Menschen springen ins Meer in Oslo
In Oslo will man die CO2-Emissionen bis 2030 um 95 Prozent reduzieren.
© Urban Future Global Conference

Veränderung bringt auch wirtschaftliche Vorteile für Gemeinden

Der Mann hat innerhalb von knapp vier Jahren eines der dynamischsten und aktivsten kommunalen Netzwerke Europas aufgebaut. Die „Urban Future Global Conference“ bringt Institutionen wie C40, EY, Daimler oder EUROCITIES mit kommunalen „Machern“ – er nennt sie „CityChanger“ – aus der ganzen Welt zusammen. KOMMUNAL sprach mit Gerald Babel-Sutter, dem CEO der Urban Future Global Conference.

110 - das war die Anzahl der Bürgermeister von Städten aus der ganzen Welt, die sich 2018 für drei intensive Tage in Wien bei der Urban Future Global Conference versammelten. Mehr als 3000 Besucher trafen auf kommunale Vordenker, Wissenschaftler und Visionäre, Start Ups präsentierten sich und ihre Ideen, Studenten stellten ihre Forschungen mit kommunalem Fokus vor. Das Faszinierende dabei war, dass die allermeisten Vorschläge nicht nur für große Städte umzusetzen sind, sondern auch für kleine Gemeinden ein Ansatz sind.

Oslo will CO2 um 95 Prozent reduzieren

Dieses Konzept wird heuer in Oslo nicht nur fortgesetzt, sondern präzisiert. Oslo ist dabei sowas wie der „kommunale Vorreiter Europas“. Immerhin will Norwegens Hauptstadt die CO2-Emissionen bis 2030 um 95 Prozent reduzieren. Und bis 2025 werden 60 Prozent der Osloer Busflotte elektrisch fahren. Wie das gehen kann, haben wir Gerald Babel-Sutter gefragt, den CEO und Gründer der Urban Future Global Conference.

„Eines der Wunschthemen von Städten aus ganz Europa in der Vorbereitungszeit war „Green public procurement“ (also „nachhaltige öffentliche Beschaffung“ oder „Vergabe“). Wir sollten uns darauf konzentrieren. Ehrlich, meine erste Reaktion war: Fader geht’s nimmer“, gesteht der Mittvierziger mit entwaffnendem Charme.

Ein genauer Blick auf Oslo hat ihn dann aber eines Besseren belehrt. „Die Norweger sind äußerst konsequent. Und ihre Vorgabe, bis 2030 die Emissionen um 95 Prozent zu reduzieren, ist nicht - wie oft - leeres Gerede. Oslo hat ein Instrument entwickelt, mit dem der aktuelle Status-Quo der Umsetzung stets genau abgerufen werden kann. Sie haben nicht nur einen Zeithorizont für alle Bereiche der Stadt heruntergebrochen und genau definiert, bis wann welcher Schritt erfolgt sein muss. Sie zählen ihre CO2-Emissionen genauso, wie sie ihr Geld zählen. Und jeder Entscheider – jeder Vizebürgermeister, jeder Abteilungsleiter – in der Stadt ist verantwortlich, dass die (unterschiedlichsten) Schritte auch tatsächlich umgesetzt werden.

Kommunen werden sich ihrer Macht erst bewusst

So nutzt Oslo die öffentliche Vergabe dazu Veränderungsprozesse anzustoßen. „Die Norweger haben sich ausgerechnet, dass Städte allein im Gebäudesektor Milliarden ausgeben – und damit auf einem riesigen Hebel sitzen. Denn wenn eine Stadt – oder auch eine Region, ein Verbund kleinerer Kommunen – sagt, ab sofort wird nur mehr in Passivhäuser investiert, dann ist das für eine ganze Branche eine klare Ansage.“ Viele Städte werden sich dieser „Macht“ (auch wenn das Wort hier vielleicht nicht ganz passt) erst bewusst.

