
Kommunalverlag-Geschäftsführer Michael Zimper und Redakteur Helmut Reindl im Gespräch mit Außenminister Sebastian Kurz.
"Präsentives und schnelles Handeln ist gefragt"
Seit den Anschlägen in Frankreich ist die Angst vor dem Terror auch in Österreich gestiegen. KOMMUNAL sprach mit Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz über die derzeitigen Entwicklungen.
KOMMUNAL: In Österreich gibt es Bedenken bezüglich der zunehmenden Radikalisierungstendenzen. Herr Bundesminister, was kann getan werden, um dem entgegenzuwirken?
Kurz: Vorerst möchte ich betonen, dass es trotz der jüngsten Geschehnisse keinen Grund gibt, in Panik zu verfallen. Der Islam hat in Österreich eine lange Tradition: seit über 100 Jahren sind Musliminnen und Muslime Teil unserer Gesellschaft. Die meisten von ihnen sind sehr gut integriert. Sie dürfen daher auch keinesfalls unter Generalverdacht gestellt werden.
Es gilt, Radikalisierungstendenzen in Österreich sowohl präventiv als auch repressiv entschieden entgegenzutreten. Vor allem Jugendlichen muss klar sein: „Dschihadismus“ ist kein Spiel, sondern etwas Todernstes. Darüber hinaus sollte allen bewusst werden, dass die Hauptopfer der IS-Terrorangriffe Musliminnen und Muslime im Irak und in Syrien sind. Es gilt, das Thema Islam vom Thema Terror zu differenzieren und deren automatische Verknüpfung unbedingt zu vermeiden.
Wie Sie bereits angesprochen haben, wird der Islam in Österreich derzeit sehr oft im Zusammenhang mit radikalem Islamismus thematisiert. Welche Maßnahmen werden Ihrerseits zur Deradikalisierung gesetzt?
Wir widmen uns gemeinsam mit verschiedenen Partnern intensiv der Aufklärungsarbeit und leisten Prävention. Anfang Dezember wurde die neue Beratungsstelle und Hotline gegen Extremismus von vier Bundesministerien vorgestellt. Die Hotline ist eine erste Anlaufstelle für Hilfesuchende. Angesichts der Entwicklungen haben wir gemeinsam mit dem Innen- und Justizministerium Anfang Oktober den Gipfel gegen Hass und Hetze organisiert, um die vielfältigen Aspekte von Radikalisierung, Extremismus und Prävention aufzuzeigen und zu diskutieren.
Darüber hinaus starteten wir gemeinsam mit dem Österreichischen Integrationsfonds-ÖIF eine Informationsoffensive und erstellten in Zusammenarbeit mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich einen Islam-Folder, in dem sich Musliminnen und Muslime klar von der Vereinnahmung ihrer Religion durch Terroristen distanzieren. Auch ein „Islam-Glossar“, das zentrale Begriffe des Islams für jeden verständlich erklärt, wird der ÖIF herausgeben. Um das Zusammenleben in Gemeinden und Bezirken mit einem hohen Anteil an Musliminnen und Muslimen zu verbessern, informiert das bald erscheinende Informationshandbuch „Moscheen als Teil der Gemeinde“ über religiöse, kulturelle und rechtliche Hintergründe.
Vor allem Jugendliche sind oft Ziel des politischen Islamismus und werden radikalisiert, wie sollte man damit umgehen?
Österreich ist ein weltoffenes Land, aber es gibt Grenzen, wenn unsere Werte verletzt werden. Jede Bürgerin und jeder Bürger ist gefordert und trägt Verantwortung für ein gutes Miteinander. Es ist wichtig, dass aufeinander zuzugehen und einen Dialog zu führen. Ich muss hier nochmals betonen, dass kein Generalverdacht gegenüber muslimischen Mitschülerinnen und Mitschülern herrschen und niemand aufgrund seines Glaubens Opfer von Diskriminierung und Mobbing werden darf.
Es wird davon ausgegangen, dass Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer bei Mitschülerinnen und Mitschülern Tendenzen zur Radikalisierung früher erkennen können. Wo dies erkannt wird, muss reagiert werden. Solches Verhalten sollte auf soziale und gemeinschaftliche Weise aufgearbeitet werden. Aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler, auch die Eltern müssen ins Boot geholt werden. Oft sind sie selbst überfordert und wollen mithelfen, ihr Kind wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Natürlich gibt es aber auch solche, die nicht kooperativ sind und in der Folge mit Konsequenzen rechnen müssen. Neben Mitschülerinnen und Mitschülern, Lehrerinnen und Lehrern und der Familie spielen auch islamische Religionslehrerinnen und Religionslehrer eine wichtige Rolle. Sie müssen erklären, dass gläubige Musliminnen und Muslime niemals solche Verbrechen begehen würden. Vieles könnte präventiv durch das Einführen des Unterrichtsfaches „Politische Bildung“ ab der fünften Schulstufe passieren. Oft herrscht unter Schülerinnen und Schülern Unwissen, was unsere Werte und unser politisches System anbelangt.
Wie kann Ihrer Meinung nach erfolgreiches Zusammenleben und Miteinander in unserer Gesellschaft dennoch funktionieren?
Erfolgreiche Integration in Österreich funktioniert, wenn so früh wie möglich damit begonnen wird, am besten noch im Herkunftsland. Aus diesem Grund haben wir mittlerweile zwei Integrationsbeauftragte in Serbien und in der Türkei, die Zuwandererinnen und Zuwanderer bereits vor dem Zuzug nach Österreich über die Chancen, Werte und die deutsche Sprache als entscheidenden Faktor in Bildung und Arbeit informieren. In Österreich angekommen, unterstützen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Österreichischen Integrationsfonds an den Welcome Desks und Integrationszentren österreichweit bei Fragen rund um Sprache, Arbeit, Soziales uvm. Zur weiteren Motivationsförderung tragen Initiativen wie Zusammen:Österreich bei, wo Prominente, aber auch „Heldinnen und Helden des Alltags“ bei Schulbesuchen und in Vereinen ihre ganz persönlichen Integrationsgeschichten und ihren Erfolg in Ausbildung und Beruf erzählen.