stock und somit zusätzlichen Wohnraum, unterirdische sollten wenn möglich oberirdischen Parkplätzen vorgezogen werden. Die Devise sollte also lauten, den Raum vertikal besser zu nutzen. Schon die Einhaltung dieser einfachen Regel kann wesentlich dazu beitragen, die Lebensqualität in Österreich auf dem aktuell hohen Niveau zu halten.

Entropie

Das 2. Gesetz der Thermodynamik, einem Unterbereich der Physik, wird auch als Entropie-Gesetz bezeichnet. Simpel gesagt kann Entropie als ein Index für die Menge der unverfügbaren Energie in einem thermodynamischen System zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Evolution gesehen werden.

Es gibt also einerseits verfügbare Energie, die in Arbeit verwandelt werden kann, und unverfügbare Energie, die so nicht transformiert werden kann. Die verfügbare Energie wird kontinuierlich in unverfügbare Energie verwandelt und schwindet dadurch.

Das Entropie-Gesetz besagt weiters, dass auch Materie von nicht-umkehrbaren Dissipationsprozessen betroffen ist und damit einem qualitativen, evolutionären Veränderungsprozess unterliegt. Einige Organismen verlangsamen den entropischen Zerfall, wie etwa grüne Pflanzen, indem sie einen Teil der Sonnenenergie speichern. Die meisten anderen Lebensformen tragen zum Prozess des entropischen Zerfalls bei, wobei die Menschheit dabei die höchste Position einnimmt. Wenn es das Entropie-Gesetz nicht gäbe, gäbe es keine ökonomische Knappheit. Es wäre dann zum Beispiel möglich, die Energie aus Gas immer wieder zu nutzen.

Quellen

https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/boden/flaecheninanspruchnahme

https://land.copernicus.eu/pan-european/high-resolution-layers/imperviousness

https://www.eea.europa.eu/publications/urban-sprawl-in-europe

https://www.ipcc.ch/sr15/download/