Gerald Babel-Sutter
Gerald Babel-Sutter: "Wenn eine Stadt – oder auch eine Region, ein Verbund kleinerer Kommunen – sagt, ab sofort wird nur mehr in Passivhäuser investiert, dann ist das für eine ganze Branche eine klare Ansage.“

„C40“ (www.c40.org) – in diesem Netzwerk von weltweit 95 Städten mit 25 Prozent des weltweiten BIP sind Kommunen wie Heidelberg und Mailand, aber auch Moskau, Paris und London oder auch Montreal, New York, Peking und Auckland dabei, übrigens auch Partner der Urban Future Global Conference – hat vor kurzem bekanntgegeben, dass 26 ihrer Mitgliedsstädte bis 2050 nur mehr emissionsfreie Busse kaufen. „Da reden wir aber von einer Flotte von 80.000 Bussen“, so Babel-Sutter, „und damit wird’s für die Industrie oder den Markt spannend. Wenn eine Stadt wie London mit rund 10.000 Bussen sagt, „Stellt euch darauf ein: Ab 2025 braucht uns niemand mehr mit einem anderen Modell kommen.“, dann bewegt sich was.“

Dem Vernehmen nach haben Daimler und andere Produzenten auch schon begonnen, sich neue Modelle zu überlegen. 

Genau diese Lenkungskraft beginnen Städte weltweit für sich zu entdecken – und da ist Oslo voll dabei – und zwar von der obersten Spitze!

Dieser Zugang gilt nicht nur für Busse, sondern auch für Gebäude. „Nehmen sie das Beispiel des kommunalen Wohnbaus, also Schulen, Kindergärten, Altersheime und so weiter. Ziel der Städte war, künftig nur mehr Niedrigenergie- oder Passivhausstandards zu realisieren. Oslo hat das aber nicht in die Ausschreibungstexte hineingenommen, weil sie sich nicht sicher waren, ob das umsetzbar ist. Daher haben sie ein eigenes Modell entwickelt, das sie ,Norwegisches Modell' nennen und haben mit ihren Lieferanten und Architekten, einen Konsultationsprozess initiiert, in dem sie ihre Ziele vorgestellt haben. Sie haben also den Lieferanten die Möglichkeit gegeben, die Stadt auf diesem Weg zu begleiten.“

"Bitte um die coolsten und nachhaltigsten Vorschläge"

Herausgekommen ist dabei ein gemeinschaftliches Modell der Stadt als Auftraggeber mit der Industrie, wie das aussehen könnte. Vor eineinhalb Jahren hat Oslo begonnen, das zu implementieren. Die Ausschreibung lautet nicht mehr „Wir brauchen einen Kindergarten mit soundsoviel m²“ , sondern „Wir brauchen einen Kindergarten mit der Größe, wir zahlen den und den Preis (so viel darfs kosten, denn die ungefähren Kosten eines Kindergartens sind ja bekannt) und sagen: Bitte um die coolsten und nachhaltigsten Vorschläge/Konzepte.“

Babel-Sutter: „Da entsteht auch eine völlig andere Denkweise, wie Lieferanten an Gebäude herangehen. Sie tun was Gutes für die Umwelt, das hat super motivierende Auswirkungen auf die Mitarbeiter, die Baufirmen finden mit diesen Projekten auch viel leichter neue Mitarbeiter und so fort … und so wars auch in Oslo! Der Wettbewerb findet jetzt in Grenzen statt und nicht mehr in Geld.“

Also steht in Oslo die öffentliche Meinung hinter der Verwaltung? Für Österreich kann man sich so eine Herangehensweise ja nur schwer vorstellen. Vorwürfe von „verschwenderischen Verwaltungen“ stünden sofort im Raum.

Babel-Sutter: „Im Großen und Ganzen ja. Und in Norwegen ist es kein isolierter Einzelfall. Um Emissionen zu reduzieren, passiert derartig viel und das überall, Gebäude sind nur ein Teil davon. Und davon abgesehen: Viele diese Initiativen bedeuten für die Städte einen wirtschaftlichen Vorteil.“

Bis 2020 soll beispielsweise ein Drittel der Fähr-Flotte und bis 2023 die gesamte norwegische Kurzstrecken-Fährflotte elektrifiziert sein. Das hatte unter anderem auch zur Folge, dass die norwegische Industrie in diesem Bereich eine unglaubliche Expertise aufgebaut hat. Außerdem klopfen plötzlich Städte mit Anforderungen an Fährschiffen in Norwegen an, weil sie diese Schiffe auch gebrauchen könnten. Und die Industrie kommt nicht mehr nach mit Leuten einstellen und Schiffe bauen.

Dieses Prinzip ist auch bei Gebäuden angewandt worden.

Das Muster, so Babel-Sutter lautet: „Fragen, was will ich, wie kann das gehen, was brauchts, damit es funktioniert – und das sind oft banale Dinge wie die Baubewilligung für ein innovatives Gebäude, einfach, weil die Technologie keiner versteht. Und man muss in die Schulen gehen und die Ausbildung angleichen, damit für die neuen Technologien genügend Leute ausgebildet werden, die die Technik umsetzen können.“

Die Emissionsfreie Baustelle

So werden die Norweger auf der Urban Future Global Conference auch die „Emissionsfreie Baustelle“ mit elektrifizierten Baugeräten und elektrifizierten Heizungen (im Winter über Fernwärme statt Diesel) etc. präsentieren. „Die Skandinavier sind da unglaublich konsequent und fokussiert und das hat auch einen ganz klar wirtschaftlichen Effekt. Und sie sind extrem pragmatisch.“ Die Politik an sich hat in Norwegen noch einen hohen Stellenwert, man verlangt von den Politikern aber auch, dass sie Lösungen bringen und die groben Strategien einschlagen und dann konsequent verfolgen.

Einbeziehung der Umlandgemeinden als Erfolgsrezept

Bezieht Oslo auch die Umlandgemeinden ein, wenn sie ihre fortschrittlichen Konzepte umsetzen? Wenn man die Umlandgemeinden nicht an der positiven Entwicklung teilhaben lässt, wenn man sie nicht an einer positiven Entwicklung mit profitieren lässt, verliert man die kleinen Gemeinden und erzeuge überdies Widerstand gegen die Projekte. Wie machen das die Norweger, fragen wir Babel-Sutter.

„Ich bin noch nicht so tief in der Materie, aber auf der Urban Future Global Conference wird es auch einen Themenblock „Metropolitan Aeras“ geben, wo die Region Oslo, vor allem mit ihren Kommunen Baerum, Asker und Drammen sehr viele Beispiele einbringen wird. Aber generell investiert Norwegen viel in die Entwicklung der Regionen beziehungsweise die Metropolregion Oslo und lässt alle daran teilhaben, aber der Staat stellt auch Bedingungen. Er verlangt für die Investition A die Zustimmung zu einem Mobilitätsplan, B die Zustimmung zu einem Flächennutzungsplan sowie C eine Zusicherung, dass das Projekt von allen getragen wird. Das ist nicht einfach, aber in Norwegen kommen sie damit zurecht. Vermutlich ist das aber ein Modell, das in Europa nicht überall funktionieren würde.“

KOMMUNAL als Medienpartner der Urban Future Global Conference wird in Oslo dabei sein und weiter berichten.

Zur Person Gerhard Babel-Sutter

Der geborene Wiener Gerhard Babel-Sutter organisiert seit 2014 Europas größte Konferenz für nachhaltige Städte – die URBAN FUTURE GLOBAL CONFERENCE.

Als Gründer und CEO der UFGC GmbH ist er dabei für die komplette Programmentwicklung sowie den Aufbau eines Partnernetzwerkes aus heute mehr als 100 Organisationen, u.a. Eurocities, C40, CDP und European Green Capital und weiteren verantwortlich.

Davor hat er Veränderungsprozesse für diverse Firmen in Deutschland, den USA, Indien und China initiiert und begleitet. Studiert hat Babel-Sutter an der Karl-Franzens-Universität Graz, der Montclair State University, der NYU, der Columbia University, sowie der Harvard Business School in den USA. Er ist verheiratet hat vier Kinder.

Mehr über Gerhard Babel-Sutter in diesen Interviews:

https://waytopassion.com/gerald-babel-sutter-ich-liebe-das-tun-ueberlegen-ziel-setzen-und-los/

https://www.biorama.eu/urban-future-global-conference-babel-sutter